Denke, Schwein! (eBook)
172 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-6951-7356-3 (ISBN)
Christian Fries ist Schauspieler und Regisseur mit langjähriger Bühnen- und Regieerfahrung, Autor literarischer und theoretischer Texte sowie klassisch ausgebildeter Pianist. Er arbeitet freischaffend an Stadttheatern und in der Freien Szene. Er studierte Schauspiel an der Hochschule der Künste Berlin (heute UdK), arbeitete in den ersten Berufsjahren am Burgtheater Wien (mit Peter Zadek, Claus Peymann, Achim Freyer), später gastweise an den Staatstheatern Mainz und Hannover und zeitweise als fest engagierter Schauspieler in Münster und Gießen, dort spielte er große Rollen: Alceste in Molières »Menschenfeind«, Prospero in Shakespeares »Der Sturm«, Danton in Büchners »Dantons Tod« u.a. Seit 2013 steht er mit dem Solo-Stück »Der Untergeher« von Thomas Bernhard auf der Bühne, seit 2024 mit Georges Perecs »Versuch, einen Platz in Paris zu erfassen«. Seine Inszenierungen sind geprägt von einem starken Interesse für experimentelle Theaterarbeit. Christian Fries arbeitet häufig mit MusikerInnen zusammen, vor allem aus dem Bereich der Freien Improvisation. Er selbst studierte Klavier an der Musikhochschule Düsseldorf, gibt Konzerte in ungewöhnlichen Settings (»Bach üben!«) und komponiert Musik für Bühnenprojekte. 2010 wurde er als Autor zum renommierten Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb eingeladen und mit seinem Text »Hutmacher, privat« in die Short List gewählt (veröffentlicht im Piper-Verlag, »Klagenfurt/Die Besten 2010«). Im selben Jahr erschien im Helmut Lang Verlag Münster ein Band mit Erzählungen und szenischen Texten: »Vater gibt seinen Weinhandel auf«. 2015 erhielt er ein Stipendium des Hessischen Literaturrats. Er dreht Kurzfilme auf Basis eigener Texte. Seit 2023 veröffentlicht er Kurzgeschichten unter: quittsein.blogspot.com Weitere Informationen: www.christianfries.info (siehe dort: »Aktuelles«) Kontakt: frieschristian@yahoo.de
Teil 2: Stolpersteine
Die INNERE PARTITUR. Fehleranalyse. Kontrollebene
Gut. Erstlernen gelungen.
Der Text steht zur Verfügung.
Halbwegs. Das heißt, er schleppt.
Und mehr als einmal kommt zunächst das falsche, dann erst das richtige Wort.
Ihr vertauscht Abschnitte. Hängt.
Was der Text inhaltlich besagt, gerät aus dem Blick.
Was hat es mit diesen Stolpersteinen auf sich?
Dazu im Folgenden.
46 Wörtlich lernen?
Lernt Ihr wörtlich? Ich ja.
Warum eigentlich?
Wichtig ist, sich auf der Bühne hinsichtlich des Textes sicher zu fühlen. Um das zu gewährleisten, braucht es eine stabile Textvariante. Eine, auf die Ihr Euch mit Euch selbst geeinigt habt. Einerlei, ob es die ist, die im Text steht. Im Verlauf der Proben kristallisiert sich eine stabile Fassung heraus. Zweifellos, das würde genügen. Vielleicht genügt es sogar, sich den Sinn des Texts klarzumachen. Und bei den Proben ein Gemisch aus wörtlichem und eigenem Text zu entwickeln. Vielleicht jedes Mal einen anderen.
Wenn man’s riskiert. Das wäre ein extrem kreativer und lebendiger Prozess! Was spräche dagegen? Der Respekt vor dem Autor oder der Autorin? Wäre das ein guter Grund? Es gibt tatsächlich gute Gründe, einen eigenen Text zu entwickeln: Er spricht sich leichter, und man versteht, was man sagt.
Wie also?
47 Vom Nutzen präzisen Lernens.
Lust des freien Spiels
Ich lerne wörtlich.
Der Einfachheit halber den Text, der mir vorliegt.
Warum wörtlich?
Es gibt mir Orientierung.
Ich will, dass mir der Text jederzeit zur Verfügung steht. Ohne Bindung an szenische Handlungen, an Orte, Requisiten, Abläufe. (Ja, selbst die Bindung an Stichworte widerstrebt mir.) Ich will, dass der Text standhält, auch wenn ich, plötzlichen Impulsen folgend, szenisch etwas völlig Neues mache. Auch wenn jemand anderes auf der Bühne etwas völlig Neues macht. Ich will mir sicher sein, dass der Text unerwartet auftauchenden Gefühlen, Emotionen, Gedanken standhält. Ein neu auftretender Gedanke kann den Text auslöschen. Ich will das nicht!
Der Text soll frei verfügbares Ausdrucksmaterial sein. Für jeden beliebigen Spielmoment. Und ich will ihn zuletzt so gut beherrschen, dass ich jede Form der innerlichen Textkontrolle völlig aufgeben kann.
Das ist das Ziel.
Für ein freies Spiel! Für die Lust des freien Spiels!
Manisch, meint Ihr?
Vielleicht teilt Ihr diese Form der Manie.
Also weiter.
Kunstpausen
Einig sind wir (vermute ich), dass Hängen ekelhaft ist. Dass es Szenen schmeißen kann. Dass es den Rhythmus stört. Und das gilt nicht nur für radikale Hänger. Seit ich der Sache mehr Aufmerksamkeit schenke, fällt mir auf, wie viele Kunstpausen auf der Bühne sich dem Umstand verdanken, dass die Spielenden den Text suchen. Erspart Euch das. Es macht nicht froh.
Die INNERE PARTITUR des Textes
48 Die INNERE (oder MENTALE) PARTITUR des Textes. Wie sie wirklich aussieht
Also. Ihr könnt den Text. Doch, Ihr kommt durch.
Andere hängen häufiger.
Ihr hängt aber, genau genommen, auch.
Im Grunde: ununterbrochen! Das sieht, näher betrachtet, so aus: Da kommt ein falsches Wort, Ihr besinnt Euch! Ihr ersetzt es durch das richtige. Ein anderes fehlt komplett. Aha, da ist es! Aber erst nach zwei Sekunden. (Ihr überbrückt die zwei Sekunden durch einen sinnlosen Gang.) Diesen Satz: langsam sprechen! Er braucht – Ihr seid Euch dessen bewusst – hochkonzentrierte Kontrolle! Fängt er wirklich so an? Ja. Der hier funktioniert nur, wenn Ihr ihn schnell sprecht. Paradox. Nichts riskieren! Bleibt bei dem Tempo! Wenn Ihr verlangsamt, erscheint er ganz fremd, und Ihr werdet nervös. Hier wisst Ihr, der Text, der Euch auf die Zunge kommt, ist der richtige, Ihr habt es immer wieder überprüft! Trotzdem will Euch das Gefühl nicht verlassen, dass es der falsche ist. Unbehagen. Ihr geratet in Angstspannung. Und da! Da sind sie! Die gefürchteten Parallelstellen. Ihr seid Euch im Klaren darüber: Ihr hättet Zeit investieren und sie sauber gegeneinander abgrenzen müssen. Habt Ihr nicht getan. Ihr geht inzwischen der Einfachheit halber dazu über, an allen Stellen dieselbe Variante zu benutzen. Ihr ärgert Euch darüber. Im Ärger überspringt Ihr einen Satz.
Hier? Hier habt Ihr eine Brücke installiert, aber die Erwartung, dass es die Brücke irgendwann nicht mehr braucht, erfüllt sich nicht. Usw.
Kommt Euch das bekannt vor?
Eine lange Kette mentaler Vorgänge, die die Reproduktion des Texts begleitet.
Meist kaum wahrgenommen!
Und, das Schlimmste: Diese Abfolge ist, wie sie ist, programmiert!
Alle diese kleinen Fehler, Verhaltungen, gedanklichen Zwischenschritte sind keine Zufallsereignisse des Moments, sondern Teil einer Partitur.
Diese Momentstörungen kehren regelmäßig wieder.
Absolut verlässlich.
Eine sichere Abfolge von Unsicherheiten!
Diese Unsicherheiten sind beim Lernvorgang entstanden und nun gehören sie gewissermaßen zum Gelernten dazu! Jedes kleine: »Moment, das stimmt nicht!« Jedes: »Ach so, ja …« Jedes verdammte Lidzucken!
Sogar die Gefühle gehören zu dieser INNEREN PARTITUR, zum Beispiel die Angst vor einer Textstelle, die noch anhält, wenn diese längst keine Angststelle mehr ist.
Sogar das Atmen.
Es ist großartig! Wäre es nicht so schrecklich.
Diese Abfolge programmierter mentaler, auch emotionaler und sogar physischer Vorgänge ist das, was ich als INNERE PARTITUR des Texts bezeichne. Sie ist voller Elemente, die nicht zum Text gehören.
49 Die INNERE PARTITUR wahrnehmen.
Den Text mental durchgehen
Wie kriegt Ihr diese schlingernde Partitur in den Blick?
Indem Ihr den Text mental durchgeht.
Stumm.
Das ist meiner Erfahrung nach der beste Weg. In der Stille innerlicher Textrekapitulation treten die Fehlversuche, die falschen Worte, die Suchbewegungen, das Zögern, die Panik in aller Deutlichkeit hervor.
Geht Ihr ihn laut durch, ist die Gefahr groß, dass das, was sich parallel innerlich vollzieht, im Schatten des laut gesprochenen Worts unsichtbar bleibt.
Und nach außen hört sich alles womöglich schon ›ganz gut‹ an! Das täuscht. Täuscht die, die Euch zuhören. Und Euch selbst ebenfalls.
Auch hier ist es eine Sache der Entscheidung. Interessiert das Innere, solange das Äußere ›in etwa‹ den Anforderungen entspricht?
Ich persönlich kann die Unsicherheit, die diese ›fehlprogrammierte Partitur‹ mit sich bringt, nicht ausstehen. Ich hasse es, den Spielrhythmus auf der Bühne nach dem Rhythmus meiner Text(un)sicherheit richten zu müssen. In der Beschleunigung beeinträchtigt zu sein, weil der Text nicht nachkommt.
Den Textfluss parallel zum Spiel innerlich kontrollieren zu müssen.
Ich will, dass er da ist.
Damit ich frei spielen kann.
50 Fehler wahrnehmen.
Fehlerquellen aufspüren
Also, was tun?
Die Partitur von unerwünschten Programmierungen befreien.
Das vollzieht sich auch von selbst, durch stetes Rekapitulieren des Texts in seiner korrekten Form.
Ja? Nicht immer. Und: Es dauert.
Wenn Ihr diese Korrektur der Partitur beschleunigen und mit Bewusstsein durchführen wollt, ist der erste Schritt: die fehlerhafte Programmierung in ihrem komplexen Schlingerkurs wahrzunehmen (wie oben beschrieben), dann, wenn möglich, zu verstehen, wodurch die Fehler ausgelöst oder zumindest begünstigt werden, und, in eins damit, die Partitur von ihren Fehlprogrammierungen zu befreien.
KLARTEXT zu etablieren.
Ohne Umwege, ohne Brücken, gradlinig.
Die INNERE PARTITUR.
Fehleranalyse
a. Wort- und Klangähnlichkeiten
51 Ein falsches Wort drängt sich auf
Eine typische Irritation: Statt des Wortes, das im Text steht, stellt sich regelmäßig zunächst ein anderes ein. Oder: Es bieten sich gleich mehrere Worte an. Und alle sind sie falsch.
Wir besinnen uns, schalten das Bewusstsein ein und wechseln zum richtigen.
Der Umweg ist in die Partitur eingeschrieben.
Es gibt (meist) einen Zusammenhang, der dahintersteckt und den wir übersehen. Aber lieber stolpern wir jedes Mal aufs Neue, als einmal innezuhalten und die Stelle näher in Augenschein zu nehmen.
Vielleicht halten wir inne, wir bimsen die Stelle.
Beim nächsten Mal stolpern wir erneut. Wir hadern mit Gott. »Immer dasselbe!«, brüllen wir und laufen die Wand hinauf. (Ihr nicht? Ich ja.)
Den Zusammenhang zu verstehen, der für den Fehler verantwortlich ist, hilft, die Misslichkeit abzustellen. Hier gibt’s tausend unmerkliche Gemeinheiten. Zum Beispiel, leidig vertraut:
52 Parallelstellen werfen aus der...
| Erscheint lt. Verlag | 22.9.2025 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| ISBN-10 | 3-6951-7356-4 / 3695173564 |
| ISBN-13 | 978-3-6951-7356-3 / 9783695173563 |
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