Scripted 2: Truths (eBook)
384 Seiten
Planet! in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
978-3-522-65581-1 (ISBN)
2. Kapitel
Ich regte mich nicht.
Zu Eis erstarrt – wie an Ort und Stelle gebannt, von den Blicken, die Julius und Avian mir aus den Augenwinkeln zuwarfen, konnte ich meine Füße nicht vom Boden heben.
Ich musste die Tür öffnen. Ich musste durch den Raum stürmen. Ich musste sie zur Rede stellen.
Ich musste … aber ich konnte nicht.
Ich konnte nicht atmen, nicht denken, nicht … nicht fühlen.
»Indigo!«, rief Isla mir wispernd zu.
Auf der Bühne kann dir die Realität nichts anhaben, also vergiss wer du bist und spiel deine Rolle!
Ich streifte mein wahres Ich ab und umhüllte mich mit Pleasance’ Gedanken, die mir den Weg vorgaben.
Mit zwei Händen stieß ich die Tür auf und betrat die Bar.
Ich war ein wütendes Flapper-Girl, das gerade herausgefunden hatte, dass die beiden Männer, mit denen sie eine Affäre hatte, die gefürchtetsten Gangster New Yorks sein sollten.
Aber ich empfand keine Angst. Oh nein. Alles, was mich trieb, war Wut.
Angewidert von den Trunkenbolden um mich herum, die ein Bier nach dem anderen kippten, machte ich mir mit den Ellbogen Platz.
Die Kamera, die mich beobachtete, nahm ich gar nicht wahr.
Die Tonangel, die mir folgte, hätte genauso gut unsichtbar sein können.
Vom Zorn getrieben, den nicht nur Pleasance, sondern auch Indigo empfand, hielt ich zielstrebig auf die beiden Männer zu, die uns eine Antwort schuldeten.
Avian kniff die Augen zusammen, als er mich entdeckte, und stupste Julius an, der mir über seine Schulter einen Blick zuwarf.
Nach einer gefühlten Ewigkeit stand ich plötzlich wieder den beiden Männern gegenüber, die mich beschenkt und bestohlen, gerettet und verraten hatten.
Schlagartig verschwand mein Zorn – meine mühsam zusammengeklaubte Selbstsicherheit.
Ich hatte sie vermisst.
Ich hatte sie so entsetzlich vermisst.
Julius’ Zärtlichkeit, Avians Leidenschaft. Ihre Unterstützung, ihren Humor.
Ihre Art, mich zu lieben.
Ihre Fähigkeit, mich zu verstehen.
Der Herzschmerz, der mich seit ihrem Verschwinden zu ersticken drohte, entflammte erneut und tobte wie eine Feuersbrunst durch meine Adern.
Das alles hier fühlte sich so surreal und quälend echt zugleich an.
Und dass ich aufgrund ihres fehlerfreien Spiels nicht erkannte, was sie fühlten – was mein Anblick in ihnen auslöste, machte dieses Wiedersehen noch schmerzhafter.
»Pleasance.« Julius lächelte überrascht. Die Stimme seiner Rolle, Marchs Art zu sprechen, war neckend. Verführerisch. Er schwang auf seinem Barhocker zu mir herum und lehnte sich lässig mit dem Rücken gegen die Theke.
Julius’ Anblick war schockierend. Selbst das Make-up konnte nicht verbergen, wie ausgemergelt, fast schon krank, er aussah. Seine Wangen waren eingefallen, die Schatten unter seinen Augen noch immer deutlich zu erkennen.
»Hast du dich verlaufen?«
Trotz der selbstherrlichen Attitude, die seine Rolle verlangte, erkannte ich in seinen braunen Augen die Sanftmut, mit der mich Julius stets betrachtet hatte.
»Ganz und gar nicht«, zischte ich und verschränkte die Arme vor der Brust. March hob amüsiert eine Augenbraue und sah zu seinem Freund, dessen Miene nicht düsterer hätte sein können.
»Was hast du hier zu suchen, Liebes?«, knurrte Hatter und betrachtete mich wie einen Eindringling.
»Dasselbe könnte ich euch fragen.«
March lachte und auch Hatters Mundwinkel zuckte, obwohl er keineswegs erheitert wirkte. Er kam mit bedrohlicher Eleganz auf mich zu, bis er mir so nahe war, dass ich den Kopf in den Nacken legen musste, um unseren Blickkontakt nicht zu unterbrechen.
»Wie es der Zufall will, gehört uns dieses kleine Etablissement«, sagte er. »Aber das wusstest du bereits, sonst hättest du dich gar nicht erst hierher getraut, nicht wahr?«
Mein Herz begann zu rasen. Heiße und kalte Schauer durchströmten mich von Kopf bis Fuß.
Avian war ein gutes Stück größer als ich und in der Anzugweste, unter der er ein helles Hemd trug, das die Tattoos seiner muskulösen Oberarme verbarg, war seine Gestalt noch anziehender als ohnehin schon.
Sein Duft umhüllte mich und weckte Erinnerungen, die so schmerzhaft waren, dass mir die Luft wegblieb und ich nach Atem rang.
»Ich …« Mir versagte die Stimme.
Das war okay.
Genauso stand es im Skript.
Pleasance ließ sich von der Dominanz, die March und Hatter ausstrahlten, verunsichern, während mich Julius und Avians bloße Nähe beinahe in Tränen ausbrechen ließ.
»Da bist du doch tatsächlich mutig genug, uns bis in das ruchloseste Loch der Stadt zu folgen«, amüsierte sich March mit einem bedrohlichen Funkeln in den Augen, »und dann verschlägt es dir ausgerechnet jetzt die Sprache?«
Das Blut rauschte in meinen Ohren.
So hätte der echte Julius niemals mit mir gesprochen.
»Sie sollte nicht hier sein«, stellte Hatter tonlos klar. »Das ist mir zu riskant.«
Er machte sich Sorgen um Pleasance. In jeder Szene war ihre Sicherheit seine oberste Priorität.
Mir wurde schwindelig und entsetzlich schlecht, bei der Fürsorglichkeit in Avians Miene, die nicht mir, sondern meiner Rolle galt.
»Wenn das eure Bar ist, was soll mir dann schon passieren?«, erkundigte ich mich möglichst bissig, damit der Subtext meiner Frage deutlich herauszuhören war. Hatter presste die Kiefer zusammen.
»Sieh einer an«, murmelte March. Er rutschte vom Barhocker und kam mir so nahe, dass mir die vertraute Wärme seines Körpers beinahe den Verstand raubte, »der kleine Fuchs ist allem Anschein nach gekommen, um uns zur Rede zu stellen.« Sein mokantes Lächeln barg so etwas wie Stolz, als er sich zu mir hinabbeugte und sein Blick auf meine Lippen fiel. »Tapferes Ding.«
March spielte gerne. Das wusste Pleasance. Aber sie hatte sein Herz berührt, was niemandem jemals gelungen war. Deshalb sah er sie, aus irgendeinem Grund, als ebenbürtig an.
»Geheimnis?«, fragte ich. »Die halbe Stadt weiß, wer ihr seid.«
Hatter schmunzelte, genauso wie Avian es oft tat.
»Nicht so vorwitzig, Liebes. Bis vor Kurzem hast du noch zur unwissenden Hälfte gehört.«
»Ja, weil ihr nicht den Anstand besessen habt, mir zu sagen, wer ihr in Wahrheit seid.«
»Hätte das etwas geändert?«
Ich stutzte.
»Natürlich …«
March seufzte und betrachtete mich mit schiefgelegtem Kopf.
»Versuch dir das ruhig einzureden.«
»Das heißt also«, sinnierte Hatter und schenkte mir ein Lächeln, das genauso charmant wie gefährlich war, »dass wir uns, jetzt, wo du weißt, was wir so treiben, von dir fernhalten sollten?«
Ich erschauderte.
Indigos Gedanken schrien Ja, aber Pleasance hatte ihre Vernunft längst in den Wind geschlagen.
»Nein.«
Meine Stimme klang verunsichert und trotzig zugleich.
»So?«, fragte Hatter und musterte mich herausfordernd. »Sicher, dass das ratsam ist, Liebes?«
»Vielleicht hat sie nicht ganz verstanden, wer wir wirklich sind«, überlegte March und strich wie nebenbei meinen Arm hinab.
Mir schoss das Blut in den Kopf. Ein Wirbelsturm aus Aufregung und Angst tobte durch meine Brust.
Sie waren so gut.
Avians Mienenspiel verlieh ihm die Aura eines Mannes, der die halbe Stadt regierte.
Julius’ selbstgefällige Haltung verwandelte ihn in den Gangster, der niemanden außer sich selbst respektierte.
»Na schön«, knurrte Hatter, schob March beiseite und griff nach meinem Kinn, um es anzuheben. »Dann müssen wir wohl etwas deutlicher werden.«
Die Berührung kam so plötzlich, so intensiv, dass mir die gepuderten Knie weich wurden. Ich krampfte mich zusammen.
»Du magst das Theater lieben, aber mir ist die Lust daran vergangen. Also lass uns reinen Tisch machen, hm?«
Trotz seines begnadeten Spiels erkannte ich in Avians grünblauen Augen einen Funken von Zerrissenheit, der absolut nichts mit dem Skript zu tun hatte.
Seine Finger lagen federleicht auf meiner Haut, als habe er Angst, sich an mir zu verbrennen.
»Wir haben dich niemals belogen«, stellte er klar. »Aber es gibt Wahrheiten, von denen du nichts erfahren darfst, aus Gründen, die du nicht wissen willst.«
Auf einmal kam es mir so vor, als würde Avian nicht länger in seiner Rolle zu mir sprechen. Als seien das nicht Hatters, sondern seine Worte.
»Und wenn ich das nicht akzeptieren kann?«, wisperte ich. »Werde ich euch dann vergessen müssen?«
Zum ersten Mal stahl sich ein Hauch von Unsicherheit in Hatters Miene.
Selbst March war die Lust an seinen Scherzen vergangen. Er lächelte mitleidig...
| Erscheint lt. Verlag | 21.2.2025 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Scripted |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
| Kinder- / Jugendbuch | |
| Schlagworte | Film Romance • Filmstar Romance • hollywood romance • New adult Romance • new adult suspense • Polyamouröse Romance • Romantic Suspense • spicy romance • Star Romance • The Inheritance Games • Westwell |
| ISBN-10 | 3-522-65581-8 / 3522655818 |
| ISBN-13 | 978-3-522-65581-1 / 9783522655811 |
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