Nicht aus der Schweiz? Besuchen Sie lehmanns.de
Rehabilitative Altenpflege -  Oskar Dierbach

Rehabilitative Altenpflege (eBook)

Therapeutisches Pflegemodell: Konzept, praktische Umsetzung, Kosten und Nutzen
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
142 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-042205-6 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
34,99 inkl. MwSt
(CHF 34,15)
Der eBook-Verkauf erfolgt durch die Lehmanns Media GmbH (Berlin) zum Preis in Euro inkl. MwSt.
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Selbstständigkeit und Selbstbestimmung sind essenzielle Grundpfeiler des Lebens. In der öffentlich vorherrschenden Meinung endet diese Selbstbestimmtheit jedoch häufig mit dem Einzug in ein Pflegeheim als letzter Lebensstation. So muss und sollte es aber nicht sein. Betrachtet man das Pflegeheim als Teil medizinischer Rehabilitation, kann einigen die Rückkehr in die häusliche Selbstständigkeit ermöglicht werden, aber auch die Langzeitbetreuten erfahren eine deutlich höhere Lebensqualität. Rehabilitativ ausgerichtete Altenpflege ist für die Betroffenen humaner, für die Kostenträger wirtschaftlicher und für die Pflegeberufe attraktiver. Das Buch denkt angesichts der demografischen Entwicklung die altersspezifische Pflege neu und gibt praxisrelevante Auskunft über Grundlagen und Ziele, Voraussetzungen, Personalkonzepte, Finanzierung und notwendige Kooperationen. Interviews mit Fachleuten beteiligter Professionen sowie Fotos aus dem therapeutischen Pflegealltag machen den wegweisenden Ansatz motivierend anschaulich.

Oskar Dierbach, exam. Altenpfleger, Dipl.-Sozialarbeiter, bis 12/2021 geschäftsführende Pflegedienstleitung der Evangelischen Altenhilfe Mülheim a. d. Ruhr gGmbH.

Oskar Dierbach, exam. Altenpfleger, Dipl.-Sozialarbeiter, bis 12/2021 geschäftsführende Pflegedienstleitung der Evangelischen Altenhilfe Mülheim a. d. Ruhr gGmbH.

1 Wer will schon pflegebedürftig werden?


1.1 Motivation und Kraftquelle auf dem langen Weg zu einer menschenwürdigen Pflege


Mit dem Hit »Leben so wie ich es mag« eroberte Peter Maffay 1982 die Charts und traf damit einen Lebensnerv. In jeder Lebensphase sind wir eingeladen und zugleich herausgefordert, unser Leben zu entdecken und zu gestalten. Auch wenn im allgemeinen Mainstream Konsumindustrie, Unterhaltungsindustrie und virtuelle Medienwelten uns gerne auf die Rolle des Konsumenten reduzieren wollen, haben wir das Recht, unser Leben aktiv zu gestalten. Dies gilt auch für die Frage, wie wir im Alter leben wollen.

Leben spüren Tag für Tag – mit über 70, 80, 90 Lebensjahren? Leben spüren im Alter, das heißt auch bei Pflegebedürftigkeit nicht abgeschoben und aufgegeben zu werden. Leben spüren, wenn körperliche, seelische und geistige Kräfte versagen, heißt, es gibt Reha-Möglichkeiten für mich.

Ich soll leben bis zum letzten Atemzug und meine Selbstständigkeit und Selbstbestimmung sollen gestärkt werden – auch wenn ich einen Schlaganfall hatte, gestürzt bin oder andere gesundheitliche oder soziale Schicksalsschläge erleiden musste.

Niemand wünscht sich einen schweren Unfall mit intensivmedizinischer Behandlung oder ein Krebsleiden mit Chemotherapie. Und doch investieren wir als Gesellschaft viel Geld und Kraft in medizinische und pharmakologische Forschung, um im Fall der Fälle bestmöglich versorgen und rehabilitieren zu können. Wir alle sind krankenversichert, obgleich wir nicht krank werden möchten, damit uns im Bedarfsfall bestmöglich geholfen wird. Vergleichbares sollte doch auch für den Pflegefall gelten.

Abb. 1:Physiotherapie Krafttraining: rehabilitatives Training in jedem Lebensalter (Foto: Walter Schernstein)

Pflege braucht auch im fortgeschrittenen Lebensalter die Perspektive »Ich darf leben«. In diesem Buch ist aufgeschrieben, wie dies konkret umsetzbar ist und welche großartigen Erfahrungen Teams der therapeutischen Pflege mit Menschen an den Grenzen ihres Lebens gemacht haben.

Wir haben einen großen Schatz an Fachwissen in der Physio-‍, Ergo-, Logo- und Motopädie, in der Musikgeragogik, Kunstgeragogik und der Psychotherapie. Wenn wir dieses Fachwissen in verkraftbarer Dosis und fachlich abgestimmt in den Tagesablauf eines pflegebedürftigen Menschen bringen, sehen wir kleinere und größere Wunder. Menschen schöpfen neuen Lebensmut, werden wieder mobil und selbstständiger, finden aus der Starre der Depression.

Viele, die vormals überwiegend unselbstständig waren, können nach therapeutischer Pflege mit rehabilitativen Anteilen wieder nach Hause entlassen werden und benötigen keinen stationären Pflegeplatz mehr. Andere finden eine neue Lebensmitte im betreuten Wohnen oder der stationären Langzeitpflege.

Der Autor und seine Crew haben über viele Jahre werkstattmäßig diese Arbeit entwickelt und können zeigen, dass sich therapeutische Pflege sogar betriebs- und volkswirtschaftlich rechnet. Gegen viele Widerstände und über viele Hürden hat der Autor als leitende Pflegefachkraft und Geschäftsführer einer Pflegeeinrichtung zusammen mit engagierten Kolleginnen und Kollegen aus Pflege, sozialer Betreuung, Therapie und Medizin die Pflege und die rehabilitative Therapie Stück für Stück zusammengeführt. Ort dieser kleinschrittigen, alltagsbezogenen Konzeptarbeit war und ist die Evangelische Altenhilfe Mülheim an der Ruhr gGmbH mit zwei Häusern und 113 Pflegeplätzen sowie einer Tagespflegeeinrichtung.

Abb. 2:Gehtraining: Training aus dem Rollstuhl ins Gehen und Laufen (Foto: Walter Schernstein)

Kraftquelle auf diesen steinigen Wegen mit Hindernissen war und ist der christliche Glaube, der den Menschen in seinem einzigartigen Wert und seiner Hoffnungsperspektive sieht. Kraftquelle waren und sind aber auch die vielen dankbaren Gesichter rehabilitierter Pflegebedürftiger und arbeitszufriedener, motivierter Mitarbeitender.

Und fragen wir doch einmal die Generation der heute 40- bis 60-Jährigen: Wie wollt ihr älter werden? Wollt ihr euch aktiv an der Gestaltung der sozialpolitischen Rahmenbedingungen eurer eigenen Lebenszukunft beteiligen?

In Dänemark war es im vorherigen Jahrhundert genau diese Generation, die in einem demokratischen Prozess die Weichen für bahnbrechende und einstimmige Entscheidungen im dänischen Parlament, dem Folketing, gestellt haben. Wir haben es in der Hand, unsere Zukunft selber mitzugestalten, weil wir in einer demokratisch pluralistischen Gesellschaft leben.

Wir dürfen mitbestimmen, ob wir in der Lebensphase schwindender Kräfte und gesundheitlicher Einbrüche im Sinne einer nett verpackten »Siechenpflege« verwaltet werden wollen.

Oder möchten wir auch in einer Phase der Pflegebedürftigkeit rehabilitativ ins Leben zurückgeführt werden? Wollen wir für die Babyboomer noch viele neue Pflegeheime bauen oder lieber viele von ihnen im eigenen Lebensumfeld leben lassen?

Eine aktuelle Studie der opta data Zukunfts-Stiftung gGmbH aus Essen, unter Leitung von Professor Dr. Thomas Druyen, trägt den Titel »Babyboomer-Generation läuft blind in die Pflege-Katastrophe. Studie identifiziert Jahrhundertproblematik« (opta data Zukunfts-Stiftung, 2022). Wir zitieren aus dieser Studie (S. 57): »Warum soll ich mich mit etwas beschäftigen, was nur vielleicht kommt?« Fälschlicherweise wird Pflegebedürftigkeit als Schicksal wahrgenommen, auf das man sich nicht vorbereiten kann. 84 % der Babyboomer waren der Meinung, dass die Realität die Planung sowieso überhole. 77 % sagten, man müsse es nehmen, wie es kommt. 51 % ist das Thema Pflege unangenehm. Auch diejenigen, die gepflegt haben, wollen ihre Kinder nicht belasten. Schließlich haben sie die Erfahrung gemacht, dass Pflege sehr anstrengend ist. Deshalb vermitteln sie das Thema ihren Kindern in der Regel nicht, obwohl sie die idealen Vermittler wären. Die Haltung zu einem Thema wird aber davon bestimmt, dass andere von ihren Erfahrungen berichten und über Probleme und Chancen diskutieren. Diese Möglichkeit wird von der Babyboomer-Generation nicht genutzt, weshalb das Thema »Pflege im Alter« kollektiv verdrängt wird (opta data Zukunfts-Stiftung, 2022).

Weil Pflege über viele Jahre kein öffentliches Thema war, fehlen die Sensibilisierung und die Bereitschaft zur Vorsorgeplanung. Wir sind als Gesellschaft alle herausgefordert, ob wir Leben im Alter und mit Hilfsbedürftigkeit verdrängen oder aktiv gestalten wollen. Der Autor dieses Buches ist für das Gestalten. :)

1.2 Ein Fallbeispiel


In einem realen Fallbeispiel sollen im Folgenden die Chancen und Herausforderungen therapeutischer Pflege erzählt werden.3 Dabei wird skizziert, wie therapeutische Pflege im Alltag einer Einrichtung umgesetzt wurde und warum die Pflegefachkräfte eine Schlüsselfunktion im Prozessgeschehen haben.

Es wird erläutert, wie rehabilitative Anteile unter medizinischer und pharmakologischer Beratung in die alltägliche Pflege und Betreuung einfließen. Es wurde bewusst ein Fall mit sehr komplexer und schwieriger Ausgangssituation gewählt, um die Vielfältigkeit der Interventionsmöglichkeiten darzustellen. Im beschriebenen Fallbeispiel waren ca. zehn Monate therapeutische Pflege erforderlich, um einen Menschen wieder ins gewohnte häusliche Lebensumfeld entlassen zu können. In der Mehrzahl der Fälle werden sechs Wochen bis zu drei Monaten benötigt, um Menschen in ihrer Mobilität und Selbstständigkeit so zu verbessern, dass sie entweder wieder nach Hause können oder aber mit stabiler Alltagskompetenz entsprechend ihrer individuellen Situation im stationären Bereich Versorgung finden.

Frau Helga P., 81-jährig, lebte mit ihrem Mann im eigenen Haus, bevor sie eine Hirnblutung erlitt und im örtlichen Krankenhaus akut versorgt wurde. Folgen der Hirnblutung waren der Verlust der Geh- und Stehfähigkeit, eine Aphasie, Gesichtsfeldeinschränkung und eine schwere Angststörung. In den folgenden sechs Wochen wurde sie zunächst akutmedizinisch versorgt und dann in eine Früh-Reha geschickt. Diese musste jedoch nach kurzer Zeit abgebrochen werden, da die Patientin keinerlei Compliance zeigte und aufgrund ihrer Angstsymptomatik mit erheblichen Abwehrreaktionen reagierte. Auch war sie in ihrem Allgemeinzustand stark reduziert und völlig unselbstständig in der Bewältigung aller alltäglichen Verrichtungen. So ging es nach kurzem Aufenthalt in der Früh-Reha wieder zurück ins Akut-Krankenhaus.

Dort wurde sie in der Geriatrie mit Psychopharmaka und Sedativa behandelt. Es kam zu vermehrten Halluzinationen, dem Verlust des Tag-Nacht-Rhythmus, einer Verstärkung der...

Erscheint lt. Verlag 24.5.2023
Zusatzinfo 43 Abb., 1 Tab.
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Medizin / Pharmazie Pflege Altenpflege
Schlagworte Altenpflege • Kurzzeitpflege • Langzeitpflege • Langzeitpflegeeinrichtung • pflegemodelle • Rehabilitation • Therapie
ISBN-10 3-17-042205-7 / 3170422057
ISBN-13 978-3-17-042205-6 / 9783170422056
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 49,9 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich