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Demokratie und Gewaltengliederung (eBook)

Studien zur Verfassungstheorie | Grundlegende Studien des bedeutenden Staatsrechtlers
eBook Download: EPUB
2025 | 1., Originalausgabe
400 Seiten
Suhrkamp Verlag
9783518782651 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Demokratie und Gewaltengliederung - Christoph Möllers
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Gewaltengliederung gilt gemeinhin als ein Prinzip, das vorhandene politische Herrschaft durch Recht formalisiert und einschränkt. Christoph Möllers stellt dieser letztlich vordemokratischen Sicht ein Konzept entgegen, in dem die politische, demokratieermöglichende Bedeutung der Teilung von hoheitlicher Herrschaft in drei Gewalten im Mittelpunkt steht. Unter dem zentralen Aspekt der demokratischen Herrschaftsorganisation ergeben sich daraus auch neue Einsichten zum Begriff der Demokratie, zum Verhältnis von Recht und Politik, zur Eigenlegitimation rechtlicher Formen und zur Anwendbarkeit des Gewaltenteilungsschemas jenseits des Staates.



Christoph Möllers ist Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin und ab 2026 Rektor des Wissenschaftskollegs zu Berlin. Von ihm erschienen zuletzt <em>Demokratie und Gewaltengliederung. Studien zur Verfassungstheorie</em> und<em> Freiheitsgrade. Elemente einer liberalen politischen Mechanik</em>.

9

Vorwort


Am 26. September 2024 trat der 8. Thüringer Landtag gut drei Wochen nach der Landtagswahl in Erfurt zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Diese wurde von einem Alterspräsidenten geleitet, der sich weigerte, aus dem Plenum kommende Anträge auf Feststellung der Beschlussfähigkeit und Festsetzung einer vorläufigen Tagesordnung zur Abstimmung zu stellen, weil er stattdessen den Landtag dazu bringen wollte, einen Präsidenten zu wählen. Nach Abbruch der Sitzung wandten sich alle Fraktionen des Landtages außer derjenigen des Alterspräsidenten an den Thüringer Verfassungsgerichtshof. Im Wege des Eilrechtsschutzes beantragten sie, den Alterspräsidenten unter anderem dazu zu verpflichten, die genannten Punkte zur Abstimmung zu stellen. Am folgenden Tag gab das Gericht den Anträgen jedenfalls in dieser Hinsicht statt. Nach Fortsetzung der Sitzung konnten die Beschlüsse gefasst werden.[1] 

Man kann diesen Vorgang als ein Beispiel für die Rettung der Demokratie durch rechtsstaatliche Gewaltenteilung lesen, schließlich hat hier ein Gericht dem handlungsunfähigen politischen Prozess aus der Klemme geholfen. Freilich verstand sich das frisch gewählte Parlament nicht als neu geborenes demokratisches Subjekt, das mit Hannah Arendt gesprochen ungebunden einen politischen Anfang machte.[2]  Selbst für das eigene Verfahren erkannte es die Autorität des Alterspräsidenten an, der diese Funktion einer Regel verdankte, die den neuen Landtag binden sollte, obwohl sie nicht von diesem gesetzt worden war. Abgesehen von der Frage, ob es bei dieser Regel verfassungsrechtlich mit rechten Dingen zuging, handelte das Parlament hier demokratietheoretisch mit erstaunlich bescheidenem Anspruch. Wer, wenn nicht die parlamentarische Mehrheit, kann über das parlamentarische Verfahren entscheiden? Und was wäre 10passiert, wenn Thüringen keinen Verfassungsgerichtshof gehabt hätte? Hätte sich das Parlament dann nicht selbst helfen müssen? Andere Parlamente haben Akte der Obstruktion alleine gelöst.[3]  In unserem Fall scheint das Parlament durch das Gericht letztlich von seinem eigenen Legalismus befreit worden zu sein. Eine Deutung des Vorgangs als Sieg der Rechtsstaatlichkeit liefert hier wie auch sonst in der Verfassungstheorie nur eine halbe Wahrheit.

Namentlich im deutschen Verfassungsrecht wird Recht oft als Lösung, Politik als Problem verstanden. Die Überzeugung, dass dem nicht so ist, verbindet die Beiträge dieses Buchs. Liberal-demokratische Verfassungen sind demokratisch legitimiert und gewaltenteilig organisiert. Man könnte meinen, beide Elemente ließen sich schlicht auf die Unterscheidung zwischen Politik und Recht abbilden: hier die demokratische Politisierung, dort die gewaltenteilende Verrechtlichung – dass es jedoch so einfach nicht ist, findet sich in den hier abgedruckten Beiträgen aus den letzten zwanzig Jahren entwickelt. Demokratische Legitimation ist kein Produkt roher Politik. Weil sie ihren Charakter als demokratisch garantieren muss, ist sie in rechtsförmige Verfahren gefasst, die namentlich dafür Sorge tragen, dass die Meinungsbildung vor der Wahl frei und offen war und dass alle Stimmen gezählt werden und politisch zählen. Damit ist der Hinweis auf das Volk begrifflich immer auch der Hinweis auf einen komplexen Vermittlungsvorgang, der nicht in Rechtsform aufgeht, aber dieser doch bedarf. Rechtsförmige Verfahren allein verfassen ein demokratisches Volk, das sich in diesen Verfahren andere Verfahren – und damit auch ein anders konstituiertes Volk – schaffen kann und können muss. »Vor der Errichtung eines Staats existiert kein Volk […].«[4]  Dieser Zusammenhang wird nicht dadurch einfacher, dass in föderalen Strukturen Völker vertikal miteinander verbunden sind. Wiederum liegt eine irreführende Vereinfachung nahe: Bestimmte demokratische Ebenen sind von anderen – souveränen – Ebenen nur abgeleitet. Letztere liefern den originalen Ausgangspunkt, den Ursprung, der demokratischen Legitimation der Gesamtordnung. Auch diese Ver11einfachung lässt sich nicht halten, schon weil sich die Entstehung des vermeintlich originären nationalen Volkes, ganz deutlich im deutschen Fall, nicht als unabgeleiteter legitimatorischer Urknall konstruieren lässt, sondern immer schon international und föderal eingebettet war.

Wenn Verfassunggebung auch ein Produkt von Recht ist, dann muss umgekehrt die so eingesetzte Verfassung Politik nicht nur begrenzen, sondern auch ermöglichen. Einen Staat in drei Gewalten zu gliedern bedeutet dann, Politik und Recht so zu integrieren, dass sie unterschiedliche Funktionen erfüllen, ohne gegenüber dem jeweils anderen einen normativen Vorrang beanspruchen zu können. Zur Gewaltengliederung gehört ein Ort der kollektiven politischen Zukunftsgestaltung ebenso wie einer der retrospektiven Beurteilung von individuellen Konflikten, Legislative also ebenso wie Judikative. Sowohl auf demokratische Legitimation als auch auf Rechtsform sind beide angewiesen, wenn auch in unterschiedlichem Maße: Ohne es konstituierende rechtliche Regeln kann ein Gesetzgebungsorgan nicht operieren, zugleich muss der in ihm vorgesehene politische Willensbildungsprozess offengehalten werden. Auch die Gerichtsbarkeit ist das Produkt einer politischen Entscheidung. Ihr Entscheidungsprozess soll aber nicht nur von informellem politischem Einfluss freigehalten, sondern idealiter allein vom geltenden Recht bestimmt werden. Beide Gewalten lassen sich als Pole eines sich wechselseitig ermöglichenden Nebeneinanders von individuellen und demokratischen Selbstbestimmungsanliegen verstehen. Zwischen diesen Polen operiert die vielgestaltige Exekutive – von der politisch gestaltenden Regierung bis zum rechtlich fest gebundenen Verwaltungsbeamten.

Die vorliegenden Beiträge entwickeln diese Zusammenhänge zunächst mit Blick auf den Demokratiebegriff als Kritik eines verdinglichten Volksbegriffs, der als etwas vorrechtlich Gegebenes repräsentiert werden soll (1., 2.), sowie als Analyse des Verhältnisses verschiedener demokratischer Ebenen zueinander, zwischen denen sich jedenfalls unter Berufung auf den Begriff der Demokratie selbst kein Vorrangverhältnis begründen lässt (3.) und der es deswegen gerade mit Blick auf die EU schwierig macht, demokratische Verantwortlichkeiten zuzurechnen (4.).

Demokratische Verfassungen müssen für sich beanspruchen, auch demokratisch entstanden zu sein. Der Blick in die deutsche 12Verfassungsgeschichte illustriert zwei Probleme eines solchen Anspruchs: Zum einen lässt sich die Behauptung der demokratischen Entstehung nicht einfach in die formale Ordnung einfangen. Überschießende Ansprüche können sich zur legalisierten Verfassungsordnung auch unter dem Grundgesetz in Konkurrenz stellen, so dass auch eine formalisierte Ordnung einen sie potentiell unterlaufenden Verfassungspopulismus produziert (5.). Welche Folgen es haben kann, wenn ein demokratischer Anspruch sich von der formalen Verfassungsordnung löst, zeigt sich im Austrocknen parlamentarischer Gesetzgebung in der Weimarer Republik (6.). Zum anderen lässt sich die Behauptung, die Verfassung sei demokratisch entstanden, vor den historischen Umständen nicht immer halten. So ist es im deutschen Fall. Glorreiche Momente demokratischer Verfassunggebung wurden mehrmals verpasst, diese Unterlassung führte aber nicht zu einer Anpassung der Idee der Verfassunggebung, sondern zu eigentümlichen Umdeutungen der historischen Abläufe im Namen einer französisch inspirierten Idee von Verfassunggebung, die auf den deutschen Fall nicht passt (7.). Noch einmal anders, nämlich rechtstheoretisch, setzt der letzte Beitrag des ersten Teils an: Erbringt die Form des Rechts eine eigene legitimatorische Leistung oder ergibt sich diese nur aus demokratischen Verfahren und der Durchsetzung politisch gesetzter Zwecke? Sie tut es, indem sie der Erfüllung demokratisch gesetzter Zwecke zugleich eine eigene institutionelle Reflexionsebene entgegenstellt (8.).

Dies führt zum zweiten Teil, in dem es um die oft missverstandene Figur der Gewaltenteilung, oder genauer: Gewaltengliederung, geht. Der verfassungstheoretische Gehalt der Figur dient auch als begriffliche Folie für den Verfassungsvergleich. Dies erfordert eine Rekonstruktion der individuellen und demokratischen Selbstbestimmungsanliegen, die sich hinter dem Grundsatz verbergen (9.). Dass es auch bei der Gewaltengliederung um...

Erscheint lt. Verlag 18.6.2025
Sprache deutsch
Themenwelt Recht / Steuern
Schlagworte aktuelles Buch • Bücher Neuerscheinung • Gewaltenteilung • Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis 2016 • Legitimation • Neuerscheinung 2025 • neues Buch • Schader-Preis 2019 • Staat • STW 2463 • STW2463 • suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2463 • Tractatus-Preis 2021
ISBN-13 9783518782651 / 9783518782651
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