Strange Village (eBook)
216 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7693-5979-4 (ISBN)
In den Geschichten von Jan Trouw geht es düster und skurril zu. Er versetzt seine Leser gern in Angst und Schrecken. Dabei schlägt der Autor im realen Leben eher ruhige Töne an. Er trällert gern seine Lieblingssongs, schaltet in der Natur einen Gang runter und hat eine Vorliebe für Baseball.
1
Vier Scheinwerfer tasteten sich durch den dunklen Wald und erfassten ein stillgelegtes Gleis. Es tauchte – wie aus dem Nichts – von einer Seite auf, schlug zwei Furchen durch die schmale Straße und löste sich auf der gegenüberliegenden Seite wieder auf. Das Gleis hatte einst den Ort mit der Außenwelt verbunden, doch die Natur war auf dem Vormarsch; und bereit, ihr Enteignetes zurückzuholen. Beim holprigen Überqueren hüpften die Scheinwerfer kurz auf und ab. Erst am Rande des Waldes, nahe dem Ortseingang, gab sich das fauchende Fahrzeug zu erkennen: ein 1978er Cherokee Chief. Die Einsatzleuchte ruhte auf dem Dach, die Funkantenne wackelte bei jeder Unebenheit; und auf der Motorhaube zierte ein Sheriffstern. Das Gefährt war den Nachtgestirnen schutzlos ausgeliefert. Im Lack reflektierte der blutrote Vollmond.
Am Ortseingang erfassten die Scheinwerfer ein heruntergekommenes Schild:
HER L H W LLKO MEN
ie We t hat u s ve gessen!
Die beiden Zusatzscheinwerfer am Kühlergrill erloschen. Sie wurden nicht mehr gebraucht. Andere Lichtquellen zeigten jetzt den Weg. Der helle Strahl des Leuchtturms wanderte gleichmäßig im Kreis umher und holte – wie die Laternen entlang der Straße – die Stadt teilweise aus der Dunkelheit hervor. Abgesehen von ein paar Motten, die um die Laternen schwirrten, wirkte das Städtchen abgeschieden und – tot. Allein das Rauschen des Ozeans, das über die Klippen hinweg zu hören war, trübte die Stille.
Der Sheriff strich mit dem Zeigefinger durch seinen ungepflegten Oberlippenbart. Er müsste diesen mal wieder stutzen, aber die Sorgen, die rund um die Uhr auf ihn einhämmerten, ließen ihn kleine Dinge wie eine Rasur vergessen.
Am Straßenrand poppte die Kirche auf. Das am Kirchenturm hängende Kreuz Christi hatte seine Spitze eingebüßt; es hatte nichts Göttliches mehr an sich. Es glich mehr dem T-Logo einer fiktiven Supermarktkette. Das Mauerwerk des Gotteshauses, das seit Langem keinen Handwerker mehr gesehen hatte, hielt wie ein Wunder zusammen; die einst bunten Fenster waren vergilbt und löchrig. Und die Nachrichtentafel am Eingang hatte schon lange nichts mehr zu vermelden. Keine Buchstaben, Zeichen oder Zahlen schmückten diese. Weder der nächste Gottesdienst noch eine andere gemeinschaftliche Zusammenkunft wurde angekündigt.
Als der dürre Priester aus der Kirche heraustrat, bremste der Ordnungshüter das Fahrzeug auf Schrittgeschwindigkeit herunter. Der Geistliche führte das kleine Kreuz Christi, das an einer feinen Kette vor seiner Brust hing, zu den Lippen und ließ sie miteinander berühren, dann nickte er dem Gesetzeshüter zu. Dieser zeigte jedoch keine Regung und fuhr weiter.
Das Fahrzeug schwebte wie ein Fremdkörper durch den geisterhaften Ort, es folgte dem Verlauf der aufgeplatzten Straße, vorbei an verwilderten Vorgärten und grauen Häusern mit Rissen in den Fassaden.
Als der Cherokee auf den einzigen Laden des Städtchens zufuhr, erfassten die Scheinwerfer eine Frau, die vor dem Geschäft auf einer Hollywoodschaukel saß. Unter ihrem linken Auge zierte eine vertikal verlaufene Narbe. Obwohl das Licht sie blendete, wand sie sich von diesem nicht ab. Erst als der Wagen stoppte, der fauchende Motor verstummte und die Scheinwerfer sich verdunkelten, lockerten sich ihre Gesichtsmuskeln. Sie wirkte apathisch und hilfsbedürftig. Ihre makellose Haut sagte dem Beobachter, dass sie jung war, ihre weißen Haare wiederum eher alt. Und aus ihren Augen sprach das gebrochene Herz.
Der Sheriff wusste um ihr wahres Alter; um ihren Verlust. Es stimmte ihn traurig. Er fühlte ihr nach, denn er wusste, dass der Verlust des eigenen Fleisches und Blutes einem die Lebenskraft rauben konnte; sogar einen Teil der Seele.
Die Öffnungszeit des Ladens war längst überschritten, doch im Inneren brannte Licht. Es fand eine Ratsversammlung statt. Vor langer, langer Zeit hatten diese im Rathaus stattgefunden, aber an dem Tag, an dem der Bürgermeister des einst idyllischen Ortes vom Erdboden verschluckt wurde, verschwand auch das Gebäude. Die wenigen Bewohner, die dem Spektakel beigewohnt und dieses überlebt hatten, verstanden bis heute nicht, was an diesem mysteriösen Tag geschehen war.
In seinen Gedanken versunken, glitt der Sheriff mit den Fingern durch den Oberlippenbart. Sie würden nicht eher zur Ruhe kommen, bis er ihnen die Nachricht übermittelte. Er schnappte sich den Sheriffhut vom Beifahrersitz, stieg aus und befreite den Kühlergrill von Schmutz und Gras. Nicht, weil es ihn störte, sondern um Zeit zu gewinnen. Die Ratsmitglieder würden schon früh genug erfahren, was geschehen war.
Er ging auf die Frau auf der Hollywoodschaukel zu und legte seine Hand auf ihre Schulter. Beim Blick in seine traurigen Augen senkte sie enttäuscht den Kopf. Dann widmete er sich der lebhaften Diskussion im Laden. Anstatt hineinzugehen, stellte er sich neben die leicht geöffnete Tür und lauschte. Jede einzelne Stimme war gut zu verstehen; und ihm vertraut. Die Ratsmitglieder waren so sehr in ihrem Schlagabtausch vertieft, dass sie seine Ankunft nicht bemerkt hatten.
„Das schaffen die nie! Das hat noch niemand bisher!“, sagte eine dünne Stimme. Sie gehörte Mr. Smith. Seine Frau und er führten den Laden. „Das nimmt einfach kein Ende.“
„Wo bleibt eigentlich unser so großartiger Sheriff?“, fragte Mr. Wooter, der Chef der Holzfällertruppe. Sein tief aggressiver Ton war furchteinflößend.
„Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben“, hielt eine weibliche Stimme dagegen. Ihr Klang erwärmte das lauschende Sheriffherz.
„Samantha hat Recht. Eines Tages wird er dermaßen beschäftigt sein, dass er abgelenkt ist, und wir …“
Der Sheriff hatte genug gehört. Er schlich sich um das Gebäude, zum dahinter gelegenen See, in dem sich der Vollmond spiegelte. Die Bilder gingen ihm nicht aus dem Kopf. All die Jahre, seit Bürgermeister Mounte-Pennys Verschwinden, hatte er einiges mit ansehen müssen, aber die letzten Zwischenfälle nahmen perversere Dimensionen an.
Diesmal war es ein 1986er Ford Taurus Wagon. Der Kombi hatte den Raimonds gehört, ein junges Pärchen aus Chicago. Sie waren letzte Nacht panikartig davongefahren, nachdem sie ihren Wagen frisch repariert zurückbekommen hatten. Mr. Baker hatte noch versucht, sie von ihrem Vorhaben, nach Hause zu fahren, abzubringen, doch Mr. Raimond hatte erwidert: „Tut mir leid, Mr. Baker. Der Ort bringt uns um. Wir fahren. Haben Sie vielen Dank für alles.“
Der Sheriff spielte mit dem Hut in seinen Händen, machte sich Vorwürfe. Aber was er hätte er tun sollen? Wäre er ihnen gefolgt, würde er jetzt – wie das Pärchen – verstreut im Wald herumliegen und nicht hier am See grübeln. Auch ihn hätte es erwischt. Vielleicht aus Versehen, vielleicht auch nicht. Auf jeden Fall tot. Er musste endlich eine Lösung finden, damit all das aufhörte.
Wie buntes Konfekt hatten die auseinandergerissenen Gliedmaßen und Innereien der Raimonds auf dem Waldboden gelegen; wie auch Teile des Kombis. Ein Pfad der Verwüstung. Sheriff Baker hatte den Unfallhergang anhand der Spuren rekonstruiert. Der Wagen hatte mehrere Bäume gestreift und dabei Karosserieteile verloren. Ein großer Baum war am Ende ihre Erlösung. Der Stahl hatte ihre Knochen durchbohrt, und der warme Motor sich mit ihren Körpern verschmolzen. Die Armatur hatte ihre Beine zerquetscht, und die Frontscheibe ihre Gesichter zu einem mosaikartigen Gebilde zerschnitten.
Der Sheriff war sich sicher: Die Dampflok hatte die Raimonds ohne Vorwarnung erfasst und in die Dunkelheit des Waldes mitgeschliffen.
„WAS?!“
Der Sheriff erschrak. Sein Hut landete im Gras. Es durchfuhr ihn kalt über den Rücken. Irgendjemand hatte ohne Vorwarnung seine linke Schulter berührt.
„Entschuldigen Sie, Sheriff, ich wollte Sie nicht erschrecken“, sagte eine männliche Stimme hinter ihm.
„Ist Ihnen aber gelungen, Vater!“ Schwer atmend, verstärkt durch den festanliegenden Gürtel, der sich in seinen Bauchansatz drückte, bückte sich Mr. Baker nach unten, griff nach seinem Hut und setzte ihn sich auf.
Der dürre Priester, dessen Gesicht durch einen schwarzen Hut verborgen blieb, stellte sich neben ihn. Beide blickten auf den See.
„Sie waren so sehr in Ihren Gedanken versunken, dass Sie meine Vorwarnung nicht gehört haben.“
„Woher wussten Sie, dass ich …?“
„Dass Sie hier sind? Bei meiner Ankunft habe ich Ihren Wagen vor dem Laden parken sehen, Sie aber nicht in der Ratsrunde erblickt. Somit wusste ich, wo ich Sie zu finden habe. Das machen Sie immer, wenn Sie ein wenig Zeit für sich brauchen, ehe Sie … zu uns stoßen. Sie stehen dann gern hier, atmen einmal durch und verkünden uns sodann die schlechten Nachrichten.“
„Sie hätten das Ausmaß im Wald sehen sollen, Mr. Medley. Ich werde mich nie daran gewöhnen. Das ist kein Kinderspiel mehr.“ In Mr. Bakers Kopf spukten immer wieder die Bilder vom Tatort umher.
Priester Medley legte seine Hand auf Mr. Bakers Schulter. „Kommen Sie, die...
| Erscheint lt. Verlag | 25.10.2024 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | abgelegener Ort • Amerikanische Thriller-Krimis • atmosphärische Spannung • bücher thriller und psychothriller • Bücher über düstere Geheimnisse • Dorf • Geheimnisvolles Kind Thriller • Geheimnisvolle Thriller • Hopeville • Kind • Kinderlied • Kleinstadt-Mystery Maine • Kleinstadt-Romane spannend • Ländliche Spannungsliteratur • Luke Vremdalleen • Mystery-Geschichten in Kleinstädten • Mystery-Thriller • Mystery, Thriller & Spannung • psychologische Spannung • Psychothriller bücher • Regionale Thriller • Regionale Thriller mit Spannung • spannende Bücher für Erwachsene • Spannende Psycho-Thriller • Spannender Psychothriller Bücher Deutsch • Spannung im ländlichen Amerika • Spannung mit Wendungen • Spannungsroman Deutsch • Thriller dunkles geheimnis • Thriller dunkles Geheimnis Vergangenheit • Thriller Hochspannung • Thriller mit Spannung • Thriller über Übernatürliches • Übernatürlicher Psycho-Thriller • unglaubliche Twists |
| ISBN-10 | 3-7693-5979-8 / 3769359798 |
| ISBN-13 | 978-3-7693-5979-4 / 9783769359794 |
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