Den Alltag meistern mit ADHS (eBook)
Die ausgebildete ADHS-Therapeutin Meredith Carder ist selbst von ADHS betroffen. Es wurde erst spät bei ihr diagnostiziert und sie hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, anderen Betroffenen mit diesem Krankheitsbild zu helfen. Auf ihrer Internetplattform Hummingbird ADHD berät sie Betroffene und bringt eine große ADHS-Community zusammen, um sich auszutauschen und Lösungsansätze vorzustellen, wie sich der anspruchsvolle Alltag mit Familie und Beruf auch mit einem ausgeprägten Aufmerksamkeitsdefizit bewältigen lässt. Die Besonderheit des Buchs sind die kurzen »ADHS-tauglichen« Kapitel, die prägnant formuliert sind, stets konkrete Tipps geben und zum Abschluss den Inhalt nochmal grafisch zusammenfassen.
Meredith Carder ist ADHS-Coach und hat selbst ADHS. Sie teilt mit ihrer Community Praxisbeispiele aus ihrer Coaching-Erfahrung und entwickelt auf dieser Basis Strategien, wie man mit ADHS den Herausforderungen des Alltag begegnet. Auf Instagram folgen ihr 160.000 Personen.
EINLEITUNG
Plötzlich ergibt alles Sinn
Ich dachte, ich wüsste, wie ADHS aussieht, und passte nicht ins Profil. Mein Leben als Mama im Alter von 30+ entsprach dem ADHS-Bild in meinem Kopf nicht im Geringsten. Dieses Bild zeigte einen Jungen, der im Unterricht nicht still sitzen konnte. Klar hatte ich mit Organisation, Motivation und Durchhaltevermögen zu kämpfen, doch hielt ich diese Mängel für Charakterfehler, die ich im Laufe der Zeit zu kaschieren gelernt hatte.
Tatsächlich hatte ich so viele Menschen erfolgreich davon überzeugt, alles im Griff zu haben, dass eine meiner größten Ängste in der Bloßstellung dieser »Charakterfehler« bestand. Dann kam der Tag, an dem ich die Fragebogen für die neuropsychologische Beurteilung meiner Tochter ausfüllte. Als ich die verschiedenen Fragen bezüglich ihrer Probleme mit Konzentration, Hyperaktivität, Impulsivität, Motivation und dergleichen mehr beantwortete, fiel mir auf, dass alles auch auf mich zutraf. Damit war meine Neugier geweckt, und ich fragte mich zum ersten Mal, ob ich vielleicht auch ADHS hatte.
Ich könnte jetzt sagen, dass mir damals ein Licht aufging, doch das würde der Komplexität der Sache nicht gerecht. Ich hatte eher das Gefühl gehabt, in einer mysteriösen alten Villa zu leben, in der das Licht absichtlich gedimmt gewesen war. Jedes Mal, wenn ich etwas Neues über ADHS las, war es, als stürzte jemand in ein Zimmer, von dem ich noch nicht einmal wusste, dass es da war, und flutete es mit Licht. Und während ein Zimmer nach dem anderen immer heller wurde, bekam ich das Gefühl, dass viele Tatsachen in meinem Leben, die ich mir bislang nicht erklären konnte, zum ersten Mal überhaupt einen Sinn ergaben. Das grelle Licht machte es zwar schwieriger, all den Staub und die Spinnweben zu ignorieren, gleichzeitig aber offenbarte es eine Schönheit in der Architektur, die zu bemerken es zuvor zu dunkel gewesen war. Zu begreifen, dass ich ADHS hatte, schenkte mir die Fähigkeit, die ich brauchte, um mein zwar unvollkommenes, aber einzigartiges Zuhause akzeptieren und in die Arme schließen zu können.
Nach dieser ersten Erleuchtung verschlang ich jede Information über ADHS, die ich in die Finger bekam. Ich las Blogeinträge, Zeitschriftenartikel und die wenigen Bücher, die es zu diesem Thema gab, doch irgendetwas fehlte. Der Großteil dessen, was ich las, bestand aus klinischen Studien oder drehte sich um Kinder. Einiges Wenige ließ mich sogar mit dem niederschmetternden Gefühl zurück, das eine oder andere »neurotypische« – also in neurologischer Hinsicht »normale« – Individuum betrachte ADHSler als schwierig oder als ein Problem, das gelöst werden muss. Ich sehnte mich nach einem Buch, das die ganz realen Probleme, vor die sich Menschen mit ADHS gestellt sehen, weder dramatisierte noch kleinredete und das mir gleichzeitig Hoffnung gab, im Einklang mit meiner Diagnose authentisch, als ich selbst, leben zu können.
Diese Hoffnung erfüllte sich schließlich, allerdings weder in einem Artikel noch im Ratgeberregal einer Buchhandlung, sondern in den Gesprächen, die ich im Rahmen meines ADHS-Coach-Zertifizierungsprogramms mit anderen führte. In den Tränen, die mir und meinen Freundinnen und Freunden über die Wangen liefen, als ich ihnen von meiner Diagnose erzählte. Einige von ihnen überraschten mich mit eigenen Geschichten. Diese Hoffnung nahm noch zu, als ich öffentlich, etwa auf Instagram, über ADHS zu sprechen begann. Ich war regelrecht perplex darüber, wie schnell meine Angst vor Verurteilung durch ein tief empfundenes Gefühl von Wertschätzung und Dankbarkeit abgelöst wurde.
Ich hatte das Privileg, an unzähligen Gesprächen mit ADHSlern aller Altersstufen und aus allen Teilen der Welt teilnehmen zu dürfen. An jedem einzelnen Tag, den ich damit verbrachte, meine Online-Community von Erwachsenen mit ADHS zu coachen, durfte ich Zeuge der Widerstandskraft, der Kreativität und des Mitgefühls werden, über die wir verfügen. Aus diesen Erfahrungen und Erlebnissen schöpfte ich eine Unmenge von Fakten, Strategien und Hacks, die alle eines ganz deutlich zeigen: die Stärken und Vorzüge eines ADHS-Gehirns. Sie haben mir aber noch etwas Wichtigeres gezeigt: dass ich nicht allein bin.
Gelegentlich fragt man mich, ob ich, wenn ich wählen könnte, lieber nicht ADHS hätte. Stellte man mir diese Frage an einem Tag, an dem ich mich überfordert fühle oder an Paralyse durch Analyse leide, wäre die Versuchung, Ja zu sagen, sicherlich groß. ADHS ist eine riesige Herausforderung, mit der ich trotz all meines Wissens zu kämpfen habe. Doch selbst an den schwierigsten Tagen gibt es noch immer einen Grund, warum ich mich niemals für ein anderes Gehirn entscheiden würde: meine Tochter.
Als ihre Mutter bekomme ich all ihre Probleme aus erster Hand mit, gleichzeitig sehe ich aber noch so viel mehr: Freundlichkeit, Güte, Humor, unbedingte Neugier, Empathie und eine verblüffende Intuition. Mit ausreichend Unterstützung aus der Umgebung und der Freiheit, ganz sie selbst sein zu dürfen, ist sie ein Kind, das sich auf einzigartige und wundervolle Weise entwickelt. Sie genau so zu lieben, wie sie ist, erleichtert es mir, mich selbst zu lieben. Ich würde sie mir niemals anders wünschen, auch nicht im allerkleinsten Detail.
Hätte ich ohne meine ADHS-Symptome noch all meine erstaunlichen Stärken? Für mich lautet die Antwort auf diese – rein hypothetische – Frage, letztlich Nein. Andernfalls müsste ich die Dinge, die ich an mir selbst am meisten liebe, aufgeben, meine unersättliche Neugier etwa, meine kreativen Strategien der Problemlösung oder meine Leidenschaft für Fortschritte. Ich entscheide mich ganz bewusst dafür, weiter am Akzeptieren der schmerzlichen Wahrheiten über ADHS zu arbeiten und dabei gleichzeitig die so ganz andere Träumerin in mir zu feiern.
Ihre Antwort fällt vielleicht anders aus, ist aber genauso gültig wie meine. Ich weiß nichts von Ihren persönlichen Kämpfen. Ich weiß nur, dass sich Ihr Zugang zu Unterstützung oder Ihr Einfluss auf Ihre Umgebung zweifelsohne von meinen unterscheiden. Aber egal ob wir unser ADHS-Gehirn lieber behalten oder austauschen würden: Vor diese Wahl werden wir nie gestellt.
Unsere Geschichten, Kämpfe oder Stärken mögen voneinander abweichen, doch eines haben wir gemeinsam: die Erfahrung, in einer Welt zu leben, die auf ein anderes Gehirn als das unsere zugeschnitten ist. Dass unser Gehirn von der Norm abweicht, haben viele von uns für den Großteil ihres Lebens nicht einmal erkannt. Bei dem Nebel der Überforderung, den unsere Probleme unweigerlich erzeugen, ist es kein Wunder, dass wir es schwer hatten, unsere Stärken zu sehen. Und dass wir uns jahrelang für unsere vermeintlichen Charakterfehler geschämt haben, machte den Nebel nur noch dichter. Erst mit dem Licht des Verstehens können wir allmählich durch ihn hindurchblicken.
Nun ist nicht alles, was man klar und deutlich sehen kann, auch schön. Einiges davon wird sogar ausgesprochen schmerzlich sein. Doch schenkt uns diese klarere Sicht, die alles erhellt, was vor uns liegt, die Gelegenheit, einen neuen Pfad einzuschlagen, einen Pfad des Selbstgewahrseins und des Selbstmitgefühls. Endlich ergibt das, was hinter uns liegt, einen Sinn, endlich können wir Hoffnung für die Zukunft schöpfen. Wir können uns mit unserem ADHS-Gehirn versöhnen und ein kreatives, farbenfrohes Leben leben.
Dieses Buch ist für das ADHS-Gehirn gemacht
Als ich mit der Arbeit an diesem Projekt begann, erinnerte ich mich an das Buch, das ich mir vor Jahren gewünscht, das ich aber nie hatte finden können: ein Buch für ADHSler, geschrieben von einem ADHSler. Wir brauchen Strategien, die von den »typischen« Ratschlägen abweichen – von Ratschlägen, denen wir nicht folgen können, weil sie schlicht nicht für ein Gehirn wie das unsere gemacht sind.
Deshalb habe ich mich beim Schreiben auf ein paar Schlüsselaspekte des ADHS-Gehirns konzentriert. Beispielsweise bewegt sich unser Geist häufig eher wie in einem Spinnennetz als in einer geraden Linie. Aus diesem Grund habe ich jedes Kapitel in diesem Buch so verfasst, dass es für sich stehen kann. Da es Sie überfordern könnte, die Kapitel nacheinander von vorn bis hinten zu lesen, dürfen Sie ruhig »springen« und sich zuerst dem zuwenden, was Sie am meisten interessiert. Lesen Sie ruhig auch in Ihrer eigenen Geschwindigkeit, wie niedrig oder hoch diese auch immer sein mag.
Jedes Kapitel beginnt mit einer persönlichen Geschichte darüber, wie sich die ADHS-Symptome im Laufe meines Lebens auf mich ausgewirkt haben. Darin beschreibe ich auch, wie ich mich für sie geschämt und kritisiert habe. Darüber hinaus finden sich Aussagen von Mitgliedern meiner Community, wie sie selbst ADHS erleben. Ich hoffe, dass Sie sich mit einigen dieser Geschichten identifizieren können, sich darin sehen können, sodass Sie sich weniger allein fühlen. Die meisten Menschen sehnen sich nach Verbundenheit und dem Gefühl der Zugehörigkeit; dieses Buch macht Sie gemeinsam mit mir und den Menschen, deren Geschichten Sie hier lesen, hoffentlich zu einem Teil der Community.
Da ADHSler im Allgemeinen wissen wollen, warum etwas ist, wie es ist, erkläre ich die wichtigsten Schwierigkeiten, vor die wir uns gestellt sehen, und nenne Gründe, warum wir diese Schwierigkeiten haben. Häufig zeige ich dabei auf, dass eine bestimmte »Schwierigkeit« auch eine unserer größten Stärken sein kann. Die Kapitel schließen mit Strategien, die Ihnen dabei...
| Erscheint lt. Verlag | 11.6.2025 |
|---|---|
| Übersetzer | Ulrike Kretschmer |
| Sprache | deutsch |
| Original-Titel | It all makes sense now |
| Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie |
| Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Allgemeinmedizin | |
| Schlagworte | ADHD • ADHS Erwachsene • adhs frauen • adhs hilfsmittel • adhs medikation • Angelina Boerger • Aufmerksamkeit • Ausbildung • dr. med. astrid neuy-lobkowicz • eBooks • Eckhardt von Hirschhausen • edward m. hallowell • Fokussierung • hummingbird • julia katharina bauer • katharina schön • Kirmes im Kopf • Konzentration • Medizin • neurodivergent • Neurodivers • Neurodiversität • Prokrastination • Rastlosigkeit • Ratgeber • Ruhelosigkeit • Schlaf • selbsthilfe adhs • Stress • Syndrom • tara wilson • Unruhe |
| ISBN-13 | 9783641332549 / 9783641332549 |
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