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Casanovas Leuchtturm -  Mario Tomasegovic

Casanovas Leuchtturm (eBook)

Roman am Ende der Zeit
eBook Download: EPUB
2025 | 1. Auflage
388 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7693-8662-2 (ISBN)
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16,99 inkl. MwSt
(CHF 16,60)
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Ein Maler und zwei Kinder kämpfen ums nackte Überleben - im Jahr 2031, nach einer Katastrophe. Was passiert in einem apokalyptischen Umfeld mit unserer Art zu denken und zu handeln, wenn wir ständig dem Tod ins Auge sehen? Wie weit gehen wir, um zu überleben? Zusammenhalt und Menschlichkeit oder Homo Homini Lupus? Die Botschaft des Erstlingswerks von Mario Tomasegovic ist unmissverständlich: Menschen meistern jede Herausforderung, wenn sie zusammenhalten. Über sich hinauswachsen. Verstehen, dass Liebe und Kooperation fürs Überleben wichtiger sind als Kampf jeder gegen jeden. Ein aufwühlender Roman nicht nur für Fans von "Die Straße", "The Walking Dead" oder "28 Days Later".

Kroatien im Blut, Deutschland im Herzen, die Welt im Kopf - Mario Tomasegovic wurde in Zagreb geboren. Wuchs in München auf. Studierte an der LMU. Arbeitet und reist als Journalist um die Welt. Reiseerlebnisse gepaart mit Erfahrungen im Jugoslawischen Bürgerkrieg inspirierten ihn zum Schreiben. Prägten sein Lebensmotto: Die Welt ist schön und wert, dass man um sie kämpft. Mit diesem Anspruch gewann er diverse Literaturpreise für seine Kurzgeschichten und Erzählungen. "Casanovas Leuchtturm" ist sein erster Roman.

Prolog


Karfreitag, 11. April 2031


Ein Teufel und fünf Engel. Ein Mörder ohne Skrupel. Ohne Werte. Mit massenmörderischer Vergangenheit. Fünf Träumer. Mit dem Kopf über den Wolken. Mit blauäugiger Sicht auf die Welt. Irgendwo im nirgendwo in Wolkenkuckucksheim. Mit mörderischer Zukunft.

Karls Blick schweifte über seine Truppe. Er wischte mit einem Stofftaschentuch den Schweiß von der Glatze. Schaute zum Horizont. Steckte die dritte Superpep in den Mund.

Alle Chemie und Hausmittel und Ratschläge halfen nicht gegen den Brechreiz. Nicht gegen die Kopfschmerzen. Nicht gegen die Schwindelanfälle.

Die Linssen Grand Sturdy pflügte durch die Wellen der Ostsee. Sie zerschnitt Gischt und weiße Schaumköpfe. Schwankte und schaukelte. Ein Schaumweinkorken im Kielwasser eines Öltankers.

Karls Magen rumorte und rebellierte. Er beugte sich über die Reling und kotzte. Bis er nur noch bittere Galle erbrach. Scheiß Nussschale. Scheiß Seekrankheit. Scheiß kalte Pizza mit Salami zum Frühstück. Karl rieb sich den Bauch und verdrehte die Augen.

„Digga, fütterst zum dritten Mal die Fische.“ Der Mann am Steuer steckte zwei Finger in den Mund. Er lachte lauthals. „Wir wollen die Viecher befreien und nicht vergiften.“

Karl wischte Brocken von Kotze, Salami und Speichel von Mund und Kinn. Er reckte entschuldigend die Arme in die Höhe. Stolperte zum Heck. Legte sich in Richtung Schiffsbewegung auf den Boden. In der Hoffnung, die Seekrankheit zu mildern.

Eine Silbermöwe drehte Kreise über dem Motorboot. Sie landete neben Karl. Starrte ihn aus gelben Augen an. Stieß einen gellenden Schrei aus. Kurz und scharf.

Karl zischte die Möwe an. Wütend und aggressiv. Er vertrieb sie mit einer wischenden Handbewegung. Setzte sich auf. Ihm schwindelte. Er lehnte sich gegen die Reling.

Kurz und scharf und gelbe Augäpfel. Er hasste Möwen.

Karl schloss die Augen. Er blickte in die Vergangenheit. Die er nie vergessen würde. Blickte in das Gesicht von Gabbiano. Der Möwe. Er zischte und wischte mit den Händen. Versuchte, die Bilder und Schreie aus dem Kopf zu vertreiben. Den Gestank aus der Nase. Die Mädchen. Die Jungen. Unschuldig. Unbefleckt. Ungehorsam. Die Frauen und Männer. Im brennenden Sommer 2001. Beim G8-Gipfel in Genua.

Karl strich über die pulsierende Narbe. Sie verlief längs über sein Gesicht. Zeigefingerdick. Vom linken Ohr über den Mund bis zum Kinn. Er verlor den Kampf gegen die Möwe. Den Kampf gegen die Schreie und den Gestank. Er stand im Innenhof der Kaserne von Bolzaneto.

Ein 18-jähriger Abiturient aus München. Mit Pickeln, Pferdeschwanz und hochtrabenden Zielen. Mit einem Meer von Idealen. Schweißgebadet, hungrig und durstig. Grün hinter den Ohren. Mit sattgrünen Träumen von einer gerechten und sauberen und lebenswerten Welt.

Die Luft bleischwer. Die Hitze eine Sahara-Peitsche. Der Nachthimmel voller Sterne. Der Mond ein angebissener Käselaib hinter Milchschaumwolken.

Zwei Dutzend uniformierte Polizisten in Zweierreihen. Sie schrien und spuckten und traten auf verängstigte Menschen ein. Trieben Karl und die anderen mit Schlagstöcken durch den Innenhof. Erbarmungslos. Sadistisch. Erregt.

Karl verstand jedes Wort. Seine Mutter stammte aus Bologna und verehrte Dante Alighieri. Die „Göttliche Komödie“ war ein höllisch harter Stoff für einen Heranwachsenden. Ein höllisch harter Stoff, der ihn weder auf die Hölle von Bolzaneto noch auf die Knüppel und die Sprechchöre vorbereitet hatte.

„Wer ist der Staat? Die Polizei“, grölten Schwarz-Uniformierte. „Wer ist der Chef? Mussolini! Willkommen in Auschwitz, Tod den Juden. Tod den Kommunisten. Tod den Feinden des Staates.“

Karl glaubte sich im falschen Film. 1925 statt 2001. Faschismus statt Demokratie. Er war nach Genua gereist, um Farbe zu bekennen. Für eine gerechte Gesellschaft. Gegen Umweltzerstörung. Gegen Ausbeutung. Aufstehen für seine Ideale. Friedlich demonstrieren für eine friedliche Welt. Aktiv gegen Missstände vorgehen. Nicht tage- und nächtelang bei einem Latte macchiato oder Glas Pinot Grigio und einem Joint akademische Diskussionen mit weltfremden und besserwisserischen und selbstherrlichen Weltverbesserern führen. Dummschwätzer, die den Arsch nicht hochbekamen. Den drohenden Kollaps schönredeten. Auf Karls Frage nach Sein oder Schein mit den Schultern zuckten. Peace säuselten. An Haschisch-Plätzchen knabberten.

In Genua eskalierte und radikalisierte die Demo mit dem Tod von Carlo Giulani. Ein Carabinieri tötete den Studenten per Kopfschuss. Angeblich in Notwehr. Brennende Autos. Verwüstete Banken und Autohäuser. Geplünderte Geschäfte. Tränengas. Wasserwerfer. Gummigeschosse. Verletzte und Festnahmen. Genua im Ausnahmezustand. Ein Schlachtfeld. Im Sommer 2001.

Karl wurde an der Piazzale Martin Luther King verhaftet. Von Zivilpolizisten. In einen stickigen und überfüllten Fiat-Transporter gepfercht. Zur Kaserne von Bolzaneto gekarrt.

„Beweg deinen Arsch, du langhaarige Schwuchtel.“ Ein heiseres Krakeelen am schmiedeeisernen Tor. Der Gestank von billigem Rasierwasser, kaltem Tabakrauch, Knoblauch und Bier hauchte Karl ins Gesicht.

„Ich bin deutscher Staatsbürger“, sagte Karl in perfektem Italienisch, „ich möchte meine Botschaft anrufen.“

Der Polizist drehte sich zu Karl. Er musterte ihn. Das Krakeelen und der Gestank bekamen ein Gesicht. Gelbe Augäpfel. Eine lange, spitze Nase. Der Schnabel eines Vogels. Die blutleeren Lippen dünne Bleistiftstriche. Kurz geschorenes Haar. Schuppen am Hemdkragen.

„So, so, der feine Herr wollen mit der Botschaft telefonieren. Selbstverständlich. Aber erst nehmen wir die Personalien auf und dann bekommen der feine Herr eine kleine Stärkung.“ Der Polizist deutete einen Hofknicks an.

Drei Uniformierte standen in der Nähe. Sie lachten laut auf. Einer brüllte. „Gabbiano, was ist los? Hast du Kreide gefressen und trägst rosa Unterwäsche?“

Der Angesprochene deutete ein Lachen an. Eine Formation kleiner, gelber Zähne erschien und biss auf eine braun verfärbte Zunge. „Die Nacht ist noch lang, ihr römischen Schwuchteln“, zischte der Polizist. Er schlug dreimal mit dem Schlagstock auf die linke Handfläche. „Auf geht’s, alle zusammen“, brüllte er über den Hof, „wer ist der Chef? Mussolini!“

Karl lachte innerlich. Gabbiano. Das passte wie die Faust aufs Auge. Gabbiano, Italienisch für Möwe. Es folgte ein Spießrutenlauf für Karl und die anderen Festgenommenen. Grau-grün und blau und schwarz Uniformierte droschen wahllos mit Schlagstöcken und Gummiknüppeln auf sie ein. Trieben sie wie Schlachtvieh zu einem mausgrauen Gebäude, an dem der Fassadenputz abblätterte.

Vier Stufen und Karl stand in einem endlos erscheinenden Korridor. Leuchtstoffröhren knisterten. Sie warfen ein mattes Licht. Alle Gesichter glichen Totenmasken Verstorbener. Bleich. Starr. Kaltblütig.

Karl schaute den endlosen Flur entlang. Drei Räume gingen von ihm ab. Zwei rechts, einer links. Am Ende des Gangs eine offenstehende Toilette mit Stehabort. Urinbefleckte Wände. Es stank bestialisch. Karl stand vor einem wackligen Tisch. Marke Eigenbau. Auf der Tischplatte überquellende Aschenbecher und zwei Klopapierrollen. Zwei Justizvollzugsbeamte thronten breitbeinig auf Barhockern. Sie verteilten Formulare an die Gefangenen.

„Unterschreiben“, kläffte ein Beamter. Er bohrte in der Nase. Holte einen braunen Popel aus dem rechten Nasenloch. Schnippte ihn auf eine weinende Gefangene. Eine Frau Ende Vierzig. Mit blutigen Striemen auf der Stirn. Im Gesicht. Am Hals.

Karl überflog den Text des Formulars. Alles auf Italienisch. Man sollte mit der Unterschrift bestätigen, dass man weder die Familie noch einen Anwalt oder ein Konsulat kontaktieren wollte. Karl biss auf die Unterlippe. Er atmete tief durch. Nahm den mickrigen Rest seines Mutes zusammen. „Die meisten Leute sprechen kein Italienisch. Die verstehen nicht, was sie da unterschreiben sollen.“ Er deutete mit dem Formular auf die Schlange der Gefangenen.

„Du Klugscheißer“, zischte in seinem Rücken die Möwe. Er packte Karl am Zopf. Riss ein Büschel Haare aus.

Brennende Nadelstiche am Hinterkopf und Nacken. Karl schossen Tränen in die Augen.

„Gabbiano, Gabbiano!“ Die umstehenden Beamten feuerten die Möwe an. Fanatische Fußballfans in einer ausverkauften Arena.

Karl riss sich zusammen. Er wollte sich keine Blöße geben. Keine Schwäche zeigen. Damit sich der möwengesichtige Sadist nicht noch stärker fühlte. Nicht glaubte, sein mickriges Ego mit brutaler Gewalt aufblasen zu können.

Karl unterschrieb das Formular. Er zeigte seinen Personalausweis vor. Ließ sich fotografieren. Ein krimineller Pazifist für die Verbrecherkartei.

„Und jetzt weiter, ihr dreckigen Schwanzlutscher!“ Die Möwe schwenkte mit dem Schlagstock. Trieb Karl und ein Dutzend weiterer Gefangener zum letzten Zimmer. Hinten rechts des Gangs.

Vor einem massiven, antiken...

Erscheint lt. Verlag 25.2.2025
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-7693-8662-0 / 3769386620
ISBN-13 978-3-7693-8662-2 / 9783769386622
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