Jerry Cotton Sonder-Edition 254 (eBook)
80 Seiten
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-7740-7 (ISBN)
Nacht für Nacht schlich er durch die Straßen von New York und erschoss kleine Gangster aus dem Hinterhalt. Uns vom FBI beschimpfte die Presse, weil er uns immer entkam. Ihn machte sie zum Volkshelden, der dem Verbrechen den Krieg erklärt hatte. Ein Reporter schrieb eine ganze Serie über ihn - Unser Freund, der Mörder! In diesem Augenblick zeigte 'unser Freund' sein wahres Gesicht, und Entsetzen packte die Stadt ...
1
Die Räder des Mercury rollten durch ein Schlagloch. Wasser spritzte über die ganze Breite des Bürgersteigs bis an die Hauswände. Dann wurde der Wagen so hart abgebremst, dass er einige Yards über die regennasse Straße schlitterte, bevor er stand.
Maggie öffnete den Schlag. Die Innenbeleuchtung schaltete sich ein. Der Mann am Steuer blickte stur geradeaus.
»Bye, Billy«, sagte Maggie. Der Mann hatte behauptet, er hieße Billy. Deshalb nannte sie ihn so, obwohl sie überzeugt war, dass weder er noch sein Großvater oder irgendwer sonst in seiner Familie Billy hieß. Alle Kunden gaben falsche Namen an.
»Habe ich dir gefallen, Billy?«, fragte sie.
Billy antwortete nicht.
»Komm mal wieder vorbei, wenn dir danach ist.«
»Mache ich«, grunzte Billy. »Nun steig schon aus. Ich muss weiter.«
»Bastard!«, zischte Maggie und schwang die Beine aus dem Wagen. Ihr Rock rutschte weitere fünf Zoll nach oben. Als Mode war Mini längst gestorben, als Berufskleidung noch immer unschlagbar.
Draußen regnete es.
»Ach, verdammt!« Maggie wandte den Kopf. »Hör mal, Junge. Du könntest mich noch zu 'nem wärmenden Drink einladen. Im nächsten Block weiß ich eine Cafeteria.«
Ihr graute vor der kalten und nassen Straße. Selbst Billys Gesellschaft war ihr in diesem Augenblick lieber.
»Keine Zeit. Du hast alles bekommen, was du verlangt hast. Steig endlich aus!«
»Fucking bastard«, sagte Maggie. Doch es klang mehr wie ein Seufzer als eine Beschimpfung.
Der Regen war eisig. Die windgepeitschten Tropfen schmerzten wie Nadelstiche. Schwankend auf zollhohen Stöckelabsätzen hastete Maggie über den Bürgersteig in den Schutz eines Vordachs. Hinter ihr zog Billy die Tür ins Schloss und gab so heftig Gas, als gälte es, einer Gefahr zu entrinnen.
Maggie schüttelte die Tropfen aus dem Haar, öffnete ihre Handtasche und tupfte mit einem Tuch ihr geschminktes Gesicht ab. Sie murmelte Flüche, und sie fror.
Die Straße war menschenleer. Der Regen hatte die Frauen in die Türnischen und Toreinfahrten getrieben.
Von der anderen Straßenseite gellte ein schriller Pfiff, ein hartes und böses Signal, unter dem Maggie zusammenzuckte.
Aus der Dunkelheit einer Toreinfahrt löste sich die Gestalt eines Mannes. Maggie erkannte den goldbraunen Farbton des Alcantara-Mantels. Sie hatte den Mantel bezahlt. Siebenhundertvierzig Dollar bei Salks' in der Fifth Avenue. In der Nacht nach dem Kauf war sie von Hulk geschlagen worden. Als sie ihn an den Mantel und seinen Preis erinnert hatte, hatte er laut gelacht.
Hulk hielt sich dicht an den Hauswänden, bis er das beleuchtete Schaufenster eines Perückengeschäfts erreicht hatte, über dem eine Jalousie den Regen abhielt.
Er pfiff noch einmal sein Signal.
Maggie ging bis an den Rand des Vordachs, winkte und rief: »Hier bin ich!«
»Komm rüber!«, rief er zurück.
»Hulk, es regnet so ... Ich ruiniere meine Frisur.«
»Komm rüber!«, brüllte er.
Sie kannte ihn, instinktsicher wie ein gezähmtes Tier den Dompteur kante, und wusste, wann es die Peitsche zu erwarten hatte. Sie lief in den Regen hinaus, überquerte die Fahrbahn und kam, durchnässt schon wie eine Katze, vor dem Perückenfenster an.
Hulk lehnte an der Schaufensterscheibe, die Hände in den Taschen des Mantels. Als Weißer war Hulk eine Ausnahme unter New Yorks Zuhältern. Zuhälterei war ein »schwarzes« Geschäft, beherrscht von großen, schlanken, bösartigen Schwarzen mit einer Vorliebe für grelle, ausgefallene Kleidung und einer bemerkenswerten Begabung im Gebrauch großer Schnappmesser.
Hulk hatte nach einer Serie von Niederlagen im Halbschwergewicht herausgefunden, dass es einfacher war, mit der Schlagkraft seiner Fäuste Frauen auf die Straße zu treiben als einen ungefähr gleich starken Mann auf die Bretter zu schicken. Die Auseinandersetzung mit den Konkurrenten hatte er dank gewisser Gönner überstanden. Schwierigkeiten mit der Polizei, verursacht durch aufsässige Frauen, hatten dieselben Gönner bereinigt.
Jetzt lief das Geschäft. Hulk sah noch gut genug aus, um ausgerissene Provinzmädchen aufzugabeln und »einzuarbeiten«, wie der Jargon die Phase der Vorbereitung nannte. Er arbeitete nicht mit Rauschgift. So blieben Hulks Frauen länger gesund und wurden nicht so leicht hysterisch wie Druggies, bei denen immer die Gefahr lauerte, dass sie durchdrehten und zur Polizei rannten.
»He, Maggie«, sagte Hulk. »Wie viel hast du?«
Maggie wollte ihn küssen. Sie empfand das Bedürfnis nach der Wärme eines Menschen. Unter Hunderten von Männern, mit denen sie sich einließ, war Hulk ihre einzige wirkliche Bezugsperson.
Er streckte die Hand aus und hielt sie auf Abstand. »Du bist zu nass! Wie viel?«
»Ungefähr zweihundert.«
»Lüg nicht!«
»Ich lüge nicht, Hulk. Ich hatte nur drei Kunden. Sieh dir das Wetter an.«
Er nahm ihr die Handtasche vom Arm und öffnete sie. Er hielt die Tasche so, dass das Licht des Schaufensters hineinfiel. Er fand eine dünne Rolle Geldscheine und eine Zwanzigdollarnote in einem Nebenfach. Er überprüfte Maggies Puderdose und ihr Zigarettenetui aus poliertem Aluminium, das er ihr geschenkt hatte. Dann gab er die Tasche zurück und zählte das Geld.
»Zweihundertachtzig Dollar. Warum lügst du?«
»Nimm nicht alles, Hulk. Ich brauche das Geld für den Friseur und für ...«
»Dann verdien noch ein bisschen, Honey. Die Nacht ist noch lang.« Er drehte Maggie um und versetzte ihr einen Schlag auf den prall verpackten Hintern. »Los, los, Darling. Damit lassen sich mühelos ein paar Hunderter aufreißen, wenn du ihn nur richtig bewegst.«
Er stellte den Kragen hoch, zog den Hut tiefer in die Stirn und ging dicht an den Hauswänden entlang.
»Bastard!«, rief Maggie ihm nach. »Fucking bastard!«
Hulks Wagen stand in der übernächsten Querstraße. Es gehörte zu den Vorsichtsmaßnahmen des Gewerbes, die Frauen nicht vor einem Auto abzukassieren, dessen Nummer von der Polizei notiert werden konnte.
Die übernächste Querstraße, die West 136th Street, war so menschenleer wie die 134th, in der die Frauen arbeiteten.
Hulks Wagen war ein protziger, aufgemotzter, mit allerlei Zusatzgerät herausgeputzter Sportmercedes, ein Zweithandauto zwar, aber noch immer zwanzigtausend Dollar wert. Nur zwanzig Schritt vor diesem Statussymbol seines Berufs wurde Hulk von zwei gelb-roten Blitzen, die in der Tiefe einer nachtschwarzen Toreinfahrt aufzuckten, geblendet.
Zwei krachende Donnerschläge trafen ihn mit betäubender, fast körperlicher Gewalt. Eine unsichtbare Riesenhand riss ihm die Beine unter dem Körper weg. Hulk brachte die Hände nicht mehr aus den Manteltaschen. Flach schlug er mit Körper und Gesicht auf das regennasse Pflaster. Für Sekunden überdröhnte der Aufprall jede andere Empfindung. Dann erreichte die grelle Schmerznachricht Hulks Gehirn.
Er brüllte auf, wälzte sich auf den Rücken. Seine Hände griffen nach den Knien. Er versuchte, die Beine anzuwinkeln, aber da geschah nichts mehr.
Hulk heulte um Hilfe.
Aus der finsteren Toreinfahrt löste sich eine Gestalt und näherte sich mit großen Schritten.
In Hulks Blickfeld tauchte die weiße Fläche eines Gesichts auf. Wie glänzende schwarze Steine starrten dunkle Augen aus der konturlosen Fläche. Geflüsterte Worte, die aus weiter Ferne zu kommen schienen, trafen Hulks Ohr, sickerten durch den Schmerz in sein Bewusstsein.
»Du bist erledigt!«
Noch greller, noch dichter vor Hulks Gesicht zuckten die Blitze, und ihr weißes Feuer umfasste für den Mann auf dem nassen Pflaster das ganze Universum.
Ich hatte einen Nachtklub, zwei Kaschemmen und eine Spielhölle besucht. Jetzt ging ich die Tenth Avenue Richtung Downtown. Vor zehn Tagen war in dieser Gegend ein Mann erschossen worden. Auf die übliche Weise.
Zwei Schrotladungen aus dem Hinterhalt. Dann die tödlichen Schüsse aus der Nähe. Ich ging die Tenth Avenue hinunter als Lockvogel für den »Scavenger«, der nach dieser Methode tötete.
Ich fror und glaubte nicht, dass der kalte Regen die Ursache war. Ich fror, weil ich nicht wusste, wie ich die Schüsse aus dem Schrotgewehr, wenn sie fielen, vermeiden wollte. Schrot streute. Gegen Schrot half keine Schnelligkeit.
Meinetwegen dürfen Sie annehmen, dass ich aus Angst fror. Es wäre die Wahrheit.
Der Mann, der vor zehn Tagen erschossen worden war, hatte als »Kassierer« gegolten, als ein Erpresser, der die kleinen Geschäftsleute schröpfte. Als er starb, trug er zweitausend Dollar in den Taschen. Der Scavenger hatte nichts genommen. Er nahm nie etwas.
Jetzt kassierte ich. Fünfhundert Dollar im Nachtklub, je zweihundert in den Kaschemmen. In der Spielhölle hatte ich dem Besitzer gesagt, dass er nächstens an mich den gleichen Betrag zu zahlen habe wie an den Mann, der nun nicht mehr kommen konnte.
Die Straße...
| Erscheint lt. Verlag | 1.2.2025 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • Action Abenteuer • action romane • action thriller • action thriller deutsch • alfred-bekker • Bastei • bastei hefte • bastei heftromane • bastei romane • bastei romane hefte • Bestseller • Deutsch • eBook • E-Book • eBooks • erste fälle • Fall • gman • G-Man • Hamburg • Heft • Heftchen • Heftroman • heftromane bastei • Kindle • Krimi • Krimiautoren • Krimi deutsch • krimi ebook • Krimi kindle • Kriminalfälle • Kriminalgeschichte • Kriminalgeschichten • Kriminalroman • Kriminalromane • kriminalromane 2018 • kriminalromane deutsch • Krimi Reihe • Krimireihen • krimi romane • Krimis • krimis&thriller • krimis und thriller kindle • Krimi Urlaub • letzte fälle • martin-barkawitz • Polizeiroman • Romanheft • Roman-Heft • schwerste fälle • Serie • Soko-Hamburg • spannend • spannende Krimis • spannende Thriller • Spannungsroman • Stefan Wollschläger • Tatort • Terror • thomas-herzberg • Thriller • Wegner |
| ISBN-10 | 3-7517-7740-7 / 3751777407 |
| ISBN-13 | 978-3-7517-7740-7 / 9783751777407 |
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