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Schuldhafte Unwissenheit (eBook)

Essays wider Zeitgeist und Judenhass
eBook Download: EPUB
2025 | 1. Auflage
128 Seiten
Czernin Verlag
978-3-7076-0874-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Schuldhafte Unwissenheit -  Karl-Markus Gauß
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Mit seinen Essays gelingt Karl-Markus Gauß ein kenntnisreiches und leidenschaftliches Plädoyer fu?r die universalen Werte der Aufklärung. Seine Beschäftigung mit der ju?dischen Geistesgeschichte, den Versäumnissen zeitgenössischer Gedenkpolitik, intellektueller Selbstzufriedenheit und nicht zuletzt dem neuen Antisemitismus leistet eine ebenso umfassende wie fundierte Kritik an den herrschenden Zuständen. Sein neuer Essayband vereint nuancenreiche Porträts wenig bekannter Gestalten der ju?dischen Geistesgeschichte in Österreich, Polen, Litauen, Triest mit »ungeordneten Aufzeichnungen«, in deren Zentrum der Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und sein Fortdauern stehen. Es sind Texte wider den Zeitgeist, die u?berzeugend darzulegen vermögen, dass der Antisemitismus von jeher eines anstrebt: eine Welt ohne Juden.

Karl-Markus Gauß, geboren 1954 in Salzburg, wo er als freier Schriftsteller lebt. Er veröffentlichte bislang rund dreißig Bu?cher, darunter Reportagen, Journale, Essays und erzählende Prosa; zuletzt: 'Schiff aus Stein - Orte und Träume' (Zsolnay Verlag 2024). Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Prix Charles Veillon (1997), dem Johann-Heinrich-Merck-Preis (2010) sowie dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung (2022).

Karl-Markus Gauß, geboren 1954 in Salzburg, wo er als freier Schriftsteller lebt. Er veröffentlichte bislang rund dreißig Bücher, darunter Reportagen, Journale, Essays und erzählende Prosa; zuletzt: "Schiff aus Stein – Orte und Träume" (Zsolnay Verlag 2024). Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Prix Charles Veillon (1997), dem Johann-Heinrich-Merck-Preis (2010) sowie dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung (2022).

1
DAS UMJUBELTE MASSAKER
Anmerkungen zum 7. Oktober 2023


Als die Proteste im Iran 1978 zur Massenbewegung wurden, beschloss der Philosoph Michel Foucault, von Paris nach Teheran zu fliegen. Er wollte begreifen, welche Kraft die Aufständischen befähigte, das waffenstarrende Regime des Schahs Reza Pahlewi hinwegzufegen und die amerikanischen Imperialisten eines ihrer mächtigsten Vasallen zu berauben. In den Jahren zuvor hatte Foucault in einflussreichen Studien dargelegt, dass die europäische Aufklärung der bürgerlichen Disziplinierung den Weg bereitet, institutionell in Gefängnissen oder Kliniken ein wahres »Kerkersystem« erprobt und diesem schließlich die gesamte Gesellschaft unterworfen habe. Die iranische Revolution faszinierte ihn, gerade weil sie keine Revolution nach westlichem oder östlichem, bürgerlichem oder bolschewikischem Vorbild war, sondern etwas Neues in die Welt brachte. Er nannte es die »politische Spiritualität« und meinte im konkreten Falle damit die Einheit von antiimperialistischem Kampf und schiitischem Märtyrertum. Der Atheist, Kritiker des bürgerlichen Staates und Antikolonialist hatte den Islamismus entdeckt.

Foucault hat dieser neuen Form von Revolution begeisterte Artikel in der französischen Presse gewidmet und wurde vom Ayatollah Khomeini, der noch im Pariser Exil lebte, in Audienz empfangen. Der Sturz des Regimes war übrigens keineswegs das Werk der religiösen Opposition allein gewesen, gegen den Schah waren auch liberale Bürgerinnen, sozialistische Gewerkschafter, kommunistische Studenten auf die Straße gegangen und verfolgt worden. Wenige Monate, nachdem der Schah außer Landes gejagt und Khomeini aus dem Exil zurückgekehrt war, wurden sie zu Abertausenden als Ungläubige inhaftiert, gefoltert, ermordet – von jenen Islamisten, mit denen sie vorher gemeinsam gekämpft, die Gefängniszellen geteilt, Hungerstreiks durchgestanden hatten.

Foucault war gleichwohl offenbar weder willens noch fähig, auf den sich bildenden Gottesstaat sein eigenes Instrumentarium der Kritik anzulegen, das er aus der Analyse der bürgerlichen Gesellschaft gewonnen und zu deren Verwerfung angewandt hatte. Kein Wort hat er später darüber verloren, dass die Islamisten die Revolution kaperten, mit Blutgerichten jedwede Opposition verfolgten, über die Frauen eine patriarchale Zwangsherrschaft verfügten, den Antisemitismus zur Staatsdoktrin erklärten. Richtig wütend wurde er nur, als ihn feministische Iranerinnen im französischen Exil baten, seine Augen doch nicht vor der Entrechtung der Frauen zu verschließen. Da ließ er sie wissen, dass sie mit ihrer Kritik nur westliche Vorurteile gegen den Islam schüren würden und nicht verstanden hätten, was die historische Stunde verlangte: die eigenen Belange hintanzustellen gegenüber der einzigartigen Chance, die Erde endlich vom verdammten Kapitalismus mitsamt seiner europäischen Erbschaft zu befreien.

Bis heute hat bei manchen linken Intellektuellen im Westen niemand einen so schweren Stand wie die Oppositionellen der islamischen Länder, die die Menschenrechte nicht für Lug und Trug aus europäischem Ungeist halten, sondern auf deren universeller Gültigkeit bestehen und die religiöse Despotie anprangern. Notorisch werden sie als Kollaborateure des Imperialismus verleumdet, die der Islamophobie unentwegt neuen Zündstoff zuführen würden. Man halte sich vor Augen: Angehörige der Kolonialmächte von gestern, die es heute antikolonialistisch geben, klären staats- wie religionskritische Bewohner der einstigen Kolonien ohne jeden Genierer und mit ungebrochen fortwirkendem Dünkel der Überlegenheit darüber auf, wie sie sich angesichts der globalen Dekolonialisierung zu verhalten haben!

Was ist es, das viele sich selbst so deklarierende »Antiimperialisten« und »Antiimperialistinnen« reihum mit reaktionären Despotien sympathisieren lässt? Ich meine, es ist ihre beständige Suche nach etwas, das sie in ihren Ländern des Wohlstands nicht mehr zu finden wissen: jene revolutionäre Klasse, Schicht, Gruppe, die das Zeug hätte, mit der eigenen Emanzipation zugleich die Menschheit aus Unterdrückung und Entfremdung zu befreien. In der marxistischen Sicht der Dinge war die internationale Arbeiterklasse zu diesem Werk berufen, aber diese Aufgabe traut ihr nach all den ökonomischen, sozialen, technologischen Entwicklungen, ihrer Fragmentierung als Klasse und der politisch betriebenen Entsolidarisierung kaum jemand mehr zu.

Seit sechzig Jahren suchen die revolutionswilligen Geister des Westens daher nach Ersatz. Einmal waren es die Befreiungsbewegungen Asiens oder Lateinamerikas, deren heroische Kämpfe (die unter ganz anderen Bedingungen begonnen und geführt wurden) zum Vorbild für alle Welt dienen sollten – im Dschungel der Großstädte waren die Revolutionäre von einer Art Dschungelkommunismus fasziniert. Dann wieder hätten es ausgerechnet die Verfemten, Ausgestoßenen, Marginalisierten der hochkapitalistischen Länder richten sollen, denen die Hoffnung aufgeladen wurde, mit ihrer Revolte die solidarische Gesellschaft von morgen vorwegzunehmen. Und zu Zeiten woker Campusradikalität werden ohnedies beliebige Gruppen von Opfern und von vermeintlich oder tatsächlich Benachteiligten zu Projektionsflächen revolutionärer Anliegen.

Selbst als im Reich der Mullahs auf Homosexualität schon bald der Tod stand, sah sich Michel Foucault, der im bürgerlichen Zwangsstaat seine Homosexualität ausleben durfte, nicht dazu veranlasst, seiner Schwärmerei für die »politische Spiritualität« abzuschwören. Seiner standhaften Weigerung, sich ideologisch an so etwas Banalem wie der Realität zu messen, eifern seither Zahllose nach, die den wechselnden Moden pseudorevolutionärer Gesinnung folgen. Auch wenn manches bloße Attitüde bleibt, ist die Sache alles andere als harmlos, wie man an dem Jubel erkennen muss, den der Terrorangriff der Hamas hervorrief.

Es mutet zwar lächerlich an, ist aber im doppelten Sinne eine ernste Sache, wenn manch queere Aktivisten – offenbar in selbstmörderischer Absicht – ihre Solidarität mit der Hamas bekunden. Man kann sich vorstellen, wie lange ein queerer Solidaritätstrupp im Reich der Scharia überleben würde; aber man muss sich auch vorstellen, welche Begeisterung weltweit die von Hamas, Hisbollah und dem Iran ausdrücklich propagierte Vernichtung Israels bei Abermillionen Sympathisanten der palästinensischen »Freiheitskämpfer« hervorrufen würde. Yanis Varoufakis oder Judith Butler warteten mit ihren Rechtfertigungen der Mörderbande, die am 7. Oktober 1300 Menschen aus dem einzigen Grund massakrierte, dass sie Juden waren, nicht einmal so lange ab, bis Israel gerade so reagierte, wie die Hamas das wohl erwartet und erhofft hatte, nämlich mit Gegenschlägen, denen seither entsetzlich viele Zivilisten in Gaza zum Opfer gefallen sind.

Auch in Österreich haben sich nicht wenige beeilt, gleich der in den sozialen Medien umtriebigen Nicole Schöndorfer auf Instagram jene Terroristen als »Märtyrer« zu feiern, die beim Abschlachten von Juden selbst den Tod fanden. Man erinnere sich an den Atheisten Foucault, der sich Religionskritik an der islamistischen Bewegung verbat; warum soll es also nicht auch Frauen geben, die sich ausdrücklich als Feministinnen bezeichnen und doch die jungen Männer, die israelische Frauen vergewaltigen, verstümmeln, ermorden oder entführen und dem Mob als Trophäen präsentieren, als Märtyrer der gerechten Sache würdigen? Ein sprachlicher Kollateralschaden der heutigen Misere ist, dass löbliche Dinge wie Antirassismus, Antikolonialismus, Antiimperialismus so gründlich von denen desavouiert werden, die sich auf sie berufen, dass man sich fragen muss, ob neue Begriffe vonnöten sein werden, um noch sinnvoll die alte, die richtige Sache zu benennen, nämlich gegen Rassismus, Kolonialismus, Imperialismus einzustehen.

Einige Wochen vor dem Massaker der Hamas wurde ich gefragt, womit der Antisemitismus am leichtesten angeheizt werden könne. Heute müsste ich antworten: indem man möglichst viele Juden massakriert. Nichts hat den Judenhass stärker befeuert als die schlimmste Attacke auf Juden seit der Shoa, und weil die Attacke gegen Juden geführt wurde, kann es sich bei den Vergewaltigern und Mördern nur um »Widerstandskämpfer« gegen die jüdische Fremdherrschaft in Palästina handeln, die aus »heiligem Hass« gegen die zionistischen Unterdrücker handeln. Denn ob ein blutbesudelter Mörder ein Mörder oder ein Held des Widerstands ist, das entscheidet der »Kontext«. Auf ihn redeten sich die Präsidentinnen dreier US-amerikanischer Eliteuniversitäten hinaus, als sie sich einer Anhörung im Kongress stellen mussten. Auf die Frage, ob der »Aufruf zum Völkermord an den Juden«, der im ganzen Land auf den studentischen Versammlungen zu vernehmen war, nicht gegen den universitären Verhaltenscodex verstoße, antworteten sie ziemlich gleichlautend, dass dies auf den »Kontext« ankomme. Auch wenn die Frage von einer erzreaktionären Abgeordneten als Falle gestellt war, bleibt ihre Beantwortung doch so erbärmlich wie erbarmungslos.

Natürlich, der Kontext. Frauen anzüglich anzusprechen ist mittlerweile aus guten Gründen gebannt, aber im Kontext der Dekolonisierung kann es schon erlaubt sein, Frauen zu vergewaltigen, sofern es sich um die richtige Beute, also Angehörige des imperialistischen Siedlerstaates, handelt und die Täter aus »heiligem Hass« gegen die zionistischen Unterdrücker handelten. Der heilige Hass ist übrigens ein Motiv, das wörtlich aus Julius Streichers nazistischer Zeitschrift Der Stürmer in die antikoloniale Propaganda...

Erscheint lt. Verlag 11.2.2025
Verlagsort Wien
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Essays / Feuilleton
Schlagworte Antisemitismus • Aufklärung • Essay • Gedenkdienst • Geistesgeschichte • Geschichtsverleugnung • Gesellschaft • HAMAS • Juden • Judentum • Kritik • Terror • Zeitgeist
ISBN-10 3-7076-0874-3 / 3707608743
ISBN-13 978-3-7076-0874-8 / 9783707608748
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