Seelenliebe (eBook)
290 Seiten
SMART & NETT Verlag
978-3-946406-49-5 (ISBN)
Der Münchner Autor Jo Leuchtenberg kommt ursprünglich aus dem Schreinerhandwerk. Exquisite Interieurs, handgefertigte Möbelunikate und die Wahl besonderer Hölzer gehören zu seinen Markenzeichen. Die Liebe zum Schreiben entdeckte er im Laufe der Zeit als weitere Berufung, mit der er Ideen und Kreativität zum Leben erweckt.
Ein Märchen, 1. Teil
»Großmütterchen, ein Märchen, bitte!« Die Zwillinge sahen sie mit leuchtenden Augen an. Sie saßen vor dem Kamin im großen Saal, in dem das Feuer knisterte. Draußen heulte der Wintersturm.
Elsah überlegte. »Hmm, heute erzähle ich euch eine wahre Geschichte:
Es war einmal vor langer Zeit, da lebte ein großer Fürst, Arktus der Weise genannt. Sein Reich regierte er mit viel Güte und Umsicht. Seine Frau Sabeh gebar ihm einen Sohn, Lothar genannt, und danach noch eine Tochter, Rhea mit Namen.
Lothar liebte seine jüngere Schwester über alles und Rhea verehrte ihren großen Bruder sehr – fast waren sie wie Zwillinge.
Fürst Arktus der Weise legte viel Wert auf die Ausbildung seines Thronfolgers Lothar. Er lehrte ihn alles, was er wusste, in Bezug auf Kriegskunst und Staatsführung, und schickte ihn zu den besten Lehrern.
Die jüngere Schwester bedrängte ihren großen Bruder, ihr in den wenigen freien Stunden, die den Geschwistern blieben, alles beizubringen. Sie wollte kämpfen können wie er und alles über das Regieren lernen. Das höfische Leben mit den dümmlichen Zofen und Hofdamen langweilte sie. Lieber streifte sie mit ihrem Bruder durch den Wald und ging mit ihm auf die Jagd. Am liebsten jedoch ritten sie gemeinsam zu ihrem geheimen Felsen. Dort verbrachten sie viele Stunden gemeinsam auf dem waagrechten Ast des knorrigen Eichbaums. Rhea stellte ihrem Bruder Fragen über Fragen. Bereitwillig erzählte er ihr alles, was er wusste. Dann wieder saßen sie schweigend aneinandergelehnt und blickten in die Ferne. Oder sie übten sich im Schwertkampf auf dem kleinen Platz vor der Eiche.
Eines Tages, als es anfing zu dämmern, stieg in der Nähe ein Schwarm Raben krächzend auf und flatterte eilig davon. Sie brachen auf, um zur Burg zurückzureiten, doch da wurde alles um sie herum plötzlich in ein milchiges Licht getaucht und die Pferde blieben wie angewurzelt stehen, ohne einen Mucks von sich zu geben. Vor ihnen erschien eine Frauengestalt, eingehüllt in einen purpurnen Umhang.
Diese schob die Kapuze zurück. Ihre goldfarbenen Haare quollen in Wellen daraus hervor. Sie hob den Kopf und ihr edles Gesicht kam zum Vorschein. Einzig eine lange Narbe auf ihrer rechten Wange trübte ihre Schönheit ein wenig. Sie hob ihre linke Hand und der Diamant darin fing an in dem gleichen blauen Licht zu strahlen wie ihre ungewöhnlich großen Augen, bis ihre ganze Gestalt davon umgeben war.
»Ich bin Inanna, Hüterin nicht nur dieses Ortes«, fing sie unvermittelt an zu sprechen. Ihre Stimme klang sanft und kräftig zugleich.
»Eine Weile schon beobachte ich euch. Für eine lange Zeit werdet ihr nicht mehr zurückkehren können an diesen Ort. Doch eines Tages wird jeder von euch wiederkommen. Dann werde ich auch da sein, wenn ihr mich ruft! Zu dir, Lothar, sage ich: Regiere weise, du wirst ein mächtiger König werden, denke immer an das, was dich dein Vater gelehrt hat, vor allem an die Güte. Du, Rhea, wirst eine mächtige Frau an der Seite eines großen Fürsten, vergiss deinen Bruder nie!«
Sie drehte sich nach links und verschwand. Die beiden sahen sich lange mit großen Augen verwundert an. Dann ritten sie schweigend nach Hause.
Sie hatten nicht die geringste Ahnung, unter welchen Umständen und wann jeder von ihnen hierher zurückkehren sollte.
Und beide wussten nicht, dass Inanna, immer wenn sie wollte, sie durch die Augen anderer sehen – auch durch die Augen von Tieren – und durch den Mund anderer zu ihnen sprechen konnte.
Arktus der Weise und seine Frau Sabeh hatten sich viele Gedanken gemacht, welche Fürstentochter ihr Sohn heiraten solle und welchen Ritter Rhea.
Viele Boten ritten hin und her zwischen den verschiedenen Herrscherhäusern. Verträge wurden über die jungen Menschen besiegelt.
Bald schon sollte ein großer Hoftag mit Ritterturnier stattfinden, auf dem beide Vermählungen bekannt gegeben werden würden.
In Nachbarschaft zu Arktus‘ Reich lag das Herzogtum von Okar dem Strengen.
Arktus der Weise und Okar der Strenge respektierten einander. Gute Nachbarn oder gar Freunde waren sie jedoch nicht. Man ließ sich gegenseitig in Ruhe.
Okar hatte eine Tochter, Larah. Er liebte seine Tochter. Doch er wünschte sich sehnlichst einen Sohn. Als Larah heranwuchs starb ihre Mutter bei der Geburt eines Sohnes. Das Kind mit ihr.
Okar war traurig und wütend zugleich. Larah war auf einmal sehr einsam. Sie vermisste ihre Mutter schmerzlich, sie war so sanftmütig und geduldig gewesen.
Bald entschied Okar etwas Ungewöhnliches: Larah sollte sein Erbe antreten und Fürstin werden. Diese weigerte sich zuerst, denn ihr Vater verlangte auch von ihr, kämpfen zu lernen wie ein Ritter. Doch sie fügte sich, denn sie erkannte bald, dass nur sie noch ihren Vater davor bewahren konnte, noch jähzorniger zu werden und ganz zu verbittern.
Sie lernte schnell. Alles! Sie war schön, klug und kämpferisch.
Ihr Vater wurde stolz auf sie.
In den Stunden in denen sie müde und erschöpft war, dachte sie oft: ›Warum kann ich nicht einfach nur Fürstin werden? Ich bin nicht stark genug für diese doppelte Aufgabe. Wenn nur Mutter noch da wäre. Ich möchte gerne sein wie sie! Doch zum Glück habe ich ja Ammah!‹
Ammah lebte am Hof, eine weise alte Frau. Sie war ihre Kammerdienerin und Zofe. Doch nicht nur das. Sie lehrte sie, auf ihre innere Stimme zu hören, das Rauschen des Windes zu verstehen und auf die Raben zu achten, heilsame Kräutersäfte zu mischen, ihre Sinne zu schärfen und andere Menschen zu durchschauen. Für Larah war das pure Magie! Sie war die Einzige, zu der Larah Vertrauen hatte. Eines Tages, als sie, wie oft, Larah das wilde kastanienbraune Haar kämmte, sagte sie zu ihr:
»Wenn du der Liebe begegnest, behalte sie immer in deinem Herzen! Lass sie nie wieder gehen!«
Sie verließ das Schlafgemach. Verwirrt blickte ihr Larah hinterher. Sie war so anders heute, auch ihre Stimme! So war sie nur, wenn sie sie die heiligen Dinge lehrte.
Bald sollte ein Ritterturnier in einem der Nachbarreiche stattfinden. Auch sie würden dorthin reiten. Schon eine Weile trat sie gemeinsam mit ihrem Vater vor ihr Volk und so wurde sie bald Larah die Schöne genannt. Dieser Ruf verbreitete sich schnell, auch über die Grenzen hinaus.
Lothar freute sich auf das Turnier. ›Ich bin so stark geworden. Ich bin mutig und geschickt mit dem Schwert. Und mit dem Wort! Ich will ein würdiger Thronfolger werden. Alle werden mich wahrnehmen als Lothar, Sohn des Arktus und zukünftigen Fürsten! Mein Falke folgt mir aufs Wort. Ich kenne jeden seiner Schreie, er ist ein treuer und wichtiger Gefährte. Und Vater ist ein guter Stratege, das will ich auch sein!‹, dachte er.
»Wie kann ich denn jemanden lieben, den ich gar nicht kenne? Ich finde, Liebe sollte frei sein. Ich stelle mir das so vor, dass da ein Ritter kommt, der mich umwirbt und in den ich mich so sehr verliebe, dass ich unbedingt seine Frau werden will!«, sagte Rhea zu Lothar.
»Du Träumerin«, antwortete ihr Bruder, »es ist entschieden. Das wird schon alles gut werden. Ich weiß auch kaum etwas über meine Braut. Ehrlich gesagt bin ich neugierig auf Larah. Ob sie wirklich so schön ist, wie das Gerücht geht? Und ob sie wirklich so gut kämpfen kann? Das glaube ich nämlich nicht!«
»Ich kann doch auch gut kämpfen!«, protestierte Rhea.
»Liebste Schwester, das ist etwas ganz anderes, das war doch nur zum Spaß!« Lothar lachte. Rhea war beleidigt.
Es war der Vorabend des Turniers. Am Hof herrschte größte Betriebsamkeit.
Alles durfte nur einen Tag dauern. Ein kleines Turnier mit abendlichem Bankett und Ball im Festsaal. Das Turnier sollte im Hof der Burg stattfinden und nicht wie sonst üblich davor – eigentlich war es nur ein kleines Reiterschauspiel, um Ehre und Tugend zu zeigen, mit stumpfen Waffen. Keiner sollte ernsthaft verletzt werden oder gar dabei umkommen. Auch die Schwertkämpfe waren nur Schaukämpfe. Niemand durfte den Hof mit scharfen Waffen betreten! Arktus hatte das alles so bestimmt. Schließlich ging es hier hauptsächlich um die Bekanntgabe der neuen fürstlichen Verbindungen.
Der Tag des Turniers: Lothar durfte als einziger Mann bis an die Tribüne der Damen herantreten. Er und seine zwei besten Ritter der Leibgarde geleiteten seine Mutter Fürstin Sabeh und seine Schwester dorthin. Er war voller Stolz über diese Ehre. Seine Rüstung blitzte, die dunkelblonden Locken glänzten in der Sonne. Er entließ sie an den Stufen der Tribüne.
Als er sich umwandte, kam eine stolze, schöne, junge Frau mit ihren Hofdamen direkt auf ihn zu! ›Das kann nur Larah die Schöne sein!‹, schoss es ihm durch den Kopf. Ihre Blicke kreuzten sich, er starrte sie an. Er konnte den Blick nicht von ihr abwenden, sein Herz fing an wie wild zu pochen! ›Sie ist wirklich wunderschön!‹, dachte er, ganz in Gedanken.
»Ist er ein Scherge des Fürsten und möchte er etwa Silberlinge als Wegzoll?«, hörte er eine klare, melodische Frauenstimme spöttisch fragen. Sie stand jetzt direkt vor ihm. Larah war sich sehr sicher, dass der junge Ritter der Sohn des Arktus war, gehört hatte sie schon von ihm und seinem Mut – ›und gut sieht er auch aus!‹, dachte sie.
»Ich bin Lothar, Sohn Arktus‘ des Weisen und ich frage mich, ob ihre Hoheit Larah die Schöne wirklich kämpfen kann, wie man mir berichtet hat.«, sagte er schnell und bereute sogleich sein forsches Vorgehen.
Larah runzelte kurz die Stirn, dann lächelte sie, drehte ihm ihre linke Schulter zu, legte den Kopf...
| Erscheint lt. Verlag | 17.3.2025 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
| ISBN-10 | 3-946406-49-1 / 3946406491 |
| ISBN-13 | 978-3-946406-49-5 / 9783946406495 |
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