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Rabenland (eBook)

Spiegel-Bestseller
Psychothriller

(Autor)

eBook Download: EPUB
2025
368 Seiten
Goldmann Verlag
9783641309251 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Rabenland -  Max Bentow
Systemvoraussetzungen
14,99 inkl. MwSt
(CHF 14,65)
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Ein Mädchen ohne Erinnerung und ein verstörender Fund auf einer einsamen Lichtung im Wald: der zweite Fall für Carlotta Weiss und Nils Trojan.
Vor einer Klinik in der Uckermark wird ein schwer verletztes 17-jähriges Mädchen abgelegt. Wie sich herausstellt, handelt es sich um Lilly Steiner, die seit einem Jahr als vermisst galt. Lilly ist traumatisiert und kann keine Aussage dazu machen, wo sie sich aufgehalten hat. Ihre einzige Erinnerung ist, dass sie unter Raben gelebt und angeblich deren Sprache erlernt hat. Carlotta Weiss und Nils Trojan übernehmen die Ermittlungen und machen in einem entlegenen Waldstück, in dem Lilly angefahren wurde, eine unheimliche Entdeckung: Auf einer Lichtung stoßen sie auf sieben lebensgroße Puppen, die in einem Kreis an Bäume angebunden sind. Aber dann kommt es zu einem tiefst verstörenden Ereignis, das alles zunichtemacht, was Carlotta und Nils über Lilly zu wissen glaubten …

Max Bentow wurde in Berlin geboren. Nach seinem Schauspielstudium war er an verschiedenen Bühnen tätig. Für seine Arbeit als Dramatiker wurde er mit zahlreichen renommierten Preisen ausgezeichnet. Seit seinem Debütroman »Der Federmann« hat sich Max Bentow als einer der erfolgreichsten deutschen Thrillerautoren etabliert, alle seine Bücher waren große SPIEGEL-Bestsellererfolge.

EINS


Der Wald war finster, drohend, still. Das Mädchen kauerte vor einem Baumstumpf, die Arme um sich geschlungen, die Beine angezogen, das Kinn auf ihre Knie gedrückt. Die ganze Nacht hatte sie hier draußen verbracht. Kälte kroch aus dem feuchten Boden herauf, umklammerte sie mit festem Griff.

Wenn der Wind in die Wipfel der Bäume stieß, entstand ein Säuseln, und Geister schienen über ihr zu erwachen, sich wispernd zu ihr herabzuwinden. Da war ein Raunen, Zischeln, als würden sich böse Zungen an ihrem Unheil weiden.

Manchmal war ihr, als würde sie vor Erschöpfung in sich zusammenfallen, in der Erde versinken und unter Würmern ihr Ende finden. Dann aber gab sie sich einen Ruck, riss die Augen auf und versuchte, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Sie hoffte, dass bald die Dämmerung heranzog, ihr einen Weg aus diesem Dickicht wies.

Doch um sie herum nichts als Schatten, die Ahnung von einem Gewirr aus Ästen, Zweigen, wie knochige Finger, die nach ihr griffen. Das Mädchen hatte Angst. Ihre Zähne schlugen aufeinander, ein Beben ging durch ihren Körper. Wenn nicht bald der Morgen heraufdämmerte und mit ihm ein fahles Novemberlicht, wenn sie sich nicht endlich aufmachen könnte, um aus dieser düsteren Gegend herauszukommen, würde sie erfrieren.

Sie musste aufstehen, sich bewegen. Unter Mühen streckte sie ihre tauben Glieder. Ihre Hände suchten nach Halt an einem Stamm, um sich hochzuziehen. Erschrocken wich sie zurück, als sie in etwas Weiches fasste. Sie vernahm, wie sie leise aufschrie, und ihr Atem stockte.

Nur Moos, durchfuhr es sie, klamm überwucherte Baumrinde, glitschig vom Regen in dieser Nacht. Als sie aufrecht stand, tastete sie sich weiter voran. Der Waldboden war aufgeweicht, ihre Schuhe waren durchnässt. Sie war zu dünn bekleidet, nur ein Kleid auf ihrer Haut, von Dornen zerrissen, darüber ein Anorak, nicht warm genug für diese Jahreszeit.

Ängstlich spähte sie zum Himmel hinauf. Und endlich erkannte sie einen Streifen Licht. Die Umrisse der Bäume wurden deutlicher, wie knorrige Gestalten standen sie vor ihr, gedrungen, ihr feindlich gesonnen. Dunstig troff es von den Blättern herab, es roch modrig, nach herbstlichem Zerfall. Sie musste raus aus diesem Wald, doch ihr fehlte jegliche Orientierung. Sie war tief hineingeraten, hoffnungslos verirrt. Panik befiel sie, als ihr der Gedanke kam, sie würde es niemals schaffen. Zu entkräftet war sie, mutlos und verzweifelt.

Schließlich aber machte sie im Unterholz einen Pfad aus, dem sie mit schleppenden Schritten folgte. Sie fröstelte, es schüttelte sie. Ermattet vom Aufkeimen eines Fiebers, wankte sie voran. Schneller, dachte sie, nicht stehen bleiben. Doch ihre Beine fühlten sich an, als sei kein Blut mehr in ihnen, und in ihren Lungen war ein Stechen wie von tausend Messerspitzen.

Auf einmal hörte sie etwas. In der Höhe. Weit über den Wipfeln. Krächzende Schreie am Himmel.

Kroaah. Kroaah.

Raben, dachte das Mädchen, hielt inne und starrte nach oben. Da waren sie. Sie erkannte sie an ihren Rufen, ahnte ihre Gegenwart mehr, als dass sie die Vögel durchs Herbstlaub sehen konnte.

Kroaah. Kroaah.

Plötzlich fasste das Mädchen neuen Mut. Wenn Raben in der Nähe waren, sollte das ein Zeichen für sie sein. Bald darauf hatte sie eine Lichtung erreicht.

Und nun erblickte sie die schwarzen Vögel. Hoch oben waren sie. Elegant wirbelten sie durch die Morgendämmerung, kühn tollten sie in der Luft. Stiegen auf, schnell, blitzschnell, um sich dann plötzlich fallen zu lassen. Tiefer stürzten sie, immer tiefer, und dann, akrobatisch, ausgelassen, fingen sie sich wieder. Die Flügel ausgebreitet, schließlich seitwärts, sie wippten am Himmel, schienen zu kippen. Danach überschlugen sie sich, ein Salto, gekonnt turnend über ihr, frei und gelöst, dann wieder in der Senkrechten, aufrecht, im Segelflug.

Und ihre Rufe. So jubelnd, laut, dass es weit durch den Wald hallte, als wollten sie dem Mädchen etwas mitteilen.

Kroaah. Kroaah. Gib nicht auf. Gib nicht auf.

Einige Zeit sah sie ihnen staunend zu, bis sie wieder die Kälte in ihren Knochen spürte. Sie hastete weiter, verließ die Lichtung. Auf einmal war ihr, als würden die Raben ihr den Weg weisen. Während sie sich durch das Gestrüpp arbeitete, hörte sie ihre Laute über sich. Ein ganzer Schwarm schien über die Baumwipfel hinwegzugleiten. Ihr war, als riefen sie: Voran. Voran.

Und das Mädchen beeilte sich. Sie lief, so schnell sie nur konnte. Schwer atmend rannte sie durch den dichten Wald, vorbei an uralten Buchen, behangen mit Flechten, graugrün im Zwielicht, hoch ihre Stämme, morastig das abgeworfene Laub.

Je enger die Bäume beieinanderstanden, desto schlechter die Sicht. Blasser Dämmer am Himmel, doch weiter unten mehr Düsternis als Licht. Verschwommen, wie Schattenrisse, das Wirrwarr im Dickicht links und rechts des Trampelpfads. Mühselig kämpfte sich das Mädchen vorwärts, den Blick auf den Boden gerichtet, dem Wurzelwerk ausweichend, zittrig im Fieber, erschöpft.

Einmal hob sie den Kopf, und plötzlich, dicht an einem Baum, tauchte vor ihr eine Fratze auf. Dunkel, groß und ausgehöhlt die Augen, grässlich weit aufgerissen der Mund. So unheimlich und nah, dass dem Mädchen die Luft wegblieb.

Mit einem erstickten Schrei schreckte sie zurück.

Sie verlor das Gleichgewicht, strauchelte, fing sich wieder und rannte in die andere Richtung. Doch wie aus dem Nichts erschien eine weitere Grimasse vor ihr. Das Mädchen duckte sich weg und hastete tiefer ins Unterholz.

Nur nicht umdrehen, durchfuhr es sie. Bloß weg von hier. Was waren das für Gestalten? Waren sie hinter ihr her? Wer lauerte hinter den Bäumen auf sie? Oder hatte sie sich getäuscht? Nur ein Ergebnis ihrer Angst? Halluzinierte sie etwa?

Und die Raben? Sie hörte sie nicht mehr.

In diesem Moment stolperte sie über eine Wurzel und schlug lang hin. Ein heftiger Schmerz in ihren Knien. Für einen Moment war ihr, als könnte sie nicht mehr aufstehen. Doch sie wusste, wenn sie nun liegen blieb, würde sie es nicht mehr schaffen.

Also weiter. Sie rappelte sich auf. Ihre Kräfte schwanden, nach einer Weile aber merkte sie an ihren keuchenden Atemzügen und den raschelnden Schritten im Laub, dass es sie wie von selbst vorantrieb.

Schließlich erreichte sie einen Forstweg und verschnaufte. Der Himmel war um eine Spur heller geworden. Ratlos blickte sie sich um. Welche Richtung sollte sie einschlagen? Wie kam sie am ehesten aus dieser einsamen Gegend heraus?

Schon waren sie wieder da. Die Raben. Wild rufend näherten sie sich von oben. Tollkühn schwebten sie heran. Ein Zeichen, dachte das Mädchen. Die Vögel beschützen mich.

Kroaah. Kroaah. Hier entlang. Hier.

Sie folgte dem Schwarm. Mobilisierte ihre letzten Energien, nahm den Forstweg nach rechts. Schnurgerade führte er durch den Wald. Über ihr das Krächzen, müde schlurfte sie dahin. Schneller, dachte sie erneut, doch es half nichts, ihre Glieder waren bleischwer. Zuweilen kreisten die Vögel am Himmel und schienen auf sie zu warten. Dann wieder schossen sie voran.

Schließlich machte der Weg einen Knick, und es ging leicht bergab. Das Mädchen meinte nun, dass sich der Wald allmählich lichtete. Wie weit war es noch? Würde sie irgendwann auf eine Ortschaft stoßen?

Die Raben schrien, das Mädchen trottete weiter. Endlich erreichte sie eine Landstraße. Abermals blieb sie stehen, unsicher, ob sie sich nach links oder rechts wenden sollte. Und wieder achtete sie auf die Vögel.

Kroaah, kroaah, lärmten sie und flogen nach links.

Das Mädchen folgte ihnen.

Es nieselte, feucht glänzte der Asphalt. Sie schleppte sich am Straßenrand entlang, begann in Gedanken die Begrenzungspfähle abzuzählen, doch irgendwann geriet sie durcheinander. Weiter, dachte sie, nur nicht aufgeben. Ihr sank der Kopf aufs Kinn, so ausgezehrt war sie, beobachtete ihre eigenen Schritte.

Aus der Ferne vernahm sie plötzlich ein Rauschen. Sie hob den Blick. Rasch näherten sich Scheinwerfer. Ein Auto raste heran. Es fuhr schnell, viel zu schnell.

Das Mädchen wollte ausweichen, doch schon war sie von den Lichtern geblendet.

Die Straße eng, der Seitenstreifen schmal.

Kurz darauf hörte sie das Kreischen von Bremsen. Der Wagen schoss auf sie zu.

Nein!, dachte sie. Doch es war zu spät.

Sie spürte den Aufprall, wurde durch die Luft gewirbelt.

Hart schlug sie auf dem Asphalt auf.

Sie war benommen. Alles drehte sich um sie herum. Sie schmeckte Blut auf ihrer Zunge. Starrte zum Himmel hinauf. Über ihr die Raben. Zuckende Flügel.

Da vernahm sie ein Türenschlagen, das leise Brummen eines Motors. Hatte der Wagen gehalten? Sie hörte Schritte. Jemand kam und beugte sich über sie.

Sie starrte in ein männliches Gesicht.

Das Mädchen spürte, wie ihr der Blick verschwamm.

»He«, sagte der Mann, »bleib bei mir. Sieh mich an.«

Er ging vor ihr in die Hocke, musterte sie.

Er schien zu zögern. Worauf wartete er denn noch? Ich will nicht sterben, durchfuhr es sie.

Das Mädchen wollte etwas sagen, doch es gelang ihr nicht. Nicht sterben, dachte sie erneut.

Schließlich bemerkte sie, wie der Mann beide Arme unter sie schob und sie anhob.

Sie sah das Auto am Straßenrand. Er trug sie hin, öffnete die Tür und wuchtete sie auf die Rückbank.

Ihr Atem war knapp. Dann gingen die Lichter...

Erscheint lt. Verlag 13.8.2025
Reihe/Serie Ein Fall für Carlotta Weiss und Nils Trojan
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Berlin • eBooks • Psychothriller • Rügen • Thriller • Uckermark
ISBN-13 9783641309251 / 9783641309251
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