Flucht aus dem Kloster (eBook)
400 Seiten
Brunnen Verlag Gießen
978-3-7655-7760-4 (ISBN)
Roswitha Gruber wurde 1939 in Trier geboren und lebt mit ihrem Mann in Reit im Winkl. Schon als sie die ersten Buchstaben in der Grundschule lernte, hegte sie den Wunsch, Autorin zu werden und veröffentlichte ihr erstes Buch mit 50 Jahren. Sie war 27 Jahre lang Lektorin und Kommunionhelferin in der katholischen Kirche. Ihr Markenzeichen sind Lebensberichte von starken, realen Frauen, die sich ihren Platz im Leben erkämpfen mussten und nun Vorbilder sein können.
Zweites Kapitel
Die Oberin, die eine gute Menschenkenntnis besaß, machte sich über ihre neue Postulantin besonders viele Gedanken. Sie ließ sich nicht nur immer von Schwester Odilia, der die Postulantenausbildung unterstand, berichten. Sie beobachtete Klara auch selbst verstohlen bei all ihrem Tun. Dieses Mädchen war nicht aus Berufung ins Kloster eingetreten, das sah man ihm an. Mit Sicherheit hatte die dominante Mutter Druck auf es ausgeübt. Das schien aber nicht der einzige Beweggrund zu sein. Trotz ihrer Zurückhaltung und Verschlossenheit wirkte Klara so, als verstünde sie es, sich durchzusetzen. Es musste also einen weiteren Grund geben, der sie zu diesem Schritt bewogen hatte. Ja, es kam der Oberin so vor, als sei die neue Postulantin der Welt entflohen. Ihr erfahrenes Auge konnte an Klaras Gesicht ablesen, dass sie Kummer hatte.
Die Äbtissin hatte es sich jedoch zur Aufgabe gemacht, in niemanden zu dringen und niemanden abzuweisen. Sie hatte schon viele Mädchen kommen und gehen sehen. Manch eines war von sich aus auf sie zugekommen und hatte ihr Herz ausgeschüttet. Andere Mädchen waren ohne Erklärung gegangen, wenn die Zeit ihren Schmerz geheilt hatte. Über Klara konnte man in keiner Weise klagen. Sie fügte sich sehr gut in die Gemeinschaft ein, war ebenso fleißig wie geschickt und erledigte alle Aufgaben zur größten Zufriedenheit der Gemeinschaft. Sie nahm pünktlich an den heiligen Messen und den gemeinsamen Gebeten teil. Sie bereicherte die Gottesdienste durch ihre gute Singstimme. Dennoch – die Oberin wurde das Gefühl nicht los, das Mädchen beging Verrat an sich selbst. Nach ihrer Erfahrung würde ein solches nicht lange durchhalten.
Aber allen Befürchtungen zum Trotz hielt Klara durch. Mit größter Gewissenhaftigkeit bereitete sie sich innerlich und äußerlich auf den Tag der Einkleidung vor. Mit ihr sollten drei weitere Postulantinnen eingekleidet werden. Zu diesem Anlass waren die nächsten Angehörigen der Mädchen eingeladen worden.
Klara begrüßte ihre Eltern am Eingang zur Kapelle. Auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin hatten sie keines ihrer Geschwister mitgebracht, außer Peter. Der umarmte sie und fragte: „Muss das wirklich sein, Schwesterchen?“
„Ja, Peter.“
„Dann wünsche ich dir viel Glück! Vergiss mich nicht! Ich werde für dich beten.“
„Danke, Peter.“ Dabei schluckte Klara tapfer ihre Tränen hinunter. Dann umarmte der Vater seine Jüngste ein letztes Mal. Sagen konnte er nichts. Für lange Gespräche blieb ohnehin keine Zeit. Zwei Neuigkeiten musste die Mutter dennoch loswerden, ehe sie sich von Klara verabschiedete. Denn nach der Einkleidung würden die neuen Novizinnen gleich ins Novizenhaus geführt werden, ohne ihre Angehörigen noch einmal zu sehen.
„Du, Klara, die Frau von Michel hat vor drei Monaten ein Mädchen bekommen“, flüsterte sie ihrer Tochter zu. „Und die Agnes hat vor zwei Monaten einen strammen Jungen zur Welt gebracht.“
Von der angehenden Novizin erfolgte keinerlei Reaktion. Deshalb fuhr die stolze Großmutter fort: „Auf dem Fandelhof ist die Freude über den Stammhalter natürlich groß, das kannst du dir denken.“
Damit die Mutter nicht noch mehr Dinge vorbringe, die ihr Herz belasten würden, würgte Klara das Gespräch ab: „Warum erzählst du mir das alles, Mutter? Ich bin dabei, von der Welt Abschied zu nehmen. Belaste mich also bitte nicht mehr mit solchen Dingen.“
Theres war tief enttäuscht, dass Klara keinerlei Interesse an den Familiennachrichten bekundete, respektierte aber deren Haltung. Es hinderte sie jedoch nicht daran, sich ihre eigenen Gedanken zu machen. Ja, gerade wegen dieser Äußerung machte sie sich welche. Unwillkürlich stiegen die Überlegungen vom letzten Herbst, die sie längst verdrängt hatte, wieder in ihr hoch: Bestand da immer noch dieser heimliche Schmerz? War Klara immer noch auf der Flucht vor der Welt – oder gar vor sich selbst? Irgendwie schien es doch mit Agnes zusammenzuhängen. Hatte Klara nicht erst bei Nennung von deren Namen diesen abweisenden Gesichtsausdruck angenommen? War sie vielleicht neidisch auf die Schwester, weil diese einen Mann gefunden hatte und sie nicht? Beneidete sie ihre Schwester um ein Glück, das sie nie haben würde?
Ach, Kappes, beruhigte sie sich selbst. Wahrscheinlich lege ich Klaras Äußerung zu viel Gewicht bei. Sicher sind ihre Worte nur ein Zeichen dafür, dass sie bereits allem Weltlichen entrückt ist. Vielleicht nimmt sie nun wirklich aus Überzeugung den Schleier …
Wie so oft nahm Theres ihre Zuflucht zum Gebet, um ihre belastenden Gedanken zu verscheuchen.
Schon bald wurde ihre Aufmerksamkeit durch die feierliche Handlung vorn am Altar in Anspruch genommen. Die vier jungen Mädchen legten sich mit ausgebreiteten Armen vor den Stufen des Altars auf den Boden, mit dem Gesichte nach unten. Der weißhaarige Priester betete über sie, forderte sie auf, ihre Sünden zu bereuen und ihr Herz noch einmal zu prüfen. Auf ein Zeichen hin erhoben sich alle, traten einen Schritt zurück und setzten sich auf die bereitstehenden Stühle, das Gesicht dem Altar zugewandt.
Nach der Predigt kniete sich eine neben der anderen zur feierlichen Einkleidung auf der ersten Altarstufe nieder. Die Äbtissin trat vor sie hin und fragte: „Sind Sie bereit, meine Töchter?“
„Wir sind bereit, ehrwürdige Mutter.“
Die Äbtissin begab sich zur Seite und überließ dem Priester ihren Platz.
„Liebe Schwestern im Herrn. Sie sind hier zusammengekommen, um den Schleier des Ordens zu empfangen. Wollen Sie Gott, den Herrn, über alles lieben, ihn loben und verehren, wie es die Ordensregel verlangt?“
„Das wollen wir.“
„Sind Sie bereit, den Menschen in seinem Namen zu dienen, für sie zu büßen und für alle ihre Anliegen zu beten?“
„Dazu sind wir bereit.“
„Nun wird jede von Ihnen einzeln ihr Ordensgelübde ablegen.“
Als Erste war Klara an der Reihe. Der Priester fragte sie:
„Geloben Sie vor Gottes Angesicht, vor Ihren Mitschwestern und der hier versammelten Gemeinde, die Gebote der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams zu befolgen?“
„Ich gelobe es.“
Klara erhob sich und trat in einen Halbkreis von Mitschwestern. Von diesen hielt jede etwas in Händen. Die erste schnitt mit einer großen Schere das lange Haar der Kandidatin rundum in Kinnhöhe ab. Nun legte Klara bedächtig – Stück für Stück, so wie es das Zeremoniell vorschrieb – ihre weltliche Oberbekleidung ab. Tief im Innern erhoffte sie sich davon, gleichzeitig damit ihren Kummer abstreifen zu können. Dann stülpte ihr eine der Schwestern den weißen Habit über. Die nächste Schwester umgürtete diesen mit einem dreimal geknoteten Strick. Die dritte Schwester legte ihr die weiße Kopfhülle an. Eine weitere Schwester hängte ihr den weiten Mantel aus grober schwarzer Wolle um. Die fünfte Schwester setzte ihr die weiße Haube auf. Als Letzte trat die Äbtissin in Aktion. Mit geübter Hand breitete sie den weißen Schleier über das Haupt der neuen Novizin.
Nun kniete sich Klara auf die oberste Altarstufe vor den Priester. Der legte ihr die Hände auf, segnete sie und sprach: „Durch die Gnade der Taufe sind Sie ein Kind Gottes geworden und haben den Namen Klara erhalten. Durch das Ablegen der Gelübde werden sie eine Braut Christi und erhalten als Zeichen für diesen neuen Lebensstand den Namen Benedikta.“
Nach diesen Worten hängte er ihr ein schlichtes Metallkreuz um und fügte hinzu: „Tragen Sie es in Ehren.“
Nachdem auch die anderen Mädchen auf diese Weise eingekleidet waren, sahen sie von hinten alle gleich aus. Während der anschließenden Messfeier bewegten sie sich mehrmals zum Altar hin und wieder weg. Deshalb war bald nicht mehr zu erkennen, welche von ihnen Klara war.
Es gibt Klara nicht mehr, dachte Peter traurig. Sie ist in der Gemeinschaft aufgegangen. So sollte es ja wohl sein. Nach der heiligen Handlung verließen Klaras Eltern und Bruder schweigend die Kapelle. Sie waren so tief bewegt, dass sie kein Wort sagen konnten. Ihnen wären sonst die Tränen gekommen.
Peter brachte seine Eltern mit dem Wagen zum Bahnhof. Dann musste er zurück ins Büro.
Erst auf der Heimfahrt gestand Theres ihrem Mann: „Ich hätte nicht gedacht, dass mich das Ganze so mitnimmt.“
„Ja, es war ergreifend“, pflichtete ihr der sonst wortkarge Mann bei. „Ich hätte nicht gedacht, dass es mir so schwerfallen würde, das Kind herzugeben. Aber damit muss man sich abfinden. Alles, was man hier auf Erden besitzt, hat man nur leihweise.“
Über diese seine Worte war seine Frau sehr erstaunt.
Noch am selben Abend tauchte Agnes mit dem Kinderwagen bei ihrer Mutter auf.
„Wie war es?“, platzte sie ohne Umschweife heraus.
„Feierlich, sehr feierlich“, berichtete die Mutter stolz.
„Außer Klara wurden noch drei andere Mädchen eingekleidet.“
„Ja – und?“, fragte Agnes voller Ungeduld.
„Was – und?“
„Was hat sie gesagt?“
„Wir kamen gar nicht dazu, viel mit ihr zu reden.“
„Hast du ihr nicht erzählt, dass ich einen Sohn bekommen habe?“
„Doch, von dem habe ich ihr erzählt und von Michels Tochter.“
„Und – was hat sie dazu gesagt?“
„Sie wollte es gar nicht wissen. Sie nehme gerade von der Welt Abschied und wolle mit solchen Sachen nicht belastet werden.“ „Hat sie keine Grüße an mich aufgetragen?“
„Nein.“
„Hat sie...
| Erscheint lt. Verlag | 23.6.2025 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
| Schlagworte | Buch alte Zeiten • Buch für Rentner • Buch für Senioren • christliche Romane • Christlicher Roman • Familiengeschichten • Geschichten für Senioren • Großdruck Romane • Gute alte Zeit • Heimatroman • Historische Romane • Landleben Roman • oma geschenk buch • Roman für Frauen • Roman Lebensgeschichten |
| ISBN-10 | 3-7655-7760-X / 376557760X |
| ISBN-13 | 978-3-7655-7760-4 / 9783765577604 |
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