Zum Hauptinhalt springen
Nicht aus der Schweiz? Besuchen Sie lehmanns.de

Der Verrat (eBook)

eBook Download: EPUB
2025 | 4. Auflage
390 Seiten
epubli (Verlag)
978-3-8197-5084-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Verrat -  Xaver Engelhard
Systemvoraussetzungen
8,99 inkl. MwSt
(CHF 8,75)
Der eBook-Verkauf erfolgt durch die Lehmanns Media GmbH (Berlin) zum Preis in Euro inkl. MwSt.
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Karli fliegt im Sommer 1955 von der Schule und beschließt, auf einem Motorradgespann aus Wehrmachtsbeständen nach München zu fahren und seinen Freund Leo, mit dem er zehn Jahre zuvor aus Ostpreußen geflohen war, um Geld für eine Reise nach Italien zu bitten. Er gewährt der Gelegenheitsprostituierten Trixi in seinem Hotelzimmer Zuflucht vor dem Regen, verbringt anschließend die Nacht im Gefängnis, kommt am nächsten Tag bei einer Wahrsagerin in Schwabing unter und leiht sich den auffällig karierten Anzug eines Transvestiten. In einem Nachtclub trifft er endlich Leo, der für ihn eine Reise hinter den Eisernen Vorhang nach Polen organisiert, ohne ihm zu verraten, dass er ihn damit für die eigenen dubiosen Geschäfte einspannen möchte.

Xaver Engelhard hat als literarischer Übersetzer gearbeitet und 2002 bei Heyne/Diana den Roman 'Lichter der Nacht' veröffentlicht.

Xaver Engelhard hat als literarischer Übersetzer gearbeitet und 2002 bei Heyne/Diana den Roman "Lichter der Nacht" veröffentlicht.

Im Straubinger Hof


Kaum hatte Karli Münchens Außenbezirke erreicht, begann es zu regnen, was die BMW, die zwei Winter in Russland und jahrelange Vernachlässigung in einem bayrischen Schuppen hinter sich hatte, bald mit Zündaussetzern quittierte. Den Sendlinger Berg rollte sich noch hinunter, vorbei an ein paar Behelfsbauten, die kaum besser waren als die Bombenruinen, aus denen sie entstanden waren, aber dann kam sie mit einem letzten Röcheln mitten auf der Lindwurmstraße zum Stehen. Es war finster, denn auch Jahre nach dem Krieg waren noch längst nicht alle Straßenlaternen ersetzt, die dem Luftkrieg zum Opfer gefallen waren. Nur selten huschte ein Auto vorbei und winkte mit den Scheibenwischern, wirre Semaphoren mit Nachrichten aus einer Traumwelt. Karli stieg ab und schob das Motorrad weiter Richtung Innenstadt. Das Wasser begann, unter die glänzende Lederjacke zu kriechen.

Der Neonschriftzug des Hotels Straubinger Hof, dessen elektrische Kontakte unter dem Regen litten wie die der BMW, flackerte und drohte immer wieder, ganz zu erlöschen. Karli bugsierte das Motorrad auf den Gehweg und stellte es vor dem unscheinbaren Eingang ab. Er musste mehrmals die Klingel betätigen, bis endlich der Nachtportier die Tür öffnete.

„Schaug, dass’d weider kimmst! So spaad gibts koa Zimmer ned bei uns.“ Er musterte Karli schlecht gelaunt und kratzte sich die mit grauem Haar bewachsene Brust. Unter der Nase wucherte ein grauer Schnurrbart. Der Schlafanzug war grau mit weißen Streifen. „Mir san a anständig’s Haus.“

„Mir ist meine Maschine verreckt.“ Karli wies mit dem Kinn auf die BMW, die wie ein böses Phantom immer mal wieder im Licht des flackernden Neonschriftzugs auftauchte, nur um gleich darauf wieder in der Dunkelheit zu verschwinden.

„Du Birscherl wuist a Krad’ler sein?“

„Kein sehr erfolgreicher!“ Karli, der sich Kettenöl ins Gesicht geschmiert hatte in der Hoffnung, damit ein bisschen älter und nicht nur ein bisschen schmutziger zu wirken, lächelte treuherzig. „Ich trockne morgen die Kerzen und den Verteiler und fahr dann weiter zu meiner Oma in Passau.“

„Passau? Ja pfiadi Gott, da taten mi koa vier Ross ned hi bringa und so a blechernes scho glei gar ned.“ Der Portier studierte das Motorrad, als wäre es eine Art Ausweis oder Visitenkarte. „Aber wannst moanst … Jetzt wost mi eh scho g’weckt hast, kannst a zoin dafir.“ Der Portier drehte sich um und erklomm in ausgelatschten Pantoffeln die schmale Treppe, die in den ersten Stock führte. Kunststofflaminat, das eine gemaserte Holztäfelung suggerieren sollte, löste sich entlang der Stöße von den Wänden. Der fleckige Läufer warf Wellen. Sie erreichten einen Flur mit einer kleinen Theke. Der Nachtportier griff nach einem der Schlüssel, die an einem Kabinett voll kleiner Postfächer hingen.

„Zoid werd glei! Und des is a Oanzelzimma, host mi? Wann i oane von dene Trottorschwoiben bei dir derwisch, foit da Watsch’nbaum, aber gewaltig!“ Er öffnete ein riesiges Anmeldebuch und zeigte mit einem schartigen, schmutzigen Fingernagel auf die auszufüllende Zeile.

Karli trug sich ein, zahlte mit Geld aus Tonis und Vronis Spardose, nahm den Schlüssel und weitere Warnungen das sündige Leben in der Großstadt betreffend entgegen und kehrte zu der BMW zurück, die er der Empfehlung des Portiers folgend auf den Hof des Hotels schieben wollte. Inzwischen lehnte aber eine junge Frau in einem Mantel aus rotem Kunststoff an dem Beiwagen.

„Tut mir leid, wenn ich Sie Ihrer Stütze berauben muss, aber ich will mein Motorrad hinterm Haus parken.“

Sie musterte ihn mit großen grünen Augen. Sie war nur ein paar Jahre älter als er selbst. Sie trug einen Hut, der an einen englischen Stahlhelm erinnerte und immerhin den kalten Regen abzuhalten schien. Im Licht des bläulichen Neonzeichens wollte der Lippenstift nicht recht zum Mantel passen. Ihr Mund sah damit aus wie der einer russischen Wasserleiche. Sie stieß sich mit der Hüfte widerwillig vom graubraunen Blech ab.

„Hast du’n Zimmer?“

„War nicht einfach, aber am Ende hat der Portier mich doch reingelassen.“

„Der ist eh’n Arsch.“

„Du kennst ihn?“ Karli beachtete die junge Frau nicht weiter, sondern machte sich daran, dass Motorrad zu wenden. Er war nass und müde, und er musste noch Leo finden.

„Ich geh manchmal dorthin. Es ist eines der billigsten Hotels hier.“

„So schaut es auch aus.“ Karli zog die Kupplung, nahm den Gang raus und stemmte sich gegen den Lenker. „Bist du nicht von hier oder warum wohnst du im Hotel?“ Er keuchte. Er hatte Schwierigkeiten, das schwere Gespann in Bewegung zu setzen.

„Ich geh manchmal mit jemandem mit.“ Sie sagte es so leise, dass sie über das Geplätscher des Regens kaum zu verstehen war.

Das Gespann rollte auf dem leicht abschüssigen Gehweg rückwärts. Karli zog die Bremse, aber das Rad des Beiwagens rutschte trotzdem über den Bordstein. Karli fluchte leise.

„Kannst du vielleicht kurz da hinten schieben? Das Rad hängt fest.“

Die junge Frau ging um das Motorrad herum, zog die Hände aus den Taschen des Regenmantels und legte sie auf das Reserverad, das auf dem Beiwagen montiert war.

„Auf drei!“, kommandierte Karli und begann, laut zu zählen. Bei drei warf er sich gegen den Lenker und merkte sofort, dass die Frau höchstens psychologisch eine Hilfe war, denn er wollte sich vor ihr keine Blöße geben und entwickelte genug Kraft, um das Gespann auch aus eigener Kraft zurück auf den Gehweg zu befördern, wo es endlich auf die Hofeinfahrt zu rollte. Die Frau blieb stehen und sah ihm hinterher.

Karli bugsierte das Motorrad an drei niedrigen Garagen vorbei und stellte es im hintersten Winkel des Hofs neben zwei Mülltonnen ab. Da die ehemalige Wehrmachtsmaschine über kein Schloss verfügte, entfernte er die Zündstecker und stopfte sie in die Tasche. Er zog Ferdinand Schliers Tasche aus dem Beiwagen und kehrte auf die Straße zurück, wo die Frau im roten Regenmantel auf ihn wartete, wie er erstaunt feststellte. Sie streckte ihm vorwurfsvoll die Arme entgegen. Die Hände waren voll Dreck.

„Russische Steppe!“, erläuterte Karli fachmännisch.

Sie sah ihn verwundert an und rieb die Hände in der Hoffnung, dass der Regen sie säubern würde.

„Die Maschine war an der Ostfront.“ Karli erkannte sofort, dass er mit dieser Information nicht noch einmal Eindruck schinden würde. „Meine Schwester und ich sind damit vor den Russen geflohen“, schob er kleinlaut nach.

Die junge Frau nickte desinteressiert. Karli wollte sich dem Hoteleingang zuwenden.

„Ich hab keinen Platz zum Schlafen.“ Wieder war sie kaum zu verstehen.

Karli hielt inne.

„Wieso das denn? Wohnst du nicht hier in der Stadt?“

„Doch …“ Sie hielt die Handflächen weiter in den Regen. Dunkle Tropfen fielen von ihnen auf den Gehweg.

„Aber?“ Karli sah sie streng an. So, wie ihn Walli und seine Lehrer oft angesehen hatten. Er war gereizt und hatte keinen Sinn für die Ironie, die in dieser Situation lag.

„Ich kann da nicht hin.“

„Aha.“ Karli merkte, wie die Tasche an seinen Armen zu zerren begann.

„Könnte ich bei dir im Zimmer übernachten? Es ist alles nass; und ich will nicht wieder draußen schlafen.“

„Das geht nicht. Der Portier hat das ganz klar gesagt.“

„Bitte!“ Sie schluckte. „Ich will auch nicht das Bett. Ich leg mich auf den Boden. Ich will mich nur ein bisschen waschen und die nassen Schuhe ausziehen.“

Karlis Blick wanderte unwillkürlich zu den roten Pumps, die völlig durchnässt waren und viel zu groß wirkten.

„Gibt es denn keine Bahnhofsmission oder sowas?“

„Du weißt nicht, wie’s dort ist. Außerdem …“ Sie blickte zu Seite. Ein älterer Herr führte einen Dackel an der Leine zu einem dünnen Baum, damit der dort das Bein hob. „Ich hab Angst, dass sie mich in ein Heim stecken.“

Karli stöhnte.

„Jetzt gehts auf keinen Fall. Der Portier ist bestimmt noch wach und passt auf.“

„Ich kann warten.“

„Aber ich nicht! Ich will noch nach einem Freund suchen.“

„Ich verstehe.“ Sie schnaubte und wollte sich abwenden.

„Warte!“ Karli kniff die Augen kurz zusammen. „Ich weiß nicht, wie lange das dauert, aber wenn ich meinen Kumpel finde, will er vielleicht, dass ich bei ihm übernachte. Er hat eine große Wohnung. Dann kannst du mein Zimmer haben! Ich hab’s schon bezahlt.“ Karli brachte es nicht über das Herz, ihr zu sagen, wie unwahrscheinlich dieses Szenario war: Erst musste er Leo finden, der vor langer Zeit einmal erzählt hatte, dass er freitags in einer Bar namens Melody in der Nähe des Sendlinger Tors mit amerikanischen Besatzungssoldaten Karten spiele, zweitens hatte er selbst für den Fall, dass ihm das gelang, wenig Hoffnung, von jemandem nach Hause zum Übernachten eingeladen zu werden, der gegen Ende eines gemeinsamen Tags mit Zoo-, Kino- und Eisdielenbesuch zunehmend unruhig zu werden pflegte und beim Abschied am Bahnsteig nicht traurig, sondern erleichtert wirkte.

„Ist gut.“ Das Mädchen schien zu wissen, dass er sie mit dieser Geschichte nur abzuwimmeln versuchte. Sein schlechtes Gewissen veranlasste ihn, seinen illusorischen Vorschlag weiter zu konkretisieren, als glaube er tatsächlich an ihn.

„Ich bring kurz mein Gepäck hoch und geh dann zu dieser Bar, die hier irgendwo in der Nähe sein muss. Wenn ich das Zimmer doch nicht brauche, komme ich noch einmal,...

Erscheint lt. Verlag 26.6.2025
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction
Literatur Historische Romane
Schlagworte 50er Jahre • Coming of Age • Internat • München • Oberbayern
ISBN-10 3-8197-5084-3 / 3819750843
ISBN-13 978-3-8197-5084-7 / 9783819750847
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR)
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Ohne DRM)

Digital Rights Management: ohne DRM
Dieses eBook enthält kein DRM oder Kopier­schutz. Eine Weiter­gabe an Dritte ist jedoch rechtlich nicht zulässig, weil Sie beim Kauf nur die Rechte an der persön­lichen Nutzung erwerben.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich

von B. M. Bower; Rafat Allam

eBook Download (2025)
Arabookverse Ltd (Verlag)
CHF 6,30