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Die Assistentin (eBook)

Spiegel-Bestseller
Roman
eBook Download: EPUB
2025
368 Seiten
Rowohlt E-Book (Verlag)
978-3-644-02412-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Assistentin -  Caroline Wahl
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Eine Karriere als Musikerin - das war eigentlich Charlottes größter Wunsch. Aber jetzt ist es ja eh zu spät, und sie muss sich um einen vernünftigen Job kümmern, schon wegen der Eltern. Sie findet eine Stelle in einem Verlag, auch nicht schlecht, und München ist eine schöne Stadt, vor allem im Sommer. Im Vorzimmer des Verlegers sitzt Charlotte ganz nah am Zentrum der Macht. Dass der seine Assistentinnen oft auswechselt, kriegt sie schnell mit. Aber sie entwickelt ein gutes Verhältnis zu ihrem Chef, der ihre Stärken erkennt, ihr vertraut. Und dafür muss sie eben viel in Kauf nehmen, sehr viel, vielleicht auch selbst mit harten Bandagen kämpfen, vielleicht ihre Gesundheit aufs Spiel setzen. Vielleicht sogar Bo verlieren, in den sie sich doch gerade erst verliebt hat ... In wunderbar lakonischem Tonfall, mit Humor und Tiefgang erzählt Caroline Wahls neuer Roman von einer jungen Frau, die sich nicht zum Opfer machen lassen will und doch in eine Lage gerät, die viele Menschen kennen: wenn einem der Beruf zur Hölle wird. Eine ganz alltägliche Leidensgeschichte, ein Roman über Resilienz und Überleben.

Caroline Wahl , geboren 1995 in Mainz, wuchs in der Nähe von Heidelberg auf. Sie hat Germanistik in Tübingen und Deutsche Literatur in Berlin studiert. Danach arbeitete sie in mehreren Verlagen. 2023 erschien ihr Debütroman 22 Bahnen , für den sie u. a. mit dem Ulla-Hahn-Autorenpreis und dem Grimmelshausen-Förderpreis ausgezeichnet wurde. Außerdem wurde 22 Bahnen Lieblingsbuch der Unabhängigen 2023. Auch ihr zweiter Roman Windstärke 17 wurde zum Ereignis und stand monatelang an der Spitze der Bestsellerlisten. Caroline Wahl lebt in Kiel.

3


AN DIESER STELLE eine kleine zeitliche Raffung, weil Charlotte nicht stolz ist auf die riesengroße Fehlentscheidung, die sie getroffen hat, obwohl sie von Anfang an spürte, dass es eine riesengroße Fehlentscheidung werden könnte. Und natürlich ist es jetzt auch egal, weil vorbei, und sogar in gewisser Hinsicht gut, weil Charlotte ohne diese riesengroße Fehlentscheidung jetzt nicht Musikerin wäre. Vielleicht wäre Charlotte ohne diese riesengroße Fehlentscheidung privat Musikerin, aber wahrscheinlich wäre sie keine richtige Musikerin, sondern irgendeine kleine, austauschbare Pressereferentin in einem kleinen, austauschbaren Verlag, die mit etwas Glück nebenher als Musikredakteurin oder in einer Bookingagentur arbeiten und mit viel Glück an der Popakademie studieren würde.

Am Ende wurde die riesengroße Fehlentscheidung von Tochter und Vater beim Salat mit Putenstreifen + Weißweinschorle (Charlotte) und bei Herrentoast + großem Bier (Vater) getroffen. Die Mutter war auch dabei. Sie saßen an einem Freitagabend in einem Landgasthof, der wie alle Landgasthöfe Zum Lamm, Zur Rose oder Zum Ochsen hieß, die Tochter aß einen Salat mit Putenstreifen und trank eine Weißweinschorle, der Vater aß einen Herrentoast und trank ein großes Bier, die Mutter aß ein Senioren-Putenschnitzel, obwohl sie für ein Seniorengericht ja noch etwas jung war, und trank ein kleines Bier, aber jetzt erst einmal die Raffung: Nach einer knappen Woche und zwei Telefonaten mit der Personalchefin wurde Charlotte die Nachricht verkündet, sie habe sich für die dritte Runde qualifiziert: ein zweites Zoom-Kennenlernen mit dem Verleger. Charlotte freute sich und überlegte, wie viele Runden das Casting insgesamt wohl hatte, aber Raffung: Das Gespräch war nicht so lustig wie das erste. Der Verleger stand neben sich, glasige Augen, rotes Gesicht. Er wirkte nervös und kränklich, sagte zu Charlotte, er sehe sie gar nicht in einem Assistenzbüro, er sehe sie ganz woanders, und Charlotte sagte nicht, dass sie sich auch ganz woanders sah. Danach: mehrere Telefonate mit Alexandra Liebig, die die Entscheidung aufschob und Charlotte beschwor, sie solle sich keine Sorgen machen, die Entscheidung stehe unmittelbar bevor, der Verleger möge Charlotte usw. In diesen sich allmählich zu Wochen häufenden Tagen des Wartens hatte Charlotte Geburtstag, wartete sie auf die Einladung für die Aufnahmeprüfung an der Popakademie und telefonierte viel mit ihrer Cousine, die ihr entschieden davon abriet, die Assistenzstelle auch nur in Betracht zu ziehen. Ihre Cousine, die wahrscheinlich Charlottes engste Freundin war, hatte auch mal in München gelebt und war dort sehr unglücklich geworden, aber das ist eine andere Geschichte, also weiter mit der Raffung: In Charlottes Kopf und Bauch breitete sich das Gefühl aus, das Ganze könne sich als riesengroße Fehlentscheidung erweisen, und sie war schon fast bereit, die halbe Stelle anzunehmen, die ihr in dem kleinen Kinder- und Jugendbuchverlag in Düsseldorf angeboten wurde, in dem sie zurzeit arbeitete. Die Popakademie nahm in ihren Masterstudiengang aber nur zwanzig Studierende auf, und Charlotte hatte große Angst, dass sie nicht zur Aufnahmeprüfung eingeladen und dann nur mit dieser halben Stelle dastehen würde. Florentin, ein ehemaliger Kommilitone, der inzwischen eine aufsteigende (seine Worte) Bookingagentur leitete, hatte andererseits Charlotte letztens auf Instagram gefragt, ob sie vielleicht Lust habe, bei ihm einzusteigen. Florentin war zwar ein bisschen chaotisch, aber eine Option war das doch. Außerdem schrieb sie gerne über Musik und tat das auch ab und zu für ein Online-Magazin, bei dem sie mal ein Praktikum gemacht hatte, das konnte sie ja ausbauen. Alles kompliziert, aber sowieso: Kommt Zeit, kommt Rat. Das sagte ihre Mutter immer: «Kommt Zeit, kommt Rat.»

Und nach zwei Wochen bekam Charlotte dann die Zusage für die Stelle der zweiten Assistentin – der administrativen Assistentin –, obwohl sie sich für diese Stelle ja gar nicht beworben hatte. Sie lag am Aachener Weiher und las, als endlich der herbeigesehnte Anruf von Alexandra kam, und danach war Charlotte wütend und enttäuscht. Immerhin widerstand sie dem Impuls, direkt abzusagen. Sie wollte, wenn überhaupt, die erste Assistentin des lustigen Verlegers sein, entschied sich auf dem Nachhauseweg dazu, wirklich ganz sicher abzusagen, und rief die Mutter an. Die Mutter erzählte es sofort dem Vater, und die Eltern waren auch nicht begeistert vom zweiten Platz der Tochter. Aber wieder Raffung: Charlotte, die ziemlich fertig war, weil sie nicht wusste, wie es nun weitergehen und welchen Weg sie einschlagen sollte, fuhr am Wochenende zu den Eltern, obwohl sie aus Erfahrung wusste, dass die Eltern in schwierigen Situationen dazu neigten, auf das Kind einzutreten, wenn es am Boden lag, natürlich nur metaphorisch und natürlich nur mit den besten Absichten. Wenn Charlotte schwach und verzweifelt war, dann stellten sich die Eltern über sie, schauten auf sie herab und sagten ihr, was sie alles in ihrem Leben ändern müsse. Und Charlotte, die verzweifelt und schwach am Boden lag, konnte sich nicht wehren. Also: Die Tochter ging mit den Eltern essen in einem Landgasthof, der wie alle Landgasthöfe Zum Lamm, Zur Rose oder Zum Ochsen hieß, der Vater, der sich offensichtlich erholt hatte von der anfänglichen Enttäuschung über den zweiten Platz seiner Tochter, wiederholte seine Worte, die er zu der Stelle der ersten Assistentin bereits oft gesagt hatte, «Da bist du ganz oben», «Das ist der Beginn deiner Verlagskarriere». Auch als zweite Assistentin sei sie ganz oben und am idealen Ausgangspunkt einer Verlagskarriere, das wusste der Vater, weil der Vater eigentlich alles wusste.

Charlotte werde mit der ersten Assistentin zusammenarbeiten, diese vertreten, wenn sie krank oder im Urlaub sei, und könne sie vielleicht auch ausstechen, wenn sie es gut anstellte. Die Mutter saß neben dem Vater, lächelte und nickte Charlotte zu. Die Drohung, dass der Geldhahn zugedreht werden könnte, wenn sie die halbe Stelle und ein weiteres Studium in Betracht zog, saß auch mit am Tisch. Charlotte hatte ja schon einen Master. «Du bekommst nur ein Studium finanziert», der Vater. «Das Klavierspielen hast du doch an den Nagel gehängt, obwohl du so gut warst. Wieso jetzt doch Musik? Ich verstehe das nicht», die Mutter. «Und was willst du damit machen? Musikerin werden?» Der Vater lachte. «Dafür ist es ja jetzt wohl zu spät.» «Und denkst du, dass Nena oder die Beatles auf so einer Popakademie waren?» «Das muss man schon aus eigenem Antrieb schaffen.» Seine Worte feste, schnelle Messerstiche in die Magengegend. Charlotte erwiderte nicht, dass es ihr größter Traum war, Musikerin zu werden, obwohl es ihr größter Traum war, sie erwiderte auch nicht, dass man viel damit machen und sie noch viel lernen konnte und dass es ihr auch um die Kontakte ging, um den Fuß, den sie mit der Entscheidung in die Tür stellte, dass es ihr aber vor allem um die Freude ging, die sie dort haben würde. Dass, wenn sie an das Studium dachte, ihr Herz schneller schlug, also nicht phrasenmäßig, nein, es schlug wirklich schneller, wenn sie sich vorstellte, wie sie dort studierte. Wenn sie sich den Studienplan mit den Modulen wie «Persönlichkeitsentwicklung in kreativen Berufen» oder «Musikbusiness» anschaute und sich kurz die Vorstellung gestattete, wie es sein könnte, dort zu studieren, schlug ihr Herz kurz so schnell wie lange nicht mehr. Das scheint mein Traum zu sein, dachte Charlotte, aber vielleicht projiziere ich da auch zu viel rein, und jetzt ist es wohl auch zu spät. Sie schluckte alles hinunter, auch die Tränen und die trockenen Putenstücke, und dachte: dann eben Verlagskarriere, sie wird wahrscheinlich eh nicht angenommen. Und Assistentin vom Verleger in einem renommierten Verlag in München. Das ist doch wirklich toll, da ist sie ganz oben. Das ist der Beginn ihrer Verlagskarriere.

Die Eltern und Charlotte stießen an.

Jetzt aber wirklich Raffung: Charlotte nahm die Stelle an, hatte ein Zoom-Kennenlernen mit der ersten Assistentin, das den Titel «Kennenlernen mu Assistentinnen» trug. Die erste Assistentin, deren Namen Alexandra Charlotte noch nicht mal nach mehrmaligem Nachfragen und Betteln verraten wollte – wegen Datenschutz und damit die beiden «sich ganz unvoreingenommen kennenlernen können» –, wirkte zerstreut, und Charlotte sah sie gar nicht in einem Assistenzbüro. Aber laut Alexandra hatte die neue Kollegin in echt krassen, namhaften Agenturen und Start-ups in Hamburg, Mailand und sogar New York gearbeitet. Und sie war wunderschön. Charlotte wusste sofort, dass sie dieses filigrane Gesicht schon einmal irgendwo gesehen hatte, und fragte sich, während Ivana ihr unsortiert viel zu private Dinge aus ihrem Leben verriet, wo sie diese relativ weit auseinanderstehenden, schrägen osteuropäischen, blauen Schlafzimmerblick-Augen, die gerade Nase und die vollen Lippen schon einmal gesehen hatte. Vielleicht in einem Musikvideo? Oder wahrscheinlich kannte Charlotte sie von irgendeiner Werbung oder einem Plakat. Die wäre ja doof, wenn sie mit diesem Gesicht kein Geld machen würde.

Charlotte: Ich habe das Gefühl, dass ich dein Gesicht von irgendwoher kenne.

Ivana kicherte.

Ivana: Das sagen viele.

Ivana: Ich war mal bei GNTM.

Charlotte ärgerte sich, dass sie nicht selbst draufgekommen war.

Charlotte: Stimmt! In der 2. oder 3. Staffel. Du bist weit gekommen. Richtig? Finale?

Ivana: Nein, leider kurz vorher rausgeflogen. Ich wurde...

Erscheint lt. Verlag 28.8.2025
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 22 Bahnen • Arbeitswelt im Patriarchat • Burnout • Caro Wahl • Depression • Eintritt ins Arbeitsleben • Feministische Literatur • Gegenwartsliteratur • Gesellschaftskritischer Roman • Identität • Junge deutsche Literatur • lakonischer Humor • Liebesroman • Liebe zur Kunst • Literatur • Mobbing • Popliteratur • Psychische Probleme • Psychischer Druck bei der Arbeit • Psychosomatische Beschwerden • Resilienz • Romane für Frauen • Sexismus im Job • Spiegel Bestseller-Autorin • trockener Humor • Verlagswesen • weibliche Coming of Age Geschichte • Windstärke 17
ISBN-10 3-644-02412-X / 364402412X
ISBN-13 978-3-644-02412-0 / 9783644024120
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