Arbeiterin im Nebel (eBook)
470 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-8192-5682-0 (ISBN)
Marten Petersen, geboren in Nordfriesland, schreibt seit vielen Jahren Romane und Kurzgeschichten. Seinen Schwerpunkt legt er dabei auf historische Geschichten, die meist in Skandinavien handeln, sowie Erzählungen rund um das Laufen, vom einfachen Jogging bis hin zum Marathonlauf. Mit seinen Texten ist Marten Petersen in diversen Anthologien vertreten. Insgesamt hat Marten Petersen drei Romane verfasst, von denen einer ins Schwedische übersetzt wurde. Seit 2018 lebt Marten Petersen zusammen mit seiner Frau, der Aquarellmalerin Annelie, in Schweden.
2. Kapitel
Nolde brauchte ein paar Tage, um seinen Entschluss in die Tat umzusetzen. Wieder und wieder hatte er die möglichen Gefahren abgewogen, sie mit dem Nutzen seines Vorhabens verglichen. Und immer wieder tauchte die Frage auf, ob er Petersen vertrauen könnte.
Politisch standen sie zwar beide dem Führer nahe, und sie teilten ihre Gedanken über die Judenfrage. Aber sonst? Er, Nolde, war ein freier Künstler, der seinen eigenen Weg gesucht und gefunden hatte. Auch gegen den Widerstand der herrschenden Kunstorganisation des Reiches. Aber Petersen? Er malte, was man von ihm verlangte. Natürlich und arisch, ohne eine eigene Linie. Und zum Dank hatte der Führer persönlich ihn zum Professor und Reichskriegsmaler ernannt.
Aber doch hatte Nolde bei den wenigen Gesprächen, die sie miteinander geführt hatten, ein vages Maß an Vertrauen zu Petersen gefasst. War es die Tatsache, dass sie beide Männer der Küste waren? Reichte die Landsmannschaft so tief, dass man sich allein aufgrund der gemeinsamen Herkunft vertrauen konnte?
Doch es musste eine Entscheidung fallen. Der Maler holte tief Luft und griff zum Telefonhörer. Nach dem dritten Rufton meldete sich eine Frau.
„Petersen.“
„Guten Abend, Frau Petersen. Hier ist Emil Nolde. Bitte entschuldigen Sie die abendliche Störung, aber ich hätte gern Ihren Mann gesprochen. Ist er zu Hause?“
„Ja, das ist er. Ich hole ihn. Bitte bleiben Sie am Apparat.“
Nolde hörte ein Knacken, als Frau Petersen den Hörer zur Seite legte, offenbar auf einen Tisch. Dann hörte er gedämpfte Schritte und wiederum ein Knacken.
„Wilhelm Petersen hier. Nolde? Emil, bist du das?“
„Moin Wilhelm. Ja, ich bin es. Freut mich, dass ich dich erreicht habe.“
„So eine Überraschung. Was kann ich für dich tun?“
„Das ist etwas delikat, Wilhelm. Ich möchte persönlich mit dir sprechen. Ich gehe davon aus, dass du zur Kunstausstellung nach München fährst. Vielleicht können wir uns dort treffen. Mich würde das freuen.“
„Nun ja, klar würde das gehen. Aber worum geht es denn?“
„Wie gesagt, das ist eher etwas Persönliches.
Und wir haben mit der Malerei gemeinsame Interessen. Ein Informationsaustausch wäre doch für uns beide gut.“
„Nachtigall, ik hör dir trapsen! Willst du deine Malerei ändern? Das wäre nur gut für dich.“
„Wilhelm, bitte. Ich möchte das gern in München bereden.“
„In Ordnung, Nolde. Wann und wo treffen wir uns?“
Die beiden berieten sich hin und her und vereinbarten dann einen Treffpunkt.
Erleichtert darüber, dass er den ersten Schritt gemacht hatte, aber beunruhigt über Petersens Nachfragen setzte Nolde sich auf seinen Sessel.
Ada kam aus der Bibliothek.
„Ich habe etwas mitgehört Emil. Es ist gut, dass du das in Angriff genommen hast.“
„Ich weiß nicht so recht.“
„Sei beruhigt, mein Lieber, das wird richtig sein. Ich bin mir sicher. Fahr du nach München, ich komme hier klar. Und alle anderen Schritte machen wir gemeinsam.“
Nolde reiste mit kleinem Gepäck. Alles, was er benötigte, fand in einem Koffer Platz. Natürlich hatte Ada ihm bei der Auswahl der Kleidung geholfen. Skizzenbuch und Stifte trug er zusammen mit der Geldbörse und den Papieren am Körper.
Der Maler hatte, wie es seine Gewohnheit war, einen grauen Anzug mit Weste an. Dazu trug er Hut und Mantel.
Ada hatte ihn gegen Mittag mit dem Wagen zum Bahnhof Niebüll gefahren. Der Zug würde ihn zum Hamburger Hauptbahnhof bringen. Hier würde er dann in den Nachtzug steigen.
„Mein Lieber, es wird alles gut gehen. Und ich hoffe, deine Gespräche mit Wilhelm werden erfolgreich sein.“
„Danke, Ada, das hoffe ich auch. Pass gut auf dich auf, Liebes, ich brauche dich. Ohne dich bin ich ein Nichts.“
„Spinner!“
Der Zug war schon bereitgestellt. Nach einer herzlichen Umarmung verabschiedeten sich Ada und Emil Nolde.
Die Bahnfahrt verlief tatsächlich ohne größere Probleme. Bis Hamburg wurde der Fahrplan genau eingehalten. Dort hatte er aber zwei Stunden Aufenthalt. Die Zeit nutzte Nolde, sich im näheren Umfeld des Bahnhofs umzusehen. Er sah zerstörte Häuser, von Bomben getroffen. Manchmal war die Fassade eines Hauses weggesprengt und man hatte Einblick in einzelne Zimmer. Langsam begann der Maler, an den Endsieg der Wehrmacht zu zweifeln. Der Krieg fand nicht mehr in Spanien oder auf dem Balkan statt, er war längst mitten im Reich angekommen. Wie sollte man da die Fronten in Ost und West halten?
Als der Zug einrollte, fand Nolde rasch sein Abteil, das er für die Nachtfahrt gebucht hatte.
Es war kein Schlafwagen, aber immerhin konnte man die Rückenlehnen der Sitzbänke hochklappen, wodurch vier Liegen entstanden.
Das Gepäck war schnell verstaut, und so konnte er es sich bequem machen. Im Bahnhofskiosk hatte er sich den Völkischen Beobachter gekauft. Die staatliche Meinung zu zeigen, war immer eine gute Tarnung, dachte er. Aber er hatte ja auch noch sein Buch dabei, Hunger von Knut Hamsum. Vor Jahren hatte er den Roman bereits auf Deutsch gelesen, jetzt hatte er sich an das norwegische Original gewagt.
Hamsum, dieser treue Freund Deutschlands.
Noch war Nolde allein im Abteil. Aber sicher würden bald Reisende zusteigen. Und so war es. Bereits in den südlichen Vororten Hamburg füllte sich der Zug. In Hannover stiegen zwei Mitreisende aus. Nun war es an der Zeit, die Liegeplätze vorzubereiten. Nolde lag auf der oberen Pritsche. Die kleine Birne reichte kaum aus, um zu Lesen. Bald schlief er trotz, oder gerade wegen des ständigen Ratterns ein.
Es war fast ein Wunder, dass der Fahrplan nahezu eingehalten werden konnte. Im Morgengrauen kam es mehrfach zu kürzeren Unterbrechungen. Dann versuchten die Reisenden herauszufinden, was los war. Einer wollte einen Blick auf den Bahnsteig werfen, aber er traute sich nicht, das Fenster zu öffnen. Was mochte der Grund für den ungeplanten Halt sein? Ein Fliegerangriff? Oder drohte ein längerer Aufenthalt wegen zerstörter Bahnschienen? Man musste mit allem rechnen in dieser Zeit. Als die Fahrt weiterging, entspannten die Reisenden sich. Es wurde wieder geredet und gelacht.
Auch Nolde lehnte sich sichtlich gelockert zurück. Er hatte eine Zeitung aus der Tasche gezogen, aber konnte sich nicht auf die Berichte konzentrieren. Zu sehr machte ihm sein Handeln zu schaffen. War es richtig, auf Wilhelm zu setzen? Oder war er zu blauäugig, ihm zu vertrauen? Was wäre, wenn Wilhelm in München mit der SS auf ihn warten würde? Aber er hatte ja alles mit Ada durchgesprochen, er hatte keine andere Wahl, er musste das Risiko eingehen. Nun gab es kein Zurück mehr.
Kurz vor Nürnberg hielt der Zug in einem kleinen Ort, der keine Haltestelle des Eilzuges war. Sofort verstummten die Unterhaltungen und die Reisenden steckten verstohlen die Köpfe zusammen. Was mochte es dieses Mal sein? Sie suchten doch wohl nicht ihn? Sollte Wilhelm doch …? Aber nein!
Nolde schaute unauffällig aus dem Fenster, denn es war schon hell draußen. Zwei Männer in langen, schwarzen Mänteln stiegen zu. Eindeutig SS. Dann wurde ein Mann aus dem Wagen gestoßen, hart landete er auf dem Beton des Bahnsteigs. Die SS-Männer zogen ihn auf die Beine und nahmen den Mann mit festem Griff in ihre Mitte. Es war still im Abteil, keiner äußerte sich zu dem Vorgang. Niemand hatte sich getraut, ein Fenster zu öffnen, um den Vorgang zu beobachten oder gar lautstark einzugreifen. Der Mann wurde abgeführt, und der Zug nahm seine Fahrt wieder auf. Die Anspannung der Reisenden löste sich mit einem Schlag.
In München angekommen, nahm Nolde die Straßenbahn und fuhr zur Pension, in der er schon mehrfach ein Zimmer angemietet hatte.
Er war eben ein Gewohnheitsmensch, wie Ada immer sagte. Bei dem Gedanken an seine Frau wurde Emil nachdenklich. Wie es ihr wohl gesundheitlich gehen würde?
Tatsächlich hatte er, wie erwartet, den Kollegen Petersen angetroffen. Sie gingen aneinander vorbei. Jeder wollte vorerst für sich die Ausstellung ansehen, ohne sich anzusprechen.
Ein kurzes Nicken nur, so war es abgesprochen.
„Hier sind zu viele offene Augen und Ohren“, so hatte Wilhelm Petersen am Telefon gesagt.
Erst kurz nach Ende der Öffnungszeit wollten sie sich draußen treffen.
In vielen Bildern sah Nolde den neuen Maltyp, wie die Herren der nationalsozialistischen Führung ihn erwartete. Deutliche Komturen, klare Gesichtszüge. Bauern auf dem Feld, Arbeiter in der Fabrik, deutsche Landschaften.
Andere Bilder waren in modernerem, in seinem, Noldes Sinne gemalt. Aus ihnen sprachen Anflüge des Expressionismus. Es wurde eher mit grellerer Farbe und breiterem Pinselstrich gearbeitet.
Warum hingen diese Bilder hier, nicht seine?
Die Entscheider in der Reichskulturkammer kannten doch seine Einstellung zur Führung des Reiches. Er vertrat doch deren Linie! Und trotzdem setzten sie ihm mehr und mehr zu.
Würde man es ihm künftig noch...
| Erscheint lt. Verlag | 17.6.2025 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
| ISBN-10 | 3-8192-5682-2 / 3819256822 |
| ISBN-13 | 978-3-8192-5682-0 / 9783819256820 |
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