Die Krone der Meere (eBook)
815 Seiten
Blanvalet Taschenbuch Verlag
978-3-641-29709-1 (ISBN)
1593. Die Hanse kämpft um ihr Überleben, misstrauisch beäugen die Kaufleute Lübecks den Aufstieg des rivalisierenden Amsterdam. Der junge Arjen, unehelich in eine Lübecker Kaufmannsfamilie geboren und voller Neugier auf die weite Welt, macht sich auf, um in der niederländischen Metropole das Glück zu finden. Dank seinem Geschäftssinn erarbeitet er sich schnell Reichtum und Respekt. Doch als er sich ausgerechnet in Marianna verliebt, die längst einem anderen versprochen ist, muss Arjen erkennen, dass Erfolg seinen Preis hat und man die Vergangenheit niemals ganz hinter sich lassen kann ...
Farbenprächtig, mitreißend erzählt und genauestens recherchiert: Lassen Sie sich von Johanna Dorn in ein besonders spannendes Kapitel der europäischen Geschichte entführen!
Johanna Dorn ist das Pseudonym einer Autorin, die bereits viele erfolgreiche Romane veröffentlicht hat. Sie liebt es, bei Recherchen in Bibliotheken und auf Reisen tief in die historischen Hintergründe einzutauchen. Insbesondere die Niederlande und ihre wechselvolle Geschichte haben es ihr angetan. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in der Nähe des Rheins mit Blick auf das malerische Siebengebirge.
Lübeck,
März 1593
»Ich will hier raus, es ist unheimlich.«
»Stell dich nich so an.« Dabei war Agnes keineswegs so mutig, wie sie gerade tat. Das Knacken im Gebälk, während der Wind an zugigen Fenstern rüttelte und durch Ritzen pfiff, die allumfassende Finsternis – all das war durchaus geeignet, selbst gewiefte Mädchen wie sie an böse Geister glauben zu lassen. »Komm jetzt weiter.« Sie hörte das metallene Scheppern eines Blecheimers, im selben Moment schrie ihre Begleiterin auf.
»Pass doch auf!«, fauchte Agnes leise. »Wenn uns jemand erwischt, ist’s aus.«
»Hab’s ja nicht extra gemacht.« Elise klang weinerlich. »Der Hanno hat gesagt, hier spukt’s.«
»Dann geh halt.«
»Allein zurück? Das trau ich mich nicht.«
»Jetzt sei endlich still.« Agnes tastete sich langsam vor, hörte Elise schniefen, dann stolperte diese offenbar wieder über etwas, was ihr erneut einen Schrei entriss.
Agnes verdrehte die Augen.
»Mir is kalt«, klagte Elise.
Kalt war es in der Tat, wenngleich sie hier immerhin windgeschützt waren. Agnes hatte sich Stoffreste um die Hände gewickelt, trotzdem waren ihre Fingerkuppen nahezu taub. Noch viel schlimmer allerdings war der Hunger, der in ihr nagte, sich wie ein schuppiges Tier in ihrem Bauch bewegte, ihn wundrieb und zuweilen dazu führte, dass sie sich krümmen wollte vor Schmerzen. Der Winter war schon so lang, mittlerweile prügelte sich Agnes sogar um schmierige, verrottete Gemüsereste vom Straßenrand, die sie in sich hineinstopfte und hernach wieder erbrach. Deshalb hatte sie das hier so gründlich vorbereitet, und nun drohte Elise alles zu ruinieren.
Einen großen Teil ihrer zwölf Lebensjahre hatte Agnes auf der Straße verbracht, und sie schlug sich für gewöhnlich allein durch, weil sie – wofür Elise gerade wieder den Beweis antrat – sich nur auf sich selbst verlassen konnte. Aber um in dieses Haus zu gelangen, hatte sie Hilfe gebraucht, was eine verzwickte Situation darstellte, denn man wurde gar zu schnell übervorteilt. Das zumindest drohte ihr bei Elise nicht, da riskierte sie allenfalls, dass sie erwischt und im besten Fall wieder auf die Straße geworfen wurden. Im schlimmsten Fall … nein, sagte sich Agnes, daran wollte sie jetzt nicht denken, sonst verlor sie den mühsam zusammengeklaubten Mut. Sie würde man nicht erwischen. Elise vielleicht, aber Agnes nicht, sie war flink und fand immer ein Versteck, das mit bloßem Auge nicht gleich als solches erkennbar war.
Der Hunger hatte Agnes zu dieser Verzweiflungstat getrieben, die sie in einigermaßen sattem Zustand und somit bei klarem Verstand niemals gewagt hätte. Ihre Wahl war auf das Haus der Kaufmannsfamilie Drenkhan gefallen. Zwar war dieses gut gesichert und bot zur Straße hin keinerlei Möglichkeit, einzusteigen. Jedoch hatte Agnes herausgefunden, dass man durch das ehemalige und nun leer stehende Lagerhaus auf das Grundstück kam und überdies von der Straße aus nicht gesehen wurde. In mühsamer Arbeit hatte sie Brett um Brett am rückwärtigen Fenster gelockert, jeden Tag nur ein winziges Stück, damit es niemandem auffiel.
Alles hatte sie ausgekundschaftet, war sogar nachts hier eingestiegen, hatte sich zwischen alten Kisten – leider allesamt leer – , Fässern, Seilen und sonstigem nutzlosem Plunder einen Weg ertastet. Die Tür ließ sich von innen problemlos öffnen, und von dort gelangte man auf den Hof. Den zu überqueren, war schon schwieriger gewesen, und zweifellos wäre Agnes allein besser dran gewesen, aber das Fenster zur Vorratskammer lag hoch, und Elise sollte ihr eine Räuberleiter machen und dann draußen das Essen auffangen. Auch das war eine Sache, die für Elise sprach – niemals würde dieses junge Mädchen es wagen, sich allein damit aus dem Staub zu machen.
Immerhin schien Elises Furcht vor Geistern sich in dem Moment zu verflüchtigen, als sie die Tür zum Hof öffneten, und nun waren ihre Sinne geschärft, wie sie es bei einem Mädchen sein mussten, das sich auf der Straße durchschlug. Darauf hatte Agnes gehofft, und so atmete sie auf. In dieser Nacht war Neumond, auch darauf hatte Agnes geachtet.
Sie huschten hinüber zum Haus, und Elise half Agnes mit der Räuberleiter hoch zum Fenster. Dieses aufzuhebeln, war leicht, und es öffnete sich nahezu geräuschlos. Der Duft von Geräuchertem ließ Agnes beinahe schwindeln. Sie schob sich durch das Fenster und kam federnd auf dem Boden der großen Vorratskammer an. Oh Himmel, dachte sie, dieser Duft kann nicht von dieser Welt sein. Ihre Nasenflügel bebten, und sie griff nach einer Wurst, die vom Haken an der Decke hing, wollte sie erst hinauswerfen und hielt dann inne, konnte der Versuchung nicht widerstehen, hineinzubeißen. Oh Himmel, dachte sie ein weiteres Mal, als ihr die Aromen die Tränen in die Augen trieben. Sie biss ein zweites Mal ab und noch ein drittes Mal, stopfte sich schließlich den Rest in den Mund.
Dann angelte sie nach und nach die Würste von der Decke und ging damit zum Fenster. Elise stand darunter, und Agnes warf die erste Wurst zu ihr hinunter, dann die nächste, ließ den Schinken folgen. Sie beglückwünschte sich innerlich zu ihrem Plan. Jetzt konnten sie in Ruhe so viel aus der Speisekammer nehmen, wie sie tragen konnten, ohne zu befürchten, jemand könnte sie von der Straße aus sehen. Bis der Diebstahl entdeckt wurde, waren sie längst verschwunden. Falls man bei der Fülle an Essen überhaupt bemerkte, dass etwas fehlte.
Agnes’ auf der Straße geschärftes Gehör nahm die Veränderung wahr, noch ehe ihr Bewusstsein darauf reagieren konnte. Geräusche, die nicht sein durften. Sie hielt den Atem an, lauschte. Männerstimmen, offenbar in heftigem Streit. Agnes hielt inne, versuchte auszumachen, ob sich die Stimmen näherten, bereits auf dem Sprung, um, so schnell es ging, aus dem Fenster zu steigen. Niemand näherte sich, dennoch beeilte sich Agnes und warf gepökeltes Fleisch hinab. Was sie nicht selbst essen würden, würden sie in den Straßen verkaufen, denn Münzen ließen sich leichter verstecken als Essen.
»Wie lange brauchst du noch?«, fragte Elise, und Agnes zischte ihr zu, still zu sein.
Da, wieder die Männer, jetzt schrien sie einander an. Dazwischen war eine Frauenstimme zu hören, schrill, sich überschlagend. Und dann, so unvermittelt, dass Agnes nicht reagieren konnte, wurde die Tür zur Speisekammer aufgerissen, und ein Junge stand vor ihr, älter als sie und groß gewachsen. Er starrte sie an, der Atem ging ihm in kurzen Schluchzern, als erneut ein Frauenschrei zu ihnen drang. Agnes starrte zurück, dachte in all dem Schreck, dass sie nie etwas Alberneres gesehen hatte als diesen Jungen in seinem weißen Rüschennachthemd.
»Thilo!«, kreischte die Frau, der nächste Schrei war unartikuliert und erstarb.
Agnes’ Sinne reagierten, während der Junge wie erstarrt stand. Sie wollte herumfahren und zum Fenster, als der Junge vorstürzte, sie festhielt.
»Hilf mir«, stieß er hervor. »Hilf mir!«
Sie wollte sich aus seinem Klammergriff befreien, als sie schwere Schritte hörte, die sich näherten. Im nächsten Moment stand ein Mann in der Tür, edel und teuer gekleidet, ein langes Messer in der Hand. Er wirkte erstaunt, als er Agnes bemerkte, aber er reagierte schnell, sah von dem Jungen zu ihr und entschied im selben Augenblick, von wem ihm gerade die größere Gefahr drohte. Den Schwächling bekam er schon noch, das musste ihm klar sein, und so stürzte er sich auf das flinke Straßenmädchen. Endlich ließ der Junge sie los, und Agnes wich aus, achtete darauf, dass der Mann sie nicht in die Ecke drängen konnte. Einmal glaubte sie, er hätte sie bereits, als sie sich gerade noch rechtzeitig wegduckte und das Messer an ihr vorbei in einen Holzpfeiler fuhr und darin stecken blieb. Augenblicklich reagierte Agnes, rannte an dem Mann vorbei, bemerkte, dass der Tölpel, der ihr das eingebrockt hatte, dasselbe tat, und eilte durch die Küche auf den Korridor, kam in eine riesige Eingangshalle und stürzte auf die Haustür zu.
Die Tür war verschlossen. Der Mann hatte indes das Messer offenbar aus dem Pfeiler gezogen, denn seine Schritte näherten sich, und Agnes sah sich panisch um. »Wo ist der Schlüssel?«, schrie sie den Jungen an.
»Ich … Ich weiß nicht.« Er weinte beinahe, und Agnes rannte einfach los, rannte durch die Halle, durch einen weiteren Korridor und kam in einen großen Saal, der zwar keinerlei Schutz bot, aber dafür hohe Fenster hatte.
Mit einer erstaunlichen Geistesgegenwart warf der Junge die schwere Tür zu und verriegelte sie, dann stürzte er mit ihr zu den Fenstern und half ihr mit fliegenden Fingern, die Riegel zu lösen. Frische, kalte Luft schlug ihnen entgegen, und Agnes schwang die Beine hinaus, setzte mit einem Sprung auf die Straße. Der Junge folgte ihr. Wieder rannte sie los, rannte, so schnell sie konnte, und dachte fortwährend an Elise. Hoffentlich war sie davongelaufen, als sie den Lärm gehört hatte.
Sie tauchte in das Dunkel einer Gasse ein und bemerkte, dass der Junge ihr gefolgt war, ein weißer, gut sichtbarer Fleck in seinem Nachthemd. Er schluchzte, zitterte – gewiss nicht nur vor Angst – , und Agnes war mit einem Mal so wütend auf ihn, dass sie auf ihn zustürzte und ihn mit einer Kraft ohrfeigte, die ihn fast zu Boden gehen ließ. Im nächsten Moment erbrach sie sich und hörte, wie der Junge einen Laut des Ekels ausstieß. Sie würgte, bis ihr Magen nichts mehr hergab, hörte das Trippeln von Ratten, die sich näherten. Rasch wandte sie sich ab, lauschte, konnte ihren Verfolger jedoch nicht hören und wagte sich aus der...
| Erscheint lt. Verlag | 19.6.2025 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | Abenteuerroman • Amsterdam • buchgeschenk für mütter • Daniel Wolf • eBooks • Fernweh • Freiheit • friesensaga • Hamburg • Hanse • Historische Romane • historische Schmöker • Intrigen • Italien • Kaufleute • Lübeck • Mord • Neuerscheinung 2025 • Rebecca Gablé • Reiselust • Schmöker • Verrat |
| ISBN-10 | 3-641-29709-5 / 3641297095 |
| ISBN-13 | 978-3-641-29709-1 / 9783641297091 |
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