Imagery Rescripting (eBook)
106 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-043213-0 (ISBN)
Dr. rer. nat. Jessica Uhl ist Psychologische Psychotherapeutin in der Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Trier.
Dr. rer. nat. Jessica Uhl ist Psychologische Psychotherapeutin in der Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Trier.
3 Aktuelle Forschungsbefunde zu potenziellen, zugrunde liegenden Wirkmechanismen
Während die Wirksamkeit von Imagery Rescripting hinreichend untersucht ist, blieben die zugrunde liegenden Wirkmechanismen bisher weitestgehend ungeklärt. Im Folgenden werden mögliche Modelle vorgestellt, die in den letzten Jahren diskutiert wurden. Die unterschiedlichen Modelle und postulierten zugrunde liegenden Prozesse sind eher als ergänzende statt als konkurrierende Erklärungen anzusehen. Diese Erklärungsansätze sollten als Hypothesen betrachtet werden, die weiterer Untersuchung bedürfen.
3.1 Intrapersonelle Prozesse – innerhalb des Patienten
Gedächtnisprozesse
Gedächtnis-Rekonsolidierung
Es hat sich gezeigt, dass im Gedächtnis abgespeicherte (konsolidierte) Erinnerungen nicht über die Zeit hinweg stabil, sondern dynamisch sind und sich fortwährend verändern. Rekonsolidierung beschreibt hierbei einen Prozess, bei dem die Erinnerung durch ihren Abruf in einen labilen Zustand versetzt und durch neue Informationen verändert werden kann (Lane et al., 2015). Arnoud Arntz und Kollegen (Arntz, 2011; Arntz & Weertman, 1999) gehen davon aus, dass Imagery Rescripting seine Wirksamkeit über diese Veränderbarkeit von Erinnerungen erzielt. Durch Imagery Rescripting werden alte Erinnerungen und damit verbundene Emotionen aktiviert und neue emotionale Erfahrungen geschaffen. Durch den Prozess der Rekonsolidierung werden die neuen emotionalen Erfahrungen in die Gedächtnisspur aufgenommen.
Mehrere Studien unterstützen dieses Modell (z. B., Çili et al., 2017; Dibbets et al., 2012). In der Studie von Ҫili und Kollegen wurden Probanden zunächst angeleitet eine aversive Erinnerung zu berichten, welche mit starken Emotionen in Verbindung stand, sie noch heute belastet und einen Einfluss auf ihre Selbstwahrnehmung hatte. Im Anschluss sollten sie bewerten, wie unangenehm die Erfahrung war, und die Stärke von deren Einfluss auf ihre Selbstwahrnehmung einordnen. Zum nachfolgenden Imagery Rescripting wurden nur Erinnerungen ausgewählt, die einen starken Einfluss auf die Selbstwahrnehmung hatten. Nach dem Imagery Rescripting bewerteten die Probanden das Ereignis als weniger negativ, belastend oder relevant und berichteten über einen stärkeren positiven Affekt und ein höheres Selbstwertgefühl.
Gedächtnis-Abruf
Ein anderer – wenn auch nicht unbedingt widersprüchlicher – Prozess der Gedächtnisveränderung wurde von Brewin und Kollegen (Brewin et al., 2010) postuliert. Hierbei wird davon ausgegangen, dass Imagery Rescripting seine Wirksamkeit durch die Schaffung neuer positiver Gedächtnisrepräsentationen entfaltet, die mit der ursprünglichen negativen Repräsentation um den Abruf konkurrieren. Diesem Ansatz zufolge beruht die Wirksamkeit von Imagery Rescripting auf der Schaffung besser ausgearbeiteter und zugänglicherer Gedächtnisrepräsentationen in Form einer weniger negativen Alternative zur ursprünglichen Erinnerung. In einer kürzlich durchgeführten Studie mit sozial ängstlichen Probanden verglichen Romano und Kollegen (Romano et al., 2020) die Auswirkungen einer Imagery-Rescripting-Sitzung mit einer Sitzung imaginärer Exposition und einer unterstützenden Beratung. Nach dem Imagery Rescripting berichteten die Probanden mehr positive/neutrale Details über ihr aversives autobiografisches Gedächtnis. Im Gegensatz dazu berichteten die Probanden nach der imaginären Exposition sowohl mehr positive/neutrale als auch mehr negative Details, während nach der unterstützenden Beratung keine Veränderung in den Gedächtnisrepräsentationen festgestellt wurde.
Selbstbewertung
Veränderungen im Gedächtnis oder in den Bewertungsprozessen können über die Repräsentation (oder Bewertung) des Ereignisses hinausgehen und Veränderungen in der Selbstbewertung beinhalten (Çili et al., 2017). Wird davon ausgegangen, dass das Gedächtnis und das Selbst (definiert als Ziele und Selbstbild) miteinander vernetzt sind, wie es in den theoretischen Annahmen zum Selbstgedächtnissystem (Conway, 2005) der Fall ist, kann es durch die Aktivierung verschiedener Selbstanteile während des Imagery Rescripting zu Veränderungen in diesen kommen. Imagery Rescripting basiert auf der Aktivierung einer Erinnerung und lädt den Patienten dazu ein, sich in die imaginierte Situation als heutiges Erwachsenes-Selbst zu begeben und die Bedürfnisse seines jüngeren oder Vulnerablen-Selbst zu erfüllen. Diese Erfahrung – die Erfüllung oder zumindest die Validierung der primären emotionalen Reaktionen und Bedürfnisse des Vulnerablen-Selbst – ist im Wesentlichen die Praxis des Selbstmitgefühls und kann zu einer Stärkung des selbstmitfühlenden Selbstanteils führen (Young et al., 2003).
Meta-emotionale Prozesse
Ein weiterer Ansatz zur Erklärung der Wirksamkeit von Imagery Rescripting basiert auf der Annahme, dass im Rahmen der Überschreibung die Möglichkeit für korrigierende meta-emotionale Prozesse geschaffen wird (Mancini & Mancini, 2018). Während des Imagery Rescripting werden aversive Erinnerungen beziehungsweise frühe Lernerfahrungen abgerufen, bei denen die Subjektivität eines Kindes (einschließlich Emotionen, Gedanken und Bedürfnisse) von Bezugspersonen entwertet, trivialisiert oder abgetan wurde. Solche Erfahrungen hinterlassen Gedächtnisspuren der Ereignisse selbst, wirken sich aber auch auf die Selbstdarstellung einer Person aus und führen so zu Schwierigkeiten mit dem Selbstkonzept und der Emotionsregulation. Es ist anzunehmen, dass durch die Abwertung eine selbstkritische Stimme gestärkt wird. Diese selbstkritische Stimme bewertet bestimmte Emotionen oder Bedürfnisse als inakzeptabel. Diese Bewertung führt dazu, dass nachfolgende (sekundäre) negative Emotionen hervorgerufen werden, deren Gegenstand die primären Emotionen oder Bedürfnisse sind. Beispielsweise kann eine Situation, in der man durch jemanden bedroht wird, Angst in der betroffenen Person auslösen (primäre Emotion). Wenn diese Person nun später diese Angst bewertet, kann es sein, dass sie sich dafür schämt; somit wäre Scham die sekundäre Emotion. Im Rahmen der Überschreibung des Imagery Rescripting kann beispielsweise die primäre Emotion (Angst) validiert werden, z. B. »Es ist vollkommen normal, dass du Angst hast.«. Dies bietet die Möglichkeit zur korrigierenden meta-emotionalen Verarbeitung, was zu einer Stärkung der emotionalen Selbstakzeptanz beitragen kann.
Belege für diese theoretische Annahme finden sich in einer experimentellen Studie mit 33 phobischen Probanden (Couyoumdjian et al., 2016). In dieser Studie wurden die Probanden gebeten, ihre eigenen phobischen Reaktionen zu bewerten, zum Beispiel, wie kindisch sie sich selbst einschätzen würden. Anschließend wurden sie gebeten, ihre Überzeugung von dieser Einschätzung zu bewerten. Die Probanden wurden randomisiert einer Experimental- oder Kontrollgruppe zugewiesen. Vor und nach der Konfrontation mit dem phobischen Reiz wurde entweder eine Technik zur Modifikation des meta-emotionalen Problems (Experimentalgruppe) oder eine kurze Pause (Kontrollgruppe) durchgeführt. Probanden, deren negative meta-emotionale Selbstbewertung adressiert wurde (Experimentalgruppe), zeigten in einer Folgesitzung eine geringere phobische Angstreaktion auf den gefürchteten Stimuli, während die Kontrollteilnehmenden keine solche Verringerung zeigten. Mit anderen Worten: Veränderungen in den meta-emotionalen Überzeugungen scheinen zu Veränderungen in den Emotionen selbst zu führen.
Physiologische Prozesse
Über die oben genannten kognitiven Prozesse hinaus können imaginierte Szenen starke physiologische Reaktionen auslösen, die ähnlich zu denen realer Erfahrungen sind (Cuthbert et al., 2003; Holmes & Mathews, 2010; Ji et al., 2016; Lang et al., 1983; Miller et al., 1987). Die Untersuchung der physiologischen Erregung des Patienten ist ein relativ neues Feld in der Psychotherapieprozessforschung (siehe Deits-Lebehn et al., 2020). Eine kürzlich durchgeführte Übersichtsarbeit zu diesem Thema ergab, dass die autonome Erregung des Patienten mit seinem emotionalen Ausdruck verbunden zu sein scheint (Del Piccolo & Finset, 2018).
Als Ausgangspunkt für Überlegungen zur Rolle der Physiologie bei Imagery Rescripting können in Teilen Befunde verwandter Imaginationstechniken wie der Exposition in sensu herangezogen werden. Bei der Exposition in sensu berichten Patienten so lange ein traumatisches Ereignis oder die Vorstellung eines gefürchteten Reizes, bis ihr Leidensdruck nachlässt. Dieser Vorgang wird mehrfach wiederholt, bis keine Anspannung bzw. kein Leidensdruck mehr vorhanden ist. Studien zur In-sensu-Exposition haben einen positiven Zusammenhang zwischen dem Behandlungsergebnis und der anfänglichen physiologischen Erregung während der Übung...
| Erscheint lt. Verlag | 12.2.2025 |
|---|---|
| Verlagsort | Stuttgart |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Psychiatrie / Psychotherapie |
| Schlagworte | Imagination • Krisenbewältigung • Psychotherapeutische Behandlungstechnik • Psychotherapeutische Verfahren • Psychotherapie • Traumatherapie • Verhaltenstherapie |
| ISBN-10 | 3-17-043213-3 / 3170432133 |
| ISBN-13 | 978-3-17-043213-0 / 9783170432130 |
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