Kollateralschaden (eBook)
351 Seiten
neobooks Self-Publishing (Verlag)
9783757597726 (ISBN)
Der Kölner Autor Willi Vögeli hat die schrecklich-schönen Achtziger in seiner Geburtsstadt Speyer 'durchlitten'. Nach Stationen in Neuss und Bergisch Gladbach lebt Vögeli seit 2010 mit seiner Ehefrau in Köln. Eine erwachsene Tochter wohnt in Vallendar. Willi Vögeli arbeitete als kaufmännischer Angestellter, Buchbindergehilfe, Schichtarbeiter, Bankangestellter, pädagogische Hilfskraft in einem Jugendzentrum und Sozialarbeiter in der Gemeindepsychiatrie.
Der Kölner Autor Willi Vögeli hat die schrecklich-schönen Achtziger in seiner Geburtsstadt Speyer "durchlitten". Nach Stationen in Neuss und Bergisch Gladbach lebt Vögeli seit 2010 mit seiner Ehefrau in Köln. Eine erwachsene Tochter wohnt in Vallendar. Willi Vögeli arbeitete als kaufmännischer Angestellter, Buchbindergehilfe, Schichtarbeiter, Bankangestellter, pädagogische Hilfskraft in einem Jugendzentrum und Sozialarbeiter in der Gemeindepsychiatrie.
7.
Mittwoch, 23. November ‘83
Gerädert von einer nahezu schlaflosen Nacht, sitzt Beck am nächsten Morgen mit müden Augen in seinem Wohnzimmer vor einer Schale Milchkaffee. Laufen wäre jetzt genau das Richtige, um die bleierne Niedergeschlagenheit zu verscheuchen, die sich in ihm breitmacht. Aber ihm fehlt einfach die Energie, sich aufzuraffen. Das Croissant, das er sich eher aus Gewohnheit bei Frau Ganninger geholt hat, liegt angebissen neben der dampfenden Kaffeeschale. Erst in den frühen Morgenstunden ist er in einen unruhigen Schlaf gefallen, aus dem ihn keine zwei Stunden später das laute Schlagen von Autotüren aufgeschreckt hat.
Obwohl er es dank eines großzügigen Sondertarifs doch noch rechtzeitig zur Verabredung mit Nini geschafft hatte, war der Abend völlig anders verlaufen, als er ihn sich vorgestellt hatte. Im Grunde kann er sich auch jetzt nicht wirklich erklären, was genau schiefgelaufen ist. Sie hatten sich eine ganze Weile auf bekanntem Terrain bewegt. Wie läuft es in der Klinik? Wie läuft es im Laden? Hast du das von Lucien und Trude mitgekriegt? Dann lief das Gespräch aus dem Ruder. Er weiß nicht mehr genau, an welcher Stelle es gekippt ist. Irgendwann hat er ihr vorgeworfen, vor lauter 36-Stundenschichten zu wenig Zeit für ihn und Hanna zu haben. Sie hatte ihm vorgehalten, er würde sich nicht im Geringsten für ihre Arbeit interessieren, was man allein schon daran erkennen könne, dass er nicht mitbekommen habe, dass sie seit einigen Wochen Oberärztin sei. Als ihm dann herausgerutscht ist, dass ihn Frau Lorenz gebeten hat, ihre Tochter zu finden und dass er sich darauf einlassen will, war der Abend endgültig gelaufen.
Angewidert spuckt er den kalt gewordenen Kaffee in die Schale zurück. Gerade als er den Gedanken zulässt, dass es sich dieses Mal um keinen dieser alltäglichen, aus dem nervtötenden Trott des Gewohnten entstehenden Alltagskonflikte handelt, reißt ihn das Schellen seiner Türklingel aus den Grübeleien. Er kann jetzt niemanden ertragen. Egal wer da vor der Tür steht. Ihm graut schon davor, in einer guten Stunde in seinem Laden stehen zu müssen. Allen Stoßgebeten zum Trotz klingelt es hartnäckig weiter. Genervt rafft er sich auf und geht zur Haustür.
„Morgen, Alter! Hab Brötchen mitgebracht!“ Wolle hält grinsend eine Tüte hoch. „Oder bin ich zu spät?“
Becks schlechte Laune verfliegt mit der Erinnerung an ihr Gespräch über Moni. Wenn er ehrlich ist, kommt ihm die Ablenkung gerade recht. Erstaunt erkennt er über Wolles Schulter hinweg pudriges Weiß auf den Dächern der Häuser. Zielstrebig schiebt sich sein Nachbar an ihm vorbei in die Küche. Das Gespräch am Montagabend hat offensichtlich eine neue Vertrautheit in die nachbarschaftliche Beziehung gebracht. Im Vorbeigehen streift Wolle seinen Wildledermantel ab und hängt ihn über einen Holm der Garderobe, nicht ohne einen prüfenden Blick in den Spiegel zu werfen. Orangefarbener Pullover, grüne Jeans und braune Lederstiefel. Flüchtig streicht er über die schulterlange Rastamähne, greift nach dem blauen Schal, entscheidet sich dann doch, ihn umzubehalten.
„Wie das bei dir immer superlecker nach Kaffee riecht. Komm ich ja gerade recht.“
In der Küche legt Wolle die Brötchentüte auf das Schneidebrett. Während er das Papier aufreißt, sucht er das Brotmesser, das er gerade mit der Tüte verdeckt hat.
Beck steht in der Tür. „Kannst schon mal den Tisch decken. Du weißt ja, wo Teller und Tassen stehen. Ich flitz mal schnell unter die Dusche.“
Wenige Minuten später sitzen sie vor dampfendem Milchkaffe, Brötchen, Wurst und Käse am Esstisch seines Wohnzimmers.
„Jetzt erzähl doch mal! Was hat Krabbe gestern Abend gemacht?“
Mit großer Sorgfalt streicht sich Wolle Leberwurst auf zwei halbe Brötchen. Immer wieder schaut er auf und mustert Beck. „Du siehst nicht gut aus. Hast du Schmerzen oder was ist los?“
„Schmerzen?“ Die Erinnerung an den Streit mit Nini bereitet ihm tatsächlich Schmerzen. „Nein, ich habe nicht so gut geschlafen. Jetzt erzähl doch mal!“ Becks Neugier ist groß genug, um den gestrigen Abend auszublenden.
Während Wolle mit großer Sorgfalt die drei Käsesorten inspiziert, die er auf einem Holzbrett drapiert hat, beginnt er zu erzählen. „Eigentlich gibt es nichts zu erzählen. Von der Straße aus sieht man drei Fenster. Wenn ich die Aufteilung der Wohnung richtig einschätze, hockte er bis halb zehn in seinem Wohnzimmer. Dann ...“ Wolle schneidet sich zwei Streifen von dem Camembert herunter. „Ist der aus der Normandie?“
Beck nickt mit leicht genervter Miene. „Und? Weiter!“
„Er hat gelesen, vermute ich. Wenn er den Fernseher hätte laufen lassen, hätte ich das am Licht gesehen. Weißt ja, blaues Flackern.“ Auf den Camembert kommt jetzt ein großer Klacks Erdbeermarmelade. „Orangenmarmelade funktioniert besser bei Camembert. Aber haste ja nicht. Kann ich dir …“
„Wolle!“
Beschwichtigend hebt Wolle beide Hände. In der einen das Messer, in der anderen die Brötchenhälfte, von der Erdbeermarmelade auf den Teller tropft. „Mehr war nicht. Wenigstens einmal hat er telefoniert. Das konnte ich am Schatten auf dem Vorhang erkennen. Gegen halb zehn gingen in allen drei Fenstern die Lichter an, da war er wahrscheinlich im Bad. Kurz vor zehn wurden zwei Fenster dunkel und im dritten war nur schwaches Licht. Vermutlich eine Leselampe am Bett.“
„Also kein Besuch.“ Beck sagt es mehr zu sich.
„Es war scheißkalt, sag ich dir. Keine Ahnung, was ich mir geholt hätte, wenn ich nicht die ganze Zeit den Motor hätte laufen lassen. Lungenentzündung, mindestens aber ne Bronchitis. Um halb elf war dann alles dunkel, und ich bin nach Hause gefahren.“
„In Ordnung. Gut gemacht!“ Beck überlegt kurz. „Hast du in den letzten Tagen draußen Geräusche gehört? Abends? Unten am Bach?“
„Plätschern vielleicht, was Bäche halt so machen. Ab und zu mal ´ne Ratte. Bin aber nicht so oft draußen. Frierst dir ja den Arsch ab. Warum fragst du?“ Er schnüffelt an seinem Camembert-Marmelade-Brötchen. „Hast du wirklich keine Orangenmarmelade?“
Eine gute Stunde später ist Beck im Flur seines Buchladens damit beschäftigt, zwei große Pakete auszupacken und die Bücher in seine Bestandsliste einzutragen. Inmitten seiner Überlegungen, wie er bei der Befragung der Nachbarn von Anna Lorenz vorgehen will, fällt ihm ein, dass er Wolle nicht nach Moni gefragt hat und wie es ihm geht. Warum geht ihm so etwas immer durch? Letztens hat er in einem Artikel über das Asperger-Syndrom gewisse Ähnlichkeiten zu seinem eigenen Verhalten entdeckt. Hat ihm vielleicht Nini den Text auf den Tisch gelegt? Augenblicklich flutet die Erinnerung an den katastrophalen Verlauf des gestrigen Abends sein Gehirn. Warum fühlt er sich auch immer so schnell angegriffen? Das Läuten der Ladenglocke bewahrt ihn davor, dem Ärger über sich selbst noch mehr Zunder zu geben. Bitte nicht einer dieser Kunden, die einen Grand Cru für unter zehn Mark suchen, nicht heute, das würden seine Nerven nicht aushalten.
Auf dem Weg in den vorderen Verkaufsraum sieht er Frau Lorenz an der kleinen Verkaufstheke stehen. In der Blässe ihres Gesichts heben sich die perfekt geschminkten Augen unwirklich ab. Es kommt ihm vor, als sei sie noch hagerer geworden. Die schwarze Kleidung unterstreicht das Gespensterhafte ihrer Erscheinung. Nur der Pullover leuchtet türkis unter dem Mantel hervor.
„Warum melden Sie sich nicht?“
Die leise Verzweiflung in ihrer Stimme geht ihm stärker unter die Haut, als wenn sie ihn angeschrien hätte. Hitze schießt ihm ins Gesicht. Er weiß nicht, was er antworten soll, überlegt angestrengt, was er ihr anbieten kann.
„Begreifen Sie denn nicht, dass Sie die einzige Hoffnung sind, die ich derzeit habe?“
„Frau Lorenz, es ist einfach so, dass ich mich nicht traue, bei Ihnen anzurufen, wenn ich nicht wirklich etwas Neues zu berichten habe. Ich habe es Ihnen doch erklärt. Sie brauchen jemanden, mit dem Sie über Ihre Not reden können. Ich drücke mich ein wenig davor, wenn ich nichts habe, das …, das … Hoffnung bietet. Verstehen Sie? Das wenige, was ich bisher unternehmen konnte, die Gespräche, die ich geführt habe …“ er stutzt für einen Moment, „es gibt nichts wirklich Neues.“ Er will ihr erklären, dass er genau das zu ihr gesagt hat, als sie ihn vor wenigen Tagen zum ersten Mal hier besucht hat. Dass er kein Polizist mehr ist und nur über eingeschränkte Möglichkeiten verfügt.
„Kann ich nicht irgendetwas tun, Herr Beck? Irgendetwas? Ich brauche keinen Trost. Ich brauche das Gefühl, etwas tun zu können. Irgendetwas, um aus dieser Kaninchenstarre herauszukommen. Verstehen Sie? Ich weiß nicht, was mich mehr wahnsinnig macht, dieses Nichts-tun-können oder die Angst vor dem, was mit Anna passiert sein könnte. Dieses Warten macht mich wahnsinnig. Fast drei Wochen ist Anna verschwunden. Ich habe das Gefühl, jede Woche um zehn Jahre zu altern. Gestern Nachmittag hat mich mein Chef nach Hause geschickt. Ich soll mich diese Woche krankmelden.“ Verzweifelt knetet sie ihre Hände. „Ich sitze zu Hause rum oder laufe ziellos die Parkinsel rauf und runter. Meine beiden besten Freundinnen rufen jeden Tag an, aber ich kann denen doch nicht jedes Mal die Hucke volljammern. Ich schlafe kaum noch. Ständig denke ich an Anna. Sie können sich gar nicht vorstellen, mit was für grausamen Fantasien mich meine Angst quält.“
„Ich kann Ihnen da leider keinen Rat geben. Haben Sie denn niemanden, der sich um Sie kümmern kann, mit dem sie reden können?“
Mit einem schwachen Kopfschütteln verneint sie seine Frage.
„Kommen...
| Erscheint lt. Verlag | 9.7.2025 |
|---|---|
| Verlagsort | Berlin |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
| Schlagworte | Achtzigerjahre • DDR • Geheimdienste • Industriespionage • Kriminalroman • Pfalz • Serienmörder |
| ISBN-13 | 9783757597726 / 9783757597726 |
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