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Mauro läuft (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2025
212 Seiten
Skript-Verlag
9783928249454 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mauro läuft - Beat Knoll
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8,99 inkl. MwSt
(CHF 8,75)
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Sardinien 1962: Ein junger Mann, der aus der Fremdenlegion fliehen konnte und als Deserteur ins Gefängnis kam, versucht sich nach seiner Haftentlassung im Leben neu zu orientieren. Er findet keinen Halt, weder in der Liebe einer Frau noch in einer Familie in Zürich, die ihn als Ziehsohn aufnimmt. Aus Angst vor Verfolgung und Rache gerät er in eine Lebenskrise, aus der ihn eine Katze herausführt.

Beat Knoll, geboren 1957 in Bern. Grundschule, Gymnasium, Matura Schauspielstudium in Zürich und Bern Ab 1979 Engagements an den städtischen Bühnen Nürnberg, Düsseldorfer Schauspielhaus, Residenztheater München 1981 O. E. Hasse Preis 1988 Medizinstudium in Basel 1994 Promotion zum Dr. med. 2000-2021 Landarztpraxis Kanton Uri Heute in Basel lebend

2


In Carignano hatte sich, seitdem Mauro den Ort seiner Kindheit verlassen musste, wenig verändert. Noch immer floss der Po gemächlich und geheimnisvoll langsam am Städtchen vorbei. Noch immer trafen sich die Jungs mit ihren Mädchen an seinem Ufer. Und bis auf die Beendigung der Renovierungsarbeiten am Dom hatte sich nichts ereignet, was einer Erwähnung wert gewesen wäre.

Mauros Vater, Massimo Garello, erfüllte mit Ehrgeiz und Pflichtgefühl seine Aufgaben als Chef der Carabinieri. Durch nichts ließ er sich anmerken, dass er sich Sorgen um seinen Sohn machte. Von dessen plötzlichem Verschwinden aus Nürnberg hatte ihm sein Bruder berichtet. Dass jede Spur von ihm fehlte, beunruhigte ihn zwar, doch Zweifel an der Richtigkeit seines Entschlusses, Mauro kurz vor dem Abitur in die Verbannung geschickt zu haben, ließ er nicht aufkommen. Er blieb sich treu. Selbst als seine Frau ihre schwere Krankheit nicht länger vor der Familie verbergen konnte, selbst als sie in immer kürzeren Abständen im Krankenhaus behandelt werden musste, war er der Meinung, richtig gehandelt zu haben.

Das Gespräch zwischen ihr und ihm hatte sich verloren. Sofia Garello ging den inneren Weg. Sie betete, sie sah den Priester, so oft es möglich war. Die häusliche Ordnung wurde durch Maria, die Haushälterin, nach besten Kräften aufrechterhalten. Adriana, Mauros Schwester, kam mit dem Sterben ihrer Mutter nicht zurecht. Sie zog sich von allem zurück. In seltenen Momenten vertraute sie sich Maria an. Dann saßen sie gemeinsam in ihrem Zimmer, Arm in Arm und ließen ihren Tränen freien Lauf.

Adriana war eine fleißige Schülerin und fasste früh den Plan, nach der Schule eine Ausbildung als Tierwärterin im Zoo von Turin zu beginnen. Sie wollte mit Tieren sein. Massimo Garello sah sich schon vor dem Tod seiner Frau nach einem Ersatz für sie um. Da Maria seinem Werben keinen Grund zur Hoffnung gab, antwortete er auf Kontaktanzeigen. Öfters blieb er abends lange weg, wohl um die eine oder andere Kandidatin in Augenschein zu nehmen.

Die Klasse, aus der Mauro herausgerissen wurde, hatte im Frühjahr 1960 das Abitur hinter sich gebracht. Alle hatten bestanden. Carla legte wie erwartet die beste Prüfung ab. Die Wege von ihr und ihrer Freundin Aurelia trennten sich auf natürliche Weise. Aurelia zog nach Turin und ergriff ein Studium der Medizin. Auch Vittorios Wege trennten sich von denen seiner Klassenkameraden. Er wollte die Welt sehen, bevor er sich in Mailand an der Kunstakademie einschrieb. Mauro, seinen besten Freund zu suchen, kam ihm nicht in den Sinn.

Carla, noch unschlüssig, was sie mit ihrer Zukunft anfangen sollte, nahm in der städtischen Bücherei von Carignano eine Gelegenheitsarbeit an. Dort war sie bei ihren Lieblingen, den Büchern. Durch sie machte sie ihre Reisen in die Welt, die Welt der Gegenwart und der Vergangenheit. Was für ein reicher Schatz, der ihr da zur Verfügung stand! Besonders interessierte sie sich für die Neuerscheinungen, die mit zeitlicher Verzögerung auch in Carignano eintrafen. Daneben sortierte sie gewissenhaft die zurückgegebenen Bücher in ihre Regale ein, beriet die Kunden, die sich nach einem bestimmten Thema erkundigten, und trug sorgfältig die Kartei der ausgeliehenen Bücher nach.

Wie in Büchereien üblich, gab es auch in Carignano eine kleine Auswahl an Tageszeitungen, die im Lesesaal zur freien Verfügung auslagen. Das Erste, was Carla am Morgen zu tun hatte, war, kurz bevor die Bücherei um neun Uhr öffnete, die frisch angelieferten Zeitungen entgegenzunehmen und im Lesesaal auszulegen. Dabei ließ sie es sich nicht nehmen, zuerst einen Blick in ihren bevorzugten Corriere zu werfen. Schnell überflog sie die Schlagzeilen und blieb dann bei den Artikeln, die sie interessierten, hängen. So erfuhr sie von der Kubakrise, ausgelöst durch die Invasion in der Schweinebucht. Täglich verfolgte sie die neuen Meldungen, die von einem drohenden Atomkrieg sprachen, bis sie eines Morgens Anfang Mai auf folgenden Artikel auf der Titelseite stieß:

Spektakuläre Flucht

Wieder einmal ist einem Angehörigen der Fremdenlegion die riskante Flucht aus der Garnison von Bonifacio im Süden von Korsika nach Italien gelungen. Der Deserteur – es handelt sich um einen jungen Italiener – überwand im Schlauch eines Lastwagenreifens eine Distanz von etwa fünfzehn Kilometern, wurde im um diese Jahreszeit noch kalten Wasser der gefährlichen Meerenge von der Strömung abgetrieben und völlig unterkühlt, aber lebend auf der Insel Razzoli angeschwemmt, wo er von den vor Ort befindlichen Rangern des Naturschutzgebiets aufgegriffen und gerettet werden konnte.

Auf Seite zwei der Zeitung wurde die Flucht eingehender beschrieben. Die kühne Tat sei heldenhaft, aber der junge Mann sei wegen seines Dienstes in einer fremden Armee als Deserteur in ein Militärgefängnis überstellt worden, wo er eine Freiheitsstrafe abzusitzen habe. Als Carla in der Fotografie des Flüchtlings, die groß neben dem Artikel zu sehen war, Mauros Gesicht erkannte, entfuhr ihr ein Schrei. Zum Glück war noch niemand im Lesesaal. Ihre Chefin, Signora Ferretti, telefonierte gerade. Die heftige Reaktion der sonst stillen Carla war ihr nicht entgangen. Bleich und zitternd sah sie ihre junge Mitarbeiterin auf einem Hocker sitzen, als sie den Lesesaal betrat.

„Carla, was ist mit dir“, fragte sie.

„Es ist Mauro“, antwortete Carla kaum hörbar.

„Mauro?“

„Hier, der Junge, der geflohen ist.“ Sie deutete mit zittrigen Fingern auf den Zeitungsartikel.

Signora Ferretti nahm ihr die Zeitung vom Schoß und begann zu lesen. Nach einer Weile blickte sie auf und sah Carla an. „Und? Was hast du mit dem zu schaffen? Kennst du den etwa?“

Carla hob ihren Kopf langsam zu ihrer Chefin und sah sie durch ihre dicken Brillengläser lange an.

„Ja, Signora, ich kenne ihn.“

„Und woher kennst du so einen? Wer ist das? Und wo wohnt er?“

„In meinem Herzen wohnt er. Seit langem.“

Signora Ferretti blickte lange auf ihre Praktikantin. Sie trat zu ihr und umfasste ihre Hände. „Ich verstehe Mädchen, ich verstehe.“ Sie wischte eine Träne von Carlas Wange. „Weißt du was? Wir öffnen eine Stunde später. Wir gehen in ein Café, trinken einen Macchiato und du erzählst mir von diesem Mauro, wenn du magst.

Im Café, das sich in der Nähe der Bücherei auf dem lang gezogenen Hauptplatz von Carignano befand, erfuhr Signora Ferretti alles, was sich mit Mauro und seinem Freund Vittorio vor etwas mehr als einem Jahr hier in Carignano zugetragen hatte. Der spektakuläre Diebstahl des Sportwagens des Generalvikars, die harte Strafe der Verbannung nach Deutschland, die er zu erleiden hatte, und das Buch, das ihm Carla durch Aurelia hatte überreichen lassen, aus Angst, dass er die Gefühle, die sie schon immer für ihn hegte, hätte entdecken und belächeln oder gar verspotten können.

Signora Ferretti hörte aufmerksam zu und nickte gelegentlich.

Auch von Aurelia sprach Carla. „Sie war die Schöne, die Schönste. Und sie wusste es. Die Jungs waren mehr oder weniger alle verknallt in sie. Aber sie war lieb. Sie war nicht stolz oder hochmütig, auch wenn das viele von ihr sagten. Sie hat mir vieles anvertraut. Es war ihr eine Last, von so vielen begehrt zu werden. Wir haben zusammen Schularbeiten gemacht, für das Abitur gebüffelt. Sie hat mir Sachen geschenkt, weil sie wusste, dass wir zu Hause nicht viel Geld hatten. Mauro war sehr verliebt in sie. Wir haben oft über ihn gesprochen. Manchmal tat es weh. Aber ich war auch erleichtert, dass sie seine Gefühle nicht erwidert hatte. Sie sagte, sie sei nicht bereit für die Liebe, sie wolle warten, bis der Richtige komme.“

Signora Ferretti lächelte. „Und du? Hast du ihr gesagt, was du für Mauro fühlst?“

„Nein. Aber ich denke, sie hat es geahnt. Wir haben nie darüber geredet und sie hat mich nie gefragt. Dafür bin ich dankbar. Ich hätte nicht lügen können, ich hätte es sagen müssen, und ich hätte mich dafür geschämt.“

„Warum geschämt?“

„Ein Mädchen wie ich! Ich bin nicht schön. Ich bin dick. Meine Brüste sind zu groß, mein Hintern zu fett. Mich will keiner.“

„Ach, da wäre ich mir nicht so sicher.“

Carla senkte ihren Blick. „Es ist nett von Ihnen, Signora, dass Sie das sagen. Danke. Aber ich kenne die Realität.“

„Und Mauro? Fühlte er gar nichts für dich?“

„Er übersah mich. Ich bin es gewohnt und habe mich damit abgefunden. Ich komme klar damit.“

Signora Ferretti zog ein feines Taschentuch aus der Handtasche und tupfte sich damit die Nase. „Was für ein Buch hast du ihm mitgeben lassen?“

Krieg und Frieden von Tolstoi.“

„Oh, ein gewaltiges Buch.“

„Ich hatte so eine Vorstellung, eine Vision. Ich denke oft an ihn. Und da hatte ich auf einmal den Gedanken, dass es mit ihm zu tun hat. Mit seiner Seele, in der ein Krieg herrscht, und dass er den Frieden...

Erscheint lt. Verlag 27.3.2025
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Flucht • Fremdenlegion • Gewaltspirale • Italien • Schweiz
ISBN-13 9783928249454 / 9783928249454
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR)
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