Fallen Courts 1: Conquer (eBook)
450 Seiten
Planet! in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
978-3-522-65585-9 (ISBN)
Tine Bätcke wurde 1971 in Braunschweig geboren und absolvierte ein Lehramtsstudium in Braunschweig und Köln. Wenn sie nicht gerade dabei ist, der Sonne in dieser Welt hinterherzureisen, lebt sie mit den letzten Familienmitgliedern, die noch nicht flügge geworden sind, in einem winzigen Dorf in der 'Toskana Südostniedersachsens' mit ganz viel Blick auf freies Feld und ganz viel Ruhe - die perfekte Umgebung, um den Geschichten im Kopf genügend Raum zum Wachsen zu geben.
1
Der Tag gehört eindeutig in die Kategorie ›beschissen‹. Aber immerhin neigt er sich jetzt dem Ende zu. Ich schließe die Augen, lehne mich an die stabile Folie des Planwagens, der uns über die unbefestigte Sandpiste zur Stadtgrenze bringt, und versuche, die Gesichter der sechs jungen Rebellen aus meinem Kopf zu verbannen, die wir heute erwischt haben. Die Überraschung darin, den Unglauben – und ihre allumfassende Wut.
Sie gilt den Fae, ihren Regeln und den damit einhergehenden Einschränkungen, deren Sinn sie auch nach über dreißig Jahren nicht bereit sind anzuerkennen. Aber selbst wenn ihr Hass nicht gegen uns persönlich gerichtet ist, sind wir dennoch diejenigen, die ihn abbekommen.
Es gibt Tage, an denen mir das nichts ausmacht, und das sind zum Glück die meisten. Heute ist leider keiner davon. Heute zermürben mich ihre Gesichter und ich weiß schon jetzt, dass die Nacht ebenso beschissen wird wie der Tag.
Erschöpft lehne ich mich an Jadens Schulter und versuche, aus seiner Nähe ein wenig Kraft zu schöpfen. Abwesend legt er einen Arm um mich und gibt mir einen Kuss auf die Schläfe.
»Ich liebe dich«, höre ich ihn leise nuscheln, aber die drei Worte klingen unbeteiligt, einstudiert, als hätte er sie schon zu oft gesagt. Zu allem Überfluss wird mir ausgerechnet jetzt ein wenig übel. Ich sollte dringend etwas trinken, aber die Flaschen in meinem Rucksack sind leer.
Also atme ich ein paarmal tief durch, verdränge die komischen Gefühle und schiebe sie auf unsere Müdigkeit. Wir waren zehn Stunden auf Patrouille. So richtig viel Platz ist da nicht übrig für große Emotionen. »Ich dich auch«, flüstere ich und nutze die verbliebenen Minuten Fahrt, um ein erstes Nickerchen zu halten.
Ich erwache abrupt, als das vertraute Ruckeln des Wagens stoppt und er zum Stehen kommt. Mit geübten Griffen löse ich die Waffen aus meiner Montur und klettere hinaus in die immer noch schwüle Luft des Tages. Es ist früher Abend und die Gewitterluft ist nicht das Einzige, das sich heute aufgestaut hat.
An der Schleuse angekommen, gebe ich die Dolche und Schusswaffen ab und trete in den feuchtwarmen Container, der zu den notwendigen Übeln meines Lebens gehört. Akribisch wasche ich mir die Hände, um anschließend in den sprühenden Nebel des Desinfektionsmittels zu treten, dessen Geruch mir so vertraut ist wie der meines Kopfkissens.
Nachdem ich in Gedanken bis zehn gezählt habe, bin ich erlöst und verlasse die Schleuse. An einem Tisch aus Edelstahl warten bereits die provisorisch gereinigten Waffen auf mich. Mit einem leicht süffisanten Lächeln nehme ich sie entgegen. »Hey Rylan, danke fürs Putzen. Wenn dir nach Feierabend langweilig ist, kannst du gerne bei mir zu Hause weitermachen.«
»Sooo witzig, Bones. Habe ich heute noch nicht ein einziges Mal gehört«, erwidert er zynisch und ich kann mich im letzten Moment unter seiner Hand wegducken, die mir einen Schlag in den Nacken verpassen wollte. Ich werfe ihm eine Kusshand zu und geselle mich zu den anderen. Nachdem wir endlich alle zwölf die Schleuse passiert haben, begeben wir uns zu dem Seiteneingang der Metro-Station, der ausschließlich uns Wächtern vorbehalten ist.
Applaus brandet auf, als die gläsernen Schiebetüren sich öffnen und wir die große Bahnhofshalle betreten. Ich ringe mir ein erschöpftes Lächeln ab und hebe die Hand zum Gruß. Ich mag diesen Moment. So richtig. Die Dankbarkeit und die unterschwellige Bewunderung der Stadtbewohner, die sie uns nach jeder Schicht mit ihrem Applaus entgegenbringen.
Manchmal überlege ich, ob ich nur wegen des Ruhms eine Wächterin geworden bin, aber eigentlich muss ich mir die Frage nicht stellen. Es gab bessere Gründe als den Applaus, wichtigere. Und sie alle zählen heute genauso wie vor sieben Jahren. Es darf nie wieder passieren. Wir können nicht zulassen, dass die Rebellen uns noch einmal dermaßen überrollen, dass sie Tote auf unserer Seite fordern. Nie wieder dürfen sie ein paar unschuldigen Kindern ihre Eltern nehmen. Deswegen bin ich hier.
Aus dem Augenwinkel sehe ich die schmale Gestalt, die sich mir nähert, und öffne meine Arme, um sie in Empfang zu nehmen. Die dünnen Gliedmaßen meines kleinen Bruders umschlingen meinen Hals und zwingen mich für ein paar Sekunden, meine Kameraden ziehen zu lassen.
Für gewöhnlich sind wir unantastbar. Niemand würde es wagen, uns zu berühren. Wächter sind wie Popstars, man bewundert uns, man tuschelt über uns, aber man fasst uns nicht an. Die einzige Ausnahme sind unsere Familien und unsere Partner. Fast jeder von uns wird nach der Schicht erwartet, es gibt immer einen, der sich sorgt, der Angst um dein Leben hat.
Bei mir ist es Luke. Seine Umarmung am Ende des Tages ist der Grund, weshalb ich das hier mache. Für ihn nehme ich die Strapazen, den Hass und die Gesichter, die mich in meinen Träumen verfolgen, auf mich. Ihn gilt es zu beschützen, auch wenn er inzwischen schon dreizehn ist und ganz gut für sich selbst sorgen kann.
Langsam löse ich mich aus seinen Fängen und zwinkere ihm zu. »Tut mir leid, Großer. Bin heile wieder zurück. Leider keine sturmfreie Bude heute Abend.«
Lachend zeigt er mir den Mittelfinger und nimmt mir den Rucksack ab. Er müsste das nicht, denn am Ende des Tages wiegt er ohnehin nichts mehr, aber Luke liebt es, mir diesen Gefallen zu tun. Noch mehr liebt er nur den Stolz. ›Hey‹, scheint er die Menschen am Bahnsteig anzubrüllen, ›das ist meine große Schwester.‹
Ich gehe auf Zehenspitzen und gebe ihm einen Kuss auf seinen Scheitel, nicht wissend, wie lange das noch möglich ist. Zum einen, weil er mich inzwischen um ein paar Zentimeter überragt, zum anderen, weil es jeden Tag so weit sein könnte, dass es ihm peinlich wird.
Es dauert nicht lange, bis die nächste Bahn kreischend zum Stehen kommt und ihre Türen sich automatisch öffnen. Wie immer bin ich dankbar für den Luxus eines eigenen Waggons, der nur uns Wächtern und unseren Angehörigen vorbehalten ist. Die anderen Wagen sind gerammelt voll, die Menschen drängen sich in die Bahn, die als einziges Verkehrsmittel in Hopetown noch existiert. Einen Sitzplatz ergattern nur die wenigsten.
Wir hingegen lassen uns erschöpft auf die harten Bänke plumpsen und die meisten von uns schließen sofort die Augen. Ich selbst wuschele meinem Bruder noch einmal durch seine blonden Haare und sehe ihn fragend an. »Alles okay bei dir?«
Er nickt zur Antwort. Dann deutet er mit dem Finger auf seinen Oberarm und zeigt mir danach die Zahl fünfzig an, nicht ohne ein breites Grinsen auf seinem Gesicht erscheinen zu lassen.
»Hey, Glückwunsch«, strahle ich zurück. »Du hast die magische Zahl geknackt.«
Ein paar Sekunden lang lasse ich meinen Blick über seinen schmächtigen Körper gleiten und muss mir eingestehen, dass er gar nicht mehr so schlaksig ist, wie ich mir immer einrede. Fünfzig Liegestütze schafft man nicht ohne Muskeln. Mein Bruder wird groß.
Ich schenke ihm ein Lächeln. »Vielleicht wird ja doch noch mal etwas anderes aus dir als eine Bohnenstange«, foppe ich ihn und handele mir augenblicklich einen schmerzhaften Faustschlag auf den rechten Oberarm ein, bei dem ich theatralisch das Gesicht verziehe.
Schließlich zeigt er jedoch mit ernstem Blick auf mich und bedeutet mir mit den Händen, dass ich schlafen soll. Ich nehme ihn noch einmal in den Arm, gebe ihm einen Kuss auf seine Stirn und schließe dankbar die Augen. Er weiß, wie müde ich immer bin und die Fahrt bis zur Akademie dauert eine knappe halbe Stunde. Es wäre dumm, sie nicht zu nutzen.
Als ich wieder aufwache, ist Lu längst nicht mehr neben mir. Er fährt immer nur die ersten vier Stationen mit, dann steigt er aus und geht in unsere Wohnung, um Dingen nachzugehen, die Dreizehnjährige so tun. Trainieren, Löcher in die Luft starren, Serien gucken. Seit die Verbindung zur Erde vor dreißig Jahren von den Fae gekappt wurde, haben wir leider keinen Zugriff mehr auf ihre aktuellen Filme und Serien. Ab und zu gibt es zum Glück auch Fae, die das mediale Angebot der Menschen lieben und so gelangen immer wieder auf nicht ganz legalem Weg neue Blockbuster oder die eine oder andere neue Staffel einer Serie zu uns. Grundsätzlich hängen wir aber in den Neunzigern fest. Doch zum Glück ist das Archiv der Stadt riesig, und so können wir uns alle rückwärts durch die vergangenen Jahrzehnte durchsuchen. Es könnte allerdings sein, dass Luke bei seinen Serien inzwischen sogar in den Sechzigerjahren angekommen ist.
Manchmal bereitet er auch etwas zu essen für uns vor, aber ich möchte es ihm nicht immer aufdrücken, sich darum zu kümmern. Mein schlechtes Gewissen ist schon so groß genug, weil ich ihn die meiste Zeit des Tages allein lasse, da muss er nicht auch noch den Haushalt schmeißen.
Als die Bahn langsamer wird, erheben wir uns und begeben uns zur Tür. Auf einen Knopfdruck hin öffnet sie sich und wir betreten den Bahnsteig. Da sich an dieser Station mehrere Züge kreuzen, müssen wir erst ein paar Treppen hoch, bis wir in die pompöse Halle...
| Erscheint lt. Verlag | 29.11.2024 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Fallen Courts |
| Mitarbeit |
Designer: Christin Giessel |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
| Kinder- / Jugendbuch | |
| Schlagworte | All Age • All Age Romantasy • Bookstagram • Booktok • Das Reich der sieben Höfe • Elfen • Elfen Fantasy • enemies to lovers • Fae • fae fantasy • fantasy bücher für erwachsene • Fantasy Romance • LoomLight • Romantasy • romantasy ab 14 |
| ISBN-10 | 3-522-65585-0 / 3522655850 |
| ISBN-13 | 978-3-522-65585-9 / 9783522655859 |
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