Jerry Cotton Sonder-Edition 269 (eBook)
80 Seiten
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-8199-2 (ISBN)
Zwei Fernsehserien wetteiferten um die Gunst des amerikanischen Publikums: Golden Gate und Broadway. Die Konkurrenz war mörderisch. Und dann geschah es. Bei Außenaufnahmen sollte laut Drehbuch ein Golden-Gate-Darsteller erschossen werden. Als die Szene im Kasten war, stand der Mann nicht mehr auf. Er war wirklich erschossen worden. Und er sollte nicht der letzte sein. Denn es war ein Drehbuch voller Morde ...
1
Von der Frau war kaum etwas zu sehen. Halb verdeckt von einer kunstvoll geschnittenen Buchsbaumhecke, stand sie so, dass der fahle Lichtschein einer Peitschenlaterne sie nicht ganz erreichte.
Sie war groß und schlank. Die langen blonden Haare hingen ihr wirr in der Stirn. Ihr Kleid war zerfetzt wie nach einem Kampf. Bis zur Hüfte hinauf reichte der Riss. Der auseinanderklaffende Stoff gab die langen Beine frei. Über der Brust hielten die Fetzen des weißen Leinenkleids gerade noch die Brüste bedeckt.
Etwas Lauerndes, Unberechenbares lag in den großen Augen, die zur im Dunkel liegenden Straße gerichtet waren. Sie stand unbeweglich da wie ein Denkmal. Kalt, starr und leblos, hätte sich der Busen nicht unter dem Atem gehoben und gesenkt.
Deutlich war die Waffe zu sehen, die die Blondine in der Hand hielt. Noch zielte der Lauf gegen den feucht glänzenden Asphalt.
Als dann die aufgeblendeten Scheinwerfer eines Cadillac die Dunkelheit zerrissen und einen Lichtteppich auf die Fahrbahn legten, kam Leben in die bewegungslos dastehende Blondine. Zuerst huschte sie raubtierhaft geschmeidig noch tiefer in den Schatten der Buchsbaumhecke, um nicht vom Scheinwerferlicht eingefangen zu werden. Langsam wie in Zeitlupe hob sie den 38er. Mit der linken Hand strich sie sich die Haare aus der Stirn. Schweiß glänzte auf ihrem Gesicht.
Sie schlug nicht einmal mit den Wimpern. Es war der Ausdruck einer Frau, die gelitten hatte und nun voller Hass war. Voll von tödlichem Hass. Unzweifelhaft wartete sie auf den Mann, der Urheber ihrer Leiden gewesen war. Der Cadillac kam näher und rollte langsam aus. Er hielt zwei Yards von der hinter der Buchsbaumhecke lauernden Blondine entfernt am Straßenrand. Die Scheinwerfer verloschen.
Sekundenlang zeichnete sich der Schatten eines kräftig gebauten dunkelhaarigen Mannes hinter der Windschutzscheibe ab. Die Fahrertür wurde aufgestoßen, die Innenbeleuchtung flammte auf.
Der Mann mit den dunklen Haaren hatte ein scharf geschnittenes, schmallippiges Gesicht. Unsympathisch wäre es auch ohne die Narbe gewesen, die sich von der Nasenwurzel bis zum linken Mundwinkel hinabzog. Die tief liegenden Augen, über denen sich buschige Brauen spannten, strahlten etwas aus, das zur Vorsicht mahnte. Für einen Moment blieb er sitzen. Das Feuerzeug flammte auf, als er sich eine Zigarette anzündete. Im flackernden Widerschein wirkte die Narbe in seinem Gesicht rot und frisch.
Dann stieg er aus. Klatschend fiel die Tür ins Schloss. Der Mann blieb an der Karosserie gelehnt stehen. Dreimal, im Sekundenabstand, leuchtete die Glut der Zigarette auf. Er stieß sich vom Wagen ab und wollte an der Buchsbaumhecke vorbei zur Auffahrt des Hauses. Es stand von der Straße versetzt. Ein parkähnlicher Garten lag davor. Die weiße Fassade wirkte wie ein Fremdkörper in der Gegend.
Einen Schritt weit kam der Mann. Mit einem Ruck blieb er stehen, und seine Augen weiteten sich. Die Blondine trat hinter der Hecke hervor. Sie stand voll im Lichtschein der Peitschenlaterne. Ihr starrer Blick ruhte mitleidlos auf dem großen dunkelhaarigen Mann. Sie hob die Waffe, nahm sie in beide Hände und schüttelte den Kopf, als der Mann etwas sagen wollte.
»Zu spät, Johnny«, sagte sie mit leiser, aber zwingender Stimme. »Blake hat wirklich alles versucht, doch er hat mich nicht festhalten können. Jetzt liegt er drin.«
Ein Ruck lief durch den Körper des breitschultrigen Mannes. Die Blondine lachte. Es klang unsicher und hektisch. Trotz der Waffe, mit der sie den Mann bedrohte, hatte sie Angst. Deutlich war das aus ihrem bleichen Gesicht herauszulesen. Die Waffe in ihrer Hand zitterte. Sie bewegte sich schwankend von rechts nach links.
Der Mann zog den Kopf zwischen die Schultern. Noch einmal glühte die Narbe in seinem Gesicht und verriet, dass er nicht einfach stehen bleiben und sich erschießen lassen würde. Er wollte vielmehr die Unsicherheit der Frau ausnutzen, um das Blatt zu seinen Gunsten zu wenden. Mit einem Riesenschritt versuchte er, die Frau zu erreichen, um die Waffe beiseite zuschlagen.
Die Frau schoss. Die Waffe bäumte sich in ihrer Hand auf, und ihr Gesicht bekam einen panischen Ausdruck. Wie von einer unsichtbaren Faust getroffen, wurde der dunkelhaarige Mann zurückgeschleudert. Krachend schlug er gegen die Karosserie des Cadillac. Er versuchte, einen Schrei auszustoßen. Es wurde ein unartikulierter, gurgelnder Laut. Ihm knickten die Beine ein. Wie ein Stein stürzte er auf den nassen Asphalt und blieb bewegungslos liegen.
»Aus und schneiden!«
Scheinwerfer flammten auf. Die Kamera, die auf einen Schlitten montiert war, rollte zurück.
»Das war einfach fantastisch, Maggie!«
Burt Parker, der Regisseur der Fernsehserie Golden Gate, übertrieb diesmal nicht, wie es sonst seine Art war. Ich war genauso beeindruckt wie der ganze technische Aufnahmestab. Realistischer konnte sich eine solche Szene auch nicht im richtigen Leben abspielen.
»Wirklich, Maggie ...«
In diesem Moment begann Maggie Ferries, einer der weiblichen Stars von Golden Gate, zu schreien. Sie ließ die Waffe fallen und schlug sich in einem hysterischen Anfall die Hände vors Gesicht. Der zerfetzte Leinenstoff des Kleids fiel so weit auseinander, dass ihre Brüste bloßlagen.
In dieser Sekunde interessierte sich niemand dafür. Selbst die Pressefotografen, die den Außenaufnahmen beiwohnten, vergaßen die Auslöser zu drücken und verpassten damit die einmalige Chance, als erste Maggie Ferries mit nacktem Busen zu fotografieren.
Alle Blicke richteten sich auf den großen dunkelhaarigen Mann, der Sam Sommer war. Er hatte am Nachmittag auf der Pressekonferenz angekündigt, dass er sich mit einem stilvollen Abgang aus der Golden-Gate-Produktion verabschieden wolle.
Wie recht er damit behielt, hatte Sommer da nicht wissen können. Sommers Abschied war endgültig. Er war tot.
Maggie Ferries brach zusammen.
Ich schob die Leute des zweiten Aufnahmestabs brüsk beiseite und stürmte nach vorne. Als Erster erreichte ich den Cadillac. Erst jetzt reagierten die Bildreporter der Zeitschriften und Tageszeitungen, die beinahe täglich von den Außenaufnahmen berichteten und den üblichen Hinter-der-Kamera-Klatsch an den Leser brachten. Ein wahres Gewitter von Blitzlichtern prasselte auf mich nieder.
Das ganze Aufnahmeteam setzte sich beinahe gleichzeitig in Bewegung. Abwehrend streckte ich die Hände nach vorne.
»FBI!«, schrie ich den Filmleuten entgegen. »Jeder bleibt auf seinem Platz!«
Genauso gut hätte ich gegen eine Brandung anreden können. Man kannte mich nicht. Vielleicht hielten sie mich für einen Spinner, der sich wichtigmachen wollte. Solche Leute fanden sich auch bei Außenaufnahmen ein, immer darauf aus, wenigstens einmal im Rampenlicht zu stehen.
Die Leute näherten sich wie eine unheilvolle Phalanx aus Menschenleibern.
»FBI! Jeder bleibt auf seinem Platz!«
»Habt ihr das nicht verstanden, ihr Idioten?«
Burt Parkers Stimme übertönte meine um einige Lautstärken. Und sie hatte hier bei Weitem mehr Gewicht. Die Menschen blieben stehen. Selbst die Reporter vergaßen, weiter auf die Auslöser zu drücken.
»Alles zurück auf seinen Platz!«
Ich kniete mich neben Sam Sommer nieder. Obgleich seine weit aufgerissenen Augen starr in den kalifornischen Nachthimmel gerichtet waren, tastete ich nach dem Puls seiner Halsschlagader. Nichts bewegte sich unter meinen Fingern.
»Einen Krankenwagen und die Polizei!«, rief ich Parker zu.
Parker gab es weiter.
Ich richtete mich auf und ging zu Maggie Ferries, die auf dem Gehsteig unter der Peitschenlaterne kauerte, den Kopf zwischen den Händen barg und schluchzte. Sie schrie nur deshalb nicht, weil sie die Zähne in den rechten Handballen gegraben hatte.
Ein Yard von ihr entfernt lag der unglückselige 38er auf der Straße. Eine Waffe, die mit Blindmunition geladen sein sollte.
Ich legte dem Star der Golden-Gate-Serie den Arm um die Schultern.
»In Ordnung«, sagte ich, weil mir in diesem Moment nichts anderes einfiel. »In Ordnung, Maggie.«
Sie hob das Gesicht aus den Handflächen und starrte mich fassungslos an. Dann huschte ihr Blick zu Sam Sommer. Sie sah seine gebrochenen Augen und verlor das Bewusstsein.
Ich fing sie gerade noch auf und ließ sie sanft auf den nassen Asphalt gleiten.
Burt Parker kam als Einziger in meine Nähe. Er war unnatürlich bleich. Schweiß rann in Strömen über sein Gesicht. Mit einer hilflosen Geste rieb er sich die Augen.
»Das ... das kann und will ich nicht glauben«, stammelte er leise. »Mein Gott ...« Er griff nach den Zigaretten und zündete sich eine an.
»Die Requisite!«, brüllte Parker. »Verdammt, ich will jeden, der sich in den letzten Stunden auch nur in die Nähe des Requisitenwagens verirrt hat. Jeden!«
Was er anordnete, war völlig richtig. Es zeugte davon, dass er selbst in einer solchen Situation Herr der Lage war, aber es war völlig sinnlos. Der Kerl, der die Blindmunition gegen scharfe Patronen ausgetauscht hatte, befand sich bestimmt nicht mehr in der Nähe.
»Der verdammte Anruf, G-man«, wandte sich Parker an...
| Erscheint lt. Verlag | 30.8.2025 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • Action Abenteuer • action romane • action thriller • action thriller deutsch • alfred-bekker • Bastei • bastei hefte • bastei heftromane • bastei romane • bastei romane hefte • Bestseller • Deutsch • eBook • E-Book • eBooks • erste fälle • Fall • gman • G-Man • Hamburg • Heft • Heftchen • Heftroman • heftromane bastei • Kindle • Krimi • Krimiautoren • Krimi deutsch • krimi ebook • Krimi kindle • Kriminalfälle • Kriminalgeschichte • Kriminalgeschichten • Kriminalroman • Kriminalromane • kriminalromane 2018 • kriminalromane deutsch • Krimi Reihe • Krimireihen • krimi romane • Krimis • krimis&thriller • krimis und thriller kindle • Krimi Urlaub • letzte fälle • martin-barkawitz • Polizeiroman • Romanheft • Roman-Heft • schwerste fälle • Serie • Soko-Hamburg • spannend • spannende Krimis • spannende Thriller • Spannungsroman • Stefan Wollschläger • Tatort • Terror • thomas-herzberg • Thriller • Wegner |
| ISBN-10 | 3-7517-8199-4 / 3751781994 |
| ISBN-13 | 978-3-7517-8199-2 / 9783751781992 |
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