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Alter Zorn (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2025
302 Seiten
Heyne Verlag
9783641316198 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Alter Zorn - Lea Stein
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Ein toter Junge, ein Wunderheiler und eine abgelegene Elbinsel
Juli 1949. Zwei Monate nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland geht in Hamburg alles seinen gewohnten Gang, zumindest bei Ida Rabe. Die Schutzpolizistin teilt sich das Büro an der Reeperbahn mit Heide Brasch und ihr Leben mal mehr, mal weniger mit dem Gerichtsmediziner Ares Konstantinos. Als am Strand von Övelgönne die Leiche eines Jungen angeschwemmt wird, ist Ida erschüttert: Handelt es sich bei ihm um dasselbe Kind, das Heide und sie ein paar Monate zuvor halb erfroren und stark abgemagert in einem Hauseingang gefunden haben? Ida schwört, es herauszufinden. Die Spur führt sie auf die Elbinsel Waltershof, zu einer kleinen verschworenen Gemeinschaft. In deren Mitte: selbsternannter Wunderheiler Wilhelm Maurer. Ida bleibt nichts anderes übrig, als sich unter seine Anhänger zu mischen. Doch jemand wird auf sie aufmerksam und es wird gefährlich für Ida.

Ida Rabes dritter Fall

Lea Stein ist das Pseudonym der Autorin und Journalistin Kerstin Sgonina, die bereits mehrere Romane veröffentlichte. Als sie mit 18 nach Hamburg zog, verliebte sie sich sofort in die Stadt. Nach dem Abitur schlug sie sich auf der Reeperbahn als Türsteherin und Barfrau durch. Heute lebt sie mit ihrem Mann, den beiden Kindern und ihrem Hund in Brandenburg. Die Romane um Polizistin Ida Rabe sind ihre erste Krimi-Reihe.

1

Davidwache, Hamburg-Sankt Pauli


Freitag, 8. Juli 1949, 7:52 Uhr

»Manchmal denk ich, du kannst hellsehen, Ida.« Verblüfft schüttelte Rotschopf Meyerlich, mit dem sie im Flur der Davidwache um ein Haar zusammengeprallt wäre, den Kopf. »Als könnste riechen, dass was im Busch is.«

Ida, die nur deswegen gerannt war, weil sie sonst zu spät zur Arbeit gekommen wäre, rückte sich die Uniform zurecht, die ihr beim Absteigen vom Fahrrad verrutscht war. Hoffentlich klang sie nicht allzu neugierig: »Was ist denn im Busch?«

Mit finsterer Miene setzte ihr Kollege den Tschako auf und klopfte sich die Seiten ab: Knüppel, Schließketten, alles an seinem Platz. »Ich an deiner Stelle würd da nech hin. Rennste nur dem Chef inne Arme. Und dann hagelt’s Probleme.«

Das wusste Ida durchaus. Sie plus Vorgesetzter, das bedeutete Schwierigkeiten. Aber wenn Johann Meyerlich sagte, es sei was im Busch, wollte sie wissen, was.

»Wenn ich da nichts zu suchen hätte, wäre ich wohl kaum hier, oder?« Kampflustig sah sie ihn an. »Wo müssen wir hin?«

Bei dem Wort wir zuckte Meyerlich zusammen.

»Keine Bange«, beruhigte sie ihn. »Ich bin vor dir da und tue so, als würde ich dich nicht kennen.« Was so etwas von albern war, schließlich arbeiteten sie seit drei Jahren zusammen. Aber Meyerlich schluckte den Köder.

»Versprochen?«

Ida nickte.

»Also, da in Övelgönne, vor Lührs Gaststätte. Totes Kind.«

Schlagartig wurde Ida ernst. »In Ordnung. Wir sehen uns da.«

Die beiden Worte hallten in ihr nach, als sie draußen wieder aufs Fahrrad stieg, in die Pedale trat und über das holprige Pflaster der Reeperbahn in Richtung Hafen fuhr. Von da an ging es am Wasser entlang, das trotz der morgendlich-kühleren Temperaturen modrig roch.

Eine Viertelstunde später sah sie im Morgennebel den roten Ziegelbau des Union-Kühlhauses auftauchen. Dahinter säumten reetgedeckte Fischerkaten den Sandstrand von Övelgönne. Sie ließ den Blick schweifen: noch niemand von der Kriminalpolizei anwesend, ebenso wenig wie das Mordauto – so wurde das Gefährt des Gerichtsmediziners genannt. Sie war die Erste.

Nachdem sie ihr Rad gegen eine halbhohe Mauer gelehnt hatte, versuchte sie, im feuchten Sand jemanden zu entdecken. Wo war das Kind, hatte Meyerlich gesagt? Vor Lührs Gaststätte, die gar nicht mehr so hieß. Als Ida in die Richtung stapfte, konnte sie erst mal überhaupt niemanden ausmachen. Doch dann sah sie eine Frau winken.

»Haben Sie die Polizei verständigt?«, rief Ida, als sie nah genug herangekommen war.

»Nee, nee, mein Mann. Er … hat den Anblick nich so gut abgekonnt, daher bin ich … Ich hab gesagt, ich pass auf. Sie sind die Kriminalpolizei?« Die Frau, Mitte 70, schätzte Ida, mit verlebtem Gesicht und freundlichen braunen Augen, rang die Hände und sah sich immer wieder um.

Wonach, erkannte Ida, als sie bei ihr ankam: ein kleiner Hügel im Sand, von einer Öljacke bedeckt.

»Ida Rabe«, stellte sich Ida vor. »Wie ist Ihr Name?«

»Gerda Schwarz. Mein Mann hat den Jungen … Heute Morgen, als er unterwegs war, hat er ihn aus’m Wasser gezogen.«

»Wo ist denn Ihr Mann jetzt?«

»Kippt sich einen hinter die Binde, nehm ich an«, flüsterte Frau Schwarz. »So was kann er nich gut ab, so ’nen toten … Jungen.«

»Das verstehe ich.« Wer konnte das schon? »Sie sagten, dass Ihr Mann ihn aus dem Wasser gezogen hat.« Tatsächlich sah Ida nun, als sie näher trat, auch die Schleifspuren im Sand, daneben Fußabdrücke. »Das Ölzeug hier, trug der Junge das?«

»Nee, das hat mein Mann … das hat er draufgelegt. Weil er den Anblick so schrecklich fand. Er musste ja auch kurz weg, mich rufen, damit ich aufpass. Da dachte er, er legt lieber was drauf.«

»In Ordnung. Das ist also die Jacke Ihres Mannes?«

Die Frau nickte. »Ja, isse.«

Unter dem Ölzeug sah Ida nackte, dürre Beine rausstaken. Ging man nur von ihnen aus, würde sie sagen, dass das Kind keine sieben Jahre alt war. Ida musste sich zwingen, ruhig und gefasst zu erscheinen, als sie der Dame vorschlug, ein Stück entfernt zu warten.

»Aber ich muss doch …«

»Sie müssen nicht mehr aufpassen. Aber warten Sie, bis ich zu Ihnen komme, ja?«

»Ja, sicher. Sicher, mach ich.« Eilig ging Frau Schwarz weg, offensichtlich froh, ein wenig Abstand zwischen sich und den traurigen Fund ihres Mannes zu bringen.

Währenddessen wappnete sich Ida innerlich, das Ölzeug anzuheben. Allzu viel Zeit konnte sie sich dafür nicht lassen, das war ihr klar, denn wenn erst die Kollegen anrollten, die am Fundort einer Leiche erwünscht waren – ganz im Gegensatz zu ihr –, würde sie keinen Blick mehr auf das Kind werfen können.

Sie holte den Bleistift aus der Tasche, atmete tief ein und ging neben der Erhebung im Sand in die Hocke. Behutsam zog sie die Jacke in die Höhe. Ein durchdringender fauliger Geruch stieg auf und ließ sie zurückweichen. Sie legte die Finger an ihre Nase und zwang ihre Übelkeit in die Knie.

Wie ein Häuflein Knochen, die von grün schimmernder Haut bedeckt waren, lag der Junge auf dem Rücken im Sand, die Arme seitlich am Körper angelegt. Sein Oberkörper unter dem in Fetzen daran klebenden Hemd war aufgedunsen. Dennoch erkannte Ida deutlich die Rippen, die spitzen Ellbogen. Dort, wo sich Haut und Muskeln lösten und den Blick auf die Knochen öffneten, sah sie Kerben, ganze Spalte, die dort nicht hätten sein dürfen.

Sie ließ den Blick nach oben wandern. Nasses hellblondes Haar klebte an dem aufgedunsenen Gesicht. Teils wirkte die Haut wie von einer dicken Fettschicht bedeckt, wächsern und krümelig. Fettwachs – hatte Ares es so genannt? Wenn Ida sich richtig erinnerte, trat es erst nach längerem Verbleiben im Wasser auf.

Ida schaute weiter. Die Stirn und die Nasenspitze, zumindest was sie davon noch ausmachen konnte, waren abgeschürft. Als sie sich vorbeugte, um den Jungen näher zu betrachten, entdeckte sie in den Wunden winzige Kiesel. Gerichtsmedizinerin war sie natürlich nicht, aber ihr Freund Ares war einer, daher war ihr klar, dass die Abschürfungen durch eine Gewalttat entstanden sein könnten, vielleicht aber war der Junge auch in seichtem Gewässer von der Strömung mitgezogen worden und dabei mit dem Gesicht über den Boden geschrappt.

Vor seinem Mund hatte sich Schaum gebildet. Seine Augen waren glanzlos, von einem dunklen, unwirklich erscheinenden Braun, das über die Grenzen der Pupillen hinwegzugehen schien. Er trug Fetzen einer dunklen Hose, am Arm hatte sich heller Stoff mit der Haut verwebt.

Langsam richtete sich Ida wieder auf und ließ den Blick über den Sand gleiten. Frau Schwarz war noch da, Meyerlich und die anderen Kollegen aber hatten sich immer noch nicht blicken lassen. Zwar war es selbst für die Polizei nach wie vor schwierig, ein Auto aufzutreiben, doch die Kriminalpolizei besaß Wagen, und es wunderte Ida, dass sie nicht schon das erste Motorbrummen in der Ferne hörte.

Stattdessen nur Möwengeschrei und das leise Lied der an den Strand schlagenden Wellen. Sie holte ihr Merkbuch heraus und begann zu schreiben.

»Totenflecken vorderseitig. Linkes Ohr abgenagt oder auf andere Weise zerstört.« Auch eine Schiffsschraube könnte die Verletzung verursacht haben. »Das verbleibende Ohr auffällig abstehend.« Ein flachsblonder Junge mit Segelohren. Sie kannte einen, erinnerte sie sich. Ob das Kind, das vom Wasser so grauslich zugerichtet vor ihr lag, Theo sein könnte? Theo, der in Wirklichkeit gar nicht so hieß. Ihre Kollegin Heide Brasch und sie hatten ihn nur so genannt, weil er nicht sprach und entweder nicht schreiben konnte oder wollte.

Flachsblond war auch er gewesen. Auffällig mager. Große, abstehende Segelohren. Eine Himmelfahrtsnase.

An einem Winternachmittag, Januar oder Februar dieses Jahres, hatten Heide und sie den Kleinen in einem Hauseingang nahe dem Schaarmarkt entdeckt. Im ersten Moment hatten sie beide geglaubt, dass er tot sei, derart bleich war er gewesen und hatte, reglos in eine viel zu dünne Jacke gehüllt, dagesessen.

Glücklicherweise ein Irrtum. Sie hatten ihn in ein Kinderheim gebracht. Was hoffentlich hieß, dass dieser Junge hier nicht Theo war. Ida erinnerte sich noch, wie er sich mit beiden Händen das Brot in den Mund gestopft hatte, das sie ihm gegeben hatten. Gar nicht hinterhergekommen war er, so gierig hatte er gekaut und geschluckt. Und dabei keinen Mucks von sich gegeben. Nicht mal geschmatzt hatte er. Und später, als sie ihn im Winterhuder Waisenhaus abgaben, hatte er ihnen nur reglos nachgesehen, mit diesen riesigen leeren Augen …

Das Geräusch zuschlagender Autotüren kündigte Idas Kollegen an. Als sie den Kopf hob, sah sie ihren Vorgesetzten Bruno Pfaffenkamp durch den Sand auf sich zustaken. Seiner langen Beine wegen erinnerte er sie immer an einen Kranich. Direkt hinter ihm folgten Wachtmeister Simon und Wachtmeister De Nève, die Pfaffenkamp vergangenes Jahr aus dem Polizeipräsidium mitgebracht hatte, als er die Leitung der Davidwache übernahm.

»Rabe!«, bellte er. »Was haben Sie hier verloren?«

Statt darauf zu antworten, sagte Ida betont ruhig: »Die Zeugin Frau Schwarz wartet dort hinten. Ihr Mann hat den Jungen tot aus dem Wasser geborgen und an Land gezogen. Er hat uns den Fund gemeldet und seine Frau gebeten, solange aufzupassen. Wie es aussieht, lag der Junge länger im Wa…«

»Habe ich Sie um eine Bestandsaufnahme gebeten? Sie sind zum Knöpfe-Annähen gut, Rabe, wenn wir Glück...

Erscheint lt. Verlag 15.1.2025
Reihe/Serie Die Ida-Rabe-Reihe
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte beste deutsche krimiautoren • Davidwache • eBooks • Gründung BRD • Hamburg • Historische Kriminalromane • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Mord • Serien • Volker Kutscher • Weibliche Polizei
ISBN-13 9783641316198 / 9783641316198
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