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Die Erbin (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2025
563 Seiten
Heyne Verlag
978-3-641-28401-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Erbin - Claire Winter
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Eine Geschichte über Liebe, Macht und einen Mord, der in die dunkle Vergangenheit einer großen deutschen Industriellenfamilie führt.

Köln, 50er Jahre: Cosima ist Erbin der einflussreichen Industriellenfamilie Liefenstein. Doch mit der Gründung einer Stiftung für bedürftige Frauen und Mütter geht sie ihren eigenen Weg. Da tritt der Journalist Leo Marktgraf in ihr Leben, der Nachforschungen über den Tod eines Freundes anstellt. Die Leiche des Anwalts wurde am Ufer des Rheins gefunden, nur kurz nachdem er öffentlich schwere Anschuldigungen gegen die Liefensteins erhoben hatte. Cosima will Licht in die dunkle Vergangenheit ihrer Familie bringen und muss schon bald erkennen, dass nichts so ist wie es scheint. Aber in der jungen Bundesrepublik, in der niemand mehr an die Zeit des Dritten Reiches erinnert werden will, gibt es ein Netzwerk von Menschen, die noch immer mächtig sind. Sie sind bereit, alles dafür zu tun, dass Cosima und Leo der Wahrheit nicht auf die Spur kommen …

Claire Winter studierte Literaturwissenschaften und arbeitete als Journalistin, bevor sie entschied, sich ganz dem Schreiben zu widmen. Sie liebt es, in fremde Welten einzutauchen, historische Fakten genau zu recherchieren, um sie mit ihren Geschichten zu verweben, und ihrer Fantasie dann freien Lauf zu lassen. Claire Winters Romane finden sich regelmäßig auf den SPIEGEL-Bestsellerlisten. Die Autorin lebt in Berlin.

1


Cosima


Bonn, Bad Godesberg, Februar 1957


In dem stuckverzierten Beethovensaal im La Redoute hatten sich einflussreiche Unternehmer, Politiker und Diplomaten mit ihren Ehefrauen und eine Handvoll ausgewählter Journalisten eingefunden und auf den samtbezogenen Stühlen Platz genommen. Ihr Onkel hatte nicht zu viel versprochen. Sie waren alle gekommen. Jeder, der Rang und Namen in Bonn hatte, war der Einladung gefolgt.

Cosima atmete tief durch und warf einen unauffälligen Blick um sich herum. Selbst der Kanzler war erschienen. Adenauer war als einer der Letzten eingetroffen und hatte ihr freundlich zugenickt, bevor er sich auf den Ehrenplatz in der ersten Reihe gesetzt hatte. Sie war ihm in den vergangenen Jahren ein-, zweimal bei offiziellen Gelegenheiten an der Seite ihres Onkels begegnet. Trotz seiner einundachtzig Jahre strahlte er noch immer eine beeindruckende Vitalität aus, und niemand bezweifelte, dass er im kommenden Herbst bei den Bundestagswahlen erneut zum Kanzler gewählt werden würde.

Cosima spürte, wie ihre Nervosität wuchs. Nach dem Oberbürgermeister von Bonn, der gerade auf der Bühne sprach, würde ihr Onkel, Theodor Liefenstein, einige Worte sagen, und dann war sie an der Reihe. Sie hatte ihre Rede so oft geübt, dass sie sie auswendig und wie im Schlaf konnte. Trotzdem befürchtete sie plötzlich, kein Wort herauszubekommen, wenn sie dort oben stand. Das letzte Mal, dass sie vor einem größeren Publikum gesprochen hatte, war drei Jahre her. Es war auf der Schulabschlussfeier ihres Internats in St. Gallen gewesen. Doch damals hatte sie vor einem vertrauten Kreis von Familienmitgliedern, Lehrern und Mitschülerinnen gestanden, während sie heute vor der gesellschaftlichen und politischen Elite des Landes reden würde – und diese auch noch überzeugen musste.

Cosima versuchte ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Worte des Oberbürgermeisters zu richten, der von den schwierigen Lebensbedingungen nach dem Krieg sprach, dem Hunger und Mangel, den so viele in jener Zeit erlebt hatten, und wie dankbar man für den wirtschaftlichen Aufschwung der letzten Jahre sein müsse.

»Seien wir ehrlich, meine Damen und Herren, heute geht es uns so gut wie lange nicht mehr! Und trotzdem ist es nicht allen vergönnt, an diesem neuen Wohlstand und der Blüte der deutschen Wirtschaft teilzuhaben!«

Cosima sah unwillkürlich das erschöpfte Gesicht von Lisbeth vor sich. Das hier war ihre Chance, etwas für Frauen wie sie zu verändern. Angespannt strich sie den Rock ihres zartblauen Seidenkleids glatt. Sie hatte ihr hellbraunes Haar hochgesteckt und trug die schmale Perlenkette ihrer Großmutter. Elegant und vor allem seriös musste sie wirken.

Ihr Verlobter Alexander, ein dunkelhaariger junger Mann Ende zwanzig, lehnte sich zu ihr. »Nervös?«, flüsterte er.

»Ein bisschen«, gab sie leise zurück.

»Du schaffst das schon!« Er lächelte gönnerhaft.

In den letzten Tagen hatte er sich bemüht, sie zu unterstützen, musste Cosima zugeben, aber das war nicht immer so gewesen.

Als sie ihm vor knapp drei Monaten das erste Mal von ihrer Idee erzählt hatte, eine eigene Stiftung für bedürftige Frauen und Mütter ins Leben zu rufen, hatte Alexander sie nur mit ungläubiger Miene angesehen, laut gelacht und dann sofort versucht, ihr das Vorhaben wieder auszureden. Ob sie eine Ahnung habe, wie viel Arbeit und Verantwortung sie damit auf sich lade? Wenn sie beide erst verheiratet wären, würde sie als Ehefrau und Mutter keine Zeit für solche Aufgaben haben. Ganz zu schweigen von den Risiken. Wer wusste, ob sie sich bei diesen Armen nicht am Ende irgendwelche Krankheiten holen würde?

Aufgebracht hatte Cosima ihn angesehen. »Das meinst du nicht ernst?«, hatte sie erwidert, und zum ersten Mal kam es zum Streit zwischen ihnen. Der abschätzige Ton, in dem er mit ihr sprach, als habe sie keine Ahnung von der Welt, hatte sie getroffen und bis heute einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen. Dennoch hatte Cosima sich nicht von ihrem Plan abbringen lassen.

Zu ihrer Überraschung hatte ihr Onkel ihr nach einem Gespräch seine Unterstützung zugesagt, und daraufhin hatte auch Alexander nicht länger gewagt, Einwände zu erheben.

Auf der Bühne beendete der Oberbürgermeister soeben seine Rede, und ihr Onkel, Theodor Liefenstein, trat nun hinter das Mikrofon. Sein Haar war in den letzten Jahren silbergrau geworden, doch seine Haltung in dem maßgeschneiderten Anzug war aufrecht und kraftvoll. Eine Aura von Macht und Autorität umgab ihn, und er schaffte es mit seiner tiefen, vollen Stimme sofort, alle im Saal in den Bann zu ziehen.

»Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihr Kommen. Dies ist ein besonderer Tag für mich! Wie einige von Ihnen wissen, ist es in der Familie Liefenstein seit jeher Tradition, sich für die Schwächeren und Ärmeren dieser Gesellschaft einzusetzen …«

Ein lautes Knarren, gefolgt von einem Wortwechsel an der Saaltür, unterbrach ihn.

Ihr Onkel hielt überrascht in seiner Rede inne.

Einige Gäste drehten sich um. Auch Cosima wandte sich zur Tür.

Eine plötzliche Angst erfasste sie, dass sich ein so unschöner Vorfall wie vor knapp zwei Wochen ausgerechnet heute, an diesem wichtigen Abend, wiederholen könnte. Auf einer Veranstaltung in Köln hatte ein Betrunkener ihrem Onkel ein Glas Sekt ins Gesicht geschüttet und ihn wüst beschimpft. Zwei herbeistürmende Wachleute hatten den Mann zwischen den tuschelnden Gästen mit Mühe nach draußen gezerrt.

Die Sicherheitsmaßnahmen waren heute jedoch schon wegen der Anwesenheit des Kanzlers in besonderer Weise verstärkt worden, versuchte sie sich zu beruhigen. Zu ihrer Erleichterung sah Cosima nun auch, dass es nur ein verspäteter Gast war, der anscheinend darauf gedrungen hatte, noch hereingelassen zu werden. Die Gestalt von Hagen Keller, einem alten Freund der Familie, wurde zwischen den Köpfen der übrigen Gäste sichtbar. Er nahm in einer der hinteren Reihen Platz.

Auf dem Gesicht ihres Onkels zeigte sich für den Bruchteil einer Sekunde ein angespannter Ausdruck. Doch dann fuhr er unbeirrt in seiner Ansprache fort: »Es erfüllt mich daher mit großem Stolz, dass meine Nichte Cosima diese Tradition im Namen meines verstorbenen Vaters und ihres Großvaters, Wilhelm Liefenstein, fortsetzen und eine eigene Stiftung gründen wird, die seinen Namen tragen soll. Und damit möchte ich das Wort auch an diejenige weitergeben, die Ihrer aller Anerkennung und Wertschätzung verdient. Meine Damen und Herren … Cosima Liefenstein!«

Mit einem warmen Lächeln deutete Theodor Liefenstein zu ihr.

Cosima blickte ihn dankbar an. Sie hatte eine enge Beziehung zu ihrem Onkel. Nach dem frühen Tod ihres Vaters hatte er sie wie eine Tochter behandelt, und seine eigenen Kinder, ihr Cousin Erich und ihre Cousine Ellen, waren wie Geschwister für sie.

Sie konnte spüren, wie ihre Hände vor Nervosität feucht wurden, als die Gäste applaudierten und sie sich erhob, um auf die Bühne zu gehen.

Alle Blicke im Saal waren mit einem Mal auf sie gerichtet, und die altbekannte Mischung aus Aufregung und Unsicherheit, die seit ihrer Kindheit gelegentlich von ihr Besitz ergriff, drohte sie zu überwältigen.

Cosima zwang sich zu einem Lächeln, als sie ins Publikum schaute, und beschwor das Bild von Lisbeth und den anderen Frauen vor ihre Augen, denen sie in den letzten Monaten begegnet war. Sie sah ihre abgekämpften, müden Gesichter vor sich, die armseligen Verhältnisse, in denen sie lebten: die engen Wohnungen, in denen es im Winter zog und sich Schimmelpilze breitmachten, weil die Öfen schlecht oder gar nicht funktionierten und die Fenster undicht waren. Etwas anderes konnten sich diese Frauen nicht leisten. Sie waren alleinstehend, meistens verwitwet, ihre Männer gefallen oder in den Nachkriegsjahren jung verstorben. Oft hatten sie zwei, drei, manchmal sogar vier oder mehr Kinder, die sie nun allein durchbringen mussten. Vom Staat bekamen sie nicht genug Geld, und eine volle Arbeitsstelle konnten sie wiederum wegen der Kinder nicht annehmen. Sie taten es trotzdem und waren froh, wenn sie als Hilfsarbeiterin in einer Fabrik, als Putzkraft oder ungelernte Verkäuferin irgendwo etwas fanden.

Und genau von diesen Frauen wollte Cosima erzählen.

Es war eine Welt der Armut, in der sie lebten, mit der wohl die wenigsten der anwesenden Gäste jemals persönlich in Berührung gekommen waren. Auch bei Cosima war es nur ein Zufall gewesen – eine Begegnung, die sie nicht hatte vergessen können, und die ihre Spuren hinterlassen hatte.

Sie beschrieb in ihrer Rede das Leben dieser Frauen, wie viel sie arbeiteten, wie wenig sie besaßen und welche Schwierigkeit es für sie bedeutete, sich um ihre Kinder zu kümmern. Doch sie konnte selbst hören, dass ihre Stimme zu leise und zurückhaltend klang. Nachdem sie eine Weile gesprochen hatte, musste sie zu ihrem Entsetzen feststellen, dass ihr aus dem Publikum kaum mehr als kühle, ein wenig gelangweilte, ja im besten Fall freundliche Höflichkeit entgegenschlug. Einer der Gäste schaute sogar auf seine Uhr. Es war ein Lokalpolitiker, den ihr Onkel unterstützte.

Ungläubig brach sie ab. Eine unerwartete Wut erfasste Cosima, weil ihr erneut bewusst wurde, wie gut es diesem Mann und allen anderen im Saal im Unterschied zu einer Frau wie Lisbeth ging.

»Diese Frauen sind Teil unserer Gesellschaft!«, sagte sie eine Spur lauter. Ein aufgebrachter Unterton hatte sich in ihre Stimme geschlichen. Einige Zuschauer blickten sie überrascht an.

Cosima atmete tief durch. Kurz entschlossen entschied...

Erscheint lt. Verlag 16.4.2025
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Bestseller Autorin • braunes erbe • Die verbotene Zeit • eBooks • Familiengeheimnis • Familienunternehmen • gut recherchiert • Historische Romane • junge Bundesrepublik • Kinder ihrer Zeit • lesemotiv eintauchen • Liebesgeschichte • Roman • Romane • Trude Teige
ISBN-10 3-641-28401-5 / 3641284015
ISBN-13 978-3-641-28401-5 / 9783641284015
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