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An guten Tagen siehst du den Norden (eBook)

Südkorea zwischen Geistern und Glasfassaden
eBook Download: EPUB
2018 | 2. Auflage
384 Seiten
DuMont Reiseverlag
978-3-616-49156-1 (ISBN)
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DuMont Reiseabenteuer An guten Tagen siehst du den Norden - Südkorea zwischen Geistern und Glasfassaden

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Das E-Book basiert auf: 2. Auflage 2018, Dumont Reiseverlag

Fast eineinhalb Jahre lebt Sören Kittel in Korea, schreibt Artikel, interviewt Künstler, Wirtschaftsexperten und Politiker und bereist schließlich das ganze Land. Es ist die Zeit, in der Trendscouts aus der ganzen Welt Südkorea entdecken, sie sagen, es sei hier wie in Japan vor zehn Jahren. Mode, TV-Serien, Pop-Kultur und die technische Entwicklung kommen plötzlich für ganz Asien aus Südkorea, und Kaffee wird im Land der Tee-Liebehaber zu einem hippen Getränk. Gleichzeitig ziehen sich diese modernen Koreaner in Tempel zurück und besuchen Originalschauplätze von vergangenen Kriegen. Vielleicht, weil Südkorea offiziell noch immer im Krieg ist, mit dem einzigen Land, in dem ebenfalls Koreanisch gesprochen wird: Nordkorea. Die Trennung geht mitten durch die Nation und beeinflusst den Alltag. Kittel geht diesem Konflikt, der allgegenwärtig das Leben mitbestimmt, nach. Ihm gelingt ein tiefer Einblick in eine gespaltene Nation, und er zeigt den Weg Koreas zu einem modernen »Powerhouse«.

Tipp: Setzen Sie Ihre persönlichen Lesezeichen an den interessanten Stellen und machen Sie sich Notizen... und durchsuchen Sie das E-Book mit der praktischen Volltextsuche!



<p>Sören Kittel wurde 1978 in Dresden geboren. Er studierte in Leipzig, Amsterdam und Berlin die Fächer Ethnologie und Südostasienwissenschaften, lernte Chinesisch, Swahilii und Indonesisch. Nebenbei absolvierte er Auslandspraktika bei Medien in Jakarta, Peking und Nairobi. Nach dem Volontariat an der Axel Springer Akademie war er fünf Jahre Reporter der 'Berliner Morgenpost', er gewann mit Reportagen unter anderem den Medienpreis Mittelstand, den EMMA-Männerpreis und für eine Reisereportage in Nordkorea den 'Meridian- Reisejournalistenpreis'. Im Jahr 2014 beschloss er, für eineinhalb Jahre nach Seoul zu ziehen und arbeitete von dort als freier Journalist für 'Die Welt', 'FAS', 'brandeins' und 'Cicero'. Aktuell lebt er in Berlin und arbeitet für die Zentralredaktion der Funke- Mediengruppe.</p>

<p>Sören Kittel wurde 1978 in Dresden geboren. Er studierte in Leipzig, Amsterdam und Berlin die Fächer Ethnologie und Südostasienwissenschaften, lernte Chinesisch, Swahilii und Indonesisch. Nebenbei absolvierte er Auslandspraktika bei Medien in Jakarta, Peking und Nairobi. Nach dem Volontariat an der Axel Springer Akademie war er fünf Jahre Reporter der „Berliner Morgenpost“, er gewann mit Reportagen unter anderem den Medienpreis Mittelstand, den EMMA-Männerpreis und für eine Reisereportage in Nordkorea den „Meridian- Reisejournalistenpreis“. Im Jahr 2014 beschloss er, für eineinhalb Jahre nach Seoul zu ziehen und arbeitete von dort als freier Journalist für „Die Welt“, „FAS“, „brandeins“ und „Cicero“. Aktuell lebt er in Berlin und arbeitet für die Zentralredaktion der Funke- Mediengruppe.</p>

Kapitel

1

Von Berlin ins »Berlin«

HAN (TRAURIGKEIT)

Es muss mit »Berlin« beginnen. Genauer: Mit dem »Berlin«. Und es muss mit einem Rausch beginnen. Nicht nur, weil Korea ein Land ist, in dem sehr viele Menschen sehr oft betrunken sind, sondern weil dieser erste Rausch im »Berlin« am Anfang von vielem steht. Wir haben uns angeschrien im »Berlin«, wir haben uns umarmt und getanzt, wir haben immer wieder koreanische Eigenheiten verhandelt und uns versichert, was normal ist und was nicht. Die maskenhaften Gesichter in den U-Bahnen! Warum zeigt hier keiner seine Gefühle? Oder warum fällt nur uns das auf? Ganz spät haben wir uns leise gefragt, warum wir hier sind. Die Antwort war oft: weil es weit weg ist.

Den Hügel hinauf, die Holztreppe zu der Bar hinunter, so begann der Anfang meiner Beziehung zu Seoul, dieser Stadt, deren Name klingt wie ein Gong, zumindest dann, wenn man diese Silbe ganz tief ausspricht: Seoulllll. Ich laufe also an diesem Nachmittag an der Bar vorbei, an deren Eingang weiß auf pink »Berlin« steht. Ich bin müde, es ist mein zweiter Tag in Seoul und ich hatte meiner Heimatredaktion angeboten, verschiedene Berlin-Orte zu besuchen. Die deutsche Hauptstadt – so meine These – ist in Seoul beliebt, gilt als hip wegen all der Clubs und wegen der Berliner Mauer. Es heißt, Berliner verstehen das mit der Teilung einer Nation, geteilte Stadt, geteilte Halbinsel. Die Liste von Orten wurde schnell lang: Es gibt den »Berlin-Platz« mit echtem Mauerstück im Zentrum der Stadt, ein Restaurant »Bärlin« mit Buddy Bär (im Hauptmann-von-Köpenick-Look) und Currywurst für umgerechnet 17 Euro. Im Studentenviertel steht eine Bierkneipe, die den Namen in drei koreanischen Silben schreibt: »Be-Le-Lin«. Aber es gibt sie nur einmal, diese Bar im berüchtigten Stadtteil Itaewon, wo das Nachtleben nie aufhört, wo die leben, die Fremdsprachen sprechen: das »Berlin«. Mein erstes Ziel.

Es ist Mai 2013. Ich betrete jetlag-blinzelnd die Bar und frage nach dem Inhaber. Der ist da, hat Zeit und setzt sich mit mir auf die Terrasse. Er ist Kanadier, Darrell heißt er, 46 Jahre alt. Er war noch nie in der Stadt Berlin. Er sagt abweisend, dass es keinen Grund gab, seine Bar so zu nennen, nur dass er penibel auf ihre Sauberkeit achte, fast preußisch in seiner Art. Es gibt keine Hinweise auf Deutschland, nirgendwo auch nur einen Fernsehturm, nichts Deutsches auf der Speisekarte, bis auf das »Paulaner«. Er wirkt gereizt. Was will dieser müde Deutsche, der ständig gähnt? Das Interview fällt kurz aus. »Koreaner mögen Deutschland«, sagt er, »und Berlin hat einfach ein cooles Image hier.« Na dann.

Ein bisschen stolz ist er doch auf seine kleine Kneipe: Das »Berlin« war der erste Laden auf dem Hügel. »Hier gab es nur Gras und alte, schlecht isolierte Betonklötze.« Er erzählt, wie er vor 16 Jahren hierher kam, die Terrasse gebaut hat. »Koreaner denken nicht daran, die Aussicht zu nutzen.« Ihm fällt ein, wie er sich mit den koreanischen Behörden gestritten hatte, weil er Ausländer ist, wie er der älteren Nachbarin eine Flasche Wein und Kuchen anbot, weil die Eröffnung etwas zu laut wurde. Er sagt, dass für uns normale Restaurantsitten hier nicht gelten: Wie er auf Servietten achtet, die man nicht aus einem Spender zupfen muss, oder darauf, dass Gäste auch wirklich am Tisch bedient werden – ohne erst laut durch den Gastraum zu rufen, wie sonst in Korea. Wie er sich freut, jedes Mal, wenn er die Fenster öffnen kann, im Frühling und Herbst. Der Sommer sei zu heiß, der Winter zu kalt. Dabei denken seine Freunde immer, er lebe doch in Asien, da müsse es warm sein. Er schimpft: Dieses Korea!

Ich erzähle ihm von meinem Stipendium, das mich hier nach Südkorea brachte. Drei Monate lang soll ich für meine Zeitung berichten, Geschichten über Samsung-Telefone, LG-Fernseher, und vielleicht treffe ich ein paar Nordkoreaner. Kennt er welche? »Viel Glück«, sagt er nur. Da fällt mir das Mauerstück in meiner Tasche ein. Ich hatte 30 Stück mit nach Seoul genommen, weil es in Korea üblich ist, Geschenke mitzubringen. Auch zu Interviews. Es sind diese bemalten Betonstücke, die schon lange kein Berliner mehr für echte historische Objekte hält. Aber es gibt ein Zertifikat und einen Stempel, und das DDR-Wappen ist auch darauf. Ich gebe Darrell das erste Mauerstück. Er freut sich überschwänglich. Er redet etwas von »Ehrenplatz« und plötzlich ertönt eine Sirene.

Darrell sagt, das habe er schon lange nicht mehr gehört. Das Heulen kommt aus allen Richtungen. Die Autos auf der Straßenkreuzung unten vor der Terrasse bleiben stehen. »Für eine Viertelstunde darf in Seoul niemand auf die Straße«, sagt er. So lange dauere diese Übung. Fußgänger müssen stehenbleiben – oder in einen U-Bahn-Schacht laufen. Denn diese sind 100 Meter tief, sie sind gleichzeitig Luftschutzbunker. Plötzlich wird mir klar, dass Nordkorea wirklich nur 40 Kilometer von dieser Terrasse entfernt ist. Direkt vor dem Fenster ist über die Straße ein Bogen gespannt, blau und metallfarben. Darauf stehen die Worte: »Welcome to Korea«.

Es ist eine ernste Zeit, als ich zum ersten Mal in Südkorea bin. Nordkorea hat damit gedroht, Seoul »in ein Flammenmeer« zu verwandeln. Kim Jong-Un hat gerade sein erstes Jahr als Diktator hinter sich, es gibt Meldungen, dass er einige alte Kader hat verschwinden lassen. Er hat neue Atomtests angekündigt, angeblich droht wieder eine Dürre und außerdem ist der Frühling auch die Zeit des Jahres, in der die Truppen des Südens zusammen mit den USA Militärübungen an der Grenze des 38. Breitengrades durchführen. Der Norden reagiert gewohnt aggressiv auf diese Übungen.

Meine Gastgeberfamilie hat wegen all dieser Meldungen einen Notfallrucksack gepackt und neben den Eingang gestellt. Darin ist Wasser, eine Decke, etwas Nahrung und Medikamente. All das erinnert mich daran, dass Südkorea und Nordkorea offiziell nur einen Friedensvertrag unterschrieben haben. War diese Instabilität auch ein Grund, zu kommen? Ein Beinahe-Abenteuer schon allein durch das Leben hier?

Ich erzähle Darrell von dem Notfall-Rucksack und er winkt nur ab. Weil die Sirenen so laut sind, muss er laut werden.

»Das geht seit Jahren so!«

Nichts werde sich hier verändern.

»Nichts! Hier kommt kein Krieg mehr, auch keine Wiedervereinigung! Das geht immer so weiter! Glaub mir, ich schaue schon eine Weile zu!«

Wir blicken einen Augenblick stumm auf die Straße und hören die lauten Töne der Sirene. Ich denke daran, dass das natürlich auch ein Grund ist, warum ich hier bin. Mit den Mauerstücken und so. Ich möchte sie gern noch einmal erleben, diese Wiedervereinigung: Menschen, die auf den Straßen tanzen, Familien und Fremde, die einander nach Jahren erstmals wiedersehen und umarmen. Ich war zehn, als die Berliner Mauer fiel und meine Eltern mich aus Dresden mitnahmen nach Westberlin. Mein erster Radiowecker und mein erster Döner. Wahnsinn.

Auch das erzähle ich Darrell und plötzlich, trotz der Sirenen, schert ein Auto aus und fährt langsam über die Kreuzung. »Der hatte keine Geduld mehr«, ruft Darrell und lacht. Ihm gefällt es, wenn Koreaner sich einmal nicht an die Regeln halten, wenn sie ausscheren. Es gibt hier in Korea ein Sprichwort: Wenn ein Nagel herausschaut, kommt ein Hammer und haut drauf. Darrell spricht von Konfuzius und er fragt mich, ob ich noch Zeit habe. Er wolle eine Flasche Wein öffnen, es sei zwar noch Nachmittag, aber ein koreanischer Freund warte auf der Dachterrasse. Sie haben sich lange nicht gesehen. Ich könne ja bleiben …

Und so wurde aus dieser etwas halbherzigen Recherche und halbherzigen Einladung ein sehr langer Abend. Ich lerne »Gin« kennen und durch ihn meine ersten koreanischen Freunde. Er heißt eigentlich anders, hat einen poetischen koreanischen Vornamen. Aber alle rufen ihn »Gin«. Er sagt: »Ich mag einfach Gin.« Zum Beispiel im Martini-Glas mit einer Olive an einem Spieß. Irgendwann rief Darrell: »Champagner!«

Einer am Tisch war sterbenskrank, einer hasste die Welt und einer wurde von der Liebe seines Lebens verlassen. Jeder hatte Grund zum Weinen, aber vor allem wurde an diesem Abend viel geraucht und gelacht. »Liebe des Lebens – das gibt es nicht!« – »Mach erst mal die Chemotherapie!« – »Die Glatze wird Dir ganz gut stehen!«– »Mit dem Hass auf das Leben ist das wie mit der Liebe des Lebens.« Und überhaupt: »Mehr Champagner, Dschuseoo!« Dschuseo heißt »bitte«.

Gin war es, der dann zuerst von Han sprach, einem Gefühl, das – so heißt es – nur Koreaner verstehen können. Gin sagt, es beschreibe eine Form von universeller Traurigkeit, die sich nie auflösen werde. Er sagt auf Englisch: »Never ever«. Einige sagen, es gehört zur DNA der Koreaner. Gin nennt einige Beispiele: Es sei »wie eine Rache, die man niemals vollziehen darf« oder »wie ein Knoten, der sich niemals lösen wird«. Dieses Gefühl sei so stark für Koreaner, dass einige dafür auch sterben. Man sagt dann, sie seien an Han gestorben. Aber es steckt eben auch Hoffnung in Han, weil man nicht allein ist in dem Leiden. Alle Koreaner teilen es. Han ist es, das sie zu Tausenden gegen die Regierung protestieren lässt, und ich bin mir sicher, es ist auch wegen Han, wenn Südkoreaner manchmal spontan weinen, während sie von Nordkorea sprechen.

Von der Dachterrasse aus wird der Blick auf alles leichter: Im Süden der Fluss, der auch ausgerechnet »Han« heißt, und die Hochhäuser von Gangnam, der Stadtteil aus dem notorischen YouTube-Hit. Dort...

Erscheint lt. Verlag 15.8.2018
Reihe/Serie DuMont Reiseabenteuer E-Book
Verlagsort Ostfildern
Sprache deutsch
Themenwelt Reisen Reiseberichte Asien
Schlagworte Asien • Geister • Korea • Moderne • Nordkorea • Politik • Seoul • Südkorea • Tempel • Tradition
ISBN-10 3-616-49156-8 / 3616491568
ISBN-13 978-3-616-49156-1 / 9783616491561
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