Kölnisch Wasser (eBook)
224 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
9783841235923 (ISBN)
Hauptkommissar Jan Schiller wird frühmorgens zum Rheinauhafen gerufen. Eine Leiche soll dort im Wasser treiben, doch was man herausfischt, ist nicht mehr als ein Holzbein, das offenbar zu einer sehr alten Puppe gehört. Wenig später aber wird ein echter Mord gemeldet. In einem Apartmenthaus in Köln-Mülheim wurde die junge Prostituierte Eva Engels erschossen aufgefunden. Doch nicht nur Schiller will den Mord aufklären, sondern auch Evas faszinierend schöne Schwester Ellen. Während Schiller noch versucht, ihr den gefährlichen Alleingang auszureden, wird der engste Freund der Toten erhängt in seiner Wohnung entdeckt ...
Reinhard Rohn wurde 1959 in Osnabrück geboren und ist Schriftsteller, Übersetzer, Lektor und Verlagsleiter. Seit 1999 ist er auch schriftstellerisch tätig und veröffentlichte seinen Debütroman 'Rote Frauen', der ebenfalls bei Aufbau Digital erhältlich ist.
Die Liebe zu seiner Heimatstadt Köln inspirierte ihn zur seiner spannenden Kriminalroman-Reihe über 'Matthias Brasch'. Reinhard Rohn lebt in Berlin und Köln und geht in seiner Freizeit gerne mit seinen beiden Hunden am Rhein spazieren.
1.
Therese hatte die Leiche entdeckt und ihn angerufen. Was tat eine zweiundachtzigjährige Hebamme morgens um sieben am Schokoladenmuseum? Als Jan Schiller auf der Brücke vor dem Museum hielt, saß Therese auf der Treppe und winkte ihm fröhlich zu. Sie trug wie immer ihren babyblauen Wollmantel. Ein Streifenwagen war schon vor Ort, wie Schiller mit einem raschen Blick feststellte. Zwei Beamte standen auf der Brücke und schauten ihm entgegen.
»Die Wasserschutzpolizei ist informiert«, erklärte ihm der ältere der beiden, den Schiller vom Sehen kannte.
»Ist der Tote ein Mann oder eine Frau?«, fragte Schiller.
Er war müde. Bis nachts um drei hatte er mit Carla diskutiert. Sie hatte ihn gebeten, sich eine eigene Wohnung zu suchen. Er sollte die zwei Wochen nutzen, die sie mit einer Gruppe straffällig gewordener Jugendliche auf einem Segelschiff auf dem Mittelmeer verbringen würde. Seinen Schrecken hatte er sich nicht anmerken lassen. Gut, die letzten Wochen hatten sie sich kaum gesehen, und wenn, hatten sie fast nur geschwiegen. Aber dass er ausziehen sollte … Wie kam sie dazu, so etwas von ihm zu verlangen? Nach dem Schrecken war der Zorn gekommen und hatte sich tief in ihn hineingefressen.
»Ehrlich gesagt, wissen wir es nicht«, antwortete der ältere Polizist. »Wir warten auf die Kollegen …«
Therese schob sich heran und strich Schiller über die Wange. »Jan«, sagte sie zärtlich, als hätte sie ein kleines Kind vor sich, aber für sie war er immer noch der Junge, der mit vierzehn seine Eltern verloren hatte und um den sie sich kümmern musste. »Da ist dieses fahle Bein – hat mich ganz schön erschreckt.«
»Wieso läufst du morgens um sieben am Rhein herum?«, fragte Schiller ein wenig vorwurfsvoll.
Therese lächelte, ihr Gesicht hinter der viel zu großen Brille legte sich in Falten. »Hatte heute Nacht einen Notfall in der Südstadt, und dann habe ich mir gedacht, ich sehe nach, ob du vielleicht an deinem Boot bist. Ich habe mir plötzlich gewünscht, mit dir eine kleine Ausfahrt zu machen, und außerdem …« Sie kicherte. »Neulich nachts habe ich Stiche in der Brust gehabt und mir überlegt, dass es Zeit für ein Testament ist. Ich werde im August dreiundachtzig«, fügte sie mit ernster Stimme hinzu.
»Du bist meinetwegen hier am Yachthafen?«, fragte Schiller ungläubig.
Therese nickte. Hinter ihr kam ein zweiter Polizeiwagen heran. Vom Rhein näherte sich ein Polizeiboot.
»Und dann hast du die Leiche gesehen?«, fragte Schiller weiter.
Die alte Hebamme war äußerst umtriebig, sie kannte in Köln Gott und die Welt, aber dass sie möglicherweise Zeugin in einem Mordfall war, war bisher noch nicht vorgekommen.
»Ich habe nur dieses Bein gesehen, das da im Wasser trieb.« Sie deutete in den Hafen, in dem auch Schillers eigenes kleines Motorboot lag, das er aber kaum noch benutzte. Vor einigen Jahren hatte er es aus einer Laune heraus gekauft. Tatsächlich machte es den Kopf frei, den Fluss hinaufzufahren und das Gesicht in den Wind zu halten. Leider kam er selten dazu. Er hatte noch ein paar andere Vorlieben, Tango tanzen etwa oder Marathon laufen. Auch das hatte Carla ihm vorgeworfen.
Schiller trat an das Geländer und starrte auf das Wasser hinunter, jedoch ohne etwas zu entdecken. Das Polizeiboot war mittlerweile herangekommen. Ein Beamter grüßte von Deck zu ihm herauf.
»Ein Toter im Wasser?«, fragte Schiller.
»Hinten an den Booten!«, rief der uniformierte Polizist neben ihm.
»Bleib bitte hier und warte auf mich.« Schiller strich Therese über den Arm. Dann lief er zur Uferstraße und sprang in den Hafen hinunter. Kleinere Yachten lagen hier, einige Plätze waren auch für Gäste reserviert, die eine Rheintour machten und für ein, zwei Tage anlegten. Eine Leiche war an dieser Stelle allerdings schon länger nicht mehr gefunden worden.
Schiller winkte das Polizeiboot heran, um an Bord gehen zu können.
»Na, hat sich da einer ins Wasser gestürzt – oder hat die Alte vielleicht einen Wassergeist gesehen?«, fragte der Beamte lächelnd.
»Die Alte hat bessere Augen als wir beide«, erwiderte Schiller unfreundlich. Dann ging er zum Bug und blickte auf das grünliche Wasser.
Der Beamte trat mit einer langen Stange in der Hand neben ihn.
»Seid ihr blind?«, rief Therese von der Brücke. »Genau vor euch treibt das Bein.«
Sie schien tatsächlich Adleraugen zu haben.
Der Polizist tauchte die Stange ins Wasser ein. Hatte er etwas entdeckt? Schiller kniff die Augen zusammen. Die Müdigkeit machte ihm zu schaffen. Nichts hätte er nun dringender gebraucht als einen starken schwarzen Kaffee. In knapp zwei Stunden ging Carlas Maschine nach Nizza. Er hatte versprochen, zum Flughafen zu kommen.
»Da treibt tatsächlich etwas«, sagte der Mann von der Wasserschutzpolizei. »Nehmen Sie die Stange mit dem Netz!« Er deutete hinter sich.
Schiller brauchte einen Moment, um zu kapieren, dann griff er nach einer anderen Metallstange. Wasser war ein schwieriger Tatort, fiel ihm ein, bestens geeignet, um Spuren zu verwischen.
»Ein Bein!«, rief der Polizist. »Mehr kann ich nicht entdecken.« Er stieß einen länglichen Gegenstand an, der daraufhin auf sie zutrieb und ein paar kleine Wellen schlug.
Schiller brauchte drei Versuche, um den Gegenstand einzufangen. Ein Bein – tatsächlich, aber nichts sonst.
Der Polizist half ihm, ihren Fund an Bord zu schaffen. Wasser pladderte aus dem Netz, aber was sich darin verfangen hatte, war unzweifelhaft ein halbes Bein, sauber unterhalb des Knies abgetrennt. Grober brauner Stoff umgab das Bein, und der Fuß, anscheinend ein rechter, steckte in einer schwarzen, unmodernen Gamasche.
Ratlos blickte der Polizist Schiller an. »Was ist das?«, fragte er. »Hat hier jemand Leichenteile versenkt?«
Schiller zuckte mit den Achseln und streifte sich Latexhandschuhe über.
Nun kam auch der zweite Kollege, der das Boot gesteuert hatte, neugierig heran. Stilecht trug er eine Mütze. »Falscher Alarm?«, fragte er.
Schiller beugte sich über das Bein. So einen Schuh hatte er noch nie gesehen. Niemand trug heutzutage Gamaschen. Als er den groben Stoff der Hose anhob, brach er plötzlich in ein lautes Lachen aus.
»Da will uns jemand zum Narren halten!«, rief er.
Das Bein war aus Holz, das eine helle Färbung angenommen hatte, und hatte wahrscheinlich zu einer Puppe gehört, die jemand ins Wasser geworfen hatte. Als er es drehte, entdeckte er eine kleine Metallplatte, die man ihm umgeschnallt und die sich in den groben Wollstoff gedrückt hatte.
»Kölner auf die Barrikaden«, stand in groben Druckbuchstaben da. Was sollte das Ganze? Schiller war mehr erstaunt als verärgert. Auch wenn es sich um einen makaberen Scherz handelte, würde er veranlassen, dass das Bein aufs Präsidium gebracht wurde. Einen Bericht würde er auch schreiben müssen. Vielleicht war das Bein auch irgendwo gestohlen worden – aus einem Museum oder aus einer Schule.
Dr. Schroeter, der in einem weißen Audi angefahren kam, wirkte sogar ein wenig enttäuscht, als Schiller ihm das falsche Bein entgegenhielt.
»Schade«, sagte der Rechtsmediziner, ein sportlicher Mittdreißiger, der selbst bei der Arbeit in seiner Ärztekluft immer elegant wirkte. »Ein echtes abgetrenntes Bein – das wäre eine richtige Herausforderung gewesen.«
Therese baute sich vor ihm auf und ließ ihn ihre Lymphknoten abtasten, von denen sie meinte, dass sie geschwollen seien.
Schroeter lächelte. »Eigentlich sind meine Patienten eher Tote, bei Ihnen will ich aber gerne eine Ausnahme machen.«
Therese kicherte, während Schroeter sich ihren Hals besah. Sie war keine Spur abergläubisch. Wer jeden Tag mindestens eine halbe Stunde betete, war offenbar gegen alles gefeit. Schiller kannte niemanden in dieser Stadt, der seinen katholischen Glauben so fröhlich lebte wie die alte Hebamme. Wenn sie ausnahmsweise einmal nichts zu tun hatte, konnte sie halbe Tage im Dom verbringen, rückte von Bank zu Bank vor, um am Ende unterhalb des Richter-Fensters zu sitzen und dem Farbenspiel zuzusehen, das Licht und Sonne hinter dem Fenster trieben.
Als sein Telefon klingelte, sah Schiller, dass...
| Erscheint lt. Verlag | 1.10.2024 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Jan Schiller ermittelt |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
| Schlagworte | Bestseller 2024 • Köln • Krimi • neuerscheinung 2024 • Regionalkrimi • Ruhrgebiet • Ruhrpott • Thriller |
| ISBN-13 | 9783841235923 / 9783841235923 |
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