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Im Tal der Bärin (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2025
352 Seiten
Verlag Antje Kunstmann
978-3-95614-642-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Im Tal der Bärin - Clara Arnaud
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Alma erforscht am Zentrum für Biodiversität in Arpiet, einem Ort in den Pyrenäen, das Verhalten der hier wieder angesiedelten Bären; sie will herausfinden, wie ein Zusammenleben zwischen den Wildtieren und dem Menschen besser funktionieren kann. Nach vielen Jahren in Spanien und Alaska und einer schmerzhaften Trennung hat sie hier einen Neuanfang gewagt. Gaspard ist nach einem Studium in Paris in die heimatlichen Berge zurückgekehrt und zieht nun jeden Sommer mit seinen Schafen auf die Hochalm. Die Angriffe einer Bärin auf seine Tiere wecken in Gaspard jedoch traumatische Erinnerungen an den Tod seiner jungen Kollegin im Vorjahr, dessen Umstände noch immer nicht geklärt sind. Und die anderen Schäfer der Gegend fürchten mehr und mehr um ihre Herden. Urängste werden wach, in diesem Tal, in dem die Bärendressur einst Tradition war und junge Männer Bärenbabys aus ihrer Höhle stahlen, um sie abzurichten und damit ihr Glück zu suchen. Almas Arbeit gerät immer mehr in die Kritik, sie erhält Drohungen, selbst ihre Kollegen stehen nicht mehr hinter ihr. Als plötzlich Schüsse fallen, droht die Situation außer Kontrolle zu geraten...

CLARA ARNAUD, geboren 1986, hat Chinesisch und Geografie studiert und etliche Jahre in China, dem Kongo und Honduras gelebt. Sie hat mehrere Reiseessays und drei Romane veröffentlicht, »Im Tal der Bärin« ist der erste, der auf Deutsch erscheint. Nachdem sie fünfzehn Jahre im Ausland verbracht hatte, ließ sich Clara Arnaud in Couserans nieder, einer Region in den Pyrenäen. Dort lebt sie den größten Teil des Jahres.

CLARA ARNAUD, geboren 1986, hat Chinesisch und Geografie studiert und etliche Jahre in China, dem Kongo und Honduras gelebt. Sie hat mehrere Reiseessays und drei Romane veröffentlicht, »Im Tal der Bärin« ist der erste, der auf Deutsch erscheint. Nachdem sie fünfzehn Jahre im Ausland verbracht hatte, ließ sich Clara Arnaud in Couserans nieder, einer Region in den Pyrenäen. Dort lebt sie den größten Teil des Jahres.

1


langsam entfernt sie sich, ihr Gang ist nach der Winterruhe behäbig, fast lethargisch. Obwohl sie in ihrem winterlichen Halbschlaf wenig gefressen und einiges an Gewicht verloren hat, wirkt sie noch genauso groß und stattlich wie vor einem Jahr, als er sie das erste Mal gesichtet hat, der mächtige Kopf wiegt sich im Rhythmus ihrer Schritte und dem Rollen ihrer pelzigen Schultern. In den ersten Frühlingswochen sind sie noch träge und schwach, hat ihm der alte Marcel erklärt, der richtige Zeitpunkt, um sich ihnen gefahrlos zu nähern – der Alte hat viele Bären gejagt, er kennt sich aus.

Jules hält die Luft an, er versucht, ganz stillzuhalten, und hofft inständig, dass sein Geruch von dem der Erde überdeckt wird, dass sie ihn nicht wittert, er betet, dass alles nach Plan gehen und so ablaufen möge, wie er es sich erträumt hat. Ein Windstoß aus der falschen Richtung würde schon reichen. Jetzt ist sie aus seinem Sichtfeld verschwunden. Er wartet einige Minuten – nur die Vögel, ein Windhauch in den Bäumen und die Zweige, die bei jedem Atemzug unter seinem Oberkörper knistern, durchbrechen die Stille.

Er wartet noch ein wenig länger, stellt sich vor, wie sich die Bärin gemächlich entfernt, sich am Stamm eines toten Baumstamms reibt und genüsslich Insektenlarven vertilgt.

Dann ist der Moment gekommen, er spürt es. Vorsichtig, Zentimeter für Zentimeter richtet er sich auf, schaut nach rechts und links und steuert auf den Eingang der Höhle zu, als würde eine fremde Macht, ein Instinkt ihn antreiben und keine rationale Entscheidung. Er hat sich diese Szene so oft vorgestellt, dass es ihm jetzt vorkommt, als habe er sie in einem früheren Leben schon einmal erlebt und würde sie jetzt nur nachahmen.

Bei jedem Schritt hört er das Rascheln der Blätter und das Knirschen der matschigen Schneereste, denen die Vorboten des Frühlings noch nicht den Garaus gemacht haben, und eine tiefe Furcht ergreift ihn. Das kleinste Geräusch scheint in den Wald zu dringen und bis ans Ohr der Bärin zu gelangen. Er darf nicht zu viel nachdenken, er muss handeln, das tun, was er in Gedanken schon so viele Male durchgespielt hat.

Er steht vor der Höhle, die Bärin ist unterwegs, jetzt ist der Moment, sein Moment, jetzt oder nie.

Na los, nur Mut. Plötzlich ist ihm ganz flau im Magen, sein Puls rast, seine Hände zittern. Er nimmt einen tiefen Atemzug und kriecht rasch in den engen Erdkorridor, der dem Tier als Eingang dient, er robbt so schnell er kann vorwärts, nimmt die Ellenbogen zu Hilfe. Er atmet schnell, ist sich der Gefahr nur allzu bewusst und spürt eine nie gekannte Anspannung. Wenn sie früher als gedacht wiederkommt, ist das sein Todesurteil. Wenn sie wiederkommt. Er schnauft, sammelt sich. Die wenigen Meter bis zur Kammer der Bärin scheinen unendlich. Sein Hemd ist zerrissen und die offene Jacke scheuert über seinen Oberkörper, am Bauch spürt er den Boden und die Wurzeln, die das Tier durchtrennt hat, um dieses Loch zu graben. Seine Haut ist aufgeschürft, das Erdreich um ihn herum, dieser Raubtiergeruch und er auf allen vieren, als wäre er selbst ein Tier. Sie kennt diesen Ort in- und auswendig, er befindet sich auf unbekanntem Terrain. Er atmet schneller, hört nur noch, wie sein Körper sich an diesem Stollen reibt, umschlossen von Finsternis.

Er sieht und hört nichts mehr von der Welt da draußen. Die Vögel und der Wind in den Bäumen sind verstummt, es ist stockdunkel: Er ist im Herzen der Berge, in der Höhle. Vielleicht ist es auch nur ein Traum. Nein. Die Erde, die Angst, der Schweiß, der ihm von der Stirn rinnt, sind ganz real.

Da öffnet sich der Gang zu einem Hohlraum. Tastend hebt er eine Hand über den Kopf, richtet sich halb auf, berührt, was eine Decke wäre, rechts eine Wand, denn es ist sehr wohl ein Zuhause, in das er da eindringt. Als Dieb. Er zittert. Einatmen, ausatmen, er versucht sich zu sammeln. Konzentration. Jetzt die Kerze herausholen. Er wühlt in der Tasche an seiner linken Hüfte, o Wunder, er hat sie nicht verloren, während er durch den Gang gerobbt ist. Und da ist die Streichholzschachtel, aber er hat Mühe, blind ein Holz herauszuziehen, es fällt runter, er nimmt ein neues. Sein Körper will ihm nicht gehorchen. Diese Angst, einatmen, ausatmen, dies ist sein Moment, er darf es nicht verpatzen.

Direkt neben sich hört er ein leises Knurren: Die Bärenjungen sind ganz nah, sie sind da, wirklich da. Vor Aufregung ist er ganz überwältigt. Stickig ist es in dieser Höhle. Da ist ja die Kerze. Und wenn sie zurückkommt? Nicht daran denken, sondern das Streichholz anzünden, es noch mal versuchen, nur ein Handgriff, wieder nichts. Jetzt, endlich brennt der Docht. Im fahlen Schein des Flämmchens kann er die gewölbten Wände mit den tiefen Kerben ausmachen, die Handarbeit der Bärin. Sie hat all das, diese Höhle, diesen Rückzugsort, mit ihren Pranken gegraben, denkt er, mit ihren Klauen. Sie hat hier geschlafen, geträumt, darauf gewartet, dass sich der Mantel aus Schnee lüftet, hat hier ihre Jungen zur Welt gebracht.

Alles geht ganz schnell, doch er hat das Gefühl, schon seit einer Ewigkeit keine frische Luft mehr geatmet zu haben. Vor seiner Nase liegt der Schatz: In einem Nest aus Stroh und Laub umklammern sich zwei Bärenjungen, die bei seinem Anblick erzittern. Er unterdrückt einen Aufschrei der Rührung. Da ist sein Bärenjunges! Jetzt ist es so weit, er muss es tun, und zwar schnell, bevor sie zurückkommt, die Kerze auf den Boden stellen, ohne dass sie erlischt, und den Sack herausholen. Jede Geste hat er durchdacht und eingeübt, so wie Marcel es ihm beigebracht hat, und alles läuft wie am Schnürchen.

Die beiden Bärenjungen starren ihn an, das größere richtet sich auf und stößt mit gesträubtem Fell eine Art Fauchen aus. Eins, zwei, drei, Jules stürzt sich auf das Tier, wirft ihm den großen Jutesack über und zieht diesen nach kurzem Ringen mit dem noch kleinen Tier fest zu. Die leisen Knurrgeräusche ignoriert er. Das andere Bärenjunge hat sich eingerollt.

Hastig kriecht Jules aus der Höhle, an sich gepresst den Jutesack, in dem das Tier strampelt und immer lauter knurrt. Er hat das größere genommen und hat jetzt ein lebendiges, atmendes Bärenjunges in seiner Tasche, das schreit und mit all der Kraft um sich tritt, die es in den ersten Lebensmonaten unter der Erde aus der fetten Muttermilch gewonnen hat. Dem entrissen zu werden ist brutal, aber bald wird es ein menschliches Zuhause haben. Das Bärenjunge hat, ohne es zu wissen, gerade das Tierreich verlassen.

Als Jules in der Höhle das Kleine an sich riss, hat er im Kerzenlicht die abgrundtiefe Angst im Blick des anderen Jungen gesehen, und er hat diesem Blick standgehalten. Er hat noch den strengen Geruch nach Bär in der Nase, spürt noch das Halbdunkel und die Klauen des Bärenjungen in seinem linken Arm, an dem sich jetzt Blut abzeichnet. Sein Herz klopft zum Zerspringen. Wenn sie jetzt kommt, wenn sie die Schreie ihres Jungen hört, wird sie ihn töten. Er presst das Messer in dem abgewetzten Lederetui an seinen rechten Oberschenkel. Oder er wird sie töten.

Wenn der Bär dich angreifen will, wartest du, bis er sich aufgerichtet hat und auf dich zukommt, hat ihm der alte Marcel, der sich mit Raubtieren auskennt, mit großen Gesten und entrücktem Blick erklärt. Bevor er dich packt, hebst du die Klinge auf Brusthöhe. Jules hat bereits vor Augen gehabt, wie der Bär ihn umklammerte, und ist erschaudert. Dann drückst du deinen Kopf gegen seinen Körper, damit er dir nicht ins Gesicht beißen kann. Die Klinge bohrt sich geradewegs in das Tier. Und während er das sagte, machte er eine rasche Bewegung mit der Hand, als ob er mit einem Messer zustoßen würde. Mach das nicht, wenn du nicht nah genug dran bist, sonst ist er nur verletzt, rasend vor Wut und bringt dich um. Eine Klinge setzt man im Nahkampf ein, hatte der einäugige Alte hinzugefügt, dessen Gesicht von einem Leben als Wilderer und Raufbold gezeichnet war.

Jules hat nie erfahren, ob Marcel diesen Kampf mit einem Bären, diese tödliche Umarmung je wirklich erlebt hat, aber er klammert sich an dieses Szenario. In Gedanken bereitet er sich darauf vor, sich zurückzuziehen, wenn die Mutter kommt, und – falls er keine Wahl hat – zum Gegenangriff überzugehen mit der gavinetta, dieser langen, spitzen Klinge der Bärenjäger, diesem Schatz, den ihm der Alte vermacht hat.

Trotz der morgendlichen Kühle rinnt ihm der Schweiß übers Gesicht. Er hastet zum Pfad unten am Hang, die Zweige peitschen ihm ins Gesicht. Er spürt die Klinge an seinem rechten Oberschenkel, das kleine Wesen zappelt in dem Sack an seiner linken Seite, knurrt und winselt so laut es kann. Er schlottert. Die Mutter kann nicht weit sein, außerdem haben Tiere einen sehr feinen Instinkt.

Als er den Pfad erreicht, rennt er so schnell ihn seine Füße tragen, versucht dabei aber, nicht so hart aufzutreten, um das Bärenjunge nicht zu sehr durchzuschütteln, doch er kann sich nicht bremsen, die Bärin könnte bis hier herunterkommen, um ihr Junges zu suchen. Und wenn sie kommt, gibt es ein Gemetzel. Aber daran darf er nicht denken. Nein, er muss sich konzentrieren, schneller nach unten gelangen.

Bald schon erreicht er die ersten Weiden, jetzt ist es nicht mehr weit. Seine Mutter und er leben im letzten Weiler vor dem Reich der Bären, dem höchstgelegenen im Tal, Arpiet, in unmittelbarer Nachbarschaft zu den majestätischen Gipfeln der Trois Reines. Er umkurvt die Obstwiesen vom alten Claude, läuft am Haus von Monique vorbei und erreicht schließlich sein eigenes. Er stürzt in die Küche, wo es finster ist,...

Erscheint lt. Verlag 13.2.2025
Übersetzer Sophie Beese
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Alaska • Alm • Alpen • Bär • Bärenangriff • Bergbauern • Berge • Berghütte • Bergliteratur • Bergsteigen • Bergtour • Biodiversität • Bruno • Clara Arnaud • Ethologie • Forscher • Gewitter • Gipfel • Haute Route • Himalaya • Hirte • Hirtenhund • Hohe Tatra • Karpaten • Klettern • Klimawandel • Koexistenz • Mattheo Righetto • Natur • Naturgewalt • Paolo Cognetti • Pastoralismus • Patou • Pflanzen • Pyrenäen • Pyrenäenhund • Riesengebirge • Robert Seethaler • Rocky Mountains • Schäfer • Schnee • Schneeleopard • Schneeschuhwandern • Skifahren • Südtirol • Sylvain Tesson • Tierschutz • toxische Beziehung • Urlaub in den Bergen • Verhaltensforscherin • Wald • Wandern • Weiblichkeitsentwurf • Wildnis • Wildtiere • Wolf • Zivilisation
ISBN-10 3-95614-642-5 / 3956146425
ISBN-13 978-3-95614-642-8 / 9783956146428
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