Ausgestoßen (eBook)
100 Seiten
Blattwerk Handel GmbH (Verlag)
978-3-69049-171-6 (ISBN)
Dick Williams hat es sich längst abgewöhnt, über sichere Gefühle hinwegzusehen, als wenn es sich um Einbildungen handelt.
Ich habe mich noch nie getäuscht, denkt Williams und sieht wieder zur Ecke hin, in der der Mann noch immer sitzt und jetzt seinen zweiten Whisky trinkt. Heute passiert noch etwas! Schon als die Kutsche kam und hielt, als er hier hereinkam und einen Augenblick in der Tür stehen blieb, da ahnte ich es.
Der Mann sieht zu ruhig aus.
Draußen jagen zwei Reiter die Straße nach Sinclair hinaus, dann ist wieder Ruhe über der Main-Street von Rawlins in Wyoming.
Der Mann in der Ecke, der seinen Hut auf den zweiten Stuhl am Tisch gelegt hat, hebt nicht einmal den Kopf.
Williams hört einen der Boys von Nelson Courter nach einer Runde rufen und dreht sich um. Sein Blick fällt auf die neun Löcher hinter dem Tresen, die in einer Reihe im Regal sind.
Er erinnert sich an den Tag, an dem hier neun Flaschen gestanden haben und der wilde Hugh Barney mit seinen Freunden seinen üblichen Wochenendbesuch gemacht hat.
Das Schild draußen über der Tür, auf dem groß zu lesen ist, dass dieses Hotel Dick Williams gehört, knarrt in den beiden Haken, an denen es aufgehängt ist.
»Ich müsste die Haken schmieren«, sagt Williams, den das knarrende Geräusch nervös macht, obwohl das Schild schon vier Wochen bei jedem Windstoß knarrt. Aber heute macht Williams einfach alles nervös.
Wenn Hugh heute wieder herkommt, dann mache ich den Saloon zu, denkt Williams und hat die Löcher wieder vor Augen. Er hat noch nicht einmal die neun Flaschen, die beiden Lampen und den Spiegel bezahlt, der Lümmel. Wenn das mein Junge wäre, ich würde ihn verprügelt haben, das weiß er. Vielleicht, denkt Dick, vielleicht wäre dann noch etwas aus dem Lümmel geworden. Aber das Geld seines Vaters, das ist es wohl, das ihn verrückt und hochmütig macht. Ich möchte wissen, was der Alte sich denkt.
»Noch einen, Mr. Williams!«
Der Mann in der Ecke redet nach zehn Minuten wieder einmal, und Williams fühlt bei dem leisen und sanften Klang seiner Stimme etwas wie Furcht. Dieser Mann da ist niemals so zahm, wie es den Anschein erweckt.
Der Mann dort ist gefährlich, weil er zu ruhig ist.
»Ja, Mister, sofort«, versichert Williams und schieb den Boys am anderen Tresenende die Gläser zu. Er braucht nicht hinzusehen, er weiß, dass auch die Boys Courters sich einige Dinge fragen, sie blicken alle auf die Ecke.
Ein Fremder kommt, er hat kein Pferd, nur einen Sattel. Er geht in den Saloon, setzt sich hin und bestellt ein Essen. Und dann wartet er und rührt sich nicht.
Williams hat das Glas gefüllt, bringt es bis zum Ecktisch und denkt daran, dass ein Mann vom Ecktisch aus jeden Winkel seines Saloons im Auge hat, ohne selbst gleich gesehen zu werden.
Ich werde ihn fragen, denkt Williams, ich kann mir das leisten, schließlich führe ich ein Hotel. Ich werde ihn fragen.
Er stellt das Glas auf die Platte und nimmt das andere hoch.
»Stranger«, sagt er stockend. »Stranger, bleiben Sie über Nacht?«
Der Mann hebt den Kopf. Es ist ein ruhiges und doch scharfgeschnittenes Gesicht mit einer kleinen Narbe über der linken Augenbraue. Die Augen sind hell wie Wassertropfen, und der Mund besitzt einen sanften Lippenschwung. Eigentlich kein böses Gesicht, keines, das zu einem Revolvermann passen würde.
Die hellen Augen mustern Williams, der Fremde lächelt ein wenig.
Ich hab’ gedacht, der kann nicht lächeln, geht es Williams durch den Kopf. Jetzt sieht er gar nicht mal so unsympathisch aus.
»Vielleicht, mein Freund.«
Das ist alles.
Donner, denkt Williams, es muss doch mehr zu erfahren sein?
»Mister«, sagt er darum freundlich. »Ich habe die besten Zimmer in dieser Stadt, das beste Essen auch. Wollen Sie noch weiter, Freund?«
»Vielleicht.«
Der Fremde lächelt immer noch unschuldig. Williams beißt sich auf die Lippen und dreht sich brüsk um, er ist wütend und geht zum Tresen zurück. Die Boys grinsen ihn an, aber niemand sagt etwas.
Kaum ist Williams hinter dem Tresen verschwunden, als draußen Schritte über den Gehsteig kommen, vor der Tür einen Augenblick anhalten und dann auf die Tür zukommen.
Eine Hand fasst die Pendeltür oben an, ein Gesicht taucht unter einem alten und verbeulten Hut auf.
Irgendjemand hat einmal gesagt, dass Sheriff Dan Turner seinen Hut von seinem Bruder geerbt hat. Der Hut müsste demnach über zwanzig Jahre alt sein, denn Turners Bruder ist im Sturm umgekommen, der im November des sechsundfünfziger Jahres eine Menge Leute von Willies Company verschlungen hat.
Wenn Dan Turner auch der jüngste Bruder in der Turner-Sippe ist, jetzt ist er alt und müde. Seit einigen Jahren kümmert er sich kaum noch um das, was im Land und in der Stadt geschieht. Ein Grund für Williams, von der Tür zu den Löchern im Regal zu blicken und an den wilden Hugh Barney zu denken.
Turner hält die Türflügel auf, sieht durch den Raum und wirft dann einen kurzen Blick auf den Mann in der Ecke. Dann erst geht er genau auf den Tresen zu. Er lehnt sich an die Messingleiste, deutet stumm auf die Flasche und wartet, bis Williams ihm das Glas vollgeschenkt hat.
»Kannst du wenigstens bezahlen?«, fragt Williams angriffslustig. »Ich kenne Leute, die seit zwei Monaten eine Menge Geld an mich zu zahlen haben, Daniel. Sagtest du was?«
Das ist deutlich genug für Dan Turner. Williams sieben Mahnungen an ihn, endlich mit Old Barney zu reden, hat Turner bestimmt nicht vergessen.
»Ich habe Geld«, erwidert Turner ruhig und streicht über seine Bartenden, damit diese nicht in das Whiskyglas hängen. »Andere Leute haben auch Geld, aber sie wollen nicht bezahlen!«
Williams reißt die Augen auf und holt tief Luft.
»Wa – was ist? Sie wollen nicht? Jetzt sage du nur, dass du mit Old Jim geredet hast.«
»Ja, das habe ich.«
»Na, und?«, fragt Williams wütend. »Ist das eine Antwort, he? Er will nicht bezahlen? Du alter Narr!«
»Du kannst mich nicht damit aufregen, Dick. Beruhige dich, wenn jemand den Verlust einiger Flaschen, eines Spiegels und zweier alter Lampen verkraften kann, dann bist du es. Hör zu, Dick …«
Er beugt sich etwas vor und sieht Dick Williams aus schmalen Augen an.
»Es kann sein, dass es eines Tages auch mir mit Hugh und seinen Burschen zu viel wird. Es kann sein, aber es muss nicht. Etwas anderes, Dick, wer ist der Mann dort hinten?«
»Weiß ich das? Ich habe ihn gefragt, aber er hat nur eine Antwort: Vielleicht! Versuche du es doch, ich bin neugierig, was er dir antwortet.«
»Er trägt einen Revolver unter der Jacke, Dick.«
»Wer trägt keinen Revolver?«
»Einige tragen ihn sehr tief, Freund Dick. Wir haben beide eine Nase für Männer, denke ich. Kein Pferd, aber einen Sattel. Seine Kleidung ist nicht gerade neu, vielleicht ein Satteltramp, der seinen Revolver vermietet, wie?«
»Er scheint auf jemanden zu warten, Dani«, gibt Williams leise zurück. »Ich habe ihn beobachtet, er hebt nur den Kopf, wenn ein Wagen die Straße emporkommt. Ob Old Jim ihn bestellt hat?«
»Old Jim?«
Dan Turner zuckt zusammen und blickt starr auf das eine Kugelloch im Regal.
»Wenn er Old Jims Mann ist, dann stelle ihm besser nicht zu viele Fragen, Dan«, warnt ihn Dick Williams leise. »Er sieht mir zu zahm aus.«
Dan brummt etwas, dessen Sinn Williams nicht mitbekommt, dann schiebt er sich seinen alten, fleckigen und verbeulten Hut nach hinten und geht los.
Die Männer am Tresen wenden sich nun alle um und sehen ihm nach. Dan ist kein großer Mann, er ist breit, aber das Alter und das Reiten haben ihn mager bleiben lassen. Mancher sagt, er gleiche einem verhungerten Bison, dessen Hörner abgebrochen sind.
Wie dem auch sei, ganz genau weiß keiner, was Dan Turner gerade denkt und was er tun wird. Er ist immer noch ein Mann, mit dem man vielleicht zu rechnen hat.
Der Fremde sieht hoch, als der Sheriff in seiner alten, einmal gelb gewesenen Weste auf ihn zukommt und die Hand auf die Lehne des links stehenden Stuhles legt.
»Hallo?«, sagt der alte Dan ruhig. »Kann man sich setzen, Fremder?«
»Warum nicht?«, gibt der zurück und lächelt leicht. »Es sind noch genug Stühle da, aber es ist nicht die Art jedes Mannes, sich allein zu unterhalten, Sheriff.«
Dan setzt sich und verschränkt seine Hände. Er blickt den Fremden aufmerksam an und fragt sich, wo er dieses Gesicht schon einmal gesehen hat. Dass er den Mann irgendwo schon einmal getroffen hat, das ist fast sicher, er kommt nur nicht darauf.
»Dies ist eine friedliche Stadt«, sagt Dan langsam. »Ich hoffe, du hast das gemerkt, Mister.«
»Ist sie das wirklich, Sheriff?«
Der Fremde greift in seine Brusttasche und zieht zwei Zigarren heraus. Dan, zu klug, um den Mann zu verärgern, nimmt die Zigarre an und bekommt Feuer. »Manchmal nicht, mein Freund, du scheinst etwas mehr über dieses Land zu wissen, sehe ich.«
»Ich?«
Der Fremde sieht ihn über eine Rauchwolke hinweg an und lächelt unschuldig.
»Ich reite …«
Er verbessert sich sofort und sagt träge:
»Ich komme immer nur etwas herum und gehe meist bald wieder fort, Mr. Turner.«
Turner, denkt Dan, Donner, woher kennt der mich denn, ich schätze, er kann meinen Namen noch nicht gehört haben. In der Kutsche saß er allein, mit den Fahrern hat er kein Wort geredet, und hier hat er anscheinend auch nicht viel gesprochen.
»Du willst weiter, Mister?«, fragt er nach kurzem Zaudern.
»Vielleicht, Turner, ich weiß es noch nicht genau. Hier gibt es doch einen Rancher, der Barney heißt, wie?«
»Ja«, sagt...
| Erscheint lt. Verlag | 11.3.2025 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Western Helden |
| Verlagsort | Hamburg |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror |
| Schlagworte | Abenteuer • Amerika • Colt • Cowboy • Cowboys • Geschichte • Kopfgeldjäger • Martin Kelter Verlag • Spannung • Western • Wilder Westen |
| ISBN-10 | 3-69049-171-1 / 3690491711 |
| ISBN-13 | 978-3-69049-171-6 / 9783690491716 |
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