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Polizeigeschichten (eBook)

Über Armut und Verbrechen im Vormärz. Deutsche Polizei-Akten entlarven staatliche Willkür und soziale Verrohung im 19. Jh.

(Autor)

eBook Download: EPUB
2025
154 Seiten
Anaconda Verlag
9783641332020 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Polizeigeschichten - Ernst Dronke
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Nicht nur in Romanen sind schicksalhafte Geschichten zu lesen, man muss nur in Polizeiakten schauen. Genau das tat der Publizist Ernst Dronke, ein enger Wegbegleiter von Karl Marx, vor knapp zweihundert Jahren. Er entdeckte Fälle von dummen Fehltritten, die tief ins Elend führten, von überzogenem Amtseifer und drakonischen Strafen gegen kleine Sünder. Seine 'Polizeigeschichten' von 1846 geben tiefe Einblicke in den Alltag und die Sinnesart einer Zeit, die nur widerwillig in die Moderne aufbrach und dabei auch klarsichtige Köpfe wie Dronke ins Exil vertrieb.
  • Der deutsche True-Crime-Klassiker
  • 'Herr Ernst Dronke hat sich durch die Erfindung einer neuen Dichtungsart dauernde Verdienste um die deutsche Literatur erworben. (...) In jedem Paragraphen steckt ein Roman, in jedem Reglement eine Tragödie. Herr Dronke, der als Berliner Literat selbst gewaltige Kämpfe mit dem Polizeipräsidio bestanden, konnte hier aus eigner Erfahrung sprechen.' Friedrich Engels, 1847
  • Der Journalist und Erzähler Ernst Dronke war enger Wegbegleiter von Karl Marx und Friedrich Engels während des Revolutionsjahres 1848
  • Die 'Polizeigeschichten' sind auch eine Anklagen gegen eine verrohende Gesellschaft, deren Opfer zusätzlich noch mit Strafen belegt, ja, sogar verhöhnt werden
  • Für die Publikation von 'Berlin' wurde Dronke wegen Majestätsbeleidigung, Beleidigung des Berliner Polizeipräsidenten und Kritik an den Landesgesetzen zu zwei Jahren Festungshaft verurteilt


Ernst Andreas Dominicus Dronke, geboren am 17. August 1822 in Koblenz, war ein deutscher Schriftsteller und Publizist und ein Weggefährte Karl Marx und Friedrich Engels. Er studierte Jura in Bonn, Marburg und Berlin. Nach seiner Promotion als Journalist wurde er 1845 wegen kommunistischer Tendenzen seiner Schriften aus Berlin ausgewiesen, was sich in mehreren Texten seiner Polizeigeschichten niederschlägt. 1849 emigrierte er in die Schweiz, später dann nach England. Am 2. November 1891 verstarb er in Liverpool.

In dem Kriminalgefängnis zu B. erhängte sich vor einiger Zeit ein Gefangener, der nach den Aussagen des Arztes und des Gefängnisinspektors an Schwermut gelitten hatte. Die Geschichte dieses Unglücklichen, welche wir dem Leser hier erzählen, ist ein vollkommen wahres Ereignis, und die folgenden Einzelheiten, wobei wir nur die Namen verschweigen, werden vielleicht bei manchem die Erinnerung an die handelnden Personen erwecken.

Fritz Schenk war ein Tischler.

Er hatte als Geselle lange Zeit bei einem der größeren Meister in B. gearbeitet und stand im Rufe eines ordentlichen Menschen und fleißigen und geschickten Arbeiters. Da er für niemanden weiter zu sorgen hatte, so reichte sein Verdienst eben zu seinen notwendigen Bedürfnissen aus, und nicht minder wie bei dem Meister wegen seiner Brauchbarkeit, stand er bei den andern Gesellen wegen seines Frohsinns in Gunst.

Eines Abends war Fritz aus der Werkstatt auf die dunkle Straße getreten, als eine Karosse, die an einem andern Wagen vorüberfuhr, ihn streifte und zu Boden warf. Er erhob sich zwar sogleich wieder, fühlte aber, dass sein rechter Arm plötzlich erschlafft war. Der Herr in der Karosse ließ bei dem Schrei, den der Handwerker unwillkürlich ausgestoßen hatte, halten und erkundigte sich, ob er Schaden genommen. Auch der Meister und die übrigen Gesellen kamen herzu, und als sie den Verwundeten in die Werkstatt führten, ergab sich, dass er den Arm zweimal gebrochen hatte. Der vornehme Besitzer der Karosse ließ seine Börse zurück, um die ersten Kosten der Heilung zu ­decken, und auf die Bemerkung des Meisters, dass Schenk der tüchtigste seiner Arbeiter sei, versprach er, noch weitere Sorge für ihn zu tragen.

*

Schenk wurde in das Stadtkrankenhaus gebracht, wo die langwierige Behandlung den an Tätigkeit gewöhnten Arbeiter geistig und körperlich ziemlich bedrückte. Der Verursacher seines Unglücks bezahlte die Kosten seiner Pflege, bekümmerte sich aber nicht weiter um ihn, und nachdem Schenk endlich als geheilt entlassen worden war, glaubte er, seiner Verpflichtung gänzlich quitt zu sein. – Als Schenk zu seinem Meister zurückkehrte, fand sich, dass es mit der Arbeit keineswegs mehr so wie früher fortging. In dem Arm war eine große Schwäche zurückgeblieben, und war er auch nicht gerade gelähmt und arbeitsunfähig geworden, so vermochte er doch nicht so anhaltend und schnell zu arbeiten wie ehedem. Er sah, dass die Mitgesellen ihn, der sonst stolz auf seine Arbeit war, überflügelten. Er wurde missgestimmt, und sein Fleiß und seine Sorgsamkeit erlahmten mit der Lust zur Arbeit. Dazu kam, dass auch seine Verhältnisse eine neue Gestaltung bekommen hatten.

In dem Stadtkrankenhaus hatte Schenk ein junges Mädchen, das seine Erziehung im Waisenhaus genossen, zur Wärterin gehabt. In der leeren Einsamkeit dieser Stunden war sie sein tröstender Engel gewesen; sie hatte ihn mit frommem, schwesterlichem Eifer gepflegt, und der junge Arbeiter fühlte sich durch ihr sittsames Wesen mächtig zu ihr hingezogen. Als er die Anstalt verließ, war ihm der Umgang bereits zur notwendigen Gewohnheit geworden. Er benutzte sonntags seine freien Stunden regelmäßig, um sie zu besuchen, und die junge Wärterin verhehlte nicht, dass sie ihn mit Vergnügen kommen sah. Die Teilnahme, welche sie anfangs für den Kranken gefühlt hatte, machte einem innigeren Gefühl Platz, und als Fritz seinen Heiratsantrag vorbrachte, hatte ihr Herz ihm längst schon das Versprechen der Treue gegeben.

Schenk hoffte dazumal noch, dass die Schwäche des Armes sich allmählich durch Wiedergewöhnung an die Arbeit verlieren würde, und dann hätten ihn ja seine Ersparnisse, seine Geschicklichkeit und sein zu dem Ziel verdoppelter Eifer vielleicht bald in den Stand setzen können, eine eigne Werkstatt anzulegen. Aber das Übel verzog sich nicht, und eine düstere Niedergeschlagenheit bemächtigte sich des Unglücklichen. Seine treue Verlobte verbarg ihren eignen Kummer über sein Missgeschick und suchte, ihn zu trösten und so viel als möglich mit Hoffnungen zu trösten, an die sie selbst nicht glaubte. Schenk konnte nicht anders glauben, als dass ihm unter solchen Verhältnissen eine trübe Zukunft bevorstand.

Der Meister musste jedes Mal in den stillen Monaten, wo es weniger Arbeit gab, einige seiner Arbeiter entlassen. Solange Schenk im Besitz seiner vollen Kraft und Tätigkeit war, hatte er nicht nötig gehabt, um sein Unterkommen besorgt zu sein, jetzt machten ihn tüchtigere Arbeiter seinem Meister entbehrlich. Der Mann war nicht hart gegen ihn gewesen. Er hatte Schenk von früher als einen brauchbaren, ordentlichen und willigen Arbeiter schätzen gelernt und wollte ihn wegen seines Unglückes nicht von sich stoßen. Solange er noch die Hoffnung hatte, dass der schwache Arm des Gesellen sich an die Arbeit gewöhnen würde, hatte er Nachsicht und Geduld mit ihm gehabt. Als sich jedoch diese Hoffnung verlor, vermochte er nichts mehr für Schenks Zukunft zu tun. Er stellte ihn in die zweite Klasse der Arbeiter, gab ihm nur geringere Arbeit, welche weniger Sorgfalt und Kraft erforderte, und beschränkte demgemäß seinen früheren Lohn. Schenk verlor dabei die Lust und Liebe zur Arbeit, denn er fühlte sich unverschuldeterweise gedrückt. Der Meister machte ihm jetzt zum ersten Mal Vorwürfe wegen Nachlässigkeit und wies ihn zu größerem Eifer an. Allein, Schenk war überhaupt nicht mehr der alte. Seine Lage hatte ihn finster und mürrisch gemacht, und die Ermahnungen des Meisters fanden statt der gehofften Willfährigkeit einen verschlossenen, widerspenstigen Trotz. So kam es denn, dass bei der nächsten stillen Zeit der Tischler unter andern Gesellen auch Schenk von dem Meister entlassen und arbeitslos wurde.

*

Nach mehreren vergeblichen Versuchen, bei andern Meistern ein Unterkommen zu finden, entschloss sich Schenk, seine Lage jenem reichen Manne zu offenbaren, der die erste Ursache seines Unglücks war. Er hoffte im Stillen, dass ihm jener den Grundstein zu einem selbstständigen Erwerb legen würde. Eine mittelmäßige Summe reichte hin, ihm eine Werkstatt zu gründen. Dann wollte er sich Gesellen halten, und wenn er auch selbst nicht viel zu arbeiten vermochte, so konnte er doch durch sein Geschick und seine Erfahrung die Arbeit leiten. Damit, so hoffte er, wäre ihm eine erträgliche Existenz geschaffen, auf die hin er alsdann zu heiraten gedachte.

Der vornehme Herr hörte ihn gelassen an. Er schien wohl zu fühlen, dass er allein der eigentliche Quell des Missgeschicks des Arbeiters war, betrachtete aber seine Vermittlung als eine Sache der bloßen Mildtätigkeit. Schenk wurde auf den folgenden Tag zurückbestellt, und als er sich zur bestimmten Stunde einfand, händigte ihm der Kassierer im Namen seines Herrn eine kleine Summe Geldes aus. Als Geschenk zur augenblicklichen Unterstützung war die Summe nicht unbedeutend, allein, um Schenk, wie er gehofft hatte, in Stand zu setzen, sich eine Zukunft zu gründen, hätte es vielleicht des Doppelten bedurft. Schenk war daher angewiesen, das Geld allmählich zu verzehren.

Der Arme, der nach qualvollem vergeblichem Mühen rettungslos im Jammer seines Elends sitzt und täglich die Glücklichen im Glanz ihres ererbten Reichtums sieht, gibt sich gewöhnlich den törichten Hoffnungen auf den unwahrscheinlichsten, entferntest liegenden Zufall hin, welche die kaltblütigen reichen Spekulanten wahnsinnig nennen werden. Wenn der Arme seine letzte Hoffnung auf eine Nummer des Bankhalters setzt, so schilt ihn die gesunde Vernunft einen verächtlichen Toren, indem sie ihm das Betrügerische und Unmoralische des Spiels auseinandersetzt. Der reiche Kaufmann, der in einer Handelskrise seinen ganzen Besitz verliert, wird gewöhnlich nur bedauert. Im Grunde aber läuft alles auf dasselbe hinaus. In einer Welt, wo der Besitz das Höchste ist, spekuliert und spielt jeder, je nach seinem Vermögen, und die gesunde Vernunft dessen, was man ehrlichen Handel nennt, ist nicht minder auf Betrug und Immoralität gebaut als die Torheit des Hazardspiels.

Als Schenk sein Geld allmählich verschwinden sah, gab er sich den unbestimmtesten Hoffnungen hin. Die Hoffnung verließ ihn nicht, aber er wusste eigentlich nicht, worauf er hoffte. Einmal wollte er sein Glück im Spiel versuchen, aber der Gedanke, dass er von dem Rest seines Geldes noch so und so viel Tage leben könne, während er hier vielleicht das Ganze auf einmal einbüßen würde, hielt ihn wieder zurück. Es war ihm immer, als wisse er fest, dass sich diese Lage doch noch ändern werde. Wenn er über die Straße ging, so blickte er immer rechts und links auf das Pflaster, als ob er etwas Verlorenes suche. Diese Hoffnung war unsinnig, nicht wahr? Es war auch keine Hoffnung mehr, es war eine bewusstlose Träumerei, da ihm die Wirklichkeit nichts mehr bot. Bei einem bestimmten Lebensziel hätte er auch nicht nötig gehabt, auf einen unbestimmten Zufall zu warten. Der Anblick der vornehmen, sorgenlosen Vergnüglinge verursachte ihm ein Gefühl zorniger Bitterkeit, und er fragte sich jedes Mal, was er denn getan, dass er im Elend schmachten müsse und was wohl jene getan, dass sie aufgespeicherte Reichtümer verschweigen dürften? Wenn ein Reicher seine goldgespickte Börse zog, blieb er unwillkürlich stehen, und sein Blick haftete begierig auf den glänzenden Münzen. Er dachte, dass diese Summe vielleicht hinreichen würde, ihm eine zufriedene Zukunft zu begründen, und eine leise Stimme fügte in seinem Innern hinzu: Ein vorsichtiger Griff in solch eines Mannes Tasche, und du bist gerettet. Als er sich zum ersten Mal bei diesem Gedanken...

Erscheint lt. Verlag 19.3.2025
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1848 • Berlin Buch • Berliner Stadtgeschichte • Deutsche Revolution • eBooks • Friedrich Engels • Ganz unten • Günther Wallraff • historische Kriminalfälle • Industrialisierung • Karl Marx • Kommunismus • Märzrevolution • Preußen • Revolution 1848 • Sozialgeschichte • Sozialismus • sozial novellen • sozialnovellen • Sozialreportage • Team Wallraff • True Crime • True Crime Bücher • True Crime Bücher deutsch • True Crime Deutschland • Vormärz
ISBN-13 9783641332020 / 9783641332020
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