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Brennender Mond (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2025 | 1. Auflage
384 Seiten
Kampa Verlag
9783311705659 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Brennender Mond -  William Boyd
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Gabriel Dax' Nächte sind kurz. Seit seiner Kindheit leidet er unter Albträumen: Erinnerungen an jene verhängnisvolle Nacht, in der seine Mutter und sein Elternhaus einem verheerenden Brand zum Opfer fielen. Seiner Schlaflosigkeit zum Trotz ist der gefeierte Reiseschriftsteller aus Chelsea auf der ganzen Welt unterwegs - einer vom Kalten Krieg zerrissenen Welt. In Zentralafrika bietet sich ihm die exklusive Gelegenheit, den ersten Ministerpräsidenten des erst seit Kurzem unabhängigen Kongo zu interviewen. Dax wittert eine große Story, doch dann verschwindet Patrice Lumumba kurz nach ihrem Gespräch spurlos. Für die britische Presse ist der afrikanische Politiker damit auf einen Schlag Schnee von gestern, stattdessen aber haben plötzlich diverse Geheimdienste Interesse an Dax' Aufzeichnungen, allen voran die mysteriöse Agentin Faith Green, deren Charme Dax bald zum Verhängnis wird. Er ahnt: Lumumba hat in dem Gespräch mehr offenbart, als so manchem lieb ist.

William Boyd, 1952 als Sohn schottischer Eltern in Ghana geboren, ist dort und in Nigeria aufgewachsen, bevor er in Großbritannien zur Schule ging und studierte. Dass er sich in keiner Kultur ganz zu Hause fühlt, sei für einen Schriftsteller eine gute Voraussetzung, sagt Boyd. Seinen ersten Roman veröffentlichte er 1981, heute gilt er als einer der bedeutendsten und erfolgreichsten Erzähler der zeitgenössischen Literatur. William Boyd lebt mit seiner Frau in London und im südfranzösischen Bergerac, wo er auch Wein anbaut. Wo immer er sich gerade aufhält - er geht für sein Leben gern spazieren.

William Boyd, 1952 als Sohn schottischer Eltern in Ghana geboren, ist dort und in Nigeria aufgewachsen, bevor er in Großbritannien zur Schule ging und studierte. Dass er sich in keiner Kultur ganz zu Hause fühlt, sei für einen Schriftsteller eine gute Voraussetzung, sagt Boyd. Seinen ersten Roman veröffentlichte er 1981, heute gilt er als einer der bedeutendsten und erfolgreichsten Erzähler der zeitgenössischen Literatur. William Boyd lebt mit seiner Frau in London und im südfranzösischen Bergerac, wo er auch Wein anbaut. Wo immer er sich gerade aufhält – er geht für sein Leben gern spazieren.

Erster Teil Léopoldville
London
Madrid
Cádiz


196061

1 Diktatorenland


Es war ein feuchtheißer Augusttag in Léopoldville, inder seit Kurzem unabhängigen Republik Kongo. Gabriel Dax spähte über den gewaltigen, trüben Kongo-Fluss, hinüber in Richtung Brazzaville am anderen, meilenweit entfernten Ufer, dessen Gebäude nur verschwommen zu erkennen waren, wie verschleiert durch den Hitzedunst und die Ferne, einer mythischen Stadt im Hintergrund eines Renaissanceporträts nicht unähnlich. Der Fluss war grün wie Kanonenmetall, trotz des blassblauen, wolkenlosen Himmels. Er war tief, der Kongo, und seine Farbe änderte sich eigentlich nie, mochte der Himmel darüber nun azurblau sein oder dräuend grau.

Gabriel stand auf dem wimmelnden Boulevard, der entlang der Kais verlief, umgeben von Lärm und Trubel wie auf einem Jahrmarkt – beschleunigende Fahrzeuge, Hupen, Geschrei, Pfiffe. Wie breit war der Kongo hier?, überlegte er vage, gefolgt von dem Gedanken, dass er darauf eine genaue Antwort finden müsste. Zehn Meilen, fünfzehn? Eher ein See als ein großer Fluss, dachte er, während er den geschäftigen, rastlosen Schiffsverkehr betrachtete – Fischer in schmalen Holzkanus, brummende Schnellboote, die Fähren, die massig und schwerfällig zwischen den Ufern hin- und herpendelten, an denen sich die Zwillingshauptstädte gegenüberstanden.

Er sah auf die Uhr. Aus Nervosität war er früh dran. Thibault hatte diesen neutralen Treffpunkt vorgeschlagen, anstelle des Hotels, wo es womöglich nicht unbemerkt geblieben wäre, wenn er in ein Regierungsfahrzeug einstieg. Geh runter zu den Kais und warte dort an dem großen Frangipani-Baum in der Rue Victor Hugo, hatte Thibault ihm erklärt, ich hole dich dort um drei Uhr ab. Gabriel stand im getüpfelten Schatten des Frangipani, wo eine Brise sein Haar befingerte, wobei aber die Windstöße warm und feucht waren, verflüssigend beinahe, dachte er. Der Duft der sonnengewärmten Blüten umgab ihn so dicht und intensiv, dass er förmlich mit Händen zu greifen war. Hausierer und Straßenhändler hatten vergebens versucht, ihm Kulis, Kämme, Schlüsselanhänger, Talismane, Schnürsenkel, Armbanduhren, Obst und Zuckerwerk zu verkaufen, doch nun hatte er Durst. Zeit für ein kaltes Bier. Seine lederne Reisetasche mit dem Tonbandgerät hatte er zwischen seinen Füßen abgestellt, und er bereute bereits, dass er sich entschieden hatte, eine Krawatte umzubinden. Einen Premierminister allerdings interviewte man schließlich nicht alle Tage. Er fand, dass er so weit präsentabel aussah, in seinem kurzärmeligen weißen Aertex-Hemd, der Hose aus leichtem, tropentauglichem grauen Flanell und den frisch gebürsteten Wildlederschuhen – jeder Zoll der seriöse, verantwortungsbewusste Journalist für eine große britische Tageszeitung.

Dann sah er den schwarzen Citroën DS, der auf dem Boulevard gemächlich auf ihn zusteuerte. Der Wagen hielt kurz an, und die hintere Tür schwang auf. Gabriel griff nach seiner Tasche und stieg ein. Thibault erwartete ihn auf dem Rücksitz; am Steuer saß ein Soldat. Der Wagen fuhr wieder los, und er und Thibault schüttelten sich die Hände. Sie hatten sich zwei Tage zuvor im Hotel Memling zum Abendessen getroffen. Thibault N’Danza war ein alter Freund von ihm aus Studienzeiten, ein Arzt, jetzt Gesundheitsminister in der Regierung des neuen Staates. Thibault hatte erst das Interview mit Patrice Lumumba angeregt, dem Premierminister, und dann alles Weitere in die Wege geleitet. Es war alles sehr schnell gegangen.

»Hör zu, ich weiß aber nicht sehr viel über kongolesische Politik oder die sonstigen Vorgänge im Land«, hatte Gabriel gesagt. »Ich werde mir ein bisschen wie ein Hochstapler vorkommen.«

»Du brauchst noch nicht mal eine Frage zu stellen«, sagte Thibault. »Er möchte bloß reden. Er möchte, dass alles dokumentiert wird, in einer ausländischen Zeitung – die einen guten Ruf hat«, fügte er mit einem Lächeln hinzu. Thibault war ein schmaler, langgliedriger Mann, von seinem Charakter her wachsam und nachdenklich. Von amerikanischen Missionaren adoptiert, war er in den Genuss einer Ausbildung im Ausland gekommen, wie sie der überschaubaren kongolesischen Mittelschicht, den sogenannten Évolués, verwehrt geblieben war. Aber nun, da das Land unabhängig war, würde sich alles ändern. Kongo den Kongolesen – nicht den Belgiern.

»Dein Tonbandgerät hast du doch hoffentlich dabei«, fragte Thibault.

»Ja. Warum besteht er darauf, dass ich unser Interview aufnehme?«

»Weil seine Stimme dann auf deinen Bändern sein wird. Ungefiltert, nicht verfälscht durch die Deutung eines Journalisten – bei allem Respekt, Gabriel – oder redaktionelle Bearbeitungen. Was immer du schreibst – was immer in deiner Zeitung erscheint –, die Bänder wird es ewig geben.«

»Gut, in Ordnung«, sagte Gabriel. »Spricht er Englisch?«

»Ein wenig. Er versteht es gut. Er wird Französisch sprechen, und ich kann übersetzen, wenn du magst.«

»Mein Französisch ist gar nicht so übel«, sagte Gabriel. »Sehen wir mal, wie es klappt.«

Er lehnte sich auf dem breiten Sitz zurück und versuchte sich zu entspannen, weil ihm auf einmal fast schlecht war vor Aufregung. Diese Art hochrangiger Begegnung war Neuland für ihn – er war Reiseschriftsteller, kein Reporter. Allem Anschein nach war er jedoch der einzige Mann, ausnahmsweise, der zufällig zur richtigen Zeit am richtigen Ort war. Schalte dein Tonbandgerät ein, sagte er sich, stell die üblichen banalen Fragen und lass Lumumba dann reden, auch wüten und schimpfen, wenn ihm danach der Sinn steht. Wie schwierig konnte das schon sein?

Nach etwa fünfzehn Minuten bog der Citroën in eine Einfahrt ein. Vor ihnen erhob sich eine hohe Mauer mit einem Metalltor und zwei Wachhäuschen. Ein Soldat mit Maschinengewehr warf einen Blick in den Wagen, sah Thibault, und die Torflügel öffneten sich; man winkte sie zu einer großen Villa im Kolonialstil durch, aus weißem Stuck, mit ausladenden Seitenflügeln und einer hohen, überdachten Säuleneinfahrt. Hier waren weitere Soldaten in Bereitschaft, mit weiteren zur Schau gestellten Waffen.

Thibault führte ihn auf einem Fußweg seitlich ums Haus herum und in einen langen, gepflegten Garten, links und rechts von Hibiskus und einer hohen Adventsstern-Hecke gesäumt. Ganz hinten erhob sich ein geräumiges, pavillonartiges Bauwerk aus Holz mit einer Veranda, weiß getüncht, wie die Villa. Gabriel und Thibault schritten über das harte, federnde Gras des Rasens auf den Pavillon zu. Das Dach war üppig mit lila Bougainvillea überwuchert, und hinter dem bescheidenen Bauwerk standen drei gewaltige Palmen, Baumriesen, Wächtern gleich. Hier, weit abseits vom Fluss, fühlte sich der Tag womöglich noch schwüler und drückender an. Umso dankbarer war Gabriel, als er beim Näherkommen sah, dass es auf der Veranda einen elektrischen Deckenventilator gab, der sich oberhalb der drei Korbsessel drehte, die um einen runden Glastisch herum gruppiert waren.

Als sie fast beim Pavillon angelangt waren, kam aus dem Inneren ein groß gewachsener Mann zum Vorschein, in einem schwarzen Anzug, weißem Hemd und mit einer schwarzen Fliege. Eine gepflegte, geschmeidige Erscheinung in den Mittdreißigern, bebrillt, mit einem sauber gestutzten, kurzen Kinnbart.

»Monsieur le Premier Ministre, je vous présente mon ami britannique, le journaliste, Monsieur Gabriel Dax«, sagte Thibault.

Gabriel schüttelte Patrice Lumumba die Hand.

»C’est un grand honneur, monsieur«, sagte Gabriel. »Merci infiniment.«

»Haben Sie das Tonbandgerät dabei?«, erkundigte sich Lumumba auf Englisch, mit starkem Akzent.

Gabriel hielt seine Tasche in die Höhe.

»Tout est préparé. Alles fertig und parat.«

»Gut. On peut commencer.«

Gabriel packte sein Tonbandgerät aus und stellte es auf den Tisch. Er hatte die Zwillingsbandspulen bereits eingelegt und aufnahmebereit fixiert. Er schob ein Mikrofon in den kleinen Zweifuß-Ständer und stöpselte es ein.

»Funktioniert es auch?«, fragte Lumumba lächelnd.

»Machen wir einen Test«, sagte Gabriel.

Er schaltete das Gerät ein, drückte die Aufnahmetaste und zählte laut bis fünf. Er spulte das Band zurück und drückte auf Abspielen. Lumumbas Anspannung ließ sichtlich nach, als er Gabriels aufgezeichnete Stimme beim Zählen hörte.

Thibault war im Pavillon verschwunden und kehrte nun mit einem Diener zurück, der ein Tablett mit Erfrischungsgetränken trug. Gabriel entschied sich aus irgendeinem Grund für eine Fanta. Lumumba öffnete sich ein Fläschchen Perrier. Thibault nahm Platz – damit war das Triumvirat versammelt.

Lumumba beugte sich vor und flüsterte Thibault etwas ins Ohr. Thibault nickte, flüsterte zurück. Er wandte sich Gabriel zu.

»Es kann losgehen«, sagte er. »Jederzeit.«

Gabriel spulte das Band bis zum Anfang zurück und drückte auf Aufnahme. Die beiden Spulen in dem Gerät begannen sich träge zu drehen. Gabriel schlug sein Notizbuch auf, räusperte sich.

»Monsieur le Premier Ministre«, fing er an. »Quels sont vos espoirs pour la République Démocratique du Congo?«

*

Gabriel bewegte sich eilig den Gang in der ersten Klasse hinauf, ohne das soeben aufgeleuchtete Schild mit...

Erscheint lt. Verlag 20.3.2025
Übersetzer Ulrike Thiesmeyer
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1960er • Afrika • Agent • Eiserner Vorhang • England • Geheimagent • Großbritannien • Journalismus • Kalter Krieg • Kongo • London • Politik • Reiseschriftsteller • Sechziger Jahre • Spionage • Thriller
ISBN-13 9783311705659 / 9783311705659
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