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Der Momo (eBook)

eBook Download: EPUB
2025 | 5. Auflage
256 Seiten
epubli (Verlag)
978-3-8197-5914-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Momo -  Ansgar Drabe-Soer
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Alles hatte so hoffnungsvoll angefangen. Rainer hatte im Studium seine Traumfrau Karin kennengelernt, die er auch heiratete und die ihr komplettes gemeinsames Leben durchplante. Beide machten Karriere, bauten sich ihr Wunsch-Haus, dann kam ungeplant Sohn Tim. Als Tim einen Unfall erleidet und in ein Wachkoma fällt, ist nichts mehr wie es war. Rainer sitzt in einem Park auf einer Bank. Und er ist am Ende. Dort begegnet er einem Wildfremden, der etwas tut, das Rainer so noch nie erlebt hat. Der Fremde hört ihm aufmerksam zu, geduldig. Und Rainer erzählt ihm seine ganze Geschichte.

Ansgar Drabe-Soer wurde 1967 in Ravensburg geboren und ist zum Studieren 1989 nach Regensburg gezogen. Seit drei Jahrzehnten arbeitet er als Sozialpädagoge und Arbeitstherapeut im Bezirksklinikum Regensburg. Erst in der neurologischen Reha- bilitation, ab 2003 dann in der Forensik - anfangs in der Erwach- senenforensik, seit 2023 nun in der Jugendforensik. Schreiben ist seit seiner Jugend eine Leidenschaft. In seinen Geschichten verarbeitet er seinen Berufsalltag und möchte damit Menschen eine Stimme geben, die sonst keine haben und die auch niemand hört.

Ansgar Drabe-Soer wurde 1967 in Ravensburg geboren und ist zum Studieren 1989 nach Regensburg gezogen. Seit drei Jahrzehnten arbeitet er als Sozialpädagoge und Arbeitstherapeut im Bezirksklinikum Regensburg. Erst in der neurologischen Reha- bilitation, ab 2003 dann in der Forensik – anfangs in der Erwach- senenforensik, seit 2023 nun in der Jugendforensik. Schreiben ist seit seiner Jugend eine Leidenschaft. In seinen Geschichten verarbeitet er seinen Berufsalltag und möchte damit Menschen eine Stimme geben, die sonst keine haben und die auch niemand hört.

Erstes Kapitel: Der Momo

Es ist ein Samstagmorgen wie gemalt. Der Himmel ist strahlend blau, die Sonne taucht die Stadt in ein leuchtendes Gelb. Es ist zwar erst Mai, trotzdem ist es schon fast 20 Grad warm. Und es ist windstill.

Rainer ist das egal. Selbst wenn es jetzt schneien würde, das Wetter spielt keine Rolle für ihn. Er geht mit energischen, ausladenden Schritten die lange Hauptstraße entlang. Seine Hände stecken in den Hosentaschen seiner Jeans. Dadurch pendelt sein Oberkörper stark bei jedem Schritt. Den Kopf hat er gesenkt, sein Blick nimmt nur die Straße, ungefähr zwei bis drei Meter vor ihm, wahr. Die wenigen Fußgänger, die ihm entgegenkommen, weichen aus.

Rainer biegt nach rechts in eine leicht gebogen verlaufende Alleestraße ein. Hier verläuft der Fußgängerweg im Schatten von großen Ahornbäumen, die auf einem Grünstreifen stehen. Die modernen Mehrfamilienhäuser und kleinere Geschäfte werden zunehmend von alten Stadtvillen abgelöst, die, weiter zurückgesetzt, teilweise hinter geschmiedeten Toren in großen Gärten mit hohen Bäumen stehen.

Rainer stapft weiter. Am liebsten wäre er in irgendeinem einsamen, riesigen Wald. Ganz allein mit sich und seiner Verzweiflung. Seiner Ohnmacht. Seiner Scham.

Aber in der Stadt gibt es keine riesigen einsamen Wälder und an das Auto hat er nicht gedacht, als er sein Haus fluchtartig verlassen hat. Nochmal zurückgehen ist keine Option, überhaupt keine. Also bleibt nur der Ostpark. Der liegt ein Stück weg vom Stadttrubel, weg von den Einkaufszentren und den Hauptverkehrsadern. Außerdem ist er schon früher öfter in dem Park gewesen. Da gibt es eine Ecke, die ist sehr abgeschieden und nur schlecht einzusehen. Da steht eine Parkbank. Die ist sein Ziel.

Hoffentlich ist sie nicht besetzt, denkt er verzweifelt, er braucht jetzt diese Bank, braucht diesen Platz, um nachzudenken.

Er stellt sich vor, wie irgendjemand darauf sitzt, und zwar so, dass kein Platz mehr ist. Stellt sich vor, dass er dann dasteht und nicht weiß, wohin. Seine Fantasien lassen seine Verzweiflung und seine Ohnmacht unerträglich werden, lassen seinen Puls hochschnellen.

Er beschleunigt seinen Schritt nochmals, als befände er sich in einem Rennen gegen unsichtbare Gegner und nur der Sieger würde einen Platz auf der Bank ergattern. Die Alleestraße mündet in eine Kreuzung. Rainer biegt erneut rechts ab. Und steht nach wenigen Metern vor einem großen Tor. Es ist offen. Der Park ist für einen Stadtpark uralt und wurde zu einer Zeit angelegt, als Bodenspekulanten und Investoren noch nicht jeden Quadratmeter des Stadtgebietes ins Visier genommen hatten. Aus der Luft betrachtet bildet er ein fast drei Hektar großes Oval.

Er ist einer lichten Waldlandschaft nachempfunden, mit größeren Baumgruppen aus riesigen alten Buchen, Linden, Eichen und Ulmen. Dazwischen schlängeln sich schmale ausgekieste Wege, die an kleineren Wiesen vorbeiführen. Diese sind teilweise gesäumt von Büschen aus Schlehen, Hartriegel und Weißdorn. Außen herum führt ein Rundweg, mit spärlichen kleinen Straßenlaternen ausgestattet.

Die Sonne taucht den Park in ein leuchtendes Grün der frischen Blätter. Auf den kleinen Wiesen blühen gelb jede Menge Löwenzahn, die das Licht wie kleine Sonnen zu reflektieren scheinen. Die Luft duftet frisch und würzig.

Rainer hat keinen Blick für die Schönheit des Morgens. Kurz registriert er, dass, soweit er sehen kann, kein Mensch im Park ist. Dann stapft er einen Weg entlang, in Richtung der versteckten Parkbank.

Während er geht, zieht er seine schwarze Lederjacke aus. Ihm ist viel zu heiß geworden. Aber auch das fällt ihm erst jetzt auf, weil sein T-Shirt schon ziemlich verschwitzt ist.

Rainer folgt dem Weg um ein kleines Wäldchen herum, dann sieht er, leicht versetzt hinter Büschen, schon seine Bank.

Rainer bleibt stehen, als wäre er gegen eine Wand gelaufen.

Verdammt, denkt er frustriert. Soweit er es erkennen kann, sitzt da schon jemand. Anscheinend ein großer Mann. Verdeckt durch die Büsche ist es nur schwer auszumachen. Dafür ist das neue Frühlingslaub schon zu dicht. Ich will, dass er geht! Bitte, lass ihn gehen, fleht Rainer innerlich.

Aber vielleicht täuscht er sich auch und da ist niemand. Schnell setzt er sich in Bewegung, biegt um die leichte Linkskurve und steht dann wenige Meter vor der Bank. Tatsächlich sitzt ein großer Mann darauf. Das Alter des Mannes lässt sich nur schwer schätzen. Immerhin sind die Haare ziemlich grau und das Gesicht hat deutliche Falten. Der Mann trägt eine schwarze Jeans und einen gelblichen Pullover, der so gar nicht dazu passt. Er hat die Hände im Schoß gefaltet und wirkt ruhig und entspannt. Kurz blickt er zu Rainer, um dann wieder in den Park zu schauen.

Verdammt, verdammt, verdammt, denkt Rainer verzweifelt.

Aber zumindest sitzt der Mann ganz am linken Eck der Bank, so dass genügend Platz für ihn bleibt. Trotzdem hat er die Bank nicht für sich allein. Und das ist schlecht. Rainer beschließt, sich trotzdem hinzusetzen. Er wird sich einfach so abweisend und unfreundlich geben, dass der andere bald verschwindet.

Rainer geht mit großen Schritten zur Bank und lässt sich geräuschvoll ganz auf der rechten Seite nieder. Dann rutscht er mit dem Gesäß ganz nach vorne, lehnt sich weit nach hinten an und verschränkt die Hände vor der Brust. Seine Beine streckt er weit aus. Den Blick hat er stur auf einen Punkt auf dem Weg gerichtet. So bleibt er regungslos sitzen und versucht, so aggressiv und ablehnend wie möglich zu wirken.

Seine ganze Aufmerksamkeit hat er auf den Mann gerichtet. Hat er sich bewegt? Herübergeschaut?

Was der sich wohl jetzt denkt? Ob der wohl merkt, dass er will, dass er geht?

Rainer ist 40 Jahre alt, mittelgroß und geht gerade noch als nicht dick durch. Zusammen mit seiner Stirnglatze und der Hornbrille wirkt er bestimmt nicht wie ein trotziger Halbstarker, den er jetzt gerade mimt. Aber Rainer weiß keine andere Möglichkeit, keinen anderen Protest.

Der andere scheint sich nicht zu bewegen.

Verdammte Scheiße, geh endlich, denkt Rainer.

So sitzt er einige Minuten. Und weil der Mann so ruhig dasitzt, driftet langsam seine Aufmerksamkeit ab, hin zu dem Grund seiner Verzweiflung. Seine Gedanken schweifen wieder zurück zum frühen Morgen.

Er sieht sich selber, sieht das Kissen, sieht Tim. Sieht sich wieder aus dem Haus stürmen. Immer und immer wieder laufen die Bilder vor seinem inneren Auge ab.

Hätte er es wirklich gemacht? War er schon so weit? Schon so am Ende, so verzweifelt, so ohnmächtig?

Was war nur in ihm vorgegangen? Rainer seufzt laut auf, lehnt sich nach vorne und vergräbt seinen Kopf in seine Hände.

Ich halte es einfach nicht mehr aus, denkt er verzweifelt, ich kann nicht mehr. Mein ganzes Leben ist so was von kaputt.

Er krallt seine Hände in sein Gesicht. Ja verdammt, er ist gefangen in einer Sackgasse. Aber was soll er machen? Es gibt einfach keinen Ausweg. Aber irgendetwas muss sich ändern. Das ist ihm seit heute Morgen klar. Nur was, verdammt nochmal, was soll er machen, martert er sein Gehirn.

Denn es eskaliert sonst. Alles. Alles fliegt ihm um die Ohren. Ach Quatsch, es ist bereits eskaliert. Es war schon am Fliegen! Er war heute kurz davor gewesen zu töten. Seinen eigenen Sohn! Rainer ballt verzweifelt die Fäuste vor seinen Augen. Plötzlich nimmt er eine Bewegung wahr. Rainer dreht den Kopf. Der Mann neben ihm sitzt noch genauso da wie vorher. Aber er hat den rechten Arm in seine Richtung gestreckt und hält ihm ein Päckchen Papiertaschentücher hin. Eines griffbereit, halb herausgezogen.

Auf einmal fällt Rainer auf, dass er weint. Seine Fäuste sind ganz nass.

Verdammt, jetzt heul ich hier auch noch herum in aller Öffentlichkeit, denkt er verschämt. Wortlos greift er sich ein Taschentuch, dabei nickt er kurz dem Mann zu. Heftig wischt er seine Augen trocken und dann schnäuzt er sich. Er hat das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen.

»Äh, danke, es ist nur, es …«, vage deutet er in den Park, wie wenn er Heuschnupfen hat.

»Egal was es ist, es braucht jedenfalls ein Taschentuch«, sagt der Mann freundlich. »Wenn Sie noch eines möchten, ich lege Ihnen die Packung hin.«

Rainer braucht tatsächlich noch eines. Dankbar greift er zu. Dabei sieht er aus den Augenwinkeln, dass der Mann wieder seine ursprüngliche Haltung eingenommen hat und diskret in den Park schaut.

Rainer reibt sich die letzten Tränen aus den Augen, schnäuzt nochmal, dann atmet er ein paarmal tief durch. Irgendwie hat er jetzt das Bedürfnis, sich und sein Verhalten zu erklären.

»Wissen Sie, was ein richtiger Scheißtag ist?«, fragt er den Mann.

Dieser wendet sich ihm zu, sagt freundlich: »Ich glaube, so wie es Ihnen gerade geht, wollen Sie nicht wirklich Erlebnisse aus meinem Leben hören, stimmt’s? Aber es ist völlig in Ordnung, wenn Sie etwas erzählen wollen.«

Rainer ist verdutzt. Es interessiert ihn wirklich einen Dreck, ob der Mann schon Scheißtage gehabt hat oder nicht. Aber ihm etwas erzählen, einem Wildfremden? Will er das wirklich? Und vor allem, es ist nicht so einfach, das alles zu erzählen. Vieles ist ihm selber nicht klar, für vieles schämt er sich. Und das ging niemanden etwas an.

Andererseits, was soll’s? Verschlechterte es seine Situation? Sicher nicht. Auch hat er nichts vor. Und eigentlich hat er auch keinen Plan, wie es weiter gehen soll. Also war es egal. Und sein Bedürfnis, sein ganzes Dilemma jemanden zu erzählen ist riesengroß, wenn er ehrlich ist. Hat er jemanden, dem er sich sonst anvertrauen könnte? Eigentlich hat er auch keinen Freund, nur...

Erscheint lt. Verlag 6.7.2025
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Beziehung • Familie • Gespräch • Liebe • Therapie • Wachkoma
ISBN-10 3-8197-5914-X / 381975914X
ISBN-13 978-3-8197-5914-7 / 9783819759147
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