1 Allgemeines
1.1 Einführung
Franz Staudt
Die Kinderneurologie ist ein fantastisches und begeisterndes, klinisches und wissenschaftliches Arbeitsgebiet. Das wichtigste Standbein der Neuropädiatrie ist zweifellos die Epileptologie. Gelegenheitskrämpfe, insbesondere Fieberkrämpfe, sind bei etwa 5% aller Kinder besonders häufig. Das Risiko an Epilepsie zu erkranken ist in den ersten 5 Lebensjahren besonders hoch. Allerdings hat sich in den vergangenen Jahren gezeigt, dass wohl durch die erhebliche Zunahme der Lebenserwartung die Inzidenz der Anfälle bei über 60-Jährigen wieder deutlich ansteigt ▶ [37] ( ▶ Abb. 1.1).
Abb. 1.1 Inzidenz von einmaligen unprovozierten Anfällen, Epilepsie und allen unprovozierten Anfällen in Island von 1995–1999. Nach Olaffson 2005 ▶ [35].
Der Bogen der Neuropädiatrie spannt sich von zerebralen Anfallsleiden, Störungen der kindlichen Entwicklung, neuromuskulären Erkrankungen, chromosomalen Aberrationen, molekulargenetischen Defekten über Fehlbildungen des ZNS bis hin zu hirneigenen Tumoren und traumatischen und infektiösen ZNS-Erkrankungen ▶ [38]. Bei fast all diesen Krankheitsbildern spielt die Elektroenzephalografie als Untersuchungsmethode eine zentrale Rolle. Dabei hat sie als nicht invasive und leicht verfügbare Untersuchungsmethode der Hirnfunktion trotz spektakulär zugenommener Möglichkeiten der bildgebenden, vorwiegend morphologischen Diagnostik (kraniale Computertomografie [CT], Magnetresonanztomografie [MRT], Schädelsonografie etc.) und auch funktioneller neuer Methoden wie funktionelle MRT oder PET-Untersuchungen nichts von ihrer Bedeutung und Faszination verloren. Dies gilt ganz besonders für das Kinder-EEG. So ist die Elektroenzephalografie weiter aus dem Arsenal der Methoden für die zerebrale Diagnostik in der Neuropädiatrie nicht wegzudenken.
Die Indikationen für das EEG im Kindes- und Jugendalter werden vielfach diskutiert und sind in ▶ Tab. 1.1 aufgeführt.
Tab. 1.1 Indikationen des EEG bei Kindern und Jugendlichen. Nach Bast 2005
▶ [5] und Neubauer und Hahn 2012
▶ [32].
| Weitgehend unbestrittene Indikationen |
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(Differenzial-)Diagnose bzw. Ausschluss zerebraler Anfallsleiden -
epileptische vs. nicht epileptische Anfälle -
generalisierte vs. fokale Epilepsie -
Petit-Mal-Status vs. komplex-fokale Anfälle -
unklare Bewusstseinsstörung (epileptisch vs. nicht epileptisch) -
Zustand nach fraglichem, nächtlichem, epileptischem Anfall -
Nachweis eines nächtlichen bioelektrischen Status (CSWS/ESES) -
Registrierung epilepsietypischer Potenziale im interiktalen EEG -
psychogene (nicht epileptische) Anfälle -
Verlaufskontrolle gesicherter zerebraler Anfallsleiden unter antikonvulsiver Therapie -
Verifizierung der Diagnose -
Überprüfung auf Reduktion von Krampfanfällen -
Überprüfung auf Reduktion epilepsietypischer Potenziale -
vor Beendigung einer antikonvulsiven Therapie -
Verlauf nach Beendigung einer antikonvulsiven Therapie |
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Koma (z.B. bei Enzephalitis oder Stoffwechselerkrankung, nach Asphyxie, Trauma oder Intoxikation) -
unklare Verhaltenszustände -
Hirntoddiagnostik |
Das EEG ermöglicht die Abbildung der elektrophysiologischen Entwicklung des Gehirns vom Frühgeborenen bis ins Erwachsenenalter. Es gibt aber auch spezifische EEG-Veränderungen und Fragestellungen, die nur im Kindesalter vorkommen. Nur eine genaue Kenntnis dieser Zusammenhänge, der altersabhängigen normalen und pathologischen Befunde erlaubt ihre genaue Zuordnung und vermeidet Fehl- und Überinterpretationen, die für die betroffenen Patienten negative Folgen haben können.
Die EEG-Ableitungen sollen nach den Vorgaben der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie (DGKN, früher EEG-Gesellschaft) erfolgen. Sie können nur im klinischen Kontext mit der altersentsprechenden Entwicklung und den Eigenheiten der Neuropädiatrie, insbesondere der kindlichen Epileptologie sachgemäß beurteilt werden, um so adäquate Konsequenzen für die Patienten zu ziehen. Obwohl es...