Desert Miracle (eBook)
64 Seiten
BoD - Books on Demand (Verlag)
978-3-7693-6620-4 (ISBN)
Nadine Muriel, geboren 1977 in Trier, lebt in Heidelberg. wo sie Germanistik, Soziologie sowie klassische Indologie studierte. Seit 2010 ist sie in dem von ihr gegründeten Unternehmen Schreibcoaching Federfunken als Lektorin und Schreibberaterin tätig. Die schreibwütige Lebenskünstlerin hat bereits zahlreiche Texte in verschiedenen Verlagen veröffentlicht. Zudem betätigt sie sich als Herausgeberin. Ihre Kurzgeschichte Coleo belegte 2020 beim Deutschen Science Fiction Preis den zweiten Platz. 2023 wurde ihr Essay "Abspann" über die Variabilität sozialer Normen mit dem ersten Platz beim Rain. A. Zondergeld Preis ausgezeichnet. Ihre Freizeit verbringt sie bevorzugt mit Wandern, Geocachen, Kochen, Lesen, rockiger Musik und guten Filmen. Die Story Desert Miracle ist inspiriert durch einen mehrmonatigen Aufenthalt in Australien, wo Nadine Mu¬riel zuerst als Tierpflegerin im Koala Hospital und als Aushilfe in einem Hostel arbeitete und anschließend das Land erkundete.
Desert Miracle
Herzlich Willkommen in Alice Springs, der verdorrten Wüstenrose, dem blutigen Herzen Australiens. Du bist heute neu hier angekommen, nicht wahr? Hab ich mir gedacht. Direkt aus Adelaide? Dann kommst du ja geradewegs aus der Zivilisation, hast soeben die Schwelle zur Wildnis überschritten. Und insgesamt bist du erst seit knapp einer Woche in Australien? Ist dies dein erster Trip ins Outback? Hey, dann bist du ja noch ein richtiges Greenhorn.
Sorry, schau nicht so sauer, das sollte keine Beleidigung sein. Schließlich waren wir alle mal neu hier, neu und fremd und unsicher, bis wir irgendwann merkten, dass unsere Träume nicht mehr von alten Burgruinen und Gärten mit gestutzten Hecken handeln, sondern von Dingos, Brumbies und wilden Kamelen, und dass das Brausen unseres erregten Blutes nicht mehr wie das Dröhnen von tausend Motorrädern klingt, sondern wie ein Regensturm, der über die Ebene fegt ... Ja, von dem Moment an begriffen wir, dass unsere Herzen begonnen hatten, im Rhythmus des Outback zu schlagen. Für die restliche Welt waren wir fortan verloren.
Ich? Oh, ich lebe schon seit über zehn Jahren in Alice Springs. Ja, genau, hier in diesem Hostel, im Desert Miracle. Ich helfe an der Rezeption aus, jäte Unkraut im Innenhof, repariere Wasserkocher und Ventilatoren, öle die Betten, damit sie nicht quietschen, sammle verirrte Gäste an der Telegrafenstation und beim botanischen Garten ein ... Kurzum: Würde mein Bart nicht fast bis zum Bauchnabel reichen und trüge ich statt Jeans ein Röckchen mit Schürze, wäre ich das sprichwörtliche Mädchen für alles. Warum ich so gut Deutsch kann? Ursprünglich komme ich aus Mannheim. Und natürlich heiße ich nicht Charly Tanny, sondern ganz banal Karl Tannhaus.
Und du? Woher kommst du? Ah, eine coole Stadt, dort wollte ich eigentlich ... Wie bitte? Doch, doch, das Desert Miracle ist okay. Du hast eine gute Wahl getroffen. Klar, es ist nicht das Hilton, aber für ein einfaches Backpacker-Hostel ist es regelrechter Luxus. Stimmt, das Bad könnte öfter geputzt werden, aber was soll’s. Vergiss nicht, du bist in Alice Springs, der Vorhölle mitten im Nirgendwo! Ach ja, und ein Tipp - wenn du eigene Lebensmittel mitgebracht hast, solltest du sie unbedingt in einer abschließbaren Kiste verstauen. Manche Gäste hier klauen wie die Raben. Insbesondere offen herumstehende Alkoholvorräte verschwinden grundsätzlich schneller, als du »Durst« sagen kannst. Haha, liegt wahrscheinlich an der heißen, trockenen Wüstenluft, dass die so rasch verdunsten ... He, das war ein Scherz! Nun lach doch endlich mal und schau nicht immerzu so entsetzt! Aber schon gut, ich kann verstehen, dass du noch etwas verwirrt bist von der trockenen Hitze, die über der Stadt lastet, von den schroffen Felsenwänden, die Alice Springs umschließen und dir beständig das Gefühl geben, eingesperrt zu sein, von dem Fluss, der keinen einzigen Tropfen Wasser führt und in dessen leerem Bett stets heruntergekommene Gestalten lungern, von den Häusern und Straßenzügen ohne Charme, von dem beißenden Geruch nach heißem Sand, Abgasen und Staub, der sich in deine Lungen frisst ...
Und dann auch noch ich, ein alternder Freak mit schmierigen Haaren und ungewaschenen Hosen, der an einem wunderschönen Tag wie diesem morgens um halb elf nichts Besseres zu tun hat, als bei geschlossenen Rollläden in der Küche herumzulungern und krümelige Selbstgedrehte zu rauchen. Alles in allem muss das für jemanden, der frisch aus Adelaide kommt, ein regelrechter Kulturschock sein. Kein Wunder, dass man dich momentan zum Lachen auf den Kopf stellen muss. Aber mach dir nichts draus, du wirst dich daran gewöhnen ... So, wie wir alle uns an Alice Springs gewöhnt haben, unsere verruchte, verlotterte Braut mit dem wahnsinnigen Fieberblick.
Komm, trink erst mal ein Bier, das beruhigt. Ach, du willst sowieso morgen schon wieder abreisen und brauchst dich erst gar nicht an Alice Springs zu gewöhnen? Na, egal, das Bier kannst du trotzdem trinken, schadet ja nicht. Und vielleicht kannst du mir auch eins geben? Ich hab gesehen, du hast noch zwei Sixpacks im Kühlschrank ... Danke.
Und wohin geht’s morgen weiter? Klar, zu Ayers Rock. Ich hätte es mir denken können. Jeder, der nach Alice Springs kommt, will Ayers Rock, auch Uluru genannt, sehen. So wie ich ...
Ja, auch ich kam einst als junger, aufgeweckter Backpacker nach Australien. Nein, nein, nicht erst damals, vor zehn Jahren. Ich war davor schon einmal hier. Und ich musste wiederkommen. Australien hat mich gepackt und nicht mehr losgelassen.
Ich weiß, solche Sätze stehen in jeder rührseligen Biographie von Auswanderern und Weltenbummlern, aber bei mir ging es nicht um jene unbändige Reiselust, die wie ein Feuer in den Seelen mancher Menschen brennt. Nein, Australien hat die stählernen Tentakel seines roten Herzens tief in mein Dasein gegraben und mich auf grausame Weise zu sich zurückgezogen. Mich, den Frevler, den Ungläubigen ...
Aber was rede ich? Ich wette, du hast Besseres zu tun, als dir meine Geschichte anzuhören.
Ach, sie interessiert dich wirklich? Na gut ... Aber kannst du mir vorher vielleicht noch ein weiteres Bier geben? Das Sprechen in dieser trockenen Luft dörrt den Gaumen immer so furchtbar aus ... Danke.
Nun, ich war vierundzwanzig, als ich das erste Mal nach Australien reiste. Mitte der Neunziger war das. Es war eine ziemlich kurzfristige Entscheidung, nachdem ich im Fernsehen zufällig eine Sendung über Schnabeltiere gesehen hatte. Da mir sowieso noch jede Menge Urlaub zustand, buchte ich am nächsten Tag den Flug. Sechs Wochen wollte ich herumreisen. Gleich an meinem zweiten Abend in Sydney lernte ich in der Gemeinschaftsküche des Hostels Thomas kennen, einen anderen deutschen Backpacker. Er hatte ein paar Tom-Waits-Kassetten und einen kaputten Kassettenrecorder dabei, ich einen Schraubenzieher, sodass ich das Ding wieder zum Laufen brachte. Was soll ich mehr sagen? Wir verstanden uns auf Anhieb. Nach mehreren Victoria Bitter, einem angeschickerten Spaziergang zum Hafen und einer ausgiebigen Diskussion über die Todesursache von Jim Morrisson stand für uns fest, dass wir gemeinsam weiterreisen würden.
Unser Weg führte uns an der Ostküste entlang gen Norden. Thomas war ein großartiger Kerl! Er kam aus Berlin, hatte gerade seine Ausbildung als Koch beendet und träumte davon, irgendwann ein kleines, szeniges Lokal in Kreuzberg zu eröffnen. Dafür übten wir nun, indem wir uns Tag für Tag mit den verrücktesten Lebensmitteln eindeckten und daraus Köstlichkeiten brutzelten. Noch selten hatte ich jemanden getroffen, mit dem ich mich so hervorragend verstand – ganz egal, ob wir gemeinsam kochten, durch die Wildnis streiften oder über Gott und die Welt philosophierten.
Irgendwann beschlossen wir, als Krönung unserer Reise gemeinsam quer durch das rote Herz Australiens zu schießen, von Darwin nach Adelaide, und unterwegs in Alice Springs Halt zu machen und Uluru anzuschauen.
Den letzten Abend in Darwin verbrachten Thomas und ich auf einem Konzert in einem Pub. Während die Band ohne je länger als fünf Sekunden gemeinsam den Takt zu halten, aber dafür mit umso größerer Begeisterung rockte und der Sänger ekstatisch ins Mikro nuschelte, kamen Thomas und ich wie üblich mit einigen Leuten an der Bar ins Gespräch. Natürlich erwähnten wir auch, dass wir morgen gen Alice Springs aufbrechen und von dort aus zum Uluru fahren wollten.
»Uluru? Echt fucking cool, Mann«, bemerkte ein Typ mit schulterlangen Haaren und klopfte Thomas so fest auf den Rücken, dass dieser fast zu Boden ging. »Aber kommt bloß nicht auf die Idee, als Souvenir einen Stein vom Uluru mitzunehmen. Das bringt furchtbares Unglück!«
Thomas und ich hielten das ganze bloß für einen Scherz und brachen in bierseliges Gelächter aus.
»Keith hat recht, yeah«, mischte sich ein alter Mann mit Staubmantel und Akubra ein, der aussah, als sei er direkt einem Spaghetti-Western entsprungen. »Uluru mag es nicht, wenn man ihn respektlos behandelt. Er wehrt sich dagegen. Es gibt zahllose Geschichten über Menschen, die einen Stein von Uluru geklaut haben. Stets widerfuhr ihnen daraufhin entsetzliches Unheil. Auf diese Weise hat Uluru sich gerächt. Der Fluch wurde erst gebrochen, nachdem sie den Stein zu Uluru zurückbrachten. Es heißt, viele Leute kamen von weither, nur um endlich das fucking Felsstück loszuwerden.« Sein faltiges Ganovengesicht verzog sich zu einem Lächeln. »Nun, wir hätten euch echt gern wieder als Gäste in Downunder. Aber es wäre schön, ihr kämt zurück, weil unser Land euch so gut gefällt. Nicht, weil ein böser Bann euch dazu zwingt.«
Einige Männer nickten zustimmend. Auf der Bühne röhrte der Sänger los, als ginge es um sein Leben.
Plötzlich fühlte ich mich ausgesprochen unbehaglich. Schon so oft hatten andere Reisende mir berichtet, Uluru strahle irgendetwas Fremdartiges, unerklärlich Beängstigendes aus ... Sollte der Fels tatsächlich ein finsteres Geheimnis bergen? Ein Schauer rieselte meinen Rücken hinab. Mein Blick fiel auf Thomas, der verstohlen in sein Bierglas grinste....
| Erscheint lt. Verlag | 14.2.2025 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | Australien • Ayers Rock • Grusel • Mystery • Reisen |
| ISBN-10 | 3-7693-6620-4 / 3769366204 |
| ISBN-13 | 978-3-7693-6620-4 / 9783769366204 |
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