Brief an meine Witwen (eBook)
152 Seiten
Books on Demand (Verlag)
9783769393125 (ISBN)
Rainer Lutra, geboren 1954, Vater von zwei Söhnen, lebte ein aufregendes Leben.
Hafen der Ehe
«Wir kennen uns nie ganz, und über Nacht sind wir andere geworden, besser oder schlechter.»
Theodor Fontane
Bettina, die zweite Frau, die mein Herz eroberte und die ich aufrichtig liebte, begegnete mir nur wenige Straßen entfernt von jener Stelle, wo ich Helena traf, wiederum in München- Schwabing. Doch diesmal war es anders, tiefer, und unausweichlich. Diese Frau wurde meine Ehefrau und die Mutter meiner Söhne, eine Liebe, die die Jahre überdauerte und sich verwebte mit Lachen und Tränen, mit Höhen und Tiefen, die wir gemeinsam durchlebten.
Das erste Mal trafen sich unsere Blicke auf der Tanzfläche. Bettina, anmutig und voller Leben, drehte sich im Takt des Diskofox mit ihrer Freundin. Es war ein Samstagabend, und ich war allein in München unterwegs, auf der Suche nach Zerstreuung, fort von der Enge und den Diskussionen in meinem Elternhaus. Doch an diesem Abend fand ich viel mehr als nur Vergnügen, ich fand Bettina. Wir tanzten, und weil meine Erinnerung verblasst, könnte ich heute nicht mehr sicher sagen, ob ich sie damals nach Hause begleitete. Doch es muss schnell ein Wiedersehen gegeben haben, denn nur vier Wochen später waren wir gemeinsam unterwegs, verbrachten ein Wochenende am Großen Arber, umgeben von den stillen Wäldern des Bayerischen Waldes. Bettinas Mutter, voller Fürsorge und nur wenig misstrauisch, mahnte sie, ein Nachthemd mitzunehmen, “damit sie abends etwas zum Ausziehen hat”. Bettina, gerade einmal 17 Jahre, 8 Monate und 21 Tage jung, Jungfrau - als Sternzeichen! Unsere Liebe war frisch, unschuldig und voller ungestümer Freude.
Von diesem Moment an gehörten die Wochenenden uns. Mein Mitbewohner musste manches Mal geduldig in der Eckkneipe verweilen, bis er die Rückkehr in unser gemeinsames Apartment wagen durfte. Unsere Liebe war intensiv und fest, jung und doch stark, und so blieben wir einander treu in allem, was uns begegnete. Drei Monate nach unserem ersten Tanz hielt ich es nicht länger aus und kaufte ihr einen Verlobungsring. Weißgold, mit einem halben Karat Diamanten. Stolz funkelte er an ihrer Hand, und ihre Freude war grenzenlos. In unserer Ehe, über all die Jahre hinweg, trug Bettina ihn jeden Tag mit Stolz. Vielleicht trägt sie ihn noch heute, obwohl sie jetzt an der Seite eines anderen Mannes steht, eines Mannes, den ich mir trutschig vorstelle, doch so ist das Leben. C’est la vie!
Ich erinnere mich: Nach nur drei Monaten als Verlobte zwang uns mein Beruf in eine schmerzhafte Distanz von 6000 Kilometern, die 13 lange Monate andauern sollte. Der Gedanke an sie, die Sehnsucht nach ihrer Nähe, ließ mich sogar auf eine bedeutende berufliche Chance verzichten, nur um die Zeit der Trennung zu verkürzen. Als ich schließlich zurückkehrte, zogen wir in eine eigene Wohnung und lebten unser junges, glückliches Leben. Unsere Tage waren erfüllt von der Arbeit, die sich leicht anfühlte, unsere Abende von der Freude, die wir teilten, unsere Nächte von Leidenschaft. Es war Dolce Vita pur.
Und dann kam das Jahr 1977, jener Sommer, der sich anfühlte, als sei die Luft selbst in goldenes Licht getaucht. Im postgelben Triumph TR-6, der unter meinen Händen zum Leben erwachte, war sie bereit, mit mir die endlosen Straßen Bayerns zu erobern. Neben mir saß sie, meine große Liebe, die inzwischen fast 19 Jahre jung war und sich anfühlte wie der Inbegriff des Sommers. Sie lehnte sich entspannt zurück, das Haar im Wind, die Sonne im Gesicht, jeder Tag schien für immer zu dauern, erfüllt vom Versprechen eines Sommers, der nach Freiheit schmeckte.
Auf der Landstraße zum Ammersee war mein Triumph TR-6 nicht bloß ein Auto, er war ein Versprechen, ein Bekenntnis zur Freiheit. Mit jedem Druck aufs Gaspedal schien sich das Wochenende auf seinen Höhepunkt zu treiben. Der raue Klang des Motors füllte die Sommerluft und verstärkte das Gefühl, dass ein guter Tag noch besser werden könnte. Am Abend, in der Nacht.
Langsam glitten die bayerischen Dörfer vorbei, mit ihren rustikalen Holzbalkonen und bunt bemalten Fassaden, während wir beide uns wie stille Begleiter dieser Landschaft fühlten, eingebettet in das sanfte Panorama der Seen und Wiesen. Die Straße gehörte uns, und es gab kaum ein schöneres Gefühl, als die Welt am Rande unseres Sichtfelds sanft verschwimmen zu sehen.
Nach dem Triumph kam der Ford-Escort-Rally 2000, in Schwarz und mit goldenen Streifen, die Geschwindigkeit zu suggerieren schienen, noch bevor ich das Gas durchdrückte. Der Wagen schien eine rebellische Energie zu besitzen, wie ein ungezähmter Gruß an die alten Traditionen der bayerischen Sonntage. Und dennoch, auf eine paradoxe Weise, gehörte er genau in dieses Bild. Mit dem Escort zog es uns oft an den Chiemsee, der vor uns lag wie ein riesiger, funkelnder Spiegel, als könnte er all die Erinnerungen und Träume, die in uns lebten, widerspiegeln. Die glitzernde Wasseroberfläche schien die Sonnenstrahlen aufzusaugen, und in jedem Blick auf das Wasser fanden wir einen Hauch von Unendlichkeit.
Diese Zeit war von einem besonderen Zauber erfüllt, einer Zeit, in der Autos Charakter hatten und jede Fahrt zum Abenteuer wurde. Jeder Sonntag ein kleines Versprechen an die Freiheit, das wir mit unseren Ausflügen zu Seen wie dem Ammersee oder Starnberger See erneuerten. Die Seen empfingen uns wie alte Freunde, mit sanften Wellen und stillen Uferbänken, die wie ein Widerschein unserer Unbeschwertheit wirkten. Die Pausen am Wasser waren Momente der Leichtigkeit, in denen wir über alles sprachen, was uns in den Sinn kam. Die Sehnsucht nach der weiten Welt, nach einem Leben voller Möglichkeiten, das sich jenseits dieser wenigen Stunden am See erstrecken würde. Manchmal lehnte Bettina sich auf den Zehenspitzen gegen das Autodach, den Blick über den Chiemsee gewandt, als könnte das Wasser ihr all die Visionen eröffnen, die in der Luft lagen.
Damals konnte man sich noch frei fühlen, ohne das heutige Gewicht von Protesten und Blockaden, ohne die Aktivistinnen, die Straßen blockierten, um auf die Veränderung des Klimas hinzuweisen. Es war eine andere Zeit, in der der Sportwagen auf der Landstraße noch der Inbegriff einer Lebensfreude war.
Unser Umzug an die Nordsee war der nächste Schritt, das Versprechen einer gemeinsamen Zukunft. Hier, am Rand der Wellen und des Windes, begann Bettina unser neues Heim zu gestalten. Sie richtete unsere Wohnung mit Bedacht und Liebe ein, schuf eine Oase des Wohlfühlens und eine Heimat für uns beide. Doch beruflich geriet Bettina bald ins Abseits, ihre Bewerbungen verliefen erfolglos, und die anfängliche Freude an unserer neuen Umgebung verwandelte sich langsam in Frustration. Um nicht untätig zu bleiben, nahm sie schließlich eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme in einem Amt an, eine Form von Schreibtischarbeit, die ihr so fremd vorkam, als hätte man sie gebeten, in den Alpen Bergführerin zu werden. Und doch hielt sie tapfer durch, für volle sechs Monate, auch wenn jede Zeile, jeder Stempel ihr ein Stück von ihrem inneren Glanz nahm.
Diese berufliche Leere nagte an ihr, schlich sich ein wie der kalte Wind an der Nordsee und ließ erste Spannungen zwischen uns entstehen, keine Krisen, nur ein sanftes Knirschen in der Harmonie, das wir beide spürten. Bettina konnte sich nicht in meinem Beruf wiederfinden, und die eigene Unzufriedenheit drückte schwer auf ihrer Seele.
Und dann kam dieser Winter 1978/79, der Schleswig-Holstein in eine stille, fast surreale Welt tauchte. Als ob ein endloses Schweigen über dem Land lag, fiel der Schnee unaufhörlich, und der Wind türmte meterhohe Wehen auf. Die Nordsee, sonst so lebendig, schien unter einer eisigen Decke stillgelegt. Auf den Straßen war kein privates Auto zu sehen, nur Militärfahrzeuge, deren Schneeketten tiefe Spuren im Schnee hinterließen. Auch ich stapfte mit einem Rucksack über den einsamen Weg in die Stadt. Unsere Schritte waren das einzige Geräusch in der weißen, endlosen Landschaft, und es fühlte sich an, als wären wir alle in einer anderen Zeit gelandet.
Die Läden hatten geöffnet, aber die Regale leerten sich schnell. Menschen eilten durch die Eiseskälte, die Augen voller stiller Entschlossenheit, und trotzdem ein bisschen verloren in dieser Situation. Ich sah, wie sie nach dem Notwendigsten suchten, Brot, ein paar Konserven, Dinge, die uns sonst so selbstverständlich schienen. Irgendwie brachte dieser Mangel eine ungewohnte Nähe mit sich, fast als würde uns alle ein unsichtbares Band zusammenhalten.
Es waren schwere Tage, die uns zu Fuß zur Arbeit führten, frühmorgens, wenn der Atem wie Rauch in die Dunkelheit stieg und der eisige Wind einem das Gesicht gefrieren ließ. Alles schien so weit entfernt von dem Alltag, den wir gewohnt waren. Die Natur hatte das letzte Wort, und jeder Schritt durch den Schnee fühlte sich an wie ein kleiner Triumph über diese übermächtige Kälte.
Inmitten dieser unwirklichen Stille, die alles Leben um uns herum einzuschließen schien, kam auch zwischen Bettina und mir eine Leere auf, wie der frostige Wind, der durch die Straßen peitschte. Wir waren gezwungen, mehr Zeit mit uns selbst und miteinander zu verbringen, und so kam...
| Erscheint lt. Verlag | 20.12.2024 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Briefe / Tagebücher |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | Biographie • Partnerschaft • Scheidung • Trauer • Trennung |
| ISBN-13 | 9783769393125 / 9783769393125 |
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