Damals in 'Lenzburg'
Die Geschichte der Gefängnisse, Straf- und Zuchthäuser ist eng verbunden mit der Geschichte der Strafgesetzgebung. Die Gesetze zeigen und geben vor, wie eine Gesellschaft mit dem kriminellen Teil ihres Volkes umgeht. Mit der Aufklärung, vor allem aber seit Mitte des 18. ?Jahrhunderts, ist in Europa eine beginnende Tendenz der Humanisierung der Strafen feststellbar. In der Schweiz geschieht dies unfreiwillig und auf Paukenschlag von Napoleon Bonaparte. Die Einführung des helvetisch Peinlichen Gesetzbuches vom 4. Mai 1799 verdrängt die alten 'Strafbräuche' der Kantone mit ihrer Betonung der Körper- und Todesstrafen. Das neue, von Frankreich kopierte Strafgesetz sieht viel mehr Freiheitsstrafen vor, 'dessen Verfolgung mehr Gefängnisse erfordert, als Helvetien in ruhigen Zeiten nie besass, während ein grosser Theil davon nicht einmal brauchbar ist' und so 'in vielen Fällen Straflosigkeit bewirkt, weil es nicht befolgt werden kann'1, schreibt Ludwig Meyer von Knonau (*1769, †1841), damals Kantonsrichter in Zürich und wie viele seiner Zeitgenossen kein Freund der neuen Zeit. Der Justizminister der helvetischen Zentralregierung lässt in Baden eine Zentralzuchtanstalt errichten. Kettensträflinge sollen dort eine Strasse bauen. Diese einfache, in einem grossen Haus mitten in Baden eingerichtete Strafanstalt ist alles andere als ein Vorzeige-Objekt und wird es auch nicht, als der neue Kanton Aargau das Objekt übernimmt und weiter betreibt. Erst der Brand mit den vielen, fürchterlich gestorbenen Sträflingen kurz vor Weihnachten 1855 bringt den Grossen und den Kleinen Rat (Regierung) dazu, in der Sache endlich einen grossen, dem Kulturkanton angemessenen Schritt vorwärts zu machen. Immerhin kann für die privilegierten Strafgefangenen des Kantons in der Festung Aarburg ab 1826 eine weitere Strafanstalt in Betrieb genommen werden. Ab den 1850er-Jahren werden hier bereits einige moderne Elemente der Gefängnisreformen eingeführt: Einzelzellen (nur für Männer), Werkstätten für diverse Handwerke, ein Pekulium, Gottesdienst und Schule mit einer Bibliothek. In einer 'Hochsicherheitsabteilung' wird der berüchtigte Gauner Bernhart Matter untergebracht. Fliehen kann er trotzdem – die baulichen und personellen Mängel sind und blieben zu gross, wie die Aufsichtskommission Jahr für Jahr berichtet. Es ist der neue, junge aargauische Justizdirektor Emil Welti, der 1856 das Projekt einer neuen Strafanstalt in die Hände nimmt und sich gegen die Opposition durchsetzen kann. Die Feinarbeit sozusagen, die Suche nach einem wirklich fähigen Strafanstaltsdirektor (bisher hatte man nie Glück) und die Evaluation des geeigneten Haftsystems kann er 1863 seinem Nachfolger Karl Friedrich Brentano übergeben. Am 22. August 1864 werden die ersten Gefangenen aus Baden und Aarburg in die neue, prächtige Strafanstalt in Lenzburg übersiedelt. Das progressive Haftsystem soll bessernd und erziehend auf sie einwirken. Zum Schrecken des neuen Direktors und seinem unerfahrenen Personal – den Werkmeistern, Aufsehern und ein paar Aufseherinnen für die 'Weiberabteilung' – kommen bald auf Geheiss 'von oben' Gefangene, für die die Strafanstalt nicht vorgesehen war. Es sind die Gefängnisgefangenen mit kurzer Strafzeit und Zwangsarbeitsgefangene, die entweder nicht arbeiten wollten oder können. Kein einfaches Volk. Erste 'Skandale' und eine Untersuchung der Strafhauskommisson führen 1872 im achten Amtsjahr des ersten Direktors zu dessen Rücktritt. Dafür bleibt der zweite umso länger. Bis zu seinem Rücktritt 1915 in seinem 84. Altersjahr, lässt der auf Strenge und Sicherheit bedachte Direktor nahezu alles beim Alten. Der dritte gliedert in seinen sechs Amtsjahren einen Landwirtschaftsbetrieb an. Mit dem vierten Direktor kommen ab 1921 grosse bauliche Verbesserungen der 60-jährigen Bausubstanz und allererste Anzeichen zeitgemässer Neuerungen im Vollzugsalltag. Dazu trägt auch die Einführung des neuen, Schweizerischen Strafgesetzbuches bei, das am 1. Januar 1942 in Kraft getreten ist und sich tief in die Belange des Strafvollzuges ausgewirkt hat und noch auswirken wird. Mit dem fünften Direktor kommt die grosse Liberalisierungswelle, ganz nach den Worten von Ludwig Meyer von Knonau 1802. Es kommen auch die Drogen und mit den Strafvollzugskonkordat ab 1960 wieder eine neue Kategorie von Gefangenen: Gefährliche 'Erstmalige' und die 'Rückfälligen' treten seither in die sogenannte 'geschlossene Strafanstalt' ein. Dafür gehen endlich die weiblichen Gefangenen. Die Belegung sinkt auf ein gefährliches Tief: wird 'Lenzburg' nun geschlossen? Der sechste Direktor kann ab 1981 die Anstalt baulich, sicherheitstechnisch und personell erweitern. Der Ausländeranteil steigt auf über 70% und mit ihm auch der Anteil der Ausbruchswilligen. Der siebte Direktor perfektioniert die Sicherheit im 150 Jahre alten 'Fünfstern' und baut mit der Angliederung des Zentralgefängnisses die Kapazität auf 300 Vollzugsplätze aus. Die Justizvollzugsanstalt ist entstanden und entwickelt sich weiter. Nirgendwo in der Schweiz ist die Geschichte des Freiheitsentzuges heute noch so gut sichtbar wie im 'Fünfstern' der JVA Lenzburg.
| Erscheint lt. Verlag | 14.8.2014 |
|---|---|
| Verlagsort | Basel |
| Sprache | deutsch |
| Maße | 260 x 172 mm |
| Gewicht | 1250 g |
| Einbandart | gebunden |
| Themenwelt | Recht / Steuern ► Strafrecht ► Kriminologie |
| Schlagworte | Aargau • Albert Näf • Emil Thut (1885-1954) • Ernst Burren (1916-2001) • Freiheitsentzug • Gefängnis • Justizvollzug • Rudolf Müller • Strafanstalt • Strafvollzug • Verwahrung |
| ISBN-13 | 9783905731064 / 9783905731064 |
| Zustand | Neuware |
| Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
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