Märchen aus der 1002. Nacht (eBook)
256 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7597-1751-1 (ISBN)
Brigitta Lange hat 30 Jahre als Buchhändlerin im westlichen Ruhrgebiet Geschichten verkauft. Da lag es nahe, dass sie irgendwann begonnen hat, Geschichten, die sie auf Reisen erzählt bekam, aufzuschreiben.
König Salomon und die Fee Chiwasahade
König Salomon war ein glücklicher Mann und Herrscher. Sein Land lebte in Frieden mit den Nachbarn, die Böden waren fruchtbar, die Menschen mussten weder darben noch Hunger leiden, seine Frauen vertrugen sich miteinander und schenkten ihm Jahr um Jahr Nachkommen. Sein Gott schien ihm durchaus gewogen zu sein. Doch auch der glücklichste Mann wird eines Tages Dinge erleben, die sein Leben in Unordnung bringen und womöglich zum Schlechteren wenden. So auch Salomon.
In einem fernen Land weit im Osten hatten Kaufleute auf dem Sklavenmarkt eine wunderschöne Fee mit Namen Chiwasahade in ihren Besitz gebracht. Da sie am Geburtstag des großen Königs in seine Stadt zurückkehrten, überlegten die Männer hin und her, was wohl ein passendes Geschenk für ihren Herrscher sein möge, und verständigten sich darauf, ihm die Fee zu schenken, da sie sich ohnehin nicht einigen konnten, wer von ihnen sie in seine Obhut nehmen sollte.
Salomon empfing die fünf Kaufleute in seiner Audienzhalle und war erfreut über die Zuneigung und Wertschätzung, die sich in ihrem Geschenk zeigte. Er bewirtete sie aufs großzügigste, lauschte ihren Berichten von Reisen in ferne Länder und beschenkte jeden von ihnen zum Abschied mit einem wachteleigroßen Rubin.
Die Fee Chiwasahade hatte die ganze Zeit abseits gesessen, ihr Antlitz mit einem feinen Schleier verhüllt. Nun wandte sich Salomon ihr zu und bat sie, den Schleier fortzunehmen. Sie kam seinem Wunsch ohne Zögern nach und bei ihrem Anblick stockte ihm beinahe das Herz, so als habe ihn ein Blitz getroffen. Nie hatte er eine schönere Frau gesehen und in ihm wuchs Begehren. Doch Chiwasahade bat ihn, sich zurückziehen zu dürfen, da sie erschöpft von der langen Reise sei.
Salomon gewährte ihr die Bitte, bestand aber auf ihrer Anwesenheit bei einem Festmahl mit Unterhändlern aus Persien am darauffolgenden Abend.
Das Gastmahl verlief überaus zufriedenstellend und alle Gäste lobten die Anmut und Gewandtheit der Fee, die die Gesellschaft mit amüsanten Berichten unterhielt. Und wieder bat die Fee, nachdem die Gesellschaft sich aufgelöst hatte, sich zurückziehen zu dürfen, sie habe sich noch nicht ganz von den Anstrengungen der letzten Wochen erholt.
Von Stund an ging das jeden Abend so. Chiwasahade unterhielt Salomons Gäste, doch ihm entzog sie sich mit vielerlei Ausreden.
Salomon begehrte die Fee von Tag zu Tag mehr. Er konnte kaum noch den Blick von ihrer Schönheit, ihrer schimmernden Haut, ihren großen Augen und den feinen Gesichtszügen wenden. Immer öfter bemerkte sein Hofstaat, dass er bei Gesprächen abwesend war. Er wirkte müde und erschöpft, was daran liegen mochte, dass seine ungestillte Sehnsucht nach Chiwasahade ihm den Schlaf raubte. Immer häufiger war er ungehalten, aufbrausend, manchmal sogar ungerecht. Seine Diener begannen, hinter der vorgehaltenen Hand zu murren, denn Salomon war immer ein gerechter, gütiger Dienstherr gewesen, der niemals seine schlechte Laune an seinen Untergebenen ausgelassen hatte.
Dieser neue Herr war ihnen vollkommen fremd.
Salomons Kanzler und sein Schatzmeister waren zunehmend beunruhigt, denn sie fürchteten sich vor den Folgen, sollte sich die Laune ihres Königs weiter verschlechtern. Irgendwann würde Salomon womöglich einen Gesandten oder Gast beleidigen mit seiner stetig übler werdenden Laune.
Und so fassten sich die beiden Männer ein Herz und ersuchten ihren Herrn um eine Audienz. Beide waren nicht überaus mutig und sie fürchteten den Zorn ihres Königs, doch zu ihrer Erleichterung hörte Salomon ihnen in aller Ruhe zu. Als sie ihre Bedenken und Befürchtungen vorgetragen hatten, dachte Salomon eine ganze Weile nach und sagte dann:
„Ich danke Euch für Eure Offenheit, die mir deutlich macht, wie sehr ihr Euch um mein Reich und mein Volk und mein persönliches Wohlergehen sorgt. Ja, ich bin in letzter Zeit oft ungehalten, ungeduldig, abwesend und mit meinen Gedanken in weiter Ferne. Ich finde kein Mittel dagegen, solange sich die Fee Chiwasahade, die ich als Geschenk der fünf Reisenden erhielt, mir entzieht. Ich begehre sie, doch sie verweigert sich mir. Und zwingen will ich sie nicht. Was soll ich tun?“
Den Kanzler und den Schatzmeister dauerte die Verzweiflung ihres Herrn und so wagte der Kanzler, folgenden Vorschlag zu äußern:
„Mein König, solange Ihr Chiwasahade vor Augen habt, werdet Ihr Eures Lebens nicht mehr froh. Ich rate Euch also, sie fortzuschaffen, denn ist sie erst einmal aus Euren Augen, so wird das Begehren nachlassen und Ihr findet Eure Ruhe wieder.“
Natürlich dachte der Kanzler bei dem Wort fortschaffen an töten, aber Salomon wünschte der Fee nicht Übles. Und so rief er Ras-Chiwadar, einen riesenhaften, braun gebrannten Dschinn, stark wie ein Tiger, der Salomon seit je her zu absolutem Gehorsam verpflichtet war. Ihm trug er auf, die Fee an einen entlegenen Ort zu bringen, an dem sie ungefährdet und wohl versorgt ihr weiteres Leben verbringen möge.
Damit es ihr in Zukunft an nichts mangele, stattete er den Dschinn mit Gold und Juwelen aus. Noch in derselben Nacht brach Ras-Chiwadar mit der Fee auf. Er wandte sich nach Osten, flog über den großen Ozean, bis sie zu einer Insel gelangten, die grün wie ein Juwel umgeben von goldenen Stränden im türkisfarbenen Meer lag. Sie war aber von furchterregenden Drachen bewohnt, die durchaus Absichten erkennen ließen, Menschen zu töten und zu verspeisen, als der Dschinn und die Fee die Inseln betraten. Nur die Tatsache, dass Chiwasahade sich aufmerksam umgeschaut hatte und deshalb den Angriff eines der Drachen bemerkt hatte, rettete ihnen das Leben. Dort konnte Ras-Chiwadar die Fee nicht lassen, denn Salomon hatte ihm einen Eid darauf abgenommen, alles zu tun, dass Chiwasahade kein Haar gekrümmt werde.
Also flog der Dschinn nach Norden in ein hohes, schneebedecktes Gebirge mit Ehrfurcht gebietenden, schroffen Gipfeln, gletscherbedeckt, in dem aber die Kälte so beißend war und die Luft so dünn, dass er auch dort die Fee nicht lassen konnte. Wiederum war es die Fee gewesen, die als erste bemerkt hatte, dass die Luft kaum noch zum Atmen reichte und im letzten Moment darauf gedrungen, dass sie die große Höhe verließen, sonst hätten sie wohl beide das Bewusstsein verloren und wären abgestürzt. Also flog Ras-Chiwadar weiter über ein fruchtbares Land mit großen Flüssen, riesigen Plantagen und schönen Ortschaften. Die Menschen, die dort lebten, erwiesen sich aber als feindselig und zudem übelriechend wegen eines Gewürzes, das sie in ihre Speisen taten, dass auch hier keine Bleibe für Chiwasahade zu finden war, deren feine Nase sofort auf den schlechten Geruch aufmerksam geworden war.
So flogen sie schon den dritten Tag und die dritte Nacht und der Dschinn wandte sich nach Westen, doch als die Sonne über den Horizont trat, war nur Wüste und Ödnis zu sehen. Und so stark der Dschinn auch war, nach der langen Reise mit all ihren Anstrengungen überkam ihn Müdigkeit und Durst. Verzweiflung angesichts der Aussichtlosigkeit seines Unterfangens wollte ihn befallen, da erblickte er in der Ferne eine kleine Oase und als er mit der Fee näherkam, sah er einen winzigen Brunnen. Sanft setzte er die Fee zu Boden und wollte Wasser aus dem Brunnen für sie beide schöpfen, doch war seine Hand so groß, dass es ihm unmöglich war. Alle Versuche, an das erfrischende Nass in der Tiefe zu gelangen, scheiterten. Schließlich wandte er sich Hilfe suchend an die Fee. Sie sagte zu ihm:
„Ich weiß sehr wohl um Deinen Auftrag, mich fernab von Salomons Hof zurückzulassen. Ich weiß, dass Du an die Weisungen deines Gebieters gebunden bist. Doch da Du bislang gut zu mir gewesen bist, mich nicht bei den Inselungeheuern, der beißenden Kälte und den feindseligen Menschen in der Ebene meinem Schicksal überlassen hast, hege ich Dir gegenüber keinen Groll und so werde ich Dir helfen.“
Sie schöpfte Wasser aus dem Brunnen und sie und der Dschinn konnten sich erfrischen. Dabei legte die Fee zum ersten Mal in Anwesenheit RasChiwadars ihren Schleier ab und im selben Moment war er überwältigt von ihrer Schönheit, ihrer Anmut und ihrer Grazie. Er schaute sie unverhohlen bewundernd an. Dabei dachte er:
„Könige gibt es viele auf der Welt. Ich werde das Leben ohne Salomon ertragen, aber ein Leben ohne diese Fee ist kein Leben mehr für mich. Lieber verdorre ich in der Wüste, als ohne sie mein Dasein an Salomons Hof zu fristen.“
Und so gestand er ihr seine Liebe.
Chiwahasade ihrerseits hatte während der Reise über Ozeane, Inseln, Berge, Ebene und Wüste eine tiefe Zuneigung zu dem Dschinn gefasst, der so sorgsam über sie gewacht und alles Ungemach von ihr ferngehalten hatte.
Und so beschlossen Chiwahasade und Ras- Chiwadar, bis ans Ende ihrer Tage gemeinsam in der Oase zu leben. Die wuchs unter ihrer Obhut, blühte und gedieh und wurde im Laufe der Jahre und Jahrzehnte zu einem bedeutenden Handelszentrum.
Chiwahasade und Ras-Chiwadar waren nicht nur glücklich, sie bekamen...
| Erscheint lt. Verlag | 2.8.2024 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur |
| ISBN-10 | 3-7597-1751-9 / 3759717519 |
| ISBN-13 | 978-3-7597-1751-1 / 9783759717511 |
| Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
| Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 10,0 MB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich