Castor Pollux 2.Staffel (eBook)
144 Seiten
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-8698-0 (ISBN)
'Bitte nicht!', schrie der Junge und riss die Hände vor sein Gesicht. 'Ich tue alles ...' Der grauhaarige Mann lachte kalt. 'Sterben wirst du, mehr nicht', brüllte er und riss die Peitsche empor. Wenn du den Tod kommen siehst, schließ die Augen, hatte Alebs Großvater gesagt, bevor die Römer den Zwölfjährigen verschleppten und als Sklaven verkauften. Gaius Venturus war ein Monster in Menschengestalt, der Vergnügen darin fand, seine Sklaven zu foltern. Aleb musste es über sich ergehen lassen - bis zu diesem Moment! Ein Holzscheit krachte von hinten gegen den Kopf seines Herren, sodass der Schädelknochen brach. Sein Mörder - und damit auch Alebs Lebensretter - stand direkt hinter dem Toten. Es war sein bester Freund Maius!
Aleb würde seinem Freund überallhin folgen, das stand für ihn fest. Sie kannten sich erst zwei Monate, dennoch war er für ihn längst so etwas wie ein großer Bruder geworden.
Gemeinsam waren sie aus der Villa ihres Besitzers geflohen. Ihre Hoffnung, dabei nicht bemerkt zu werden, hatte sich leider nicht erfüllt. Marina, die Köchin und ebenfalls eine Sklavin, war aufgewacht, als Aleb versehentlich gegen eine Vase stieß. Ihr Geschrei klang ihm noch in den Ohren nach, nur war ihr in diesem Moment sicher nicht bewusst gewesen, was im Obergeschoss des Hauses geschehen war.
Viel Zeit würde also nicht vergehen, bis Gaius Venturus’ Leiche gefunden wurde. Was bedeutete, dass die Jagd auf sie sehr bald beginnen würde. In seiner Heimat Syria war Aleb der Sohn eines angesehenen Tuchhändlers gewesen. Das hatte sich schlagartig geändert, als die Soldaten in ihre Stadt einfielen, sie plünderten und alle Bewohner entweder versklavten oder töteten. An jenem fürchterlichen Tag war er von seinen Eltern, seinen kleinen Schwestern und seinem Großvater getrennt worden. Was mit ihnen geschehen war, wusste er bis heute nicht, allerdings fürchtete er, dass ihr Schicksal nicht weniger grausam ausgefallen war als sein eigenes.
Eine Rückkehr in sein altes Leben würde ihm nicht mehr gelingen. Alle Erinnerungen an seine Kindheit waren an jenem Tag in Flammen aufgegangen. Inzwischen war er nichts weiter als das Eigentum eines grausamen Mannes, der nun mit eingeschlagenem Schädel in seinem Haus lag. Er machte sich auch keine Illusionen, dass ihm jemand seine Geschichte abkaufen und die Tat als Notwehr akzeptieren würde. Man würde sie nicht nur jagen, sondern auch töten.
Ein Grund mehr, sich an Maius zu klammern. Er war zwei Jahre älter als Aleb, deutlich kräftiger und größer als der zierliche Junge mit der braun gebrannten Haut und den kurzen, braunen Haaren. Maius stammte ebenfalls aus Syria, wenngleich er einen anderen familiären Hintergrund besaß. Laut seiner Aussage war er Nachkomme der seleukidischen Adelsfamilie, deren Volk lange vor den Römern Syria beherrscht hatte. Um die lokale Bevölkerung auf die Seite der neuen Herren zu ziehen, waren seine Vorfahren zu wichtigen Regierungsbeamten von Antiochia gemacht worden. Später fiel seine Familie in Ungnade und wurde ermordet, nur ihn verschonte man, indem man ihn als Sklaven verschleppte.
Ob das alles wirklich stimmte, konnte Aleb nicht beurteilen. In jedem Fall strahlte sein Freund eine gewisse Erhabenheit aus, die durchaus zu einem Adligen gepasst hätte. Wenn er von Gaius Venturus gefoltert worden war, ging nie auch nur ein einziger Schmerzenslaut über seine Lippen. Zudem drückte er sich oft ungewöhnlich höflich und gebildet aus, was durchaus zu einem solchen Hintergrund passte.
»Träum nicht, Aleb, sonst finden sie uns bald!«
Maius’ Stimme riss ihn in die Gegenwart zurück. In der Dunkelheit fehlte ihnen die Orientierung, deshalb waren sie einfach in Richtung Landesinnere gelaufen. Die Umgebung von Tarquinia wurde von zahlreichen bewirtschafteten Feldern und dichten Kiefernwäldern geprägt, so viel hatten sie bei Blicken aus dem Fenster erkannt. Da es ihnen nicht erlaubt gewesen war, das Haus zu verlassen, wussten sie kaum etwas von dieser fremden Welt, die sich so stark von ihrer Heimat Syria unterschied.
Hin und wieder glaubte Aleb, aus der Dunkelheit aufgeregtes Geschrei zu vernehmen. Schwache Feuerscheine leuchteten in der Ferne, die von Fackeln stammten, welche auf den Stadtmauern von Tarquinia angebracht waren. Erst jetzt wurde ihm so richtig bewusst, wie weit sie ihre Flucht bereits getrieben hatte. Sozusagen an den Horizont seiner kleinen, seit zwei Monaten existierenden Welt.
Was würde hinter dem Hügel, den sie gerade bestiegen, auf ihn warten? Wenn er ehrlich zu sich selbst war, rechnete er mit dem Schlimmsten.
»Ich kenne ein Versteck«, raunte ihm Maius zu, als sie für kurze Zeit im Schatten einer alten Eiche verharrten.
Aleb war derart außer Atem, dass er zunächst nicht in der Lage war, eine Frage zu stellen. Die letzte halbe Stunde waren sie fast durchgehend gelaufen, als wären die Mächte der Unterwelt persönlich hinter ihnen her. Allein wäre er längst zusammengebrochen, nur dank seines Freundes hielt er sich überhaupt noch auf den Beinen.
Unter dem klaren Sternenhimmel sah er, wie Maius traurig lächelte. Seine Augen schimmerten leicht, was sicher nicht nur an dem Schweiß lag, den er vergossen hatte. Auf seinem Gesicht klebte Blut, ebenso auf seiner Kleidung.
»Ich habe einmal Marina und Gaius Venturus belauscht, als sie mal wieder die Nacht gemeinsam verbracht haben«, berichtete Maius, ohne ihn direkt anzusehen. »Ein paar Meilen nordöstlich von Tarquinia soll es ein Tal geben, in das sich nicht einmal die Soldaten der Armee hineintrauen. Man sagt, dort gebe es einen Sumpf, der verflucht sei und in dem fremdartige, untote Geschöpfe leben.«
»Und … dort willst du hin?«, ächzte Aleb geschockt.
Sein Freund wischte sich über die Augen und nickte. »Wohin denn sonst?«, erwiderte er aufgewühlt. »Es gibt für uns kein Zurück mehr, weder nach Tarquinia noch in unsere Heimat. Wir können uns nur verstecken und hoffen, dass man unsere Gesichter ganz schnell wieder vergisst, Anschließend reisen wir nach Norden und lassen uns in einem kleinen Dorf nieder, wo uns niemand erkennt. Das ist meine einzige Hoffnung.«
Der Zwölfjährige senkte den Kopf und starrte auf den Boden. »Du bist so viel stärker als ich«, stellte er leise fest.
Plötzlich spürte er eine Hand auf seiner Schulter. »Gerade deshalb werde ich dich auf keinen Fall zurücklassen«, erklärte ihm Maius, der ihn nun endlich direkt ansah. Seine Augen glitzerten weiterhin, zudem zitterte seine Hand unheimlich stark.
Diese Tatsache ließ Aleb lächeln. »Du bist ein echter Freund«, stellte er fest und erwiderte den Griff.
Die Sonne schälte sich bereits schwach am Horizont hervor, als sie das Tal erreichten, von dem Maius gesprochen hatte. Es lag in dichten Nebel getaucht, als wollten fremde Kräfte verhindern, dass es von Unwürdigen gesehen oder gar betreten wurde.
»Komm!«, spornte ihn Maius an, der inzwischen ebenso ausgelaugt wirkte wie er selbst.
Stundenlang hatten sie ihre Flucht fortgesetzt, stets in der Hoffnung, nicht von ihren Verfolgern eingeholt zu werden. Einmal war es sehr knapp gewesen, als sie sich in einem verlassenen Bauernhof verstecken wollten und zufällig ein Trupp Soldaten vorbeikam. Aus ihren Gesprächen war herauszuhören gewesen, dass man tatsächlich bereits nach ihnen suchte und sogar ein Kopfgeld auf sie ausgesetzt worden war.
Nur mit viel Glück war ihnen erneut – und vor allem unbemerkt – die Flucht gelungen.
Ein wenig wunderte sich Aleb, dass sein Freund sich in dieser Gegend so gut auskannte. Selbst in der Dunkelheit war es ihm gelungen, das tief eingeschnittene Tal ausfindig zu machen, das sie nun über schmale, verwitterte Pfade zu erreichen versuchten.
Ihm gefiel die Atmosphäre dieses Ortes nicht. Normalerweise hätte er das Summen und Zirpen der Insekten hören müssen, ebenso den morgendlichen Gesang der Vögel, stattdessen hielt ihn eine eisige Stille im Griff. Wenn er sich umsah, entdeckte er lediglich tote Bäume und braunes Gras, als wäre die Natur in der unmittelbaren Nähe des Tals vollständig abgestorben.
Und an einem solchen Ort sollten sie sich die nächsten Tage und vielleicht sogar Wochen verstecken?
»Bist du sicher, dass wir das tun sollten?«, fragte Aleb, der seinem Freund hechelnd folgte.
Beinahe wäre er gegen Maius’ Rücken gestoßen, als dieser abrupt stehen blieb. »Willst du mir sagen, wir hätten uns woanders verstecken sollen?«, raunte ihm sein zwei Jahre älterer Begleiter zu. »Schlag doch gerne etwas vor! Ich bin gespannt, was du zu sagen hast.«
Aleb gefiel der scharfe, angespannte Tonfall seines Lebensretters nicht. Auf diese Art hatte er ihn noch nie reden gehört. Wenn er die geballten, zitternden Fäuste des vor ihm stehenden Jungen betrachtete, fürchtete er bereits, sich eine Tracht Prügel einzuhandeln, weil er ihn in Zweifel gezogen hatte.
»Ich … ich wollte nicht …«, stammelte er und senkte den Kopf.
Ein leiser Seufzer drang aus Maius’ Mund, bevor er sich umdrehte und ihn umarmte. »Entschuldige, ich weiß gar nicht, was gerade in mich gefahren ist«, hauchte ihm sein Freund zu. »Um ehrlich zu sein, habe ich auch Angst. Große Angst sogar. Etwas zieht mich in dieses Tal, obwohl ich mich eigentlich davor fürchte, es zu betreten. Andererseits fürchte ich mich noch viel mehr vor dem, was uns erwartet, wenn wir den Römern in die Hände fallen.«
Seine Worte ließen Aleb schlucken. »Ich auch«, gab er zu.
»Dann lass uns jetzt weitergehen und hoffen, dass alles nur halb so schlimm ist, wie wir denken.«
Aleb nickte nur, während Maius sich wieder umdrehte und weiterlief.
Bald tauchten sie direkt in die Nebelschwaden ein. In Syria war Aleb nur selten mit echter Kälte konfrontiert worden, während die Nächte an der Küste ihn nun oft erzittern ließen. In Gaius Venturus’ Haus waren sie wenigstens noch einigermaßen geschützt gewesen, hier hingegen spürte er den Nebel, als würden sich Eiskristalle auf seine Haut legen. Bald zitterte er so stark, dass er sich verzweifelt über die Oberarme rieb.
Die Dunstschwaden erwiesen sich als...
| Erscheint lt. Verlag | 9.8.2025 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Castor Pollux 2. Staffel |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
| Literatur ► Historische Romane | |
| Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror | |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | Bastei Horror Romane • Bastei Lübbe Gruselserie • Castor Pollux Romanserie • Castor Pollux Taschenheft • Dämonenjäger im alten Rom • Gespenster-Krimi Spin-off • Gladiator gegen Dämonen • Grusel & Horror Romane • Gruselromane Antike • Historischer Horror Bastei • Horror • Michael Schauer Autor • Rafael Marques Schriftsteller • Römisches Reich Fantasy • Vampire und Kulte Rom |
| ISBN-10 | 3-7517-8698-8 / 3751786988 |
| ISBN-13 | 978-3-7517-8698-0 / 9783751786980 |
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