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Sommerfreuden - Herman Bang

Sommerfreuden

(Autor)

Buch | Ledereinband/Edeleinband
352 Seiten
2007
Manesse Verlag
978-3-7175-2127-3 (ISBN)
CHF 69,90 inkl. MwSt
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Heitere Tage, mondhelle Nächte, frische Meeresbrisen. Doch was tun, wenn keiner da ist, um all das gebührend zu würdigen? Das Ehepaar Brasen betreibt ohne großen Zuspruch ein Hotel an der Ostküste Jütlands. Erst eine Zeitungsannonce bringt den Umschwung. Die Sommerfrischler strömen nur so herbei, und die Nöte der Brasens sind plötzlich ganz andere.


Bündigkeit und Prägnanz, mit der Herman Bang seine Figuren entwickelt, sind unübertroffen. Kein Wort zuviel, kein ornamentales Beiwerk, keinerlei atmosphärische Wattierung, dafür liebevoll skizzierte Details, die sich unversehens zu einem Ganzen runden. Szene um Szene, scheinbar beiläufig, entsteht das Bild einer Epoche. Eine sonnenhungrige Gesellschaft etwa, wenn sie wie ein Heuschreckenschwarm im Hotel einfällt und im Handumdrehen aller Beschaulichkeit den Garaus macht, steht beispielhaft für die Geburt des Tourismus aus dem Geiste des Geschäftssinns. Neben der titelgebenden Geschichte enthält unser Band zwei weitere Meisterwerke des "dänischen Cechov". In "Die Raben" hat sich eine vielköpfige Schar versammelt, hinter deren Familiensinn der pure Eigennutz lauert. "Fräulein Caja" schließlich führt uns in die Welt eines Pensionats, wo oberflächliches Geschwätz verhindert, daß zwei Liebende zueinanderfinden.
Bang versteht sich meisterlich auf präzise Milieustudien. Bei ihm hat es stets etwas Anrührendes zu sehen, wie ungelenk die Menschen versuchen, einen Zipfel von dem zu erhaschen, was sie für Glück halten.


Herman Bang (1857-1912), als Pfarrerssohn in der dänischen Provinz aufgewachsen, versuchte sich als Schauspieler, Regisseur und Feuilletonist, ehe er sich ganz der Literatur zuwandte. Reisen führten ihn durch ganz Europa. Bang gilt als Vollender der impressionistischen Erzählkunst, stilistisch wie thematisch gehört er zur künstlerischen Avantgarde seiner Zeit.

La vie est bien triste - rions enfin. Frau Brasen wollte das Haus trotzdem inspizieren. Es konnten ja jederzeit Sommergäste kommen, man wußte nie, heute, zum Essen, mit dem Wagen. Und fertig wurde man wahrhaftig nie, das eine oder andere gab es immer, wenn man sich auf die Mädchen und Brasen verlassen mußte. Gestern waren es die Vorhänge, die da hingen und deren Säume nur lose angenäht waren. Frau Brasen stand von ihrem Holzstuhl am Küchentisch auf - der Stuhl war etwas wacklig -und sah sich die geschmierten Brote an: Ja, was rausging, das wußte man, und zwar täglich. Was reinkam in diesem Geschäft, das ging drauf, wie auch Brasen sagte. Frau Brasen blieb vor den Butterbroten des Personals stehen: Und man streicht sie doch, so gut man kann. Frau Brasen seufzte - sie waren dünn bestrichen: "Aber man hält ja durch, bis zuletzt", sagte sie. Frau Brasen ging durch die Küche und öffnete die Durchreiche in der Tür zur Gaststube: "Bist du da, Brasen?" fragte sie. "Ja, Jansine", sagte Brasen. "Gut", sagte die Frau, die zum Mann hineinsah, der in seiner Einsamkeit neben seinem Tresen saß und auf seine eigenen kurzen Beine hinabschaute. "Dann paß du auf die Kasse auf", sagte sie und schloß die Durchreiche. Der "Kasse" galten Frau Brasens Gedanken von früh bis spät, denn die "Knächte" stibitzten, was sie nur konnten, einer wie der andere. Die "Knächte" waren die Kellner, und die "Kasse" war eine offene Schublade im Tresen. Sie hatten aber auch wirklich immer Pech mit ihnen, und bekam man einmal einen anständigen Mann, dann blieb er nicht - so war es. Frau Brasen ging über den Hof und durch das Tor, wo Fuhrknecht Nielsen fegte. Nielsen war bei der Artillerie gewesen, trug die Mütze im Nacken und rauchte zu all seinen Verrichtungen Zigarre. Frau Brasen wünschte "guten Morgen", und Nielsen nickte zurück, während er hinter der Wirtin, die das Kopfsteinpflaster der Straße betrat, eine Staubwolke auffegte. Die Schatten der Häuser zeichneten sich in gewohnter Schärfe ab; sie kamen und wurden länger und verschwanden, immer in der gleichen Weise. Es war, als benötige man in diesem Ort überhaupt keine Uhr, so pünktlich bewegten sich die Schatten. Frau Brasen ging die Straße entlang. Die Ladentüren waren schon aufgeklappt, und die Gesellen warteten, an die Türrahmen gelehnt, mit überkreuzten Beinen. Frau Brasen - sie hatte einmal stattlich ausgesehen, mit einem solchen Leib, daß die Augen der Männer an ihr haften blieben - nickte jedem "guten Morgen" zu, während sie weiterging. Die Kommis rührten sich nicht. Frau Brasen war es, als ob die Augen, die ihr folgten, sich in ihren Rücken bohrten. Es war nicht so ohne, wenn man überall Schulden hatte. Aber der Doktor war es, außer ihm, dem Kunstmaler, der das so gewollt und in Gang gesetzt hatte; und Brasen, er war ja leicht zu verführen; und die Leute im Ort, die sie bedrängt hatten; und jetzt konnten die sich brüsten, während Brasen, der Ärmste, in der Patsche saß, und Gott weiß, was das für Sommergäste waren, die in so einen kleinen Ort kamen, selbst jetzt, wo sie inseriert hatten ". Das war es ja, was sie immer gesagt hatte, nur Brasen, der wollte es so, doch sie kannte Brasen, daß er anfangs immer übermütig war und später nur dasaß ... Frau Brasen erreichte den "Annex" und trat durch das Tor ein. Die Steine waren kantig, am Tor. Sie hob die Beine, um in den Flur zu gelangen, die alten Türschwellen waren hoch. Und sie warf einen prüfenden Blick in die leeren Zimmer, wo von allen Wänden die gleiche hellblaue Tapete leuchtete, gekauft auf der Auktion des Glasermeisters, als der im Februar Konkurs gemacht hatte. Frau Brasen ging von Zimmer zu Zimmer. Doch, jetzt war alles ordentlich. Und sie ließ den Blick über Tische und Betten schweifen - es waren die dünnsten Eisenbeine, die jemals eine Bettstatt getragen hatten -, und sie zählte die Handtücher, die den Wänden entlang zwei und zwei an Haken hingen und Putzlappen glichen. Frau Brasen drehte und wendete sie: Auf der Innenseite waren sie blau geworden, es war die Glasermeistertapete, die abgefärbt hatte. Und da standen also acht Betten mit Roßhaarmatratzen, jetzt, wo sie auch ihre eigenen hergebracht hatten. Unbequem würde es schon für Brasen, auf Seetang zu liegen, für ihn, der so dick war. Aber da half nichts. Ihre Bettdecken konnten sie ja dann auch noch haben. Die waren gestrickt, und es war, als ob sie die Betten besser ausfüllten. Nichts von dem, was sie bei Rists gekauft hatten, machte was her. Frau Brasen betrat die Vorderzimmer, in denen die Sonne auf den breiten und unberührten Böden lag. Ihre Augen, die morgens immer tränten - das kam davon, daß sie jede Nacht in der Speisekammer saß und wartete, bis geschlossen wurde - glitten über die Dinge: Jetzt war das Papier unter diesem Tischbein wieder weggerutscht. Sie schob es darunter, ehe sie sich für einen Augenblick auf das Sofa setzte, das schmutzigblau war und sich mit der Tapete biß. Sie war so müde, und dann hatte sie es im Kreuz, seit sie Aage bekommen hatte: Und Gott weiß - sie dachte plötzlich an die Kinder -, wie es mit dem Lernen nun gehen mochte, jetzt, da sie sich nicht mehr darum kümmern konnte. Mit Signe ging es gut, aber Martin, der geriet ja mehr nach Brasen und lernte nicht gern. Mit einem Mal dachte sie an Martins Hemdbund. Jetzt hatte sie es nicht geschafft, ihn anzunähen, und die Leute lagen ihr ständig wegen der Kinder in den Ohren, daß die nicht versorgt würden. Frau Brasen blieb sitzen: Sie hatten ausgerechnet, daß sie hundertvierzig Kronen am Tag machten, wenn es voll wurde - ohne die Getränke. Aber es kam darauf an, daß der eine oder andere etwas springen ließ, wie auch Brasen sagte. Und nun würde es sich ja zeigen. Frau Brasen stand auf, und sie ging wieder durch die Zimmer, über den Hof und in den Garten.

Reihe/Serie Manesse Bibliothek der Weltliteratur
Nachwort Aldo Keel
Übersetzer Aldo Keel, Ingeborg Keel
Sprache deutsch
Maße 90 x 150 mm
Gewicht 193 g
Einbandart Leder
Themenwelt Literatur
Schlagworte Dänemark, Manesse Lederausgaben, Manesse Weltbibliothek, Skandinavien
ISBN-10 3-7175-2127-6 / 3717521276
ISBN-13 978-3-7175-2127-3 / 9783717521273
Zustand Neuware
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