Mord in den Chianti-Hügeln (eBook)
320 Seiten
HarperCollins eBook (Verlag)
978-3-7499-0877-6 (ISBN)
Sandra Wolff hat ihren Beruf als Kriminalkommissarin in Hamburg St. Pauli aufgegeben, um sich in der Toskana mit einem eigenen Yogastudio niederzulassen. Nun genießt sie das Leben in Poggibonsi zwischen den Chianti-Hügeln. Aber nur so lange, bis sie auf ihrer abendlichen Joggingrunde eine Leiche findet. Eine Winzerin, die an ihren Yoga-Kursen teilgenommen hat. Auch für Commissario Figallo ist die Tote keine Unbekannte. Deshalb fällt es ihm schwer, einen kühlen Kopf zu bewahren. Zusammen mit Sandra Wolff verbeißt sich Daniele Figallo in den verzwickten Fall, und das ungleiche Ermittlerpaar blickt tief in die menschlichen Abgründe hinter der Hochglanzfassade einer traditionsreichen Winzerfamilie.
<p>Hinter dem Namen Gianni Borsa verbirgt sich Jens Burmeister, der mehr als 25 Jahre in der Forschung arbeitete, bevor er sich als Autor selbstständig machte. Er schreibt Kriminalromane, Wein- und Reiseführer und bloggt regelmäßig über Wein. Der Autor wohnt in Leverkusen und Göttingen. Den Urlaub verbringt er seit Jahren bevorzugt in Italien.</p>
1. Kapitel
»Alla prossima«, bis zum nächsten Mal, sagte Sandra Wolff und verabschiedete die rothaarige Frau in den mintgrünen Yogapants. Sie verließ den Raum als die letzte der Kurs-Teilnehmerinnen. Sandra rollte die dünnen schwarzen Matten ein, legte sie in das Regal zurück und ging zum Computer, um ihn herunterzufahren. Sie nahm das Headset ab und platzierte es neben dem Laptop. Während der Corona-Pandemie hatte es sich eingebürgert, dass sämtliche Kurse per Zoom übertragen wurden. Einige hatten sich so sehr an das Online-Training gewöhnt, dass sie sich immer noch regelmäßig aus ihren Wohnungen zuschalteten. Die Teilnehmer ihrer Kurse waren ausnahmslos weiblich. Bis heute hatte sich kein einziger Mann in das Studio in der Altstadt von Poggibonsi verirrt. Vielleicht war die Zeit noch nicht reif dafür.
Sie schloss die Fenster, die sie mit bunter Folie beklebt hatte, um neugierige Blicke in das kleine Studio draußen zu halten. Sie trat auf den Gehsteig, zog die Tür zu und drehte den Schlüssel dreimal im Schloss.
Jetzt kam auch Angelo aus seinem Geschäft nebenan. Er war Mitte sechzig und hatte seine dünnen gefärbten Haare kunstvoll so um den Kopf drapiert, dass sie auf den ersten Blick voll erschienen. Sein mächtiger Bauch verriet, dass er mit Leib und Seele Pasticciere war. Er schlug das Eisengitter seines Ladens zu und schloss ab. Bei ihm war schon mehrfach eingebrochen worden. Als Sandra anhob, ihn zu grüßen, drehte er den Kopf weg, brummte etwas Unverständliches und entfernte sich so schnell, wie es sein Gewicht ihm erlaubte.
Sandra schaute ihm kopfschüttelnd hinterher. Wann würde dieser Mann, der Kunden gegenüber so liebenswürdig sein konnte, sich endlich wieder normal verhalten? Natürlich wusste sie, warum er sie so behandelte. Als sie vor zwei Jahren mit Giulio von Hamburg nach Poggibonsi gezogen war, waren beide von dem Standort begeistert gewesen. Giulios Tante, die Sandra sofort ins Herz geschlossen hatte, musste den Gemüseladen aus Altersgründen schließen. Und einen Nachfolger gab es nicht. Nur einen Interessenten, der seine Pasticceria vergrößern wollte. Nämlich Angelo. Aber der Pasticciere ging leer aus, und Sandra und Giulio bauten den Negozio in ein Yogastudio um. Viele hatten sie damals belächelt, hinter vorgehaltener Hand hatte man Wetten darüber abgeschlossen, wie lange das Studio sich halten würde und wann Angelo übernehmen könnte.
Aber dann war alles anders gekommen.
Wenige Tage nachdem sie das Studio eröffnet hatten, war Giulios Tante gestorben. In ihrem Testament hatte sie verfügt, dass ihr Neffe und Sandra die Immobilie zu gleichen Teilen erben würden. Sie überwanden ihre Trauer über den schmerzhaften Verlust, richteten sich in ihrem neuen Leben ein. Aber Giulio trat das zarte Pflänzchen ihres Glücks mit den Füßen. Als Sandra ihn eines Abends mit einer seiner Freundinnen in ihrem gemeinsamen Schlafzimmer überraschte, zahlte sie ihn aus und jagte ihn zum Teufel.
Jetzt lebte Giulio in Lucca, weit genug weg von ihr. Aber das Studio, das florierte. Immer mehr Frauen zeigten Interesse an ihren Yogakursen, und die meisten von ihnen wurden Stammkundinnen. Wenn der Preis für diesen Erfolg war, dass Angelo Sandra nicht grüßte, dann konnte sie damit leben. Es hielt sie nicht davon ab, dann und wann eine Tüte Ricciarelli di Siena bei ihm zu kaufen. Er reagierte jedes Mal völlig überrascht und war unfähig, mit ihr zu sprechen. Aber seine Mandelkekse waren einfach zu köstlich. Und Sandra genoss es, ihren Nachbarn sprachlos zu machen. Ein weiteres Schmunzeln huschte über ihr Gesicht. Es gab doch diese Standardfrage nach der Schwäche, die in Vorstellungsgesprächen so gern gestellt wurde. Würde sie jemals wieder in eine solche Situation kommen, würde sie Angelos Ricciarelli nennen. Das war erstens harmlos und zweitens ehrlich.
Sie entriegelte den rot lackierten Fiat Ducato Camper, den sie aus Hamburg mitgebracht hatte und stets neben dem Studio parkte. Giulio und sie hatten den Kastenwagen kurz nach ihrem Kennenlernen gebraucht gekauft und ein paar Umbauarbeiten daran vorgenommen. Dann waren sie durch ganz Europa damit herumgetourt. Bei ihrer ersten Reise in die Toskana hatte es sofort gefunkt, und beiden war klar gewesen, dass sie hier hinziehen würden. Nach dem Ende ihrer Beziehung hatte Sandra ihm seine Hälfte des Autos abgekauft. Das Auto. Ein weiteres Mal musste sie grinsen. So ein Camper war manchmal praktisch. Meist aber war er ein Hindernis, wenn sie etwa durch die schmalen Straßen der Chianti-Hügel fuhr. Oder wenn sie sich in das Zentrum eines der winzigen Dörfer zwängte, die ohnehin nicht für den modernen Autoverkehr gemacht waren.
Bevor sie einstieg, schrieb sie auf ihrem Handy eine kurze Nachricht an Giovanna, damit diese wusste, dass sie sich auf den Weg gemacht hatte. Dann stieg sie auf den Fahrersitz und ließ den Dieselmotor an.
Wenig später hatte Sandra das Fußballstadion von Poggibonsi erreicht, von wo ihre Joggingrunde beginnen würde. Erfreut registrierte sie, dass direkt vor dem Zaun ein geräumiger Parkplatz frei war. Einparken war keine ihrer Stärken. Noch etwas, was sie in einem fiktiven Vorstellungsgespräch erwähnen könnte. Oder besser nicht? Ein potentieller Arbeitgeber könnte womöglich daraus den Schluss ziehen, dass ihr räumliches Vorstellungsvermögen begrenzt war. Es gelang ihr, den Camper rückwärts einzuparken und vor dem Maschendrahtzaun zum Stehen zu bringen. Sie stellte den Motor ab und sprang vom Fahrersitz. Ein kurzer Blick auf ihre Smartwatch zeigte ihr, dass Giovanna ihre Nachricht noch nicht gelesen hatte.
Sie nahm ihre Laufschuhe aus dem Camper und tauschte die Birkenstocksandalen damit aus. Vom vorherigen Yogakurs fühlte sie sich noch aufgewärmt und gut durchblutet. Deshalb reichten ein paar einfache Stretching-Übungen, um Verletzungen und dem morgigen Muskelkater vorzubeugen.
Dann lief sie los.
Ihr Weg führte sie auf dem Radweg, der Pista Ciclabile, um Poggibonsi herum. Sie kam in einen ruhigen und gleichmäßigen Trab, der sie nur wenig anstrengte. Sandra kannte die zwölf Kilometer lange Strecke in- und auswendig. Das Laufen machte ihren Kopf frei. Sie verfiel in einen gedankenlosen Automatismus, in dem sie weder die wärmenden Strahlen der Abendsonne in ihrem Nacken noch die entgegenkommenden Radfahrer und Jogger bewusst wahrnahm. Als sie das rot geklinkerte Sportzentrum der Unione Polisportiva erreicht hatte, bog sie auf eine schattige Allee ab, die sie heraus aus Poggibonsi in die Hügel führen würde. Sie lief über eine Brücke, die den Autobahnzubringer überquerte, dann ein Stück parallel zur Straße. Von nun an würde es kontinuierlich bergan gehen, bis sie das Castello di Strozzavolpe, malerisch auf einem Hügel gelegen, erreichte. Am Straßenrand standen die Zypressen schlank, aufrecht und wohlgeformt in Reih und Glied. Nach einer Biegung Richtung Südosten wurde der Autoverkehr leiser, und der erste dicht belaubte Weinberg tauchte vor ihr auf. Sie lief langsamer, musterte die noch grünen Trauben und schaute auf ihre Uhr. Sie lag gut in der Zeit. Mit Giovanna hatte sie verabredet, dass sie sich kurz hinter Cedda treffen würden. Die Winzerin würde ihr entgegenkommen, und gemeinsam würden sie dann zurück nach Poggibonsi laufen. So konnte Giovanna von ihrem Weingut aus loslaufen, das nahe der Strecke lag. Und außerdem musste sie, die weniger trainiert als Sandra war, nur die Hälfte des Weges zurücklegen.
Sie würden dann im Yogastudio duschen und anschließend in der Antica Osteria etwas essen gehen. Sandra freute sich auf den Abend. Giovanna kam bereits seit einem Jahr in ihr Studio. Bis auf ein, zwei freundliche Sätze hatten sie sich bislang nicht unterhalten. Vor einer Woche aber waren sie sich abends zufällig auf der Joggingrunde begegnet. Entgegen ihrer Gewohnheit war Sandra stehen geblieben und hatte sich auf ein Gespräch mit ihrer Schülerin eingelassen. Die Winzerin schien bedrückt. Und weil Sandra überhaupt nichts dagegen hatte, ihren Freundeskreis zu erweitern, der in Poggibonsi immer noch sehr übersichtlich war, hatte sie vorgeschlagen, gemeinsam zu joggen.
Sandra hatte mittlerweile den höchsten Punkt der Strecke erreicht, der bei Cedda lag, an dem sie jedoch auf einem staubtrockenen Feldweg vorbeigerannt war. Sie bog auf die Strada Regionale ein. Nun schien ihr die untergehende Sonne ins Gesicht, sie spürte die Wärme vom Asphalt aufsteigen und begann, während sie bergab lief, nach Giovanna Ausschau zu halten. Der Abhang rechts neben ihr war steil, ein Schild warnte vor Steinschlag, die Kurve vor ihr war nur schwer einzusehen.
In diesem Moment erschreckte sie ein aufheulender Motor. Kurz darauf schoss ein dunkler Kastenwagen mit hoher Geschwindigkeit um die Ecke. Sandra erhaschte den Blick auf einen Mann mit tief ins Gesicht geschobener schwarzer Basecap und Sonnenbrille am Steuer. Um den Mund hatte er ein Tuch geschlungen. Sie hielt sich eng an der Mauer, die den Abhang sicherte, lief langsamer, spürte die Druckwelle des vorbeifahrenden Autos und drehte sich um. Jetzt war es zu spät, das Kennzeichen zu erkennen. Das wäre ihr in ihrer Hamburger Zeit nicht passiert.
Verärgert beschleunigte sie ihren Lauf. Anfängerfehler, dachte sie. Aber warum eigentlich? Sollte sie den vermummten Fahrer wegen Fahrens mit überhöhter Geschwindigkeit anzeigen? Ein absurder Gedanke. Die Mühe, deswegen zur Carabinieri-Station zu fahren, würde sie sich kaum machen.
Hinter der Kurve wurde sie allmählich nervös, weil von Giovanna immer noch jede Spur fehlte. Sie passierte...
| Erscheint lt. Verlag | 25.3.2025 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
| Schlagworte | 2025 • Alexander Oetker • Buch • Chianti • Ermittlerduo • Hamburg • Italien • ItalienKrimi • Jean-Luc Bannalec • Jens Burmeister • Krimi • Kriminalroman • Neuerscheinung • Pietro Bellini • poggibonsi • Polizeidienst • Prato • Private Ermittlerin • St. Pauli • Toskana • Toskanakrimi • Urlaub • Urlaubskrimi • weibliche Ermittlerin • Wein |
| ISBN-10 | 3-7499-0877-X / 374990877X |
| ISBN-13 | 978-3-7499-0877-6 / 9783749908776 |
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