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King Georg, Chagall. die Monroe und wir

Erzählungen aus dem Leben stotternder Menschen

(Autor)

Buch
222 Seiten
2012
Stottern & Selbsthilfe (Verlag)
978-3-921897-67-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

King Georg, Chagall. die Monroe und wir - Gerd Riese
CHF 20,70 inkl. MwSt
Vorwort oder Warum Sie dieses Buch lesen sollten
Wenn Sie selbst nicht stottern und auch nicht einer Ihrer Freunde oder Verwandten warum in aller Welt sollten Sie dann dieses Buch lesen? Millionen Menschen auf der Welt haben den Film The King s Speech gesehen und waren tief berührt von dem Kampf des britischen Königs George VI mit seinem Handicap. Millionen Menschen, die nicht stottern.
Vier Oscars konnte The King s Speech 2011 gewinnen, u. a. David Seidler für das beste Drehbuch. Von der schicksalhaften Verknüpfung seines bewegten Lebens mit der Biografie King George VI können Sie in der Erzählung Der berühmteste Stotterer der Welt lesen. Aber auch andere prominente Stotterer werden
literarisch porträtiert: Der Maler Marc Chagall, die Schauspielerin Marilyn Monroe, der Philosoph Ludwig Wittgenstein, die Schriftstellerin Maxie Wander und der Politiker Malte Spitz.
Wenn auch Ihr Leben manchmal nicht recht in Fluss kommt, ins Stocken gerät, es nicht so läuft, wie Sie gerne möchten, wenn vielleicht auch Sie immer wieder herausgefordert sind zur Balance zwischen Akzeptanz und Widerstand dann lesen Sie dieses Buch! Denn es handelt vom großen Trotzalledem, vom Mut, mitunter gar vom Glück.
Ich besuchte Selbsthilfegruppen in Bonn, Düsseldorf, Köln, Dortmund, Bielefeld, Finnentrop, Kleve, Münster und Göttingen. Dort gab es keine prominenten Namen, aber spannende Erfahrungen: Stotternde ließen mich während langer Abende teilhaben an ihrer Auseinandersetzung mit einem kleinen großen Handicap. Jetzt erst recht! Reiche Impulse flossen in die Miniaturen ein oder bildeten den Stoff für eigenständige dramatische Erzählungen. Natürlich ist zudem manches auch autobiografisch grundiert. Warum auf einen Schatz von sechs Jahrzehnten Stotterer-Erfahrung verzichten?
Meine Besuche in den Gruppen wurden begleitet von Ilona Richter. Ihre einfühlsamen fotografischen Porträts finden sich bei den fünf Kapiteln der Miniaturen.
Die abgebildeten Menschen sind nicht unbedingt identisch mit den Protagonisten. Namen und Umstände sind, von historischen Personen abgesehen, in allen Erzählungen frei erfunden.
Gerd Riese

Gerd Riese, geb. 7.10.1950 in Essen-Kettwig. Dort Abitur 1971. Bis 1978 Studium in Marburg: Politische Wissenschaften, Geschichte und Pädagogik, Abschluss 1. Staatsexamen. 1978 bis 1983 Freier Journalist und Autor in Köln. Seit 1983 Wohnort Dortmund. 1983-1984: Zusatzstudium am Institut für Waldorfpädagogik Witten. 1984-2010 Sonderschullehrer für Geistige Entwicklung an der Christopherus-Schule Dortmund, eine Privatschule auf Grundlage der Waldorfpädagogik. Seit 2010 im Ruhestand. Seit 2005 Wohnort Witten seit 2005. Zwei erwachsene Söhne aus erster Ehe. Seit 2007 in zweiter Ehe verheiratet mit Ilona Richter. Veröffentlichungen in zahlreichen Anthologien und Zeitschriften. Preise: 2006 Erster Preis der Lieselotte und Walter Rauner-Stiftung für Lyrik Eigene Bücher: 1.Das Licht am frühen Morgen, Grupello-Verlag Düsseldorf 2007, ISBN 978-3-89978-070-3 2.King George, Chagall, die Monroe und wir. Erzählungen, Demosthenes-Verlag Köln 2012, ISBN 978-3-921897-67-6 3.Mein Weg. Biografische Gespräche mit stotternden Menschen, Demosthenes-Verlag Köln 2016, ISBN 978-3-921897-85-0

Inhalt
Vorwort 4
Der berühmteste Stotterer der Welt (King George und David Seidler) 6
Die Ausschreitung 18
Ismael 28
Miniaturen I 32
Die Zeit ist ein Fluss ohne Ufer (Marc Chagall) 37
Zweistein angepisst 54
Bj-Björn 59
Hanebüchen 61
Mein Name ist 65
Miniaturen II 66
Nein, Marilyn ist kein Vorbild für mich (Marilyn Monroe) 71
Ein Wunsch 76
Cuba Libre 105
Miniaturen III 107
Herr Bundeskanzler, noch ein paar ganz persönliche Fragen (Malte Spitz) 112
Die Gruppe 120
Frank auf den Fotos 132
Miniaturen IV 142
Wovon man nicht sprechen kann (Ludwig Wittgenstein) 147
Maximilan heißt noch Maximilian 163
Hass, das war früher 167
Ich bin 169
Miniaturen V 174
Psst! Sonst kommt Papa ins KZ! (Maxie Wander) 179
Ein glücklicher Tag 203
Sieh mich an, wenn Du mit mir sprichst 207
Nachworte 208
Informationen zur Stotterer-Selbsthilfe NRW, zur BVSS und zum Demosthenes-Verlag 216

Rezensionen und Meinungen

aus: mit SPRACHE, Heft 1, Jänner 2014, 46. Jahrgang
Fachzeitschrift für Sprachheilpädagogik und angrenzende Disziplinen
Zeitschrift der Österreichischen Gesellschaft für Sprachheilpädagogik - ÖGS
... Jeder literarische Beitrag in diesem Buch, selbst die kurzen Miniaturen; geben einen tiefen Einblick in die Seele eines Menschen und dessen ganz individuellem Umgang mit seinem Handikap. Manche Erzählungen sind spannend wie gute Krimis, und man möchte das Buch erst weglegen, wenn man am Ende angelangt ist. Und dennoch kann man es auch als Lehrbuch bezeichnen. Denn es vermittelt jedem Menschen mit Empathie ein Wissen über das Phänomen „Stottern“, das sich zwar nicht als Faktenwissen bezeichnen lässt, aber einem Verstehen aus eigener Erfahrung sehr nahe kommt.

Beate Winkler

aus: PathoLink, Heft 22, 12. Jahrgang, 1/2013
Zeitschrift des Verbandes für Patholinguistik e.V.
Das kleine handliche Taschenbuch von Gerd Riese ist kein Klassisches Fachbuch. Es ist mehr: Erzählungen aus dem Leben stotternder Menschen, wie der Untertitel verlauten lässt. …

… Neben literarischen Portraits zu den berühmten Stotterern Marc Chagall, Marilyn Monroe oder King George erfährt man aber auch viele Details über die Realität des Lebens von nicht-berühmten Menschen die Stottern. Gerd Riese empfiehlt sein Buch denjenigen, deren „Leben manchmal nicht recht in Fluss kommt, man ins Stocken gerät, es nicht so läuft“, wie sie gerne wollen und die eine „Balance zwischen Akzeptanz und Widerstand“ suchen.

Dem kann ich mich nur anschließen, denn man erfährt Details, die einem ein Fachbuch zu Redeflussstörungen nur bedingt bieten kann.

Marie Zielina, Potsdam

aus: Sprache – Stimme – Gehör (Bücherecke), Januar 2013 (Quelle: www.thieme.de)
... Aufgelockert wird das Werk durch eine Vielzahl fotografischer Porträts. Gerd Riese, der sich selbst als „geübten Stotterer“ bezeichnet, beschreibt abwechslungsreich, authentisch und teilweise berührend verschiedene Wege der Auseinandersetzung mit dem Stottern. Ein Buch nicht nur für Menschen, die stottern, sondern ganz sicher für alle, die „sich immer wieder der Herausforderung einer Balance zwischen Akzeptanz und Widerstand stellen“, wie es der Autor in seinem Vorwort empfiehlt.

Birte Rippken, Hannover

aus: Forum Logopädie Heft 5, September 2012
... Beschrieben wird ein breites Spektrum der Auswirkungen des Stotterns, des Leidens daran und auch der Bewältigung dessen, was in einigen Erzählungen und persönlichen Aussagen in ihrer Intensität unter die Haut gehen kann. Thematisiert werden unterschiedliche Lebensbereiche wie z. B. Kindheitserinnerungen, erste Liebe, Prüfungen, Berufswahl und berufliche Herausforderungen, die Stotterer-Selbsthilfegruppe und Therapieerfahrungen. Zusammenfassend „handelt es vom großen Trotzalledem, vom Mut, mitunter gar vom Glück.“
... Authentizität und Alltagsnähe bekommt das Buch durch diverse Beiträge von Teilnehmern vieler Stotterer-Selbsthilfegruppen. Zudem werden auch autobiografische Einflüsse des Autors deutlich, der sich selbst als „geübten Stotterer“ bezeichnet.
Zusammengefasst ist dies ein gelungenes Buch, das vor allem zur Auseinandersetzung mit der Thematik des Stotterns in der Therapie und Ausbildung gewinnbringend eingesetzt werden kann.

Anika Behrens, Münster

aus: Der Kieselstein, Heft 3, August 2012
Nicht nur beim Krimi lässt man sich gelegentlich von der Neugier hinreißen. Auch bei der Lektüre von Gerd Rieses Buch „King Goerge, Chagall, die Monroe und wir“ konnte ich es nicht lassen, während des Lesens hinten reinzuschauen. Dort fand ich ein Gedicht vor, das mir sehr aufschlussreich erschien. Es beginnt mit den Sätzen: „Beim Schreiben sah ihm keiner über die Schulter. Keine Mutter, kein Vater, kein Bruder, keine Schwester. Schreibend war er allein und stark.“ Drei Sätze, die viel verraten. Sie geben Einblick in tiefere Beweggründe des Schreibens, und zwar in die Zeit, bevor der Autor Schreibender wurde. Es scheint, als ob sich der der Autor als Kind in seinen Äußerungen außergewöhnlich stark beobachtet gefühlt hat, sich nicht seiner sicher war, sich für sprachliche Äußerungen geschämt und vor der Bewertung dessen, was er aussprach, geängstigt hat. So mag ein Schweigen entstanden sein, hinter dessen ruhiger Kulisse ein unübersichtliches Schlachtfeld getobt hat, das sein Stottern erregt haben könnte. Zumindest mir geht das so.
Mit sieben Jahren fängt bei Gerd Riese die Lust zu lesen an. Mit vierzehn arbeitet er, lesesüchtig geworden, in der Ausleihe der örtlichen Bücherei. Tausende Bücher hat er verschlungen. Mit der Entdeckung der schriftlichen Sprachwelt kommen seine verschütteten Ausdrucksmöglichkeiten in Bewegung und er beginnt selbst zu schreiben. Zunächst Tagebücher. Heute füllen 80 Bände sein Regal. Dann versucht er sich als Autor. Viel landet im Papierkorb, aber Gerd Riese bleibt, wie es seine Natur ist, konsequent und beginnt immer wieder von Neuem. Nach und nach macht er die Beobachtung, dass beim Schreiben die eigenen „Bruchstücke bösartiger Laute“ zerfallen, sich selbst die gesprochenen Sätze nicht mehr wie „Stotterruinen“ anfühlen. Er schließt einen „Geheimbund“ mit den Wörtern ab, tritt mit ihnen „in einen freundschaftlichen Zweikampf“, bekommt mehr und mehr Boden unter seine Füße, wird sicherer. Gelungene Formulierungen, elegante Wendungen kommen immer öfter. Sie sind für ihn „ein Triumpf – über tausend Niederlagen, über die Angst vor der Angst, vor dem einfachsten der Welt: zu sprechen.“ Schließlich bringt er einen Lyrikband heraus, bekommt dafür einen Preis und schließlich kommt das zweite Buch: „King George, Chagall, die Monroe und wir“. Und in dem Gedicht, am Ende dieses Buches, heißt es: „Endlich auf der Siegerstraße.“ Eine Bestätigung für meine Vermutung, dass es sich in dunkler Seelentiefe um einen besonders kraftraubenden Krieg, um Sieg und Niederlage gehandelt haben könnte. Der Sieg gelang ihm nicht im Sturm, es war oft ein mörderischer, lähmender Kampf. Nun, mit 61 Jahren, kann er befreit sagen: Jetzt liebt ich meine Wörter. Sie sind ich. Sie gefallen mit. Er fühlt sich deren Verwendung nicht mehr beobachtet, sondern beobachtet sie. Und am Ende des Gedichtes heißt es schmunzelnd: „Er schrieb und schrieb, feierte und schmeichelte sich selbst und keiner sah ihm über die Schulter.“
Gerd Riese hat sich den durch das Stottern verschütteten Zugang zur Welt der Sprache schreibend erobert. Wenn man ihm heute begegnet, strahlt er ausgedehnte Ruhe und bescheidene Ausgeglichenheit aus. Er sagt, jetzt sei er mit sich zufrieden: „Ich bin Stotterer und das ist gut so“. Den Satz wiederholt er gerne und mit Stolz. Denn das Eroberte kann ihm keiner mehr nehmen. Doch damit nicht genug. Gerd Riese steht heute nicht nur zu seinem Stottern, sondern er geht damit und mit seinem Buch sogar auf Lesereise. In dieser Kombination hat das keiner vor ihm gemacht. Und er liest großartig. Ich hab ihn bei seiner ersten öffentlichen Lesung in einer Buchhandlung in Wiesbaden gehört. Seine Stimme kam mir ganz ungekünstelt vor. Ich konnte ihm viel besser zuhören als so manchem Schauspieler, der mit seiner monoton gespreizten Art endlose Hörbücher füllt. Aufregend natürlich, Gerd Rieses Spur zu folgen, die seine verzögerten Konsonanten hinterlassen.
In seinem neuen Buch geht es durchweg um Stotterer, die den Kampf gegen das „Monster Stottern“ aufgenommen und schon deshalb gewonnen haben. Endgültig, sagt er, schafft es keiner. Viele seiner großen und kleinen Heldengeschichten sind autobiographisch durchsetzte kleine Miniaturen, Nachzeichnungen gewonnener Mutproben oder durchgestandener Niederlagen, übertragen auf erfundene oder reale Figuren. Rieses große Vorbilder sind berühmte Schriftsteller, Drehbuchautoren, Maler, Philosophen, Politiker und Schauspieler. Allesamt Stotterer. Er bewundert Marc Chagall, dessen Motto „Lieber Narr als ein schlechter Mensch“ ihn durchs Leben getragen hat, den Drehbuchautor des Films „The Kings Speech“, der als Stotterer seinen Lebenstraum erfüllen konnte, nur der stotternden Schauspielerin Marilyn Monroe gegenüber versagt er seine Anerkennung. „Nein, Marilyn ist kein Vorbild für mich“ titelt er das Kapitel über sie. Mit ihrem Flüstersex habe sie zwar das Stottern in den Griff bekommen, aber sie sei damit nicht klargekommen und sei, um den Anforderungen zu genügen und zu ertragen, den Drogen verfallen. Der Regieassistent von John Houston, der Marilyn sehr genau bei den Dreharbeiten zum Film „The Misfits“ beobachtet hat, bezeugt, dass Marilyn Drogen nahm, um nicht zu stottern. Wird hier ein Tabu-Thema berührt? Stottern und Drogen? Sicher, wer in der Gesellschaft mitspielen will, zahlt manchmal einen Preis, zuweilen einen hohen. Marilyn gehörte zu den Stotterern, die mit Drogen weniger stottern. In „The Misfits“ spielt sie großartig. Eine hervorragende Charakterdarstellerin. Sie hätte lieber nicht spielen sollen und mit sich und seinem Stottern Frieden schließen sollen. Nun: Marilyn ist keine Desensibilisierungs-Hardlinerin. Aber wie viel Stotterer trinken, um mit dem Stottern zurechtzukommen? Gibt es eine Statistik darüber? Mag sein, dass Marilyn ein Opfer des Hollywood-Kapitalismus geworden ist. Aber müssen wir über sie den Stab brechen? Durfte sie ihren Traum nicht erfüllen, hätte sie zum Stottern stehen müssen? Ich weiß es nicht. Ich denke nur: Wenn Marilyn ein Opfer des Kapitalismus war, dann müssen wir eben den Kapitalismus abschaffen und nicht nur Marilyn die Schuld geben.
Diese kleine Anmerkung soll nicht die Leistung des Autors schmälern, sondern sind eher den Schwächen des Rezensenten zuzuschreiben. Gerd Riese ist ein beharrlicher, konsequenter Mann, der uns voranschreitet und von dem wir alle viel lernen können.

Henning Burk, Frankfurt



aus: Forum Logopädie Heft 5, September 2012.
Beschrieben wird ein breites Spektrum der Auswirkungen des Stotterns, des Leidens daran und auch der Bewältigung dessen, was in einigen Erzählungen und persönlichen Aussagen in ihrer Intensität unter die Haut gehen kann. Thematisiert werden unterschiedliche Lebensbereiche wie z. B. Kindheitserinnerungen, erste Liebe, Prüfungen, Berufswahl und berufliche Herausforderungen, die Stotterer-Selbsthilfegruppe und Therapieerfahrungen. Zusammenfassend „handelt es vom großen Trotzalledem, vom Mut, mitunter gar vom Glück.“. Authentizität und Alltagsnähe bekommt das Buch durch diverse Beiträge von Teilnehmern vieler Stotterer-Selbsthilfegruppen. Zudem werden auch autobiografische Einflüsse des Autors deutlich, der sich selbst als „geübten Stotterer“ bezeichnet.Zusammengefasst ist dies ein gelungenes Buch, das vor allem zur Auseinandersetzung mit der Thematik des Stotterns in der Therapie und Ausbildung gewinnbringend eingesetzt werden kann.Anika Behrens, Münsteraus: Der Kieselstein, Heft 3, August 2012Nicht nur beim Krimi lässt man sich gelegentlich von der Neugier hinreißen. Auch bei der Lektüre von Gerd Rieses Buch „King Goerge, Chagall, die Monroe und wir“ konnte ich es nicht lassen, während des Lesens hinten reinzuschauen. Dort fand ich ein Gedicht vor, das mir sehr aufschlussreich erschien. Es beginnt mit den Sätzen: „Beim Schreiben sah ihm keiner über die Schulter. Keine Mutter, kein Vater, kein Bruder, keine Schwester. Schreibend war er allein und stark.“ Drei Sätze, die viel verraten. Sie geben Einblick in tiefere Beweggründe des Schreibens, und zwar in die Zeit, bevor der Autor Schreibender wurde. Es scheint, als ob sich der der Autor als Kind in seinen Äußerungen außergewöhnlich stark beobachtet gefühlt hat, sich nicht seiner sicher war, sich für sprachliche Äußerungen geschämt und vor der Bewertung dessen, was er aussprach, geängstigt hat. So mag ein Schweigen entstanden sein, hinter dessen ruhiger Kulisse ein unübersichtliches Schlachtfeld getobt hat, das sein Stottern erregt haben könnte. Zumindest mir geht das so.Mit sieben Jahren fängt bei Gerd Riese die Lust zu lesen an. Mit vierzehn arbeitet er, lesesüchtig geworden, in der Ausleihe der örtlichen Bücherei. Tausende Bücher hat er verschlungen. Mit der Entdeckung der schriftlichen Sprachwelt kommen seine verschütteten Ausdrucksmöglichkeiten in Bewegung und er beginnt selbst zu schreiben. Zunächst Tagebücher. Heute füllen 80 Bände sein Regal. Dann versucht er sich als Autor. Viel landet im Papierkorb, aber Gerd Riese bleibt, wie es seine Natur ist, konsequent und beginnt immer wieder von Neuem. Nach und nach macht er die Beobachtung, dass beim Schreiben die eigenen „Bruchstücke bösartiger Laute“ zerfallen, sich selbst die gesprochenen Sätze nicht mehr wie „Stotterruinen“ anfühlen. Er schließt einen „Geheimbund“ mit den Wörtern ab, tritt mit ihnen „in einen freundschaftlichen Zweikampf“, bekommt mehr und mehr Boden unter seine Füße, wird sicherer. Gelungene Formulierungen, elegante Wendungen kommen immer öfter. Sie sind für ihn „ein Triumpf – über tausend Niederlagen, über die Angst vor der Angst, vor dem einfachsten der Welt: zu sprechen.“ Schließlich bringt er einen Lyrikband heraus, bekommt dafür einen Preis und schließlich kommt das zweite Buch: „King George, Chagall, die Monroe und wir“. Und in dem Gedicht, am Ende dieses Buches, heißt es: „Endlich auf der Siegerstraße.“ Eine Bestätigung für meine Vermutung, dass es sich in dunkler Seelentiefe um einen besonders kraftraubenden Krieg, um Sieg und Niederlage gehandelt haben könnte. Der Sieg gelang ihm nicht im Sturm, es war oft ein mörderischer, lähmender Kampf. Nun, mit 61 Jahren, kann er befreit sagen: Jetzt liebt ich meine Wörter. Sie sind ich. Sie gefallen mit. Er fühlt sich deren Verwendung nicht mehr beobachtet, sondern beobachtet sie. Und am Ende des Gedichtes heißt es schmunzelnd: „Er schrieb und schrieb, feierte und schmeichelte sich selbst und keiner sah ihm über die Schulter.“Gerd Riese hat sich den durch das Stottern verschütteten Zugang zur Welt der Sprache schreibend erobert. Wenn man ihm heute begegnet, strahlt er ausgedehnte Ruhe und bescheidene Ausgeglichenheit aus. Er sagt, jetzt sei er mit sich zufrieden: „Ich bin Stotterer und das ist gut so“. Den Satz wiederholt er gerne und mit Stolz. Denn das Eroberte kann ihm keiner mehr nehmen. Doch damit nicht genug. Gerd Riese steht heute nicht nur zu seinem Stottern, sondern er geht damit und mit seinem Buch sogar auf Lesereise. In dieser Kombination hat das keiner vor ihm gemacht. Und er liest großartig. Ich hab ihn bei seiner ersten öffentlichen Lesung in einer Buchhandlung in Wiesbaden gehört. Seine Stimme kam mir ganz ungekünstelt vor. Ich konnte ihm viel besser zuhören als so manchem Schauspieler, der mit seiner monoton gespreizten Art endlose Hörbücher füllt. Aufregend natürlich, Gerd Rieses Spur zu folgen, die seine verzögerten Konsonanten hinterlassen.In seinem neuen Buch geht es durchweg um Stotterer, die den Kampf gegen das „Monster Stottern“ aufgenommen und schon deshalb gewonnen haben. Endgültig, sagt er, schafft es keiner. Viele seiner großen und kleinen Heldengeschichten sind autobiographisch durchsetzte kleine Miniaturen, Nachzeichnungen gewonnener Mutproben oder durchgestandener Niederlagen, übertragen auf erfundene oder reale Figuren. Rieses große Vorbilder sind berühmte Schriftsteller, Drehbuchautoren, Maler, Philosophen, Politiker und Schauspieler. Allesamt Stotterer. Er bewundert Marc Chagall, dessen Motto „Lieber Narr als ein schlechter Mensch“ ihn durchs Leben getragen hat, den Drehbuchautor des Films „The Kings Speech“, der als Stotterer seinen Lebenstraum erfüllen konnte, nur der stotternden Schauspielerin Marilyn Monroe gegenüber versagt er seine Anerkennung. „Nein, Marilyn ist kein Vorbild für mich“ titelt er das Kapitel über sie. Mit ihrem Flüstersex habe sie zwar das Stottern in den Griff bekommen, aber sie sei damit nicht klargekommen und sei, um den Anforderungen zu genügen und zu ertragen, den Drogen verfallen. Der Regieassistent von John Houston, der Marilyn sehr genau bei den Dreharbeiten zum Film „The Misfits“ beobachtet hat, bezeugt, dass Marilyn Drogen nahm, um nicht zu stottern. Wird hier ein Tabu-Thema berührt? Stottern und Drogen? Sicher, wer in der Gesellschaft mitspielen will, zahlt manchmal einen Preis, zuweilen einen hohen. Marilyn gehörte zu den Stotterern, die mit Drogen weniger stottern. In „The Misfits“ spielt sie großartig. Eine hervorragende Charakterdarstellerin. Sie hätte lieber nicht spielen sollen und mit sich und seinem Stottern Frieden schließen sollen. Nun: Marilyn ist keine Desensibilisierungs-Hardlinerin. Aber wie viel Stotterer trinken, um mit dem Stottern zurechtzukommen? Gibt es eine Statistik darüber? Mag sein, dass Marilyn ein Opfer des Hollywood-Kapitalismus geworden ist. Aber müssen wir über sie den Stab brechen? Durfte sie ihren Traum nicht erfüllen, hätte sie zum Stottern stehen müssen? Ich weiß es nicht. Ich denke nur: Wenn Marilyn ein Opfer des Kapitalismus war, dann müssen wir eben den Kapitalismus abschaffen und nicht nur Marilyn die Schuld geben.Diese kleine Anmerkung soll nicht die Leistung des Autors schmälern, sondern sind eher den Schwächen des Rezensenten zuzuschreiben. Gerd Riese ist ein beharrlicher, konsequenter Mann, der uns voranschreitet und von dem wir alle viel lernen können.Henning Burk, Frankfurt aus: Sprache – Stimme – Gehör (Bücherecke), Januar 2013 (Quelle: www.thieme.de). Aufgelockert wird das Werk durch eine Vielzahl fotografischer Porträts. Gerd Riese, der sich selbst als „geübten Stotterer“ bezeichnet, beschreibt abwechslungsreich, authentisch und teilweise berührend verschiedene Wege der Auseinandersetzung mit dem Stottern. Ein Buch nicht nur für Menschen, die stottern, sondern ganz sicher für alle, die „sich immer wieder der Herausforderung einer Balance zwischen Akzeptanz und Widerstand stellen“, wie es der Autor in seinem Vorwort empfiehlt.
Birte Rippken, Hannover


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Gerd Riese: King George, Chagall, die Monroe und wir
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Beschreibung
Gerd Riese
King George, Chagall, die Monroe und wir
Erzählungen aus dem Leben stotternder Menschen

Demosthenes Verlag, Köln, 2012, 222 Seiten

Normalpreis: 14,80 € | BVSS-Mitglieder: 10,80 €
Preis = Schutzgebühr

ISBN 978-3-921897-67-6


Ein Buch mit fesselnd erzählten Geschichten, die Mut machen, mit dem Handicap Stottern kämpferisch und zugleich gelassen umzugehen.
Geschichten von ganz normalen Menschen, die nebenan wohnen könnten, aber auch von stotternden Prominenten wie Marc Chagall, Marilyn Monroe, Ludwig Wittgenstein, Maxie Wander, David Seidler und anderen.
Spannende Geschichten vom Jetzt-erst-recht. Und: vom Glück.

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Inhaltsverzeichnis

. . 4 . Vorwort
. . 6 . Der berühmteste Stotterer der Welt (King George und David Seidler)
. 18 . Die Ausschreitung
. 28 . Ismael
. 32 . Miniaturen I
. 37 . Die Zeit ist ein Fluss ohne Ufer (Marc Chagall)
. 54 . Zweistein angepisst
. 59 . Bj-Björn
. 61 . Hanebüchen
. 65 . Mein Name ist
. 66 . Miniaturen II
. 71 . Nein, Marilyn ist kein Vorbild für mich (Marilyn Monroe)
. 76 . Ein Wunsch
105 . Cuba Libre
107 . Miniaturen III
112 . Herr Bundeskanzler, noch ein paar ganz persönliche Fragen (Malte Spitz)
120 . Die Gruppe
132 . Frank auf den Fotos
142 . Miniaturen IV
147 . Wovon man nicht sprechen kann (Ludwig Wittgenstein)
163 . Maximilan heißt noch Maximilian
167 . Hass, das war früher
169 . Ich bin
174 . Miniaturen V
179 . Psst! Sonst kommt Papa ins KZ! (Maxie Wander)
203 . Ein glücklicher Tag
207 . Sieh mich an, wenn Du mit mir sprichst
208 . Nachworte
216 . Informationen zur Stotterer-Selbsthilfe NRW, zur BVSS und zum Demosthenes-Verlag


Vorwort oder Warum Sie dieses Buch lesen sollten

Wenn Sie selbst nicht stottern und auch nicht einer Ihrer Freunde oder Verwandten –
warum in aller Welt sollten Sie dann dieses Buch lesen?
Millionen Menschen auf der Welt haben den Film The King’s Speech gesehen und waren tief berührt von dem Kampf des britischen Königs George VI mit seinem Handicap. Millionen Menschen, die nicht stottern.
Vier Oscars konnte The King’s Speech 2011 gewinnen, u. a. David Seidler für das beste Drehbuch. Von der schicksalhaften Verknüpfung seines bewegten Lebens mit der Biografie King George VI können Sie in der Erzählung Der berühmteste Stotterer der Welt lesen. Aber auch andere prominente Stotterer werden literarisch porträtiert: Der Maler Marc Chagall, die Schauspielerin Marilyn Monroe, der Philosoph Ludwig Wittgenstein, die Schriftstellerin Maxie Wander und der Politiker Malte Spitz.
Wenn auch Ihr Leben manchmal nicht recht in Fluss kommt, ins Stocken gerät, es nicht so läuft, wie Sie gerne möchten, wenn vielleicht auch Sie immer wieder herausgefordert sind zur Balance zwischen Akzeptanz und Widerstand – dann lesen Sie dieses Buch! Denn es handelt vom großen Trotzalledem, vom Mut, mitunter gar vom Glück.
Ich besuchte Selbsthilfegruppen in Bonn, Düsseldorf, Köln, Dortmund, Bielefeld, Finnentrop, Kleve, Münster und Göttingen. Dort gab es keine prominenten Namen, aber spannende Erfahrungen: Stotternde ließen mich während langer Abende teilhaben an ihrer Auseinandersetzung mit einem kleinen großen Handicap. Jetzt erst recht! Reiche Impulse flossen in die Miniaturen ein oder bildeten den Stoff für eigenständige dramatische Erzählungen.
Natürlich ist zudem manches auch autobiografisch grundiert. Warum auf einen Schatz von sechs Jahrzehnten Stotterer-Erfahrung verzichten?
Meine Besuche in den Gruppen wurden begleitet von Ilona Richter. Ihre einfühlsamen fotografischen Porträts finden sich bei den fünf Kapiteln der Miniaturen. Die abgebildeten Menschen sind nicht unbedingt identisch mit den Protagonisten. Namen und Umstände sind, von historischen Personen abgesehen, in allen Erzählungen frei erfunden.

Gerd Riese


Autor

Gerd Riese, wurde 1950 in Kettwig an der Ruhr geboren und arbeitete lange als Sonderschullehrer für sogenannte geistigbehinderte Kinder an einer Privatschule in Dortmund. Zugleich war er immer auch als Schriftsteller tätig. 2006 erhielt er den 1. Preis im Lyrik-Wettbewerb der Rauner-Stiftung für seinen Gedichtband 'Das Licht am frühen Morgen' (Grupello-Verlag Düsseldorf). Er lebt heute als freier Autor in Witten.
Gerd Riese weiß, wovon der schreibt, er ist selbst - ein geübter Stotterer.


Rezensionen und Meinungen

aus: mit SPRACHE, Heft 1, Jänner 2014, 46. Jahrgang
Fachzeitschrift für Sprachheilpädagogik und angrenzende Disziplinen
Zeitschrift der Österreichischen Gesellschaft für Sprachheilpädagogik - ÖGS

... Jeder literarische Beitrag in diesem Buch, selbst die kurzen Miniaturen; geben einen tiefen Einblick in die Seele eines Menschen und dessen ganz individuellem Umgang mit seinem Handikap. Manche Erzählungen sind spannend wie gute Krimis, und man möchte das Buch erst weglegen, wenn man am Ende angelangt ist. Und dennoch kann man es auch als Lehrbuch bezeichnen. Denn es vermittelt jedem Menschen mit Empathie ein Wissen über das Phänomen „Stottern“, das sich zwar nicht als Faktenwissen bezeichnen lässt, aber einem Verstehen aus eigener Erfahrung sehr nahe kommt.

Beate Winkler

aus: PathoLink, Heft 22, 12. Jahrgang, 1/2013
Zeitschrift des Verbandes für Patholinguistik e.V.

Das kleine handliche Taschenbuch von Gerd Riese ist kein Klassisches Fachbuch. Es ist mehr: Erzählungen aus dem Leben stotternder Menschen, wie der Untertitel verlauten lässt. …

… Neben literarischen Portraits zu den berühmten Stotterern Marc Chagall, Marilyn Monroe oder King George erfährt man aber auch viele Details über die Realität des Lebens von nicht-berühmten Menschen die Stottern. Gerd Riese empfiehlt sein Buch denjenigen, deren „Leben manchmal nicht recht in Fluss kommt, man ins Stocken gerät, es nicht so läuft“, wie sie gerne wollen und die eine „Balance zwischen Akzeptanz und Widerstand“ suchen.

Dem kann ich mich nur anschließen, denn man erfährt Details, die einem ein Fachbuch zu Redeflussstörungen nur bedingt bieten kann.

Marie Zielina, Potsdam

aus: Sprache – Stimme – Gehör (Bücherecke), Januar 2013

... Aufgelockert wird das Werk durch eine Vielzahl fotografischer Porträts. Gerd Riese, der sich selbst als „geübten Stotterer“ bezeichnet, beschreibt abwechslungsreich, authentisch und teilweise berührend verschiedene Wege der Auseinandersetzung mit dem Stottern. Ein Buch nicht nur für Menschen, die stottern, sondern ganz sicher für alle, die „sich immer wieder der Herausforderung einer Balance zwischen Akzeptanz und Widerstand stellen“, wie es der Autor in seinem Vorwort empfiehlt.

Birte Rippken, Hannover
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aus: Forum Logopädie Heft 5, September 2012

... Beschrieben wird ein breites Spektrum der Auswirkungen des Stotterns, des Leidens daran und auch der Bewältigung dessen, was in einigen Erzählungen und persönlichen Aussagen in ihrer Intensität unter die Haut gehen kann. Thematisiert werden unterschiedliche Lebensbereiche wie z. B. Kindheitserinnerungen, erste Liebe, Prüfungen, Berufswahl und berufliche Herausforderungen, die Stotterer-Selbsthilfegruppe und Therapieerfahrungen. Zusammenfassend „handelt es vom großen Trotzalledem, vom Mut, mitunter gar vom Glück.“
... Authentizität und Alltagsnähe bekommt das Buch durch diverse Beiträge von Teilnehmern vieler Stotterer-Selbsthilfegruppen. Zudem werden auch autobiografische Einflüsse des Autors deutlich, der sich selbst als „geübten Stotterer“ bezeichnet.
Zusammengefasst ist dies ein gelungenes Buch, das vor allem zur Auseinandersetzung mit der Thematik des Stotterns in der Therapie und Ausbildung gewinnbringend eingesetzt werden kann.

Anika Behrens, Münster
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aus: Der Kieselstein, Heft 3, August 2012

Nicht nur beim Krimi lässt man sich gelegentlich von der Neugier hinreißen. Auch bei der Lektüre von Gerd Rieses Buch „King Goerge, Chagall, die Monroe und wir“ konnte ich es nicht lassen, während des Lesens hinten reinzuschauen. Dort fand ich ein Gedicht vor, das mir sehr aufschlussreich erschien. Es beginnt mit den Sätzen: „Beim Schreiben sah ihm keiner über die Schulter. Keine Mutter, kein Vater, kein Bruder, keine Schwester. Schreibend war er allein und stark.“ Drei Sätze, die viel verraten. Sie geben Einblick in tiefere Beweggründe des Schreibens, und zwar in die Zeit, bevor der Autor Schreibender wurde. Es scheint, als ob sich der der Autor als Kind in seinen Äußerungen außergewöhnlich stark beobachtet gefühlt hat, sich nicht seiner sicher war, sich für sprachliche Äußerungen geschämt und vor der Bewertung dessen, was er aussprach, geängstigt hat. So mag ein Schweigen entstanden sein, hinter dessen ruhiger Kulisse ein unübersichtliches Schlachtfeld getobt hat, das sein Stottern erregt haben könnte. Zumindest mir geht das so.
Mit sieben Jahren fängt bei Gerd Riese die Lust zu lesen an. Mit vierzehn arbeitet er, lesesüchtig geworden, in der Ausleihe der örtlichen Bücherei. Tausende Bücher hat er verschlungen. Mit der Entdeckung der schriftlichen Sprachwelt kommen seine verschütteten Ausdrucksmöglichkeiten in Bewegung und er beginnt selbst zu schreiben. Zunächst Tagebücher. Heute füllen 80 Bände sein Regal. Dann versucht er sich als Autor. Viel landet im Papierkorb, aber Gerd Riese bleibt, wie es seine Natur ist, konsequent und beginnt immer wieder von Neuem. Nach und nach macht er die Beobachtung, dass beim Schreiben die eigenen „Bruchstücke bösartiger Laute“ zerfallen, sich selbst die gesprochenen Sätze nicht mehr wie „Stotterruinen“ anfühlen. Er schließt einen „Geheimbund“ mit den Wörtern ab, tritt mit ihnen „in einen freundschaftlichen Zweikampf“, bekommt mehr und mehr Boden unter seine Füße, wird sicherer. Gelungene Formulierungen, elegante Wendungen kommen immer öfter. Sie sind für ihn „ein Triumpf – über tausend Niederlagen, über die Angst vor der Angst, vor dem einfachsten der Welt: zu sprechen.“ Schließlich bringt er einen Lyrikband heraus, bekommt dafür einen Preis und schließlich kommt das zweite Buch: „King George, Chagall, die Monroe und wir“. Und in dem Gedicht, am Ende dieses Buches, heißt es: „Endlich auf der Siegerstraße.“ Eine Bestätigung für meine Vermutung, dass es sich in dunkler Seelentiefe um einen besonders kraftraubenden Krieg, um Sieg und Niederlage gehandelt haben könnte. Der Sieg gelang ihm nicht im Sturm, es war oft ein mörderischer, lähmender Kampf. Nun, mit 61 Jahren, kann er befreit sagen: Jetzt liebt ich meine Wörter. Sie sind ich. Sie gefallen mit. Er fühlt sich deren Verwendung nicht mehr beobachtet, sondern beobachtet sie. Und am Ende des Gedichtes heißt es schmunzelnd: „Er schrieb und schrieb, feierte und schmeichelte sich selbst und keiner sah ihm über die Schulter.“
Gerd Riese hat sich den durch das Stottern verschütteten Zugang zur Welt der Sprache schreibend erobert. Wenn man ihm heute begegnet, strahlt er ausgedehnte Ruhe und bescheidene Ausgeglichenheit aus. Er sagt, jetzt sei er mit sich zufrieden: „Ich bin Stotterer und das ist gut so“. Den Satz wiederholt er gerne und mit Stolz. Denn das Eroberte kann ihm keiner mehr nehmen. Doch damit nicht genug. Gerd Riese steht heute nicht nur zu seinem Stottern, sondern er geht damit und mit seinem Buch sogar auf Lesereise. In dieser Kombination hat das keiner vor ihm gemacht. Und er liest großartig. Ich hab ihn bei seiner ersten öffentlichen Lesung in einer Buchhandlung in Wiesbaden gehört. Seine Stimme kam mir ganz ungekünstelt vor. Ich konnte ihm viel besser zuhören als so manchem Schauspieler, der mit seiner monoton gespreizten Art endlose Hörbücher füllt. Aufregend natürlich, Gerd Rieses Spur zu folgen, die seine verzögerten Konsonanten hinterlassen.
In seinem neuen Buch geht es durchweg um Stotterer, die den Kampf gegen das „Monster Stottern“ aufgenommen und schon deshalb gewonnen haben. Endgültig, sagt er, schafft es keiner. Viele seiner großen und kleinen Heldengeschichten sind autobiographisch durchsetzte kleine Miniaturen, Nachzeichnungen gewonnener Mutproben oder durchgestandener Niederlagen, übertragen auf erfundene oder reale Figuren. Rieses große Vorbilder sind berühmte Schriftsteller, Drehbuchautoren, Maler, Philosophen, Politiker und Schauspieler. Allesamt Stotterer. Er bewundert Marc Chagall, dessen Motto „Lieber Narr als ein schlechter Mensch“ ihn durchs Leben getragen hat, den Drehbuchautor des Films „The Kings Speech“, der als Stotterer seinen Lebenstraum erfüllen konnte, nur der stotternden Schauspielerin Marilyn Monroe gegenüber versagt er seine Anerkennung. „Nein, Marilyn ist kein Vorbild für mich“ titelt er das Kapitel über sie. Mit ihrem Flüstersex habe sie zwar das Stottern in den Griff bekommen, aber sie sei damit nicht klargekommen und sei, um den Anforderungen zu genügen und zu ertragen, den Drogen verfallen. Der Regieassistent von John Houston, der Marilyn sehr genau bei den Dreharbeiten zum Film „The Misfits“ beobachtet hat, bezeugt, dass Marilyn Drogen nahm, um nicht zu stottern. Wird hier ein Tabu-Thema berührt? Stottern und Drogen? Sicher, wer in der Gesellschaft mitspielen will, zahlt manchmal einen Preis, zuweilen einen hohen. Marilyn gehörte zu den Stotterern, die mit Drogen weniger stottern. In „The Misfits“ spielt sie großartig. Eine hervorragende Charakterdarstellerin. Sie hätte lieber nicht spielen sollen und mit sich und seinem Stottern Frieden schließen sollen. Nun: Marilyn ist keine Desensibilisierungs-Hardlinerin. Aber wie viel Stotterer trinken, um mit dem Stottern zurechtzukommen? Gibt es eine Statistik darüber? Mag sein, dass Marilyn ein Opfer des Hollywood-Kapitalismus geworden ist. Aber müssen wir über sie den Stab brechen? Durfte sie ihren Traum nicht erfüllen, hätte sie zum Stottern stehen müssen? Ich weiß es nicht. Ich denke nur: Wenn Marilyn ein Opfer des Kapitalismus war, dann müssen wir eben den Kapitalismus abschaffen und nicht nur Marilyn die Schuld geben.
Diese kleine Anmerkung soll nicht die Leistung des Autors schmälern, sondern sind eher den Schwächen des Rezensenten zuzuschreiben. Gerd Riese ist ein beharrlicher, konsequenter Mann, der uns voranschreitet und von dem wir alle viel lernen können.

Henning Burk, Frankfurt

Vorwort oder Warum Sie dieses Buch lesen sollten Wenn Sie selbst nicht stottern und auch nicht einer Ihrer Freunde oder Verwandten – warum in aller Welt sollten Sie dann dieses Buch lesen? Millionen Menschen auf der Welt haben den Film The King’s Speech gesehen und waren tief berührt von dem Kampf des britischen Königs George VI mit seinem Handicap. Millionen Menschen, die nicht stottern. Vier Oscars konnte The King’s Speech 2011 gewinnen, u. a. David Seidler für das beste Drehbuch. Von der schicksalhaften Verknüpfung seines bewegten Lebens mit der Biografie King George VI können Sie in der Erzählung Der berühmteste Stotterer der Welt lesen. Aber auch andere prominente Stotterer werden literarisch porträtiert: Der Maler Marc Chagall, die Schauspielerin Marilyn Monroe, der Philosoph Ludwig Wittgenstein, die Schriftstellerin Maxie Wander und der Politiker Malte Spitz. Wenn auch Ihr Leben manchmal nicht recht in Fluss kommt, ins Stocken gerät, es nicht so läuft, wie Sie gerne möchten, wenn vielleicht auch Sie immer wieder herausgefordert sind zur Balance zwischen Akzeptanz und Widerstand – dann lesen Sie dieses Buch! Denn es handelt vom großen Trotzalledem, vom Mut, mitunter gar vom Glück. Ich besuchte Selbsthilfegruppen in Bonn, Düsseldorf, Köln, Dortmund, Bielefeld, Finnentrop, Kleve, Münster und Göttingen. Dort gab es keine prominenten Namen, aber spannende Erfahrungen: Stotternde ließen mich während langer Abende teilhaben an ihrer Auseinandersetzung mit einem kleinen großen Handicap. Jetzt erst recht! Reiche Impulse flossen in die Miniaturen ein oder bildeten den Stoff für eigenständige dramatische Erzählungen. Natürlich ist zudem manches auch autobiografisch grundiert. Warum auf einen Schatz von sechs Jahrzehnten Stotterer-Erfahrung verzichten? Meine Besuche in den Gruppen wurden begleitet von Ilona Richter. Ihre einfühlsamen fotografischen Porträts finden sich bei den fünf Kapiteln der Miniaturen. Die abgebildeten Menschen sind nicht unbedingt identisch mit den Protagonisten. Namen und Umstände sind, von historischen Personen abgesehen, in allen Erzählungen frei erfunden. Gerd Riese

Die Ausschreitung
30 Jahre liegt das jetzt zurück.
Es gibt noch keine Fahrkartenautomaten. Und deshalb hat Stefan dieses verfluchte Problem.
Er schreitet noch kräftiger aus, seine Füße knallen über den Asphalt. Nicht, weil er es eilig hat. Ihm ist inzwischen egal, wann er ankommt. Er stampft auf vor Wut, mit jedem Schritt stärker. Es beginnt leicht zu nieseln, Stefan schlägt den Jackenkragen hoch. Natürlich ist er viel zu dünn angezogen für eine Oktobernacht.
Im Grunde könnte er längst daheim sein. Wäre er mit dem Zug gefahren. Wäre. Mit diesem Marsch durch die Nacht war nicht zu rechnen.
Wirklich nicht?
Er führt Selbstgespräche, schließlich ist er allein auf dieser Landstraße durchs Bergische Land zwischen Wuppertal und Solingen. Wer läuft hier schon lang, in dieser elenden Provinz, im Dunklen. Mitten in der Woche. Wäre Wochenende, wäre Disco-Time, vielleicht wäre dann ja noch irgendjemand unterwegs.
Einer, der in Wuppertal sein bisschen Geld versoffen hat und jetzt laufen muss, heim, nach Solingen. Was aber sollte er mit einem Discogänger?
Oder schon besser einer Discogängerin? Er verflucht den Konjunktiv.
Stefan traut sich sowieso nicht rein.
Einmal war er tatsächlich drin, einmal. Sah ein Mädchen, sah sie an, lange, heimlich, mit Sehnsucht, wollte sie ansprechen, nahm Anlauf, nahm jeden Mut zusammen und brachte nur heraus: Hallo, ich hei-heiße Scht-Scht-Scht... Gegrinst hatte sie. Ganz blöde gegrinst. Ach, hast wohl vergessen, wie du heißt? Solltest vielleicht weniger saufen. Und sich umgedreht. Er hatte auf das Glas Cola in seiner Hand gestarrt und nicht mehr aufzuschauen gewagt. Ja, er trank Asbach Cola, aber besoffen war er längst nicht, nicht von diesem einen Glas. Vielleicht sollte er sich wirklich besaufen. So richtig.
Er hatte die Disco verlassen. Noch die Erinnerung tat weh. Er trat mit dem Fuß gegen einen der Straßenpfosten, weißer Kunststoff, kurz vor Hahnerberg. Du hast es, dieses Stottern, und Du hasst es. In Wortspielen warst Du immer groß. Aber nicht im Wörtersagen. Ja, es ist ganz okay, die Stotterei zu hassen. Aber musst Du Dich deswegen selber hassen?
Ja, er hasst sich, wenn er nicht mal seinen Namen sagen kann. Oder, wie vorhin nicht, Solingen. SSSSSo-lilililingen. Das S und das L sind Horrorlaute. SO! SO!!! Schrei es raus! Ein 5er-Rhythmus, verdammt noch mal, lang-langkurz-kurz-kurz, SO!-SO!-SO-LIN-GEN! SO!-SO!-SO-LIN-GEN! SO!-SO!-
SO-LIN-GEN! Hört sich fast an wie bei den Studenten, denkt er. Jetzt ein Dreier. Im Rhythmus stampft er auf und skandiert SO!-LIN!-GEN! SO!-LIN!-GEN! SO!-LIN!-GEN! Ohne jedes Stottern brüllt Stefan den Namen der Stadt gegen den Wald, die dunklen, nassen Stämme. Gegen die Erde, die Felsen. Gegen die Blätter, die über die Straße wirbeln, gegen die nächste, ansteigende Kurve. Gegen den aufkommenden Wind. Und schreit: NIE WIEDER!
Ich kann wirklich besser brüllen als sprechen. Hätte ich den Bahnbeamten etwa andonnern sollen? SOLINGEN!!! Oder: LOS, VERDAMMT NOCH MAL, GEBEN SIE MIR ENDLICH EINE FAHRKARTE NACH SOLINGEN, WIRD S BALD!!! Alles Mist. Genauso bescheuert wie mit offenem Mund vor dem Mann zu stehen, um schließlich, irgendwie, SSS-So-lilil-ingen herauszuwürgen. Die Schlange vor dem Fahrkartenschalter war ziemlich lang gewesen. Je näher er vorrückte, desto klarer wusste er: Heute geht nichts. Gar nichts. Er wird Solingen nicht sagen können, vielleicht schäumt ihm der Sabber über die Lippen, wenn er das SSSS rausstößt, oder er fuchtelt mit den Händen rum beim lilili. Soll er es singen? Soll er es brüllen? Soll er es flüstern? Er wird auf jeden Fall wie der letzte Trottel dastehen vor diesem Bahnbeamten. Singen: Sohohoho-lihin-gen. Er setzt tief an, dann ein wenig höher, einen Halbton nur, am Ende wieder runter mit der Stimme. Dis-E-Dis. Das klang doch wie ...? Hey, wie der Anfang von ? Ihm fällt der Song nicht ein. Egal. Hätte er etwa seine Gitarre mitnehmen sollen?

Erscheint lt. Verlag 8.3.2012
Illustrationen Ilona Richter
Sprache deutsch
Maße 135 x 180 mm
Gewicht 370 g
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Literatur Essays / Feuilleton
Medizin / Pharmazie Gesundheitsfachberufe Logopädie
Schlagworte Chagall • King George • Monroe • Selbsthilfe • Selbsthilfegruppe • Stotterer-Selbsthilfe • Stottern • Stotternder • Stottern, King George, Chagall, Monroe, Wittgenstein, Malte Spitz, Behinderung, Geschichten, Selbsthilfe • Stottern; Romane/Erzählungen
ISBN-10 3-921897-67-X / 392189767X
ISBN-13 978-3-921897-67-6 / 9783921897676
Zustand Neuware
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR)
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