Perry Rhodan 3315: Die Geister der Agolei (eBook)
64 Seiten
PERRY RHODAN digital (Verlag)
978-3-8453-6315-8 (ISBN)
2.
Mit einem Überlicht-Faktor von 5,5 Millionen flogen wir durch den Linearraum, jenes dem Standarduniversum übergeordnete Kontinuum, in dem unser Raumschiff die Entfernung zwischen den Galaxien überwand.
Dieses Raumschiff war ein Durcheinander.
Es war alt und verschlissen, überall lag Zeug herum, das wohl einmal der früheren Besatzung gehört hatte, Bonnifers Techno-Erweiterungen, die ich an jeder Ecke fand, wirkten wie Fremdkörper, es war kalt und es stank.
Ich beabsichtigte, mir all dies zunutze zu machen, solang Shrell mich während des Linearflugs in bescheidenem Ausmaß die Korridore inspizieren ließ. Ich sollte verschmorte Leitungen reparieren und nachschauen, warum einige von Bonnifers Geräten nicht leisteten, was sie sollten. Ich wusste jedoch nicht, wie viele Kameraoptiken mich dabei überwachten. Ich musste vorsichtig sein.
Behutsam nahm ich den eigenartigen Gegenstand vom Boden auf und betrachtete ihn nachdenklich, als wäre das alles, was mich in diesem Augenblick interessierte. Das Objekt bestand aus einer Vielzahl Kugeln, die eine Traube bildeten. Drehte ich es in der Hand, rasteten die Kugeln an anderer Stelle ein und bildeten eine neue Form mit zum Teil ebenen Flächen.
Beiläufig ließ ich mit der anderen Hand den Laserschneider, den ich ebenfalls am Boden gefunden hatte, in eine Tasche meines Bordanzugs gleiten. Ich hoffte, die Spionaugen Shrells würden es nicht in allen Einzelheiten aufzeichnen und meine Entführerin glauben lassen, die grünhäutige Frau würde nur dieses Kugeldings anstaunen. Der Schneider mochte mir noch nützlich sein, wenn ich den Versuch machen wollte, das Fesselfeld auszuschalten, das mich zur Gefangenen an Bord der ELDA-RON machte.
Illustration: Swen Papenbrock
Aus den Augenwinkeln beobachtete ich die kugelförmigen Flugroboter, die das Fesselfeld projizierten, das meine Bewegungen einschränkte. Sie standen in so einem Winkel hinter mir, dass ihre Optiken unmöglich registriert haben konnten, dass ich den Schneider an mich genommen hatte. Aber es mochte andere geben.
»Was hast du denn da, Sklavin?«
Ich fuhr zusammen, als hinter mir die tiefe und dennoch eiskalte Stimme ertönte, die ich in den vergangenen Tagen nur allzu gut kennengelernt hatte. Ich nahm den erdigen, säuerlichen Duft wahr, den die Leun ausströmte. Gleichzeitig ärgerte ich mich, dass ich so schreckhaft reagierte.
Unschuldig richtete ich mich zu meiner vollen Größe auf und drehte mich dabei zu Shrell um, die breitbeinig dastand. Sie hatte anscheinend den Pentaferer benutzt, den handtellergroßen Minitransmitter, den sie an ihrem Gürtel trug. Wahrscheinlich wollte sie mir damit zeigen, dass sie jederzeit hinter mir auftauchen konnte.
Die Leun war mehr als einen Kopf kleiner als ich. Sie reichte mir etwa bis zur Brust und musste nun, da ich aufgestanden war, zu mir aufblicken. Es schien ihr nichts auszumachen. Die Leun litt nicht unter Minderwertigkeitsgefühlen. Sie richtete die feuerroten Augen auf mich und musterte mich.
»Sklavin?«, fragte ich mit fester Stimme. »Hatten wir nicht die Vereinbarung getroffen, dass wir einander, solang ich an Bord bin, anständig behandeln?«
»Sprichst du einer Anrede die Hochachtung ab? Du und deine Art seid bemitleidenswert, wenn es das ist, was euch kümmert.« Shrell beschrieb mit ein paar raumgreifenden Schritten einen Halbkreis um mich herum. Dabei ließ sie den Blick wie zufällig über den Boden schweifen, wo ich das Kugeldings und den Laserschneider aufgelesen hatte. »Aber ich bin dir wohlgesinnt, und daher werde ich dich fortan nicht mehr Sklavin nennen, sondern bei deinem Namen: Sichu Dorksteiger. Gleichwohl ... du wirst zugeben müssen, dass du an Bord tatsächlich meine Sklavin bist?« Sie streckte die flache Hand aus.
Ich hielt den Atem an und legte das Kugeldings hinein.
»Das ist ein Spielzeug«, beschied Shrell abfällig. »Diente wohl einem der früheren Besatzungsmitglieder zur Freizeitgestaltung. Man muss die Kugeln in eine bestimmte Reihenfolge bringen, dann wird es zu einem Dodekaeder. Siehst du!«
Geschickt drehte sie das Spielzeug in ihren krallenartigen Fingern, bis etwas Klick! machte und das Kugeldings tatsächlich zu einem perfekten Pentagondodekaeder wurde. Sie warf ihn in die Luft und zerstrahlte ihn mit einem Minidesintegrator, den sie geschickt von ihrem Gürtel in dieselbe Hand gleiten ließ, mit der sie geworfen hatte. Eine weitere kleine Machtdemonstration.
Shrell vollendete den Kreis um mich und strich mir dabei mit der Hand über die Schulter. Die andere Hand hielt sie hinter ihrem Rücken verborgen. Ich wusste, dass es sich dabei um eine robotische Prothese handelte. »Ich habe es dir schon einmal gesagt, Sichu Dorksteiger: Du riechst gut. Deshalb habe ich dich an Bord behalten. Wir werden es wohl noch eine ganze Weile miteinander aushalten müssen. Bist du dazu bereit? Vielleicht werden wir am Ende der Reise sogar gute Freundinnen sein.«
Ich fletschte die Zähne. Die Leun litt wohl an Wahnvorstellungen. Das Besatzungsmitglied, von dem das Kugelspielzeug stammte, war wahrscheinlich von ihr ermordet worden. Sie hatte die gesamte Besatzung für grausame Experimente missbraucht und anschließend hingerichtet, wie der wurmartige Kheti-Leun Alcot mir verraten hatte. Sie hatte Alcot und die anderen ins Mentatron gesteckt, ein Gerät, das den Körper entstofflichte und den Geist in einer Art zeitlosem Traum gefangen hielt.
In Terrania, auf Neu-Atlantis und auf dem Mond hatte sie das Brennende Nichts gezündet und unzählige Intelligenzwesen getötet.
Shrell ging buchstäblich über Leichen, um ihre Ziele zu erreichen. Sie war eine Massenmörderin.
Und dieses verabscheuungswürdige Wesen wollte meine Freundin sein?
Ich wies auf den wuchtigen Kasten: ein Fremdkörper an der Bordwand des altersschwachen Kriegsschiffs der Leun. Aus ihm ragten wahrhaftig einige Kabelstränge, die durch in die Wand gebohrte Löcher ins Innere des Schiffs führten. Andere hingen schlaff und funktionslos herunter. Ich hatte eine Klappe abgenommen und mir den Kasten von innen angesehen.
»Du hattest mich aufgefordert, dieses Aggregat zu prüfen«, sagte ich sachlich. »Ich hab in seinem Inneren Hyperenergieströme angemessen. Also habe ich eine Hyperkristallmatrix rekalibriert, um den Quintronenstrom frequenzrein weiterzuleiten.« Was man als Hyperphysikerin eben so tut, wenn man es mit einer fremdartigen Technik zu tun bekommt.
Leider hatte ich keine Möglichkeit gesehen, daraus ein Hyperfunkgerät zu basteln. Schon gar nicht eines, dessen Sendungen von Shrell nicht abgefangen worden wären, bevor Perry kommen und mich aus der ELDA-RON heraushauen könnte.
»Ich bin schließlich Hyperphysikerin und keine Technikerin«, sagte ich, schloss die Klappe an dem Kasten wieder und klopfte beiläufig darauf. »Aber das Ding sollte wieder tun, wofür es gebaut worden ist. Was immer das konkret war.«
Shrell gab einen Ton von sich, der, wie ich inzwischen wusste, im Thoiko, der Sprache der Leun, Zufriedenheit ausdrückte. Ansonsten verwendete die Leun, wenn sie mit mir redete, das Interkosmo. Sie hatte die Sprache der Terraner in den gut fünfzig Jahren erlernt, die sie im Inneren der ELDA-RON als Beobachterin auf der Erde verbracht hatte. Sie hatte sich allerdings nicht die Mühe gegeben, die Sprache ihren Robotern oder dem Bordgehirn beizubringen. Wenn ich mit ihnen kommunizierte, benutzte ich den Translator, der an meinem Gürtel hing. Das Gerät war ebenfalls nicht in der Lage, Hyperfunksendungen auszustrahlen.
»Ein anderer Grund, warum ich dich als meine Sklavin an Bord geholt habe!«, kommentierte die Leun meine Leistung. »Du bist als Wissenschaftlerin gut genug, um mit der Wycondertechnik klarzukommen, die Bonnifer überall in der ELDA-RON verbaut hat.« Sie machte eine umfassende Geste. »Du wirst überall rumkommen im Schiff. Es gibt viel Arbeit.« Sie trat einen Schritt auf mich zu, sodass ich ihren erdigen Atem riechen konnte, und sah zu mir hoch. »Das ist die Freiheit, die ich dir geben kann. Aber keine Tricks!«
»Keine Tricks!«, log ich.
*
Ein leiser Signalton summte an Shrells Gürtel. Es konnte sich nur um eine Nachricht des Bordgehirns handeln.
Sie schnalzte auf eine bestimmte Weise mit der Zunge, und die Flugroboter, die auf meiner Augenhöhe in der Luft standen, gerieten in Bewegung. Ich spürte, wie das Fesselfeld sich enger um meinen Körper legte, mich einschnürte und festhielt. Die Roboter hatten es zuvor gerade so weit gelockert, dass ich meiner Arbeit an dem Wyconderkasten hatte nachgehen können. Dennoch war es mir gelungen, den Laserschneider an mich zu bringen, den ich immer noch in meinem Bordanzug verbarg.
Die Leun trat näher an mich heran und aktivierte wortlos ein weiteres Mal ihren Pentaferer. Diese kleinen Geräte taugten normalerweise gerade dazu, eine Person über kurze Distanzen zu transportieren, und dann mussten sie wieder aufgeladen werden. Doch Shrell hatte offenbar Lust auf eine weitere kleine Machtdemonstration. Das fünfdimensionale Feld erfasste uns beide.
Urplötzlich wechselte die Umgebung, und wir standen in der Zentrale der ELDA-RON. Falls das Fesselfeld zwischenzeitlich desaktiviert worden war, hatte ich nichts davon bemerkt. Am Zielort angekommen, lag es jedenfalls wie eine zweite Haut um meinen Körper und hinderte mich an jeder Bewegung. Nur mein Herz, der Blutkreislauf und der Atem gingen noch – und mein Gehirn funktionierte mit der gewohnten Zuverlässigkeit. Hoffte ich jedenfalls.
Ich ahnte, dass die Leun mir nicht einfach nur aufzeigen wollte, dass sie durchaus in der Lage war, eigenständig hochwertige...
| Erscheint lt. Verlag | 27.2.2025 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Perry Rhodan-Erstauflage |
| Verlagsort | Rastatt |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction |
| Schlagworte | Erstauflage • Perry Rhodan • Science Fiction |
| ISBN-10 | 3-8453-6315-0 / 3845363150 |
| ISBN-13 | 978-3-8453-6315-8 / 9783845363158 |
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