Motörhead - die lauteste Band der Welt (eBook)
261 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
9783518783917 (ISBN)
Als Lemmy Kilmister am 28. Dezember 2015 starb und sein Teamkollege Mikkey Dee einen Tag später das Ende der Band erklärte, brach für die Fans eine Welt zusammen. Vierzig Jahre heizte Lemmy, der berühmteste und wichtigste Repräsentant des Heavy Metal, dessen Karriere damit begann, dass er bei Jimi Hendrix die Marshalls aus dem Transporter schleppte, mit seinem martialischen Rock'n'Roll der Musikszene ein. Ein Geheimtipp zunächst für die Hartgesottenen, wurde der Meister der Variation schließlich zum Liebling aller. Noch posthum nimmt sein Ruhm immer weiter zu. Nun werden die Archive geplündert, und jedes Konzert wird für die unersättlichen Motörhead-Addicts auf Vinyl gepresst, auch bei feministischen Musikerinnen hat er eine beachtliche Reputation erlangt. Frank Schäfer, Motörhead Fan der ersten Stunde erzählt die Geschichte.
Frank Schäfer, geboren 1966, ist seit vielen Jahren als Literatur- und Musikkritiker u.a. für <em>taz, NZZ, Zeit online</em> tätig, insbesondere als Spezialist für Hardrock und Heavy Metal. Im <em>Rolling Stone</em> und im <em>Rock Hard</em> betreut er eine ständige Kolumne zum Thema. 2022 erschien <em>Heavy Kraut: Wie der Metal nach Deutschland kam.</em>
Wenn sie nicht mehr da sind
Motörhead galten lange Zeit nicht nur als die »lauteste«, sondern auch als die »schlechteste Band der Welt«. Dieses Verdikt, das wird angesichts der späteren Auratisierung leicht vergessen, war allgegenwärtig. Wer in der Schule zugab, AC/DC zu mögen, war einfach nur ein unberatener Proll, wer aber von Motörhead schwärmte, konnte bei den Connaisseurs einpacken. Der fraß auch kleine Dackelwelpen. Und zwar trotz Punk.
Punk wurde immer noch von der Musikpresse hofiert, da konnte niemand etwas falsch machen. Punk war cool. Keiner hörte Motörhead, weil es cool war und er oder sie dazugehören wollte. Wer in den ganz frühen Achtzigern zugab, Motörhead gut zu finden, war außerhalb der sich langsam konstituierenden Szene eigentlich nicht mehr satisfaktionsfähig. Man musste diese Musik schon wirklich mögen. Später war oft zu hören, dass Motörhead die einzige Metal-Band gewesen seien, die auch Punks goutiert hätten. Mag schon sein. Mir ist damals kein Punk untergekommen, der uns zur Seite gesprungen wäre, wenn wir uns für Motörhead rechtfertigen mussten.
Ich kann mich noch erinnern, wie mein Bruder, ein immerhin mit Black Sabbath, Led Zeppelin und Kiss sozialisierter Lederjackenträger, auf ihren »Musikladen«-Auftritt reagierte. »Was ist denn das für ein Scheiß? Das ist ja nur Krach.« Und Moderator Manfred Sexauer musste sich in Ironie flüchten, weil er natürlich nicht in seiner eigenen Sendung indigniert über einen Gast den Kopf schütteln durfte. »Oijoijoijoijoi … Berlin erwacht, die lauteste Band der Welt — Motörhead.«
Diesen Widerstand mussten sie überwinden. Und dank ihrer stoischen Beharrlichkeit ist es ihnen schließlich gelungen. Heroisch ist das ganz und gar nicht, sondern das Gegenteil — gieriger, unverschnittener, über die Stränge schlagender Hedonismus. Lemmy und Co. machen einfach nur das, was sie machen wollen — auf der Bühne und im Leben.
»Es hängt immer von den eigenen Entscheidungen ab, ob man unter die Räder kommt oder ob man seinen Weg geht«, weiß Lemmy. »Schon Kant sagte: ›Wir sind verantwortlich für uns selbst.‹ In England mögen wir Kant, allein schon wegen seines Nachnamens.«
Motörhead arbeiteten hart daran, nicht unter die Räder zu kommen. Bei ihrem vierten Album »Ace Of Spades« zahlte sich Motörheads Tour-Knochenmühle erstmals so richtig aus. Das Album erreichte Platz vier der englischen Charts und wurde vergoldet. Ein ziemlicher Erfolg für diese Trümmertruppe, der vielleicht gar nicht unbedingt der größeren Qualität der Songs geschuldet ist, sondern dem Gewöhnungseffekt. Die drei hatten das englische Publikum durch stetiges Malträtieren mit ihrem Kaputtniksound bekannt gemacht, so dass es irgendwann in der Lage war, die Melodie-Nuggets in diesem sonischen Geröllhaufen zu erkennen.
Die Mischung aus ganz altem Rock’n’Roll, heißgemachtem Boogie und dreckigem Punk konnte es mit der gerade über Europa hereinbrechenden New Wave of British Heavy Metal in Härte und Geschwindigkeit spielend aufnehmen, also sortierten wir auch Motörhead dort ein, obwohl Lemmy schon damals stets darauf beharrte, einfach bloß Rock’n’Roll zu spielen.
Das neue Genre-Etikett war ihnen trotzdem nützlich, weil sie innerhalb dieser sich konsolidierenden Szene, eine Weile wenigstens, als die rabiatesten, wildesten und gemeinsten Exponenten durchgehen konnten. Das rüde Image stärkend kam hinzu, dass nie ganz klar war, wo die Inszenierung aufhörte, und das dreckige Leben begann. Das Western-Cover mit den drei Outlaws, deren Gesichter kaum zu erkennen sind, war dann auch beides — Theater und Beglaubigung. Beglaubigungstheater.
Volker, Stefan, Kui, Rüdiger, Jacko und ich bildeten eine kleine, aber hochmotivierte Metal-Aktivisten-Zelle in unserem kleinen Heidedorf Leiferde bei Gifhorn, aus der sich in gar nicht so ferner Zukunft die gar nicht mal so gute Heavy-Metal-Band Salem’s Law rekrutieren sollte. Volker war ein Jahr älter als wir, hatte die Schule entnervt verlassen, lernte passenderweise einen Metall-Beruf und verdiente auf einmal viel Geld. Insofern besaß er die wichtigen Platten zu unserem neidgelben Verdruss immer als Erster. 1980, wohlgemerkt, waren das in schlechten Monaten eine Handvoll, in guten allenfalls ein Dutzend. »Ace Of Spades« gehörte unbedingt dazu. Unser inoffizieller Metal-Fanclub traf sich fast täglich, hörte genau hin und sammelte die spärlichen Infos, die von Motörhead zu bekommen waren, etwa in der »Bravo«, die früher als andere Magazine Heavy Metal zumindest als Thema ernst nahm. Wir lasen jeden Artikel mindestens zehnmal, kannten die wichtigsten Statements und ganze Absätze auswendig und trotzdem wurde keiner richtig schlau aus ihnen. Was waren das für fiese Typen? So fixen sie Kinder an.
»Als berichtet wurde, dass Keith Richards’ Blut ausgetauscht werden sollte, hielt unser Manager es für eine sehr gute Idee, auch bei mir den ganzen toxischen Mist aus den Venen zu spülen und wieder ganz neu anzufangen«, erinnert sich Lemmy. »Wir suchten also meinen Arzt auf und ließen mein Blut untersuchen. Als wir am nächsten Tag wiederkamen, sagte er mir: ›Was immer Sie tun, lassen Sie nicht Ihr Blut austauschen — sauberes Blut würde Sie umbringen!‹ Mein Blut hatte sich in eine Art Bio-Suppe verwandelt, darin waren alle möglichen Spurenelemente zu finden.«
»No Sleep ’Til Hammersmith« war gerade erschienen, da lasen wir in einem leider nicht mehr auffindbaren »Bravo«-Artikel, dass die Lautstärke ihrer Konzerte der eines startenden oder landenden Jumbo-Jets entspreche. Noch im selben Jahr 1981 wollte es das konkurrierende Teeniemagazin »Popcorn« dann aber ganz genau wissen und schickte einen Menschen mit Phon-Messgerät aufs Summernight Festival nach Stuttgart, wo neben Motörhead auch diverse andere harte Jungs ihr Leiden an der Industriegesellschaft hinausbellten und der »Popcorn«-Reporter enttäuscht feststellte, dass Motörhead auffällig, ja nachgerade bedenklich leise zu Werke gingen und nur den vierten Platz belegten — nach Foreigner, Blue Öyster Cult und immerhin Iron Maiden. Da war der Chef am Bass aber in höchster Erklärungsnot. Der Sound sei ihnen weggeweht, konzedierte Lemmy zerknirscht. Ein Grund dafür, weshalb er nicht so gern auf Open-Air-Festivals spiele. »In einer Halle wären wir die lauteste Band gewesen!«
Volker war gewissermaßen das dritte Fragezeichen, der Bob Andrews unseres Schwermetall-Detektivclubs, verantwortlich für »Recherchen und Archiv«. Er hob alles auf, was einschlägig und somit wichtig war. Dass es von dieser nichtswürdigen »Popcorn«-Episode keine Belege mehr gibt, sagt einiges aus über unseren damaligen Gemütszustand. Foreigner, also bitte.
Zum ersten Mal live sah ich Motörhead Mitte der Achtziger. Sleaze war der heißeste Scheiß, Metaller hatten plötzlich die Haare schön, und Lemmy ließ direkt vor sich am Bühnenrand eine leistungsstarke Windmaschine aufstellen. Mit dem Rickenbacker vorm Bauch schritt er stolz zu seinem Mikrogalgen, warf kokettierend den Kopf zurück, fuhr sich wie ein Model in einem Drei-Wetter-Taft-Jingle mit beiden Händen durch die versplisste, strähnige Mähne und ließ sie im Luftstrom flattern. Die Menge verstand ihn nur zu gut und schnappte über. »MO-TÖR-HEAD … MO-TÖR-HEAD …« Er grinste verschlagen, hob geziert eine Hand und sagte dann schwul wie nur was: »Yes, I know!«
Spätestens da lernte ich Lemmy vorbehaltlos zu mögen und all seine kleinen Dummheiten, seine Passion für Nazi-Devotionalien, seine manchmal etwas schmierigen Macho-Sprüche, seine bisweilen etwas arg simplen politischen Statements ohne weiteres zu tolerieren. Weil er das besaß, was alle wirklich großen Bühnenpersönlichkeiten besitzen müssen, um von mir gemocht zu werden — ausreichend Selbstironie.
Er beherrschte seine Rolle aus dem Effeff, hatte all die Rockerphrasen und -stereotypen hundertprozentig drauf, und das gab ihm stets die Souveränität, mit einem diebischen Jokerlachen die Show, das Geschäft und sich selbst gleich mit als großen Bluff zu entlarven. Wann immer er sich äußerte, zeigte er zwischen den Zeilen ein belustigtes Achselzucken, das den großen Statements über das Leben und das Leiden und den ganzen Zinnober dazwischen etwas von ihrer bedeutungsheischenden...
| Erscheint lt. Verlag | 17.12.2025 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
| Schlagworte | ace of spades • aftershock • Backbeat • Bad Magic • Blastbeat • Bomber • Brian Robertson • Doublebass • Eddie Clarke • Fast Eddie • Grammy Award • hammered • Hard Rock • Heavy metal • Iron Fist • kiss of death • Kult • Larry Wallis • Lemmy Kilmister • London • Lucas Fox • Meister der Variation • Metal • Michael Burston • Mikkey Dee • Motörizer • New Wave Of British Heavy Metal • NWOBHM • Overkill • Pete Gill • Phil Campbell • Phil Taylor • Philthy Animal • Punk • Rock • Rockband • Snaggletooth • Speed Metal • ST 5528 • ST5528 • suhrkamp taschenbuch 5528 • Wizzö • Würzel |
| ISBN-13 | 9783518783917 / 9783518783917 |
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