Le Fay - Chroniken einer dunklen Erbschaft (eBook)
450 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-8192-3590-0 (ISBN)
Vom Klang zur Geschichte Geboren 1969 in Koblenz und aufgewachsen in den Straßen von Mayen, führte mein Weg mich zunächst in die Welt des Handwerks. Doch unter der Oberfläche schlug immer ein anderer Takt ... der der Musik. Jahrelang stand ich auf der Bühne, gab mit Coverbands den Liedern anderer meine Stimme. Aber das reine Nachspielen genügte irgendwann nicht mehr. Es wuchs der Drang, nicht nur Töne, sondern ganze Welten zu erschaffen ... Geschichten mit eigener Tiefe und Bedeutung. Heute lebe ich in Weißenthurm, einem kleinen Ort, wo der Rhein beständig fließt. Hier, in der Stille zwischen den Ufern, finde ich die Ruhe, jenen dunklen und vielschichtigen Geschichten eine Form zu geben, die schon immer in mir darauf gewartet haben, erzählt zu werden. Meine Inspiration speist sich nicht nur aus Büchern und Musik. Sie liegt auch in der Ferne verborgen. Das Reisen ist für mich mehr als eine Leidenschaft ... es ist eine Spurensuche. In fremden Ländern, zwischen unbekannten Kulturen und neuen Perspektiven, suche ich nach den universellen Mustern von Licht und Dunkelheit. Die Echos alter Mythen, die Atmosphäre vergessener Orte und die Geschichten, die in den Gesichtern der Menschen geschrieben stehen, fließen unweigerlich in meine Welten ein.
Kapitel 1
Die Schatten rufen
Faybourne, England – 1996
Der Wind kam aus dem Moor. Schwer, feucht, voller unsichtbarer Finger, die sich durch die engen Straßen schlängelten. Die Lichter der wenigen Laternen, die noch funktionierten, warfen lange Schatten über das Kopfsteinpflaster. Es war eine jener Nächte, in denen Faybourne sich älter anfühlte, als es sein sollte – als wäre es nicht nur eine kleine, abgelegene Stadt, sondern ein vergessener Ort, an dem die Zeit anders floss. Langsamer. Schwerer. Vielleicht auch falsch.
Es gab Orte in Faybourne, die niemand mehr besuchte – Orte, über die nur noch geflüstert wurde, meist spät in der Nacht, wenn das Bier in den Pubs bereits warm war und die Stimmen gedämpfter wurden. Nicht aus Rücksicht, sondern weil manche Geschichten es nicht mochten, laut ausgesprochen zu werden. Der Tempel am Waldrand, ein Bauwerk, das keinen Namen hatte und über das die Alten sagten, er sei nicht wirklich leer. Die alten Grundmauern einer Kapelle auf dem verfallenen Fabrikgelände, in denen sich Wasser sammelte, als wolle die Stadt ihre eigene Vergangenheit ertränken. Die Kapelle stand da wie ein ausgebrannter Kadaver, ein Skelett aus bröckelndem Stein. Seit zehn Jahren hatte niemand mehr ihren Altar betreten. Die Wände, einst mit Gebeten geweiht, trugen nun nur noch Stille und die unheimlichen Zeichen, die irgendwann in den Stein geritzt worden waren. Lateinische Worte, deren Bedeutung längst verloren gegangen war.
Aber heute Nacht war Faybourne wach.
Eine Gestalt glitt durch die Straßen, lautlos, wie ein Schatten, der sich aus der Dunkelheit löste. Sie wusste, dass sie nahe war. Ihr Herz schlug ruhig, gleichmäßig. Das Spiel hatte begonnen.
Die Nacht lag über der Stadt wie das Gewicht eines nassen Tierfells – schwer, kalt, voller Gerüche, die nicht hätten da sein sollen. Sie war lebendig, aber auf eine Art, die man nicht sehen konnte. Man konnte es nur fühlen.
Die Dunkelheit hielt den Atem an. Wartete. Und dann bewegte sie sich. Langsam. Präzise. Ein Jäger, der sich beinahe zärtlich auf seine Beute niederließ.
»Mein Little Ember.«
So nannte Isabel ihre Opfer. Ein Name, der das Unvermeidliche harmloser erscheinen ließ – als wäre es nicht das Ende, sondern nur ein kurzes Flackern, das verging. Ein Trost. Vielleicht nicht für sie, aber für den letzten, verbliebenen Teil von ihr, der noch fühlen konnte.
Dichter Nebel kroch durch die engen Gassen, schwer und zäh wie etwas Lebendiges. Er strich über bröckelnde Fassaden, legte sich in die Risse der Stadt, umschlang kaputte Straßenlaternen, als würde er mit lautloser Stimme erzählen, was sich hier jede Nacht wiederholte.
In der Ferne bellte ein Hund. Kein warnendes Kläffen, sondern ein klägliches, gebrochenes Geräusch – der Laut eines Wesens, das wusste, dass niemand kommen würde. Der Schrei von etwas, das sich längst aufgegeben hatte.
Isabel stand am Rand der Dunkelheit, ihren Mantel eng um sich geschlungen, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Ihr Atem stieg in kleinen weißen Wölkchen auf, als ob ihre Seele langsam aus ihr entwich, eins mit dem Nebel. Ihre Stiefel gruben sich in das feuchte Kopfsteinpflaster, ein leises Quietschen, das in der Stille viel lauter klang, als es sein sollte. Sie bewegte sich nicht, nicht sofort. Es war wie ein Ritual, das sich jedes Mal wiederholte.
Erst warten. Erst fühlen. Erst lauschen.
»Es ist wieder so weit«, dachte sie. »Sie rufen mich.«
Die Stimmen… sie waren immer da gewesen. Leise, am Rand ihres Bewusstseins – manchmal so schwach, dass sie sich einbilden konnte, sie wären verschwunden. Aber das war eine Lüge - eine von vielen, die sie sich erzählte. Heute waren sie klarer, stärker, dringlicher. Sie sagten ihr, wohin sie gehen musste, und sie gehorchte.
Ein Hauch eines Lächelns glitt über ihr Gesicht, vergänglich wie der Nebel, der sie umhüllte. Doch es war kein Lächeln der Freude – es war bitter, voller Resignation. Als grüße sie einen alten Freund, den sie längst vergessen wollte. Die Straße vor ihr lag in vollkommener Stille – doch in ihrem Kopf schrie es. Die Schatten waren immer da - nicht nur um sie herum, sondern in ihr. Sie flüsterten, sie stichelten, sie führten.
»Das bist du, Isabel. Das warst du immer – selbst dann, wenn du es nicht wusstest«.
Das Messer in ihrer Manteltasche war kalt und vertraut – wie die Hand eines Geliebten, dessen Berührung längst zur Gewohnheit geworden war. Eine stumme Konstante, die weder Trost noch Wärme bot, sondern nur das Versprechen von etwas Endgültigem.
»Ich wollte das nicht.«
Die Worte hallten in ihr wider – leere Hüllen, ausgebrannt und bedeutungslos. Vielleicht hatten sie einmal Wahrheit getragen. Vielleicht hatte es eine Zeit gegeben, in der sie an Möglichkeiten geglaubt hatte. Aber wer interessierte sich heute für ihren Willen?
Sie hatte längst aufgehört, darüber nachzudenken. Irgendwann spielt es keine Rolle mehr. Irgendwann wird das Schweigen im Kopf zur einfachsten Lösung. Sie erinnerte sich an die Zeit, bevor alles zerbrach. Bilder tauchten auf, verschwammen und lösten sich auf, bevor sie sie festhalten konnte. Ihr Leben als Verkäuferin in dem kleinen Laden an der Ecke – ein Leben, das nicht mehr ihrs war. Der Duft von frischem Brot aus der Bäckerei nebenan. Das Lachen der Kunden, die sie mit Namen kannten. Und sie. »Sweetheart.« Irgendwann war das Wort verblasst, so wie alles andere. Vielleicht in dem Moment, als die Schatten stärker wurden. Als Wut und Geheimnisse den Platz der Liebe einnahmen. Sie hatte versucht, es zu verstehen, hatte gekämpft – aber am Ende blieb nur das Schweigen.
Isabel war nicht mehr die, die sie einst gewesen war – diejenige, die ihr ›Sweetheart‹ mit sanften Blicken bedacht und mit leiser Stimme beim Namen genannt hatte. Jene Isabel, die in warmem Licht gelacht hatte und das Leben in den kleinen, unscheinbaren Momenten fand. Diese Frau war längst verblasst, ausgelöscht von dem Schatten, der sich in ihr Herz gegraben hatte, bis nichts mehr von ihr übrig war außer einer fernen Erinnerung, die in der Dunkelheit kaum noch flackerte.
Oder war sie das nie gewesen. Vielleicht hatte der Schatten schon immer in ihr geschlummert, tief in ihr vergraben, wartend.
»Ich war Isabel. Jetzt bin ich… etwas anderes.«
Emilia rannte. Ihr Atem kam stoßweise, scharf und brennend, während sie versuchte, den Schmerz in ihren Lungen zu ignorieren. Die Nacht war zu still, bis auf das Klackern ihrer Absätze auf dem Kopfsteinpflaster und das unheimliche Echo, das sie nicht abschütteln konnte. Jede Ecke der Stadt schien gegen sie zu sein, die Wände der Gassen zogen sich enger, der Nebel drängte sie vorwärts.
»Das ist nicht real. Das kann nicht sein.« Sie hatte es sich immer wieder eingeredet, aber es machte keinen Unterschied. Die Schritte hinter ihr waren da, der Schatten zog sich lautlos durch die Dunkelheit. Und die Angst kroch tief in ihre Knochen.
»Wer ist da?«, rief sie, ihre Stimme riss und hallte zurück, verzerrt. Sie drehte sich um, ihr Blick suchte verzweifelt, aber da war nichts. Nebel und Dunkelheit. Mehr war nicht geblieben. Emilia stolperte, fing sich mit den Händen ab und fühlte, wie die Kälte des Bodens durch ihre Handflächen schnitt. Ein leises Wimmern entkam ihr, mehr aus Frust als aus Schmerz. Sie wollte aufstehen, weiter rennen, aber ihre Beine fühlten sich an, als wären sie in Ketten gelegt.
»Das ist ein Albtraum. Es muss ein Albtraum sein.« Ihre Finger krallten sich in den Stoff ihrer Tasche, als läge darin die Antwort. Ein Telefon, das stumm blieb. Ein Schlüssel, der nirgendwo passte. Ein Ausgang, der nicht existierte.
Ein Geräusch.
Leise, aber unüberhörbar – ein Klirren, metallisch und scharf, als würde eine Klinge über Stein gleiten.
Emilias Herz setzte für einen Schlag aus, bevor es raste.
Sie fuhr herum, die Kälte kroch in ihren Nacken, und diesmal wusste sie es. Es war nicht nur Einbildung. Nicht mehr.
Da war jemand.
»Bitte… bitte! Ich habe nichts getan!«
Ihre Stimme war ein heiseres Flehen, das an der Dunkelheit zerbrach wie Glas auf kaltem Stein. Keine Antwort. Keine Gnade. Nur die Stille, die schwer auf ihren Schultern lag.
Dann – eine Bewegung im Nebel. Eine Gestalt trat hervor, langsam, sicher, als wüsste sie längst, dass es kein Entkommen gab.
Die Kapuze verhüllte das Gesicht, doch die Haltung sprach eine unmissverständliche Sprache – ruhig, berechnend, unaufhaltsam.
Kein Zögern. Keine Unsicherheit. Nur die kalte Gewissheit eines längst gefassten Entschlusses.
Verhandlungen waren nie eine Option. Sie war hier, um das Unausweichliche zu vollenden. »Bleib weg!«
Emilias Stimme zitterte, doch der Befehl blieb in der Dunkelheit hängen, wirkungslos. Sie versuchte aufzustehen, ihr Fuß rutschte über die nassen Steine, doch sie fing sich...
| Erscheint lt. Verlag | 6.5.2025 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
| ISBN-10 | 3-8192-3590-6 / 3819235906 |
| ISBN-13 | 978-3-8192-3590-0 / 9783819235900 |
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