Eric und Isolde (eBook)
268 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-8192-0527-9 (ISBN)
Der Autor erblickte 1959 in Augsburg das Licht seiner Welt. Dort besuchte er das Gymnasium bei St. Stephan. Nach seinem Studium der Germanistik und der Psychologie legte er das zweite Staatsexamen in Würzburg ab. Sein Beruf führte ihn in Reha-Kliniken und Psychiatrien für Kinder und Jugendliche. Er ist Vater von drei Kindern, Großvater eines Enkels und lebt mit seiner Frau in Weilheim i. Ob.
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Isolde hatte ein zufriedenes Lächeln im Gesicht. Hatte sich die Beharrlichkeit doch gelohnt! Die offene Wunde an Frau Bemmerls Bein begann sich endlich zu schließen. Seit vielen Wochen war sie damit beschäftigt gewesen. Tägliche Reinigung, antibiotische Salben, Verbände, wochenlang hatte nichts geholfen. Bis Isolde etwas ausprobiert hatte, was sie in einer Fachzeitschrift gelesen hatte: Maden! Es war ein Stück Arbeit gewesen, den Arzt und ihre Chefin davon zu überzeugen, es zu versuchen. Aber da bisher keine von den Standardprozeduren geholfen hatte, waren ihnen die Argumente ausgegangen, den Versuch zu verhindern. Und siehe da: Es wirkte! Die Maden hielten die Wundränder sauber und desinfizierten sie gleich zeitig. Zum Glück ekelte sich Frau Bemmerl nicht so leicht. Sie war über neunzig, hatte in ihrem Leben schon mehr ertragen als ein paar Maden.
Isolde saß in der Straßenbahn, die sie vom Pflegestützpunkt heim bringen sollte. Seit sieben Jahren arbeitete sie nun in der ambulanten Pflege. Es war eine Notlösung gewesen. Nach der Geburt von Parzival wollte sie keinen Schichtdienst mehr machen. Deswegen hatte sie die wesentlich besser bezahlte Stelle als OPSchwester aufgegeben. Zunächst hatte sie es als Abstieg gesehen, nicht nur wegen der schlechteren Bezahlung, sondern auch wegen der fehlenden geistigen Herausforderung. Im OP war immer Höchstleistung gefordert gewesen. Täglich gab es etwas zu lernen. Dabei hatte sie die konzentrierte Zusammenarbeit des Teams geschätzt. Jeder war auf jeden angewiesen. Das war toll gewesen. Sie hatte nur ungern damit aufgehört. Aber inzwischen hatte sie erfahren, dass auch die ganz normale Pflege anspruchsvoll war. Jedenfalls, wenn man es richtig machen wollte. Es gab Kollegen und Kolleginnen, für die war das bloße Routine. Sie machten täglich die selben Handgriffe, als stünden sie am Fließband. Ob sie selbst etwas zur Verbesserung der Situation eines Patienten Offiziell hieß es ja Kunden, denn die Patienten schlossen einen Vertrag mit der Pflegestation, aber Isolde fand das zu geschäftsmäßig. Der Mensch als Mensch stand doch im Mittelpunkt und nicht irgendeine Dienstleistung ob sie also selbst etwas zu deren höherem Wohlbefinden, zur Gesundung beitragen konnten, fragten sie sich überhaupt nicht. Wenn man so arbeitete, verlor man irgendwann auch die Freude am Beruf.
Isolde dagegen hatte erkannt, dass auch die ganz normale Pflege geistig herausfordernd sein konnte. Das betraf nicht nur das Medizinische. Öfter noch war es die soziale Situation, die sie vorfand, die „behandlungsbedürftig“ war. Erwachsene Kinder, selbst nicht weit vom Greisenalter entfernt, die nur darauf warteten, dass sie das Erbe antreten konnten. Die auch in brenzligen Situationen nicht auf die Idee kamen, den Notarzt zu rufen, die weder für die notwendigen Pflegemittel Windeln zum Beispiel noch für die richtigen Lebensmittel sorgten. Noch schlimmer war es natürlich, wenn es keine Angehörigen gab. Jemand wurde als Betreuer bestellt, der schon eine ganze Latte von Betreuungen übernommen hatte. Sonst rechnete sich das nicht. Aber das hieß auch, dass derjenige kaum Zeit für die einzelnen Betreuten hatte. Wegen jedes Termins, wegen jeder Unterschrift, wegen jedes Arztbesuchs musste man sie anrufen. Sie besorgten keine Medikamentenpläne, meldeten nicht, wenn ein Patient wegen eines Krankenhausaufenthaltes aus der Tour herausgenommen werden musste oder brauchten ewig, bis sie den Wohnungsschlüssel brachten, damit man zu einem bettlägerigen Patienten überhaupt vordringen konnte.
Am schlimmsten aber war für diese Menschen die Einsamkeit. Für den Verbandswechsel gab es vielleicht zehn Minuten, die wurden bezahlt. Aber man konnte doch nicht einfach gleich wieder gehen, ohne ein paar Worte zu wechseln, ohne die Katze zu füttern oder einmal durchzulüften.
So wollte Isolde nicht arbeiten. Sie war keine Maschine. Sie kam als Mensch zu den Menschen. Wenn das dann das Programm auf ihrem Handy, das die Tour vorgab, die einzelnen Maßnahmen protokollierte, monierte, war ihr das auch egal. Ein Computerprogramm sollte ihr nicht vorschreiben, wie sie ihre Arbeit zu machen hatte. Und Erfolge wie bei Frau Bemmerl gaben ihr recht. Das anerkannte auch ihre Chefin. Dafür war sie ihr dankbar.
Ihr Dienst fand vor allem vormittags statt, wenn Parzival in der Schule war. Nur selten hatte sie, wie heute, Spätdienst. Da Parzivals Mutter alleinerziehend war, fand sie es umso wichtiger, da zu sein, wenn er nachmittags heim kam. Seinen Vater hatte er noch nie gesehen. Joachim war Assistenzarzt im Klinikum gewesen. Kaum hatte ihm Isolde von ihrer Schwangerschaft erzählt, hatte er sich schon eine Stelle in Berlin besorgt. Idiot! Er wusste nicht einmal, wie sein Sohn hieß. Isoldes Eltern liebten Wagner, diese Liebe hatten sie ihr weitergegeben. Deshalb hatte sie ihren Sohn Parzival genannt und weil er praktisch auch keinen Vater hatte. Die zwei Tage zuvor begonnenen Ferien verbrachte er bei Isoldes Eltern in Dasing, einem Dorf, eine knappe halbe Autostunde entfernt. Wenn er schon keinen Vater hatte, sollte er zumindest möglichst viel Zeit mit seinem Groß vater verbringen, damit sie Jungs-Sachen machen konnten. Isolde fand das wichtig, auch wenn es sie jetzt schon vor Sehnsucht fast zerriss. Sobald sie ein freies Wochenende hatte, würde sie sie besuchen. Aber da ihre Chefin auf ihre Situation meistens Rücksicht nahm, waren die Wochenenden während der Opa-Ferien für Isolde häufig Dienstwochenenden. Dafür hatte sie weniger Wochenenddienste während der Schulzeit.
Es war Zeit auszusteigen. Die letzten Meter würde sie zu Fuß gehen. Sie war müde, vielleicht würde sie sich heute eine Pizza gönnen, dann früh ins Bett gehen. Morgen um fünf war die Nacht vorbei.
Als sie sich ihrem Hauseingang näherte, sah sie dort etwas Unbestimmtes kauern. Es war schon ziemlich dunkel. Das Café nebenan hatte die Lichter ausgeschaltet. Vorbei fahrende Autos strichen mit ihren Lichtfingern über die Wände, eine Straßenlampe ein paar Meter weiter warf schattige Flecken auf Gehweg, Straße und Fassaden.
Beim Näherkommen erschloss sich ihr deutlicher, was dort lag: Füße in Chuks ragten aus der Nische, wo sich der Eingang befand. Ein Obdachloser? Das kam manchmal vor, aber eigentlich nie so früh am Abend. Außerdem sahen die Sportschuhe gepflegt und nicht billig aus. Das musste nichts bedeuten. Aber auch die Kante der Hosenbeine seiner Jeans war nicht abgestoßen. Nach Obdachlosem sah das nicht aus. Ein Betrunkener? Das hätte ihr noch gefehlt! Sie musste an ihm vorbei. Mit Betrunkenen hatte man meistens Ärger, solange sie noch bei Bewusstsein waren. In der Regel wollten sei einen angrapschen. Aber bei Isolde kamen sie da an die Rechte! Sie wusste sich zu wehren. Ihr Job war körperlich anstrengend, sie brauchte Kraft dafür, sie war in Form.
Zögernd kam sie näher. Falls der Typ schlief, wollte sie ihn nicht wecken. Da entdeckte sie die Blutlache, die sich unter einem Bein ausgebreitet hatte. Mein Gott! Der war verletzt! Sie beugte sich zu ihm hinunter. Routiniert kontrollierte sie seine Vitalfunktionen. Der Puls ging zu schnell, die Atmung flach, aber es war noch nicht zu spät. Sie holte ihr Handy hervor, um einen Rettungswagen zu rufen. Da rührte sich die Gestalt. Sie flüsterte etwas. Isolde beugte sich zu dem Verletzten, um ihn zu verstehen. Hübsche Locken hat er! Ein Gedanke, der ihr im Moment absurd erschien, den sie sofort verscheuchte.
„Hören Sie mich?“, fragte sie mit lauter Stimme. „Wie heißen Sie? Haben Sie Schmerzen?“
Der andere schien unwillig oder vor Schmerz das Gesicht zu verziehen. Er schüttelte leicht den Kopf. War das eine Verneinung? Aber der musste doch Schmerzen haben.
„Ich rufe einen Krankenwagen!“
Wieder schüttelte der Mann er schien jünger zu sein als sie den Kopf.
„Sie wollen nicht, dass ich einen Notarzt rufe?“
Der Mann krächzte etwas. Sie musste sich näher zu ihm hinbeugen. Braune Augen! Wie lang seine Wimpern sind! Ihr Ohr näherte sich seinem Mund.
„Keine Polizei!“, verstand sie. Die wollte sie ja sowieso nicht anrufen. Auf den Gedanken war sie noch nicht gekommen. Aber den Notarzt.
„Schusswunde“, krächzte der junge Mann. Sein Gesicht hatte etwas von einem Engel. Dazu die Locken, die braunen Augen. Isolde! Unnütze Gedanken jetzt. Im OP war sie immer konzentriert gewesen. Alles war Technik gewesen. Wer der Patient war, war in dem Augenblick unwichtig gewesen. Nach der Operation hatte sie auch nichts mehr mit den Patienten zu tun gehabt. Sie hatte nicht einmal erfahren, wie es ihnen danach ergangen war, ob sie geheilt oder gestorben waren. Das war wichtig, damit sie im OP funktionieren konnte. Das brauchte sie jetzt auch! Gedanken daran, wie dieser Mann aussah, wer er war, warum er vor ihrer Tür lag, waren zweitrangig. Also reiß dich zusammen!
„Schusswunde?“, fragte sie. „Ich binde sie ab.“ Sie war schon dabei, den breiten Gürtel ihrer Jeans abzunehmen. Der eignete sich gut dafür. Aber sie brauchte noch etwas für einen Pressverband, ein Päckchen Stoff. Ihr TShirt vielleicht? Ja, das konnte gehen. Dann würde sie halt im BH herumsitzen. Es war ja...
| Erscheint lt. Verlag | 12.8.2025 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
| ISBN-10 | 3-8192-0527-6 / 3819205276 |
| ISBN-13 | 978-3-8192-0527-9 / 9783819205279 |
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