Zum Hauptinhalt springen
Nicht aus der Schweiz? Besuchen Sie lehmanns.de

Die Schule der Nacht (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2025
799 Seiten
Luchterhand Literaturverlag
978-3-641-32412-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Schule der Nacht - Karl Ove Knausgård
Systemvoraussetzungen
22,99 inkl. MwSt
(CHF 22,45)
Der eBook-Verkauf erfolgt durch die Lehmanns Media GmbH (Berlin) zum Preis in Euro inkl. MwSt.
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Was geschieht, wenn der Mensch sich aller Moral entledigt und nur noch um sich selbst kreist? Über die Kräfte, die uns formen, sowohl die dunklen als auch die hellen.

Eine winzige Insel vor der norwegischen Küste: Kristian Hadeland, erfolgreicher Künstler mit einer Karriere in London und einer bevorstehenden Retrospektive am MoMa in New York, hat sich in die Abgeschiedenheit zurückgezogen. Er will seinem Leben ein Ende setzen. »Tod und Vergänglichkeit«, das war das große Thema seines fotografischen Werks, mit dem er sich über sämtliche Regeln hinwegsetzte und in der Kunstwelt für Furore sorgte. Für diesen Ruhm ist er einen faustischen Bund eingegangen. Jetzt steht er vor den Trümmern eines rücksichtslosen Lebens und bittet um Erlösung. Möglicherweise vergeblich.

Karl Ove Knausgårds neuester Roman »Die Schule der Nacht« ist Teil der großangelegten Morgenstern-Serie, die LeserInnen und KritikerInnen in der ganzen Welt begeistert. Ausgangspunkt ist das plötzliche Erscheinen eines neuen Sterns am Himmel, der unheimliche Kräfte freisetzt, sämtliche physikalische Regeln sprengt und die Menschen auf ihr Innerstes zurückwirft.

Karl Ove Knausgård wurde 1968 geboren und gilt als einer der wichtigsten norwegischen Autoren der Gegenwart. Die Romane seines sechsbändigen, autobiographischen Projektes "Min Kamp" wurden weltweit zur Sensation. Sein großer »Morgenstern«-Romankosmos um das plötzliche Auftauchen eines neuen Sterns am Himmel lotet die Abgründe menschlichen Lebens aus und fasziniert mit seiner Soghaftigkeit auf ähnliche Weise. Das Essayistische ist eine treibende Kraft in Knausgårds schriftstellerischem Werk, das in 35 Sprachen übersetzt ist und vielfach preisgekrönt. 2015 erhielt Karl Ove Knausgård den WELT-Literaturpreis, 2017 den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur, 2022 nahm er in Kopenhagen den Hans-Christan-Andersen-Literaturpreis entgegen. Er lebt in London.

Mittlerweile sind mehrere Monate vergangen, seit ich zuletzt eine Kamera angefasst habe, und immer noch ist es, als fehlte etwas Wesentliches, als wäre ich nicht ganz. Seit ich fünfzehn war, habe ich fast täglich Fotos gemacht, gewöhnt an die Schwere des Apparats, gewöhnt daran, die Welt als Motiv zu sehen, gewöhnt daran, unbewusst das Licht zu messen, wo immer ich mich aufhalte. Ohne die Kamera empfinde ich eine Art mentalen Phantomschmerz, ständig will ich sie benutzen, aber dann ist sie nicht da, und ich fühle Leere. Inzwischen zum Glück jedoch weniger stark als in den ersten Wochen. Meine Tage hier habe ich rund um das Schreiben angeordnet: Alles, was ich tue, stützt sie, und der Schlüssel, habe ich herausgefunden, besteht darin, immer das Gleiche zu tun. Ich stehe um die gleiche Uhrzeit auf, ziehe die gleichen Kleider an – abgesehen von den Sonntagen, an denen ich dusche und mich umziehe –, trinke Kaffee und rauche ein paar Zigaretten auf dem Stuhl am Fenster, ehe ich mit der ersten Schreibschicht beginne. Sie geht bis zum Mittag, wenn ich zwei Scheiben Knäckebrot und eine Orange esse, bevor die zweite Schicht beginnt. Erst wenn sie abgeschlossen ist, ergeben sich Variationsmöglichkeiten: Entweder fahre ich mit Viggo in seinem Boot zum Geschäft und kaufe ein, oder ich angele mit einer Rute vom Felsen aus oder mache einen Spaziergang um die Insel – sie ist nicht groß, es dauert zwischen vierzig und fünfzig Minuten, sie einmal zu umrunden. Anschließend mache ich mir etwas zu essen, meistens Fisch, ehe ich mich auf den Stuhl am Fenster setze und lese und Musik höre, bis ich müde genug bin, um zu schlafen.

Vater war ein Gewohnheitsmensch; als ich aufwuchs, konnten wir ihn als Uhr benutzen. Ich verachtete das damals, das Leben sollte nicht reguliert sein wie ein Wasserlauf, sondern frei strömen. Es war nicht nur ungerecht ihm gegenüber, sondern auch ein Missverständnis. Seine Tage wurden eher vom Tageslicht und dem Rhythmus der Tiere reguliert als von der Armbanduhr. Und wahrscheinlich von der Einsicht, dass man in einem regelmäßigen Trott Dinge getan bekam. Das Gegenteil der Gewohnheit, das Überschreitende und Irreguläre, das zur Verliebtheit, zum Rausch und der Kunst gehört, ist Freiheit, aber sie enthält auch immer etwas Destruktives, ist ein brennender Ofen, und damit das Feuer nicht erlischt, muss man mehr und mehr verbrennen, zum Ende hin die Möbel und als Letztes das Haus selbst. Ich glaube nicht, dass Vater das wusste, aber ich denke, er ahnte es. Er muss es zunächst in Liv und danach in mir gesehen und sich davor gefürchtet haben. Furcht kann in einem besonnenen Mann die Gestalt von Missbilligung und Skepsis annehmen und gelegentlich an Verabscheuung grenzen. Dass Vater auf Liv und mich so unterschiedlich reagierte, blieb mir lange unverständlich. Liv wurde von etwas erfasst, vielleicht sah er es so, dass sie daran keine Schuld traf, sondern verführt und am Ende gefangen wurde, wohingegen ich es wollte. Während sie in seinen Augen ein Opfer war, war ich ein Narzisst. Und wie so oft bei Menschen, die an Gewohnheiten gebunden sind, wurde dieser Gedanke zu einer Wahrheit, die durch nichts, nicht einmal durch eindeutige Erfahrungen des Gegenteils erschüttert werden konnte. Livs Lebensstil sorgte in ihrem Umfeld für unendlich viel Unruhe und Furcht, verlangte unendlich viel Fürsorglichkeit und Geduld, eine Fürsorglichkeit und Geduld, für die es weder Belohnung noch Dank gab, sondern nur immer wieder neue herausfordernde Situationen. Dennoch blieb sie ein Opfer, um das sie sich voller Wärme und Liebe kümmerten. Ich dagegen, der ich nicht nur allein zurechtkam, sondern es auch gut machte, ich blieb minderwertig. Was nicht heißt, dass es mir anders lieber gewesen wäre. Wenn ich jetzt genau wie Vater so lebte, dass man die Uhr danach stellen konnte, und erkannte, welchen Wert er darin gefunden hatte, tat ich es mit einem Typ von Erfahrungen, in dessen Nähe er nie auch nur annähernd gekommen war. Die Welt der Kunst wusste er nicht zu schätzen, weil er sie nicht verstand. Wenn ich sie nicht schätzte, lag es daran, dass ich sie nur allzu gut verstand. Zwanzig Jahre war ich geblendet gewesen, aber dann kam die Dunkelheit und jeglicher Sinn ging verloren.

Die Insel liegt weit draußen im Meer, und das Wetter ist hier äußerst wechselhaft, nicht eine Stunde gleicht der anderen. Die Vogelwelt ist vielfältig und veränderlich, Gleiches gilt, wie ich im Laufe der Zeit erkannt habe – nicht zuletzt, nachdem der erste Schnee gefallen war –, für das Tierleben. Ein Otter ist unweit des Hauses unterwegs, abends kann ich sehen, wie er im Licht der Laternen über den Steg läuft und sich mit einem Kopfsprung ins Wasser stürzt, und vor ein paar Wochen, als der Schnee längere Zeit liegen blieb, stellte ich fest, dass er den sanften Felshang hinab eine Rutschbahn für sich angelegt hatte. Im Haus gibt es Mäuse, die sich mittlerweile so an mich gewöhnt haben, dass sie manchmal ins Wohnzimmer kommen, während ich dort lese. Ganz zu schweigen von den Insekten, die im Gras unaufhörlich summten und surrten, als ich ankam, oder den Robben, die ich häufig draußen auf der Schäre sah. Fische kommen und gehen, ich weiß nie, was ich fangen werde, wenn ich mich mit der Angelrute ans Ufer stelle, nur dass es etwas sein wird. Ab und zu stehen Quallen im Wasser am Steg, schwebend wie Sonnen im Weltall. Es gibt auf der Insel zwei Katzen und einen Hund, der nicht selten frei umherstreunt und auch mal ins Haus kommt, wenn die Tür offen steht. Aber die größten Schöpfer von Ereignissen sind natürlich die Menschen – im Nachbarhaus, das fünfzig Meter entfernt steht, wohnen drei, im Haus dahinter einer, darüber hinaus wohnt einer auf dem Dachboden in einem der Bootshäuser am Hafen. Die Fähre, ein kleines Tragflügelboot, legt zwei Mal in der Woche an, gelegentlich steigen ein oder zwei Passagiere aus. Es sind nicht viele Menschen, wenn man bedenkt, dass sieben Milliarden auf der Erde leben, gleichwohl sind es mehr als genug, um die Tage in einem Leben zu füllen. Die Nachbarn, ein älteres Ehepaar und ihr erwachsener Sohn, machen sich jeden Sonntag fein, obwohl es niemanden gibt, der sie sieht. Der Sohn Viggo ist in meinem Alter, hat aber ein mentales Register wie ein Kind. Der Mann in dem Haus dahinter, dem der Hund gehört, ist im gleichen Alter wie das Ehepaar. Sie reden seit dreißig Jahren nicht mehr miteinander. Ich habe noch nicht herausgefunden, was der Grund für ihre Feindschaft ist, aber es fasziniert mich, dass sie so dauerhaft ist. Sie vermeiden jeden Kontakt, aber von Zeit zu Zeit lässt es sich nicht vermeiden, dass sie aneinander vorbeigehen, ich habe es mehrfach beobachtet, sie schauen dann in verschiedene Richtungen. Über den Mann im Bootshaus weiß ich nichts, ich habe ihn ein paar Mal gegrüßt, aber nie mit ihm gesprochen. Er ist zwischen fünfzig und sechzig. Nachts brennt da drüben Licht; ich habe keine Ahnung, was er dann treibt, und keiner der anderen Nachbarn hat mir eine Antwort geben wollen, als ich danach gefragt habe. Darüber hinaus stehen hier mehrere Häuser leer; manche von ihnen werden im Sommer von Familien genutzt, die sie vermutlich irgendwann geerbt haben, genau wie Emil, der Besitzer meines Hauses.

Emil ist reich und lebt in London, und das Haus erwähnte er rein zufällig vor einigen Jahren. Wir unterhielten uns über Norwegen, und er erzählte, die eine Seite seiner Familie stamme von einer Inselgruppe in Westnorwegen, allesamt Fischer, Gott weiß seit wie vielen Generationen. »Ich habe da oben ein Haus«, meinte er, »es gehörte meinem Großvater.« Als ich hörte, dass es leer stand und das alte Fischerdorf weitestgehend entvölkert war, wurde in mir etwas geweckt, und ich begann, ihm Fragen zu stellen, aber eher beiläufig, damit er nicht merkte, wie groß mein Interesse war. Auf die Art erfuhr ich den Namen der Insel, die genaue Lage des Hauses und bekam die Information, dass der Schlüssel im Schuppen unter der Treppe hing. Es war nur ein paar Monate, nachdem ich Jelena kennengelernt hatte, als alles noch vielversprechend aussah und voller Zukunft war, es gab also keinen offensichtlichen Grund, mir das alles zu notieren, wenn man davon absah, dass ich mir schon immer andere Leben vorgestellt habe als mein eigenes, selbst wenn es mir gutging.

Doch nun sitze ich hier. Auch wenn ich es nicht geplant habe, wirkt es geplant, so als wäre ich einer Loipe gefolgt, die ein anderer gespurt hat. Das ist dann wohl das Gefühl, das man Schicksal nennt.

Das Haus war gestrichen, als ich ankam, aber man sah ihm an, dass lange keiner mehr darin gewohnt hatte, so etwas merkt man, wenn man ein Haus betritt. Die Leere schlägt einem gewissermaßen entgegen. Schlimmer fand ich, dass überall Wasser und Wind waren – der Regen klatschte herunter, und die Wellen schlugen knapp unterhalb des Hauses hart und tosend an Land –, und dass ich so desorientiert war. Es war schon dunkel, als das Boot vom Festland ablegte, und ich war nie zuvor in dieser Gegend gewesen, nicht einmal in diesem Teil des Landes. Acht Grad und Regen, das Boot voller Passagiere, Kindergeschrei, Würstchengeruch, der Ton des Fernsehers, fast vollständig übertönt von dem tiefen, monotonen Brummen, das aus dem Rumpf zu kommen schien. Ich war in einer Art Koma, Reisekoma, saß regungslos auf meinem Platz und blickte in die Dunkelheit hinaus, ohne etwas zu sehen und ohne zu denken. Mein Bauch schmerzte, das war die Trauer. Nichts spielte jetzt noch irgendeine Rolle, wirklich alles hätte passieren können, ohne dass es mich interessiert hätte. Dass ich dorthin gelangt war, auf meinen Sitzplatz in dem Boot, unterwegs zur Insel, war deshalb eine Art Wunder. Von der Reise war mir kaum etwas in Erinnerung geblieben,...

Erscheint lt. Verlag 26.3.2025
Übersetzer Paul Berf
Sprache deutsch
Original-Titel Nattskolen (the night school)
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Christopher Marlowe • Doktor Faustus • eBooks • Fotokünstler • Gott • Insel • Literatur • London • MoMA • Moral • Narzisst • Roman • Romane • Skrupellosigkeit • Teufel
ISBN-10 3-641-32412-2 / 3641324122
ISBN-13 978-3-641-32412-4 / 9783641324124
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR)
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von Wolf Haas

eBook Download (2025)
Carl Hanser (Verlag)
CHF 18,55