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Persönlichkeitsstörungen verstehen -  Rainer Sachse

Persönlichkeitsstörungen verstehen (eBook)

Fachbuch-Bestseller
Zum Umgang mit schwierigen Klienten
eBook Download: EPUB
2020 | 11. Auflage
125 Seiten
Psychiatrie-Verlag
978-3-96605-090-6 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
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Beziehungsfallen vermeiden Patient*innen mit Persönlichkeitsstörungen gelten als schwierig, schwer behandelbar und stehen außerdem im Ruf, psychiatrische Teams und Klinikstationen aufzumischen. Prof. Dr. Rainer Sachse zeigt, wie man für Menschen mit dieser Problematik Verständnis und Zugang entwickeln kann. Für ihn stellen sich Persönlichkeitsstörungen im Kern als Beziehungsstörungen dar. Anhand des von ihm entwickelten Modells der doppelten Handlungsregulation zeichnet er auf, wie ungünstige Beziehungsmuster entstehen und welche Probleme sich daraus für die Patient*innen und ihr soziales Umfeld ergeben. Zahlreiche Beispiele illustrieren häufig auftretende Beziehungsfallen, in die Therapeut*innen und Pflegepersonal »tappen« können. Kapitel zu den speziellen Problemen bei der Arbeit im Team und mit Angehörigen runden das Buch ab und machen es zu einem Muss für jeden im psychosozialen Bereich Tätigen.

Prof. Dr. Rainer Sachse ist Leiter des Instituts für Psychologische Psychotherapie (IPP) in Bochum. Er hat zahlreiche Bücher vor allem zur Psychiatrieforschung und zur therapeutischen Beziehungsgestaltung veröffentlicht (u.a. bei Hogrefe). Bekannt sind auch seine paradoxen Ratgeber: »Wie ruiniere ich meine Beziehung - aber endgültig«; »Selbstverliebtheit, aber richtig«; »Schwarz ärgern, aber richtig« (Klett-Cotta und dtv).

Prof. Dr. Rainer Sachse ist Leiter des Instituts für Psychologische Psychotherapie (IPP) in Bochum. Er hat zahlreiche Bücher vor allem zur Psychiatrieforschung und zur therapeutischen Beziehungsgestaltung veröffentlicht (u.a. bei Hogrefe). Bekannt sind auch seine paradoxen Ratgeber: »Wie ruiniere ich meine Beziehung – aber endgültig«; »Selbstverliebtheit, aber richtig«; »Schwarz ärgern, aber richtig« (Klett-Cotta und dtv).

Persönlichkeitsstörungen sind Beziehungsstörungen


Es wird Sie vielleicht überraschen, aber Forschungen in den letzten zwanzig Jahren kommen zu dem Schluss, dass die Störungen, die allgemein als Persönlichkeitsstörungen bezeichnet – und aufgrund bestimmter Kriterien auch so diagnostiziert werden –, eines nicht sind: Persönlichkeits-Störungen. Ursprünglich hatte man angenommen, dass diese Störungen tief greifende Störungen der Gesamtpersönlichkeit seien. Man ging davon aus, dass die Störungen tief greifend sind, weil sie in frühen Entwicklungsstadien entstehen und mehr oder weniger alle Bereiche der Persönlichkeit betreffen. Inzwischen zeigen Analysen jedoch, dass Persönlichkeitsstörungen im Kern Störungen der Interaktion, der Beziehung oder der Beziehungsgestaltung, also Beziehungsstörungen sind (vgl. FIEDLER 2007). Die Personen, die sogenannte Persönlichkeitsstörungen aufweisen, zeigen ungünstige Überzeugungen (Schemata) im Hinblick auf Beziehungen. Ihre Überzeugungen äußern sich in Gedanken wie: »Ich bin nicht wichtig«, »In Beziehungen wird man nicht respektiert«, oder: »Wenn man wahrgenommen werden will, muss man heftig auf sich aufmerksam machen« (zur Vertiefung s. SACHSE 2013, 2016 a). Aufgrund dieser Überzeugungen entwickeln die Personen dysfunktionale, also ungünstige und »kostenintensive« Strategien der Beziehungsgestaltung. Sie machen durch hoch demonstratives Verhalten auf sich aufmerksam, sie entwickeln Ängste oder körperliche Beschwerden, damit ihre Interaktionspartner sich ihnen zuwenden. Sie entwickeln Verhaltensweisen, die andere Menschen dazu veranlassen, sich in bestimmter Weise ihnen gegenüber zu verhalten. Ihr Verhalten ist jedoch meist nicht offen, denn die Person glaubt aufgrund ihrer Erfahrungen, dass offenes, durchschaubares, authentisches Verhalten nicht zum Erfolg führt. Das Verhalten ist daher meist verdeckt und manipulativ. Es soll andere mehr oder weniger »zwingen«, so zu reagieren, wie die Person es möchte. Diese Unoffenheit ist meist der entscheidende Grund dafür, warum das Verhalten langfristig nicht gut funktioniert und mehr Kosten im Sinne von unerwünschten Reaktionen erzeugt als Gewinne (SACHSE 2007, 2014 a).

Aber genau darum geht es zentral bei einer Persönlichkeitsstörung: Eine Person hat eine ungünstige Annahme von sich selbst, z. B.: »Ich bin nicht wichtig«. Daraus zieht sie eine Konsequenz, z. B.: »Um Aufmerksamkeit zu erlangen, muss ich andere aktiv dazu veranlassen, mich wahrzunehmen«. Und letztlich entwickelt diese Person dann unoffene, manipulative Strategien, um dieses Ziel zu erreichen. Dieser Prozess ist der Kern einer Persönlichkeitsstörung.

Natürlich hat dieses Vorgehen oft weitreichende Konsequenzen: Nimmt man an, dass man andere veranlassen muss, einem Aufmerksamkeit zu geben, dann richtet man sein Verhalten auch primär darauf aus. Es wird sehr wichtig, im Mittelpunkt zu stehen, und man tut sehr viel dafür. Wenn man glaubt, dass andere einen nicht ernst nehmen, dann rechnet man auch ständig damit und lauert geradezu auf solche Situationen. Die Wahrnehmung richtet sich dann besonders darauf, solche Situationen schnell zu erkennen. Ein großer Teil der Aufmerksamkeit wird zum Erkennen solcher Fälle abgestellt, was natürlich zur Folge hat, dass man viele andere Dinge gar nicht mehr bemerken kann.

Somit hat die Beziehungsstörung weitreichende Konsequenzen für das Denken, die Aufmerksamkeit, die Art der Informationsverarbeitung, das Fühlen und Handeln. Dennoch: Im Kern ist die Störung eine Störung der Beziehung, und erst in der Folge wird es eine Störung des weiteren Erlebens und Verhaltens.

Wenn Sie mit Menschen umgehen, denen eine Persönlichkeitsstörung zugeschrieben wird, dann sollten Sie sich klarmachen: Es handelt sich um Störungen der Beziehung, der Interaktion, nicht um eine Störung der Persönlichkeit.

Da die Störung in den gängigen Diagnosesystemen jedoch weiterhin so bezeichnet wird, soll die offizielle Bezeichnung auch hier beibehalten werden. Wichtig ist, dass man weiß, was genau man darunter versteht!

Persönlichkeitsstörungen sind nicht pathologisch


Bisher ging man davon aus, dass Persönlichkeitsstörungen hoch pathologisch sind. Man sprach von schweren, tief greifenden, früh entstandenen, kaum behandelbaren Störungen. Diese Annahme hält jedoch einer genaueren Prüfung nicht Stand.

Persönlichkeitsstörungen sind als normale psychische Prozesse aufzufassen, die aber leider zu kostenintensiven, dysfunktionalen Lösungen führen. Diese Lösungen führen oftmals tatsächlich zu hoch problematischem Interaktionsverhalten, das bisweilen absurd und bizarr wirken kann. Die Entstehung und Entwicklung ist aber in aller Regel gut nachvollziehbar und rekonstruierbar. Auch wenn das Verhalten, also die Lösung, problematisch ist, ist sie nicht unbedingt krankhaft. Wir sprechen also zunächst von einer Störung und nicht von einer Krankheit (vgl. SACHSE & SACHSE 2010).

Nehmen Sie als Beispiel die Entstehung einer histrionischen Persönlichkeitsstörung: Ein Kind hat ein natürliches Bedürfnis nach Wichtigkeit. Es möchte im Leben wichtiger Bezugspersonen eine Bedeutung haben und entsprechende Signale erhalten. Dazu gehört, dass seine Bezugspersonen vermitteln:

»Wir sind gerne mit dir zusammen.«

»Du bist eine Bereicherung für unser Leben.«

»Mit dir macht das Leben Spaß.«

»Wir verbringen gerne Zeit mit dir.«

»Wir nehmen dich ernst, hören dir zu.«

»Wir geben dir Aufmerksamkeit.«

Erhält das Kind solche Signale von den zentralen Bezugspersonen, dann wird es Überzeugungen, Schemata aufbauen wie:

»Ich bin wichtig.«

»Ich habe anderen etwas zu bieten.«

»In Beziehungen wird man ernst genommen.«

Schemata sind Annahmen und Schlussfolgerungen, die in der Biografie durch Erfahrungen entstehen. Sind solche Schemata erst einmal gebildet, dann steuern sie die weitere Verarbeitung von Information. Das Kind, das diese Erfahrungen macht, kann sich authentisch verhalten, also so sein, wie es ist, und wird genau deshalb positive Rückmeldungen erhalten. Das authentische Verhalten wird durch die Reaktionen der Bezugspersonen verstärkt, und das Kind muss keine anderen Strategien entwickeln, um die Interaktionspartner zu veranlassen, es ernst zu nehmen oder ihm Aufmerksamkeit zu schenken. Es bekommt ja alles, was es braucht, allein dadurch, dass es so ist, wie es ist. Das Motiv nach Wichtigkeit wird so befriedigt und, motivationstheoretisch gesehen, im Laufe der Zeit als Motiv an Bedeutung verlieren. So können andere, neue Motive bedeutsamer werden, wenn das Kind sich entwickelt und neue Wege geht.

Stellen Sie sich nun aber vor, dass das Kind diese positiven Rückmeldungen nicht erhält: Die Eltern kümmern sich nicht um das Kind, das Kind erhält vor allem Botschaften wie:

»Du störst uns.«

»Du bist lästig.«

»Was du tust und erzählst, interessiert uns nicht.«

Dann bilden sich beim Kind negative Überzeugungen (Schemata) wie:

»Ich bin nicht wichtig.«

»Ich habe anderen nichts zu bieten.« Oder sogar: »Ich störe andere.«

»Ich bin toxisch.« (Also: »Ich habe eine negative Wichtigkeit.«)

Und es entwickelt Annahmen wie:

»In Beziehungen wird man nicht ernst genommen.«

»Niemand gibt einem Aufmerksamkeit und hört einem zu.«

Das Kind entwickelt also negative Annahmen über sich selbst (Selbstschemata) und negative Annahmen über Beziehungen (Beziehungsschemata). Beide Annahmen führen zu negativen Erwartungen im Hinblick auf Beziehungen: Die Person, die als Erwachsener diese Schemata ja immer noch hat, geht dann mit negativen Erwartungen in Beziehungen hinein und ist hoch sensibilisiert gegen alles, was als Signal von »Nicht-ernst-genommen-Werden« oder »Keine-Aufmerksamkeit-Bekommen« interpretiert werden kann. Und das bedeutet, dass diese Person auf alle diese Signale sofort anspringt, also schnell, oft sogar aggressiv, darauf reagiert. Diese Person reagiert schon auf Kleinigkeiten, weil diese aufgrund ihrer Interpretationen keine Kleinigkeiten sind. Schaut jemand im Gespräch mit dieser Person auf die Uhr, dann schaut er nicht einfach auf die Uhr, sondern ignoriert die Person in deren Interpretation. Kleine Signale führen so mitunter zu großen Reaktionen.

Mit der Bildung negativer Schemata ist die Entwicklung aber nicht abgeschlossen. Das Kind wird nun versuchen, in den Situationen, in denen von Bezugspersonen keine Signale für seine Wichtigkeit kommen, eine »Lösung« zu finden: Es wird versuchen, Strategien zu entwickeln. Die Interaktionspartner, die offenbar freiwillig nicht bereit sind, dem Kind die erwünschten Signale zu geben, werden veranlasst, notfalls sogar gezwungen, ihm solche Signale doch zu vermitteln.

Eine solche Strategie kann darin bestehen, Symptome zu produzieren: Ängste, Kopfschmerzen, Bauchschmerzen. Die Symptome sollen die Bezugspersonen dazu veranlassen, sich um das Kind zu kümmern. Also, ihm Aufmerksamkeit zu geben, bei ihm zu bleiben, es ernst zu nehmen und zu versorgen. Auf diese Weise hat das Kind mithilfe einer Strategie das hergestellt, was es durch authentisches Verhalten nicht herstellen konnte: Es bekommt Aufmerksamkeit.

Diese Strategie ist aber manipulativ: Die Bezugspersonen wissen gar nicht, dass es um die Herstellung von Aufmerksamkeit geht. Sie denken zunächst,...

Erscheint lt. Verlag 12.3.2020
Reihe/Serie Fachwissen
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie Allgemeine Psychologie
Medizin / Pharmazie Medizinische Fachgebiete Psychiatrie / Psychotherapie
Schlagworte Beziehungsstörung • dependente • histrionisch • narzisstisch • Persönlichkeitsstörung • Psychiatrie • schizoid • Zwanghaft
ISBN-10 3-96605-090-0 / 3966050900
ISBN-13 978-3-96605-090-6 / 9783966050906
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