Wir haben den gleichen Himmel
Was passiert mit mir? Tausend Gefühle schleichen sich zu mir. Unausweichlich stehe ich hier und lasse sie zu. Kann mich nicht wehren, schon lange nicht mehr. Gedanken mischen sich zu ihnen und ich kann sie nicht ordnen. Will so gern zu Hause sein in mir, doch weiß ich nicht mehr, wie sich das anfühlt, zuhause in mir. Ich mag mich manchmal schon ganz gerne, ein Grund, weshalb ich nicht schon längst verloren gegangen bin. Untergegangen in all meinen Sehnsüchten, in einem Meer aus ganz viel ungeliebter Zärtlichkeit. Bin noch nicht untergegangen, bin noch da! Manchmal so impulsiv, kraft- und schwungvoll alles ausschöpfend, was da kommt an Empfindungen, um danach in meiner Trauer zu versinken, weil ich sehe, dass ich nichts von all dem behalten kann. Möchte festhalten, gehalten zu werden! Bitte – bitte dich so sehr. Lass mich rein, ganz tief und lass mich dort ruhen, wo du so herrlich duftest. Lass mich vergraben, wo du deine Stille erlebst, nimm mich an dein Herz, sag ich gehöre dir – von Zeit zu Zeit, denn für diesen Moment würde ich sterben, in deinen Armen versinken, lächelnd, nie wiedererwachend! Doch ich würde auch gehen. Hinaus in ein anderes Leben, um mich zu zeigen, strahlend und als guter Mensch. Ich werde nach diesem Weg suchen. Bin bereit, vieles zurückzulassen, möchte mit Hoffnung angefüllt sein und die Leichtigkeit der Welt finden, von Zeit zu Zeit, in Gedanken an die Stille deiner Brust, deines Herzschlags.
Aber nun sitze ich halt hier. Ganz tief unten und blicke nach oben ins Licht. Alles ist still, nur die Wellen höre ich brausend über mir. Sie schlagen gegen Felsen. Die Sonne bricht sich zu einem Glänzen auf den Wogen. Sie brechen, brechen auf und doch fließen sie weiter. Sie bleiben eins bis zum Schluss. Fließen ans Ufer und wieder zurück. Sind sie eins? Ja! Obwohl einige Schaumkronen höher und weißer sind. Keine ist gleich, doch entstammen sie einem Meer. Mit ruhigem, festem Blick sehe ich nach oben und kann trotz des Wassers meine Tränen spüren. Bilder, ich sehe so viele. Sie ziehen vorbei wie die Wolken so hoch da oben. Wo ist mein ewiger, stiller, innerer Strom? Wo ist meine ewig mitfließende Welle, die mich umhüllt und neben mir verläuft, in einem gemeinsamen Strom des Lebens?
Der Gedankenstrom fing vor ein paar Tagen an. Ich saß allein in dieser Bucht, die mir so vertraut ist. Zwei Kinder laufen die Treppen herunter. Ihr Lachen durchbricht die drückende Stimmung in mir. Ich sehe euch. Liebe steigt in mir hoch und Wehmut. Kindertage, Leichtigkeit, Glück, lachen, weinen, wiegen, behüten. Ja, ich habe es gekonnt, habe es geschafft, euch zwei zu begleiten. Nun aber sitze ich hier allein. Bin vor Tagen aufgebrochen auf diese Reise. Allein sein, einfach weg. Du sagtest noch: „Ganz allein bist du ja nicht. Hast ja immer Menschen, die du kennst.“ Mir taten deine Worte weh. Wie unverstanden kam ich mir vor. Was ist allein? Welche Empfindungen verbinden wir mit diesem Wort?
Ich, du, wer auch immer. Jeder trägt ein Alleinsein in sich. Ich bin oft allein, auch wenn es laut ist um mich herum. War früh allein, hatte Angst und entschloss mich, ein lauter Mensch zu werden. In den schnellen Bewegungen, der Rastlosigkeit und vielen Worten, die unentwegt die Richtungen wechselten, stand die Angst still. Hummeln im Hintern, wie einfach erklärte meine Mutter mein Sein. Nicht gut hingeschaut. Bin nicht erkannt, also allein. Ich habe mich in der Stille nicht lang wohlgefühlt. Ich fand kein Zuhause in mir, keinen Platz. Da war so viel leer geblieben. Nun also war ich aufgebrochen, um nachzusehen, welche Seiten sich in den letzten Jahren gefüllt haben und welche ich noch beschreiben muss.
Also sitze ich in meiner Bucht und höre dem Meer zu und hänge den Gedanken nach. Du sagtest: „Schreib ein Buch. Du schreibst so schön, vielleicht findest du dich in deinen Worten wieder. Lernst, dich zu sehen.“ Vielleicht hast du recht. Also lass’ ich mich leiten. Nehme Buch und Stift mit hier hinunter und lasse den Blick schweifen. Worüber schreibe ich? Soll ich über unsere ungewöhnliche Liebe schreiben? Über die Jahre der geheimen Leidenschaft Ich habe dich gefunden – zwischen meiner Therapie bei dir und einem Museumsbesuch, den ich dir abringen konnte. Ich wusste einfach, dass du mein Mensch bist. Du warst so zerbrechlich und hattest dieses wunderbare Blau des Meeres in deinen Augen. Und obwohl ich eine Trauer spürte, glänzten deine Augen. Du hattest einen goldenen Schein, eine zauberhafte Zartheit. Wenn du sprachst, dann langsam, mit Pausen. Dein Klang war so liebevoll und weich, ein wenig tiefer als bei anderen Frauen. Du hattest eine romantisch-erotische Tonart. Sie weckte in mir ein Verlangen nach deinem Leben. Würdest du mich etwas hineinlassen können? Ich sehnte mich sehr bald nach dir. Die Therapiestunden vergingen zu schnell, doch verschaffte jede weitere ein bisschen mehr Nähe. Du legtest deine Hand an meine Wange, um zu prüfen, wie fest mein Kiefer ist, legtest die Hand auf meinen Bauch und auf meine Brust, um meine Atmung zu spüren. Du solltest meine Stimmbänder wieder fit machen. Sie waren von den schnellen, lauten Zeiten schon müde. Deine Hände waren schmal und große Ringe zierten deine zarten Finger. So große Ringe für deine kleinen Finger, ich dachte, wie schwer sie daran tragen. Die Nägel, sehr gepflegt und lackiert. Wie ruhig deine Hände liegen konnten. Du trugst Steine, warum Steine? Kein Gold, keine Edelsteine, nur Kraftsteine. Ich spürte deine Kraft, trotz der Verletzlichkeit. Ich wollte bei dir sein. Bei dir füllte sich etwas in mir. Da war die Angst nicht mehr da. Da war es stiller in mir. Ich schaffte es, dich ins Museum einzuladen. Ich sah nur dich. Wie du dich zwischen der Kunst bewegtest. Deine Blicke schweiften umher und dein Haar umrahmte dein schmales Gesicht, das Blau deiner Augen und deinen zarten, rosa Teint. In dir lag ein besonderer Esprit und ein Geruch umgab dich, der mich wissen ließ, dass ich dich lieben werde. Immer, wie auch immer. Du hattest eine spirituelle Stärke und eine unbändige Kraft. Es wurde meine Aufgabe, dich immer wieder zu bezwingen. Die Eroberung deiner Liebe dauerte einige Monate, doch ich wollte dieses eine Zuhause. Nachdem das erste junge Glück schon zerbrochen war.
Wollte dich bei mir halten, festhalten, deine Wärme spüren und dich riechen können. Wollte dich erreichen und berühren. Wollte, dass du dich berührt fühlst von meiner Zärtlichkeit, dass du mich berührend findest. Unseren ersten Kuss werde ich nie vergessen. Ich kann den Moment noch heute in meine Sinne rufen, noch immer erreicht er mich in jeder Zelle.
Nun leben wir schon fünfzehn Jahre zusammen und es ist immer noch die aufregendste Liebe in meinem Leben. Es waren nicht viele. Ich verliebte mich nicht schnell. Es war mir unangenehm, länger enger zusammen mit jemandem zu sein. Ich spürte mich nicht und war nicht echt. Es fühlte sich unreal an. Ich konnte nichts Sinnhaftes mit der Zeit in Zweisamkeit entdecken. Da war dann die Einsamkeit stärker zu spüren. Es kam Haltlosigkeit auf, ich brach aus, musste weg.
Als kleines Mädchen war ich nie im Kindergarten und dadurch oft allein. Ich spielte bewusst das erste Mal mit Puppen. Ich baute in einem Regalschrank ein Haus für sie und war so sehr ein Teil des Lebens in diesem Schrank. Da war alles in Ordnung. Schöne Tage, freundliche, einfache Dialoge, ich sprach alle fünf Puppen in unterschiedlichen, immer gleichen Tonarten und mich selbst. Ich liebte dieses Regal, diese Struktur und nie passierte etwas Böses. Wenn es außerhalb meines Schranklebens unruhig und im wahren Haus das Streiten lauter wurde, ging ich raus. Ging durch die Siedlungsstraßen und sang. Irgendwelche selbst ausgedachten Lieder, ich wählte beim Rhythmus gern eine Art Countrymusik. Ich fühlte mich frei und sicher. Das Singen beruhigte mich und heute noch singt es in mir in schwierigen Situationen.
Erstaunlich, denn mit dir fand ich einen Menschen, der wirklich singen konnte. Als ich dich das erste Mal auf der Bühne sah, hatte ich Tränen in den Augen. Der Atem blieb mir stehen, genau wie die Zeit und die Bilder um mich herum. Du berührst mich noch heute. Es ist wie ein Hauch, der durch Bäume zieht und seine Melodie findet. Der Klang durchdringt meine Welt und alles, was ich empfinde, ist Liebe. Jede Zeile heißt, ich liebe dich. Ein großes Gefühl von Glück zieht in mir auf, wie damals in der Siedlungsstraße. So ein kleines Glück, was es in mir bewegt.
Das ist, was mir gut gelungen ist. Ich kann kleine Dinge, Gerüche, Lichtstimmungen und Geräusche wahrnehmen. Ich entdecke Veränderungen oder neue Kleinigkeiten. Wie Pflanzen, Keimlinge und Blüten. Sehe Wolkenformationen, Sterne oder Gesichter im Vorbeigehen. Viele tragen ein bestimmtes Leuchten in sich. Ein Leben kann sich für Sekunden darin spiegeln, ein Lächeln sich warm einbrennen. Es sind Geräusche, wie das Rauschen der Blätter im Wind, das Plätschern eines Bachlaufes. Greifvögel schreien und ziehen scharf empor und weitere Vögel, die zusammen nicht schweigen wollen. Am schönsten ist es, die großen Vögel zu beobachten. Ihr Gleiten, wie leicht sie die Lüfte zerschneiden. Elegant lautlos schweben sie, weiche Linien zeichnend, höher und höher und erspähen doch alles. Bis sie herabstürzen, zielsicher, stark und schnell, ohne Furcht. Ich kann beobachten und dabei alles um mich herum vergessen und abtauchen in meine Welt. Wundersames stilles Glück!
So unbeschwert lässt es sich laufen, wenn das Glück der Motor ist. Durchs Leben purzeln und...
| Erscheint lt. Verlag | 13.5.2025 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
| Schlagworte | Anca Yamel • Biografie • Geschichte |
| ISBN-10 | 3-7116-0605-9 / 3711606059 |
| ISBN-13 | 978-3-7116-0605-1 / 9783711606051 |
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