Gratis Umarmungen
In der titelgebenden Erzählung Gratis Umarmungen entführt Philipp Röding die Leser*innen auf eine abgelegene Insel, wo eine Filmemacherin zwischen heiligen Tabus, deutschen Touristen und der unergründlichen Weite des Meeres nach dem Sinn ihrer Kunst und Existenz sucht. Über vierzig Stunden Material hat sie schon gedreht, es ist immer dieselbe Einstellung der Brandung in der Abendsonne, in der Ferne die Lichter eines ominösen Resorts auf einer vorgelagerten Insel. Das Resort zu erreichen ist verboten, wie generell vieles auf dieser Insel verboten ist. Es sei Fady, sagen die Einheimischen. Die Erzählung ist ein hypnotisches Porträt von Isolation und Sehnsucht, durchzogen von surrealen Begegnungen und der ständigen Frage nach dem, was wirklich zählt.
Diese zentrale Geschichte ist der Ausgangspunkt für eine Sammlung von elf Erzählungen, die die Absurditäten und Tiefen des menschlichen Lebens erkunden. Ob es die Läufer sind, die in der Vorstadt den Schmerz überwinden, die groteske Preisrede eines jungen Lyrikers oder die intime Dynamik eines Paares in Nur für Fans. Rödings Texte entwickeln ihre Faszination nicht aus dem Plot, sondern aus der Etablierung von Atmosphäre, der stets liebevollen Hinwendung zu den verlorenen Figuren und dem virtuosen Einsatz scheinbar nebensächlicher Details - Röding zeigt spielerisch, wie sich die Welt in den kleinen Nebensächlichkeiten offenbart.
»Rödings Ton, mit dem er die existenzielle Verlorenheit seiner Figuren einfängt, [ist] erstaunlich leichtfüßig, auf verquere Weise sogar komisch.« DIE ZEIT über 20XX
PHILIPP RÖDING, * 1990 in Stuttgart, wuchs in Süddeutschland auf. Studium der Filmwissenschaft in Wien, Frankfurt am Main und an der University of Illinois. Lebt in Frankfurt am Main.
»Zieht man [neben Leif Randt und Joshua Groß] noch Juan S. Guse hinzu, könnte man durchaus von einer Riege pointierter Chronisten unserer unheilvoll aufgeladenen Gegenwart sprechen, in die sich Röding mit 20XX elegant einreiht.« DIE ZEIT über 20XX
Sie wartet Tage und Wochen in dem abgelegenen Ort an der Küste. Sie wartet darauf, dass etwas geschieht. Etwas, das die Reise hierher wert ist. Die Vormittage verbringt sie mit körperlichem Training. Mit dem Reinigen der Kameraausrüstung. Sie macht Klimmzüge an einem der Balken im Bungalow und Liegestütze und Planks auf der Teakholz-Veranda. Sie sieht zu, wie sich die Muskeln unter ihrer Haut zusammenziehen und wieder entspannen. Nachmittags spaziert sie über den Dorfplatz und inspiziert die von den Händlern angebotenen Waren. Sie kauft eine Papaya und spuckt die Kerne vor sich auf den Boden. Seit Tagen geht sie barfuß. Es gibt Gründe, denkt sie, Gründe für alles. Sie geht tief in den angrenzenden Buschwald hinein und betrachtet die hiesige Flora. Sie denkt über Èric Rohmer nach. Über die Landschaftsaufnahmen in Das grüne Leuchten. Auf der Insel ist alles Mögliche verboten. Fady, sagen die Einheimischen. Es ist Fady, die Lemuren zu berühren. Es ist Fady, mit dem Finger auf Gräber zu deuten, im Stehen zu essen oder sich bestimmten, heiligen Baobab-Bäumen bis auf wenige Schritte zu nähern. Es ist Fady, die Zebus zu filmen, da die empfindsamen Tiere durch den Akt des Filmens ihrer Seele beraubt werden könnten. Die Zebu-Seele stellt sie sich als etwas Glattes, Gebogenes vor, das sich als umrissloses Flimmern an den äußeren Rändern des Filmstreifens niederschlägt.
Sie geht durch den Buschwald und denkt über Hotelzimmer nach. Über Telefone, die mitten in der Nacht in den Lobbys der allerschäbigsten New Yorker Hotels zu klingeln beginnen, obwohl die Anschlüsse seit Jahrzehnten nicht mehr verbunden sind. Mit einem Stock schiebt sie ein riesiges, von fingerdicken Adern durchzogenes Blatt zur Seite und denkt über einen Mann nach, den sie vor Jahren im Frühstücksraum eines Hotels in Harlem antraf. Es war tiefster Winter. Der Schlaf lag wie eine Lawine auf ihr. Das Schaben der Räumfahrzeuge auf dem Asphalt und das bläuliche Leuchten des Fernsehgeräts hatten sie aufgeweckt. Der Himmel hatte die Farbe sibirischen Marmors angenommen. Sie hatte eine sehr frühe Verbindung nach Pittsburgh gebucht und dann von dort einen Transatlantikflug nach Heathrow. Der frühe Wecker und der Gedanke an die bevorstehende Reise hatten sie unruhig schlafen lassen. Als sie die Augen öffnete, war im Fernseher ein Ausschnitt der amerikanischen Ostküste zu sehen: Comicwolken und riesige Eiskristalle, die sich vom Atlantik her näherten.
| Erscheinungsdatum | 13.10.2025 |
|---|---|
| Verlagsort | Wien |
| Sprache | deutsch |
| Maße | 128 x 208 mm |
| Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | Alltag • Atmosphärisch • Dorfgemeinschaft • Erzählung • fady • Komik • Madagaskar • poetisch • Short Storys • Verbote • verloren • Verlorenheit |
| ISBN-10 | 3-903422-54-1 / 3903422541 |
| ISBN-13 | 978-3-903422-54-4 / 9783903422544 |
| Zustand | Neuware |
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