Jerry Cotton Sonder-Edition 260 (eBook)
80 Seiten
Bastei Lübbe (Verlag)
9783751779791 (ISBN)
Der übergewichtige Kassman besaß ein gut gehendes Feinschmeckerrestaurant in New York. Doch hinter dieser Tarnung betrieb Kassman ein grausiges Geschäft: die Mord-AG. Er hatte eine kleine Armee von Killern, die jeden umbrachten, dessen Tod von interessierten Personen bestellt und bei Kassman bezahlt wurde. Bis eines Tages sein Topkiller, den er selbst nicht kannte, alles an sich reißen wollte. Es war Lester, der beste Mann der Mord-AG ...
1
Auf mein höfliches Klopfen an seine Tür hin gab Zacco Turner die denkbar unhöflichste Antwort: eine lange Serie aus einer Maschinenpistole.
Die Kugeln durchschlugen das dünne Holz. Splitter spritzten durch die Luft. Ich presste mich links von der Tür gegen die Wand. Rechts stand Phil. Aufrecht und starr wie Schildwachen der englischen Königin rahmten wir Turners Tür ein, obwohl er nicht die leiseste Ähnlichkeit mit einer Königin hatte, sondern als Killer für Kassmans Mord-AG arbeitete. Auch das Haus war alles andere als ein Palast. Turner veranstaltete sein Feuerwerk in einem vergammelten Fünf-Etagen-Bau der Lower East Side.
Sein gezielter Salut zu unserem Staatsbesuch dauerte fünfzehn Sekunden. Dann brüllte er zur Begrüßung: »Ich schick euch zur Hölle, G-men!«
G-men.
Woher wusste Zacco Turner, wer vor seiner Tür stand? Doch im Augenblick blieb die Frage zweitrangig.
Wie üblich verlegten wir uns aufs Überreden.
»Gib auf, Zacco. Du kannst dir den Weg nicht freischießen«, sagte ich.
»Ich lege jeden um.«
»Unsinn, Zacco. Du kannst nicht drei Dutzend Polizisten umlegen. Die Straße ist abgeriegelt.«
Der Satz entsprach nicht unbedingt der lauteren Wahrheit. Nichts war abgeriegelt. Nirgendwo warteten schussbereite Cops. Nur Phil und ich standen Turner im Weg und hofften, dass er nichts davon ahnte.
Überall im Haus schrien Menschen, schlugen Türen, bebten die Holztreppen unter den Füßen der Bewohner, die ins Freie drängten. Auf dem Podest zur fünften Etage erschien eine schwarze Mammy, die zwei plärrende Kleinkinder an die gewaltigen Brüste presste.
Ich winkte heftig mit den Armen. »Zurück in die Wohnung! Schließen Sie die Tür!«
Jammernd rief sie die Heiligen um Hilfe an. Die Kinder legten noch einen Zahn an Lautstärke zu. Das Gebrüll und Geschrei im Haus hielt an. Und zur Krönung des Wirrwarrs drückte Turner noch einmal auf den Abzug.
Vier Kugeln durchschlugen das Türblatt und knallten ins Holz der Treppe, auf deren Podest die Mammy stand. Sie heulte auf wie eine Schiffsirene und drehte ab. Himmel, welche Kehrseite. Krachend fiel hinter ihr die Wohnungstür ins Schloss. Wir konnten uns wieder mit Turner beschäftigen.
»Als Kronzeuge gegen Kassman gibt dir der Richter eine faire Chance, Zacco. Sei vernünftig, und komm raus«, sagte ich.
»Bei mir ist eine Frau!«, schrie er. »Wenn ihr reinkommt, knall ich sie ab. Los, Baby, sag's ihnen. Sag den Schnüfflern, dass ich dir die Mündung an deine Birne halte. Sag's ihnen, zum Teufel.«
Es war kein Bluff. Eine Frau rief schluchzend: »Bitte, Zacco! Tu's nicht. Lass mich gehen. Bitte. Ich bin doch nur raufgekommen weil du ... Du hast bekommen, was du wolltest. Lass mich gehen. Ich verlange kein Geld.«
Das Klatschen der Schläge war deutlich zu hören. Die Schmerzensschreie der Frau gingen in lautes Weinen über, das Zacco Turner überbrüllte: »Alles klar, G-men? Ich schwöre euch, ich besorg's ihr!«
Kein Zweifel, Turner hielt eine Frau in seiner Gewalt, vermutlich eine junge Frau, die er von der Straße mitgelotst hatte. Damit hatten wir nicht gerechnet. Schließlich war es elf Uhr vormittags. Doch wirklich nicht die übliche Zeit für, na ja, Sie wissen schon.
Eine Frau in Turners Wohnung. Das änderte die Lage. Ob Professorentochter oder Prostituierte, Gewaltaktionen kamen nicht mehr infrage. Jetzt mussten wir uns auf eine lange Belagerung und viel Geduld einrichten, und dazu brauchten wir die Cops.
Phil kam zur gleichen Erkenntnis und holte das Walkie-Talkie aus der Tasche. Er rief das Hauptquartier und sagte, sie sollten die City Police veranlassen, ein paar Streifenwagen und eine Special Action Squad in die Hester Street zu schicken.
Es war inzwischen ziemlich still geworden, im Haus und auch in Turners Wohnung.
»Roger. Bitte bestätigen«, sagte er.
Plötzlich presste er das Walkie-Talkie ans Ohr, lauschte angespannt, winkte mir heftig zu, und zeigte aufs Gerät.
Ich holte mein Walkie-Talkie heraus und folgte Phils Beispiel.
»... über die Feuerleiter aufs Dach, Zacco«, hörte ich eine Männerstimme. »Beeil dich.« Trotz des Rauschens vieler Störungen waren die Worte gut zu verstehen.
»... Die Cops schießen mich von der Leiter.«
Das war Zacco Turners Stimme. Turner flüsterte, damit wir ihn nicht auf direktem Weg hörten.
»Es gibt keine Cops in der Straße. Nur die beiden G-men vor deiner Tür. Verdammt, warum hast du nicht früher auf das Rufzeichen reagiert? Schnell. Geh aufs Dach und ...«
»Zwei Feds kann ich mit der MP umnieten. Sie haben nur einfache Kanonen und ...«
»Die kannst du nicht umnieten. Das sind Topjungs. Cotton und Decker.« Der Mann sprach mit schneidender Schärfe. »Verdammter Armleuchter, wenn du nicht in drei Minuten auf dem Dach auftauchst, lass ich dich in deiner Scheiße ersticken.«
»Ich benutz die Nutte als Geisel.«
»Sie hindert dich nur.«
»Nein, sie ist mein einziger Schutz«, beharrte Turner. »Ich gehe nicht ohne sie ...«
»Schlepp sie meinetwegen mit, aber beeil dich.«
»Okay, okay, ich komme.«
Ich nickte Phil zu, verständigte mich mit ihm über die Rollenverteilung durch ein Handzeichen und flitzte die Treppe zur fünften Etage hoch.
Alle Wohnungstüren waren verschlossen. Mir blieb keine Zeit für ein langes Öffnungspalaver. Zweimal trat ich vors Schloss. Die Tür sprang auf.
Die zweite Begegnung mit der überaus kräftigen Mammy und ihren jaulenden Sprösslingen. Sie stand im kleinen Flur und füllte ihn vollständig aus. Ich quetschte mich an ihr vorbei und grinste sie unter Aufbietung aller Gesichtsmuskeln so immens freundlich an, dass ihr das Hilfegeschrei in der Kehle erstarb.
Die nächste Tür stieß ich mit der Schulter auf und platzte in die Küche. Auf dem Herd qualmte es aus drei Töpfen. Auf einem zerschlissenen Sofa lag ein magerer Mann in Unterwäsche, ein Weißer, und schnarchte. Mit jedem Atemstoß blies er eine Wolke Fuseldunst in die stickige Luft.
Ich ging zum Fenster und schob es hoch.
Die Feuerleiter verlief als Stahltreppe im Zickzackmuster in der Hausmitte. Eine Etage tiefer sah ich Zacco Turner, der sich aus der Fensteröffnung wand und die Frau mitzerrte. Wir hatten ihn wirklich übel gestört, denn er trug nur eine Hose und war barfuß.
Die Frau war eine knallige Blondine, bekleidet mit einem schwarzen Slip und ihrem langen strohblonden Haar. Mit der linken Hand hatte Turner sie gepackt. In der rechten hielt er eine Uzi, eine überaus handliche Kugelspritze, bei kapitalistischen Gangstern nicht weniger beliebt als russische Kalaschnikows bei linken Terroristen.
Als die Schüsse fielen, steckte die Frau noch zur Hälfte im Zimmer. Zacco Turner wurde getroffen. Die Wucht der Einschläge warf seinen Körper nach vorne, bevor die Knie nachgaben und Turner zusammenbrach. Er kippte seitlich weg.
Die Uzi schlug scheppernd auf eine Stahlstufe. Sekundenlang hielt ihn das Gegengewicht der Frau, in deren Haar er seine linke Hand geschlagen hatte. Dann verloren seine Finger die Kraft. Der Griff löste sich. Turners Körper rutschte kopfüber die Stalltreppe hinunter, bis das Gittergeländer ihn auffing und festhielt.
Unten schrien die Leute. Die Hester Street war schmal. Keine Midtown Avenue, nur eine alte Wohnstraße mit verfallenen Häusern. Aus allen Fenstern starrten neugierige Gesichter.
Wo war der Schütze? Aus welchem Fenster, von welchem Dach hatte er geschossen?
Ich glaubte eine Bewegung zwischen den Dachaufbauten eines Hauses zu sehen, das zwanzig Yards weiter straßenaufwärts stand.
Ich warf mich herum und raste durch die Küche. Der Betrunkene schnarchte unverändert. Ich war zu hastig und rannte voll in die Mammy rein. Erst im zweiten Anlauf kam ich an ihr vorbei.
Phil stürzte aus Turners Wohnung.
»Weißt du, wo?«, schrie er.
»Das braune Haus auf der anderen Seite.«
Wir hetzten die Treppen hinunter, brachen aus dem Eingang und überquerten die Fahrbahn. Viel zu viele Menschen standen uns im Weg, und im Eingang des Hauses mit dem abblätternden braunen Anstrich ballte sich eine Gruppe Frauen und Kinder. Wir verloren kostbare Sekunden.
Das Haus hatte fünf Etagen wie der Bau, in dem wir Turner aufgespürt hatten. Von der letzten Etage führte eine schmale und steile Treppe aufs Dach.
Alte New Yorker Hausdächer hatten mehr Aufbauten als ein Schiffsdampfer. Kamine, Entlüftungsschächte, Antennen, Kaninchenställe und Abstellverschläge machten sich den Platz streitig. Dazwischen war jede Menge Gerümpel.
Phil fand die Waffen neben einem gemauerten Kamin, ein Repetiergewehr mit abnehmbarem Schaft. Fünf Schritte weiter lag ein japanisches Walkie-Talkie.
»Wir hätten ihm auf der Treppe begegnen müssen«, sagte Phil.
Nein, auch wenn wir schneller gewesen wären, hätten wir ihn nicht auf der Treppe abfangen können. Er hatte das Haus auf anderem Weg verlassen....
| Erscheint lt. Verlag | 26.4.2025 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • Action Abenteuer • action romane • action thriller • action thriller deutsch • alfred-bekker • Bastei • bastei hefte • bastei heftromane • bastei romane • bastei romane hefte • Bestseller • Deutsch • eBook • E-Book • eBooks • erste fälle • Fall • gman • G-Man • Hamburg • Heft • Heftchen • Heftroman • heftromane bastei • Kindle • Krimi • Krimiautoren • Krimi deutsch • krimi ebook • Krimi kindle • Kriminalfälle • Kriminalgeschichte • Kriminalgeschichten • Kriminalroman • Kriminalromane • kriminalromane 2018 • kriminalromane deutsch • Krimi Reihe • Krimireihen • krimi romane • Krimis • krimis&thriller • krimis und thriller kindle • Krimi Urlaub • letzte fälle • martin-barkawitz • Polizeiroman • Romanheft • Roman-Heft • schwerste fälle • Serie • Soko-Hamburg • spannend • spannende Krimis • spannende Thriller • Spannungsroman • Stefan Wollschläger • Tatort • Terror • thomas-herzberg • Thriller • Wegner |
| ISBN-13 | 9783751779791 / 9783751779791 |
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