Perry Rhodan 3303: Der Conduit (eBook)
64 Seiten
PERRY RHODAN digital (Verlag)
978-3-8453-6303-5 (ISBN)
1.
An Bord der ELDA-RON: Ein Opfer der Stille
»Du könntest einfach so entkommen, nicht wahr?«, fragte Cameron Rioz.
Er starrte Shrell an, seine Entführerin; diese schlanke, humanoide, dunkle Gestalt, über die er vor allem eines wusste: Er hasste sie abgrundtief. Mehr, als er jemals jemanden gehasst hatte. Wobei Hass nie sein Ding gewesen war, sogar wenn er sehr selbstkritisch mit sich umging.
Shrell saß seit etlichen Minuten mit geschlossenen Augen im übergroßen Kommandantensessel in der Zentrale ihres Schiffes ELDA-RON. Im Metallboden und den Wänden lag ein feines Muster, wie gewebt. Kabel und Rohre verliefen unter der Decke; manches wirkte wie nach Zerstörungen auf fast primitive Weise zusammengeflickt.
Holos zeigten die Umgebung des Schiffes – das freie Weltall, in dem in der Ferne die winzigen Lichtpunkte von Sternen schillerten. Nur in einem war ein Teil der heimischen Sonne zu sehen, ein kleines, grelles Bogenstück des gewaltigen Feuerballs, von dem gerade eine Protuberanz abging. Im Holo wirkte sie eher unscheinbar, tatsächlich hatte sie einen größeren Durchmesser als die Erde.
Auf Camerons Worte hin öffnete Shrell langsam die Augen. Sie waren tiefrot, ein fast leuchtender Kontrast zu der schwarzen Gesichtshaut und der ebenfalls schwarzen Kleidung.
In einer Aufwallung kindischen Zorns hoffte Cam, dass er sie geweckt hatte. Vielleicht kannte ihre Art, die Leun, ja Kopfschmerzen, wenn man sie aus dem Schlaf riss. Mit etwas Glück handelte es sich um hämmernde, mörderische Kopfschmerzen.
»Du meinst, ob ich den Terranern und ihren Schiffen entkommen könnte?« Sie lachte. »Sicher. Es wäre kein Problem, aus diesem Sonnensystem zu fliegen, und sie könnten mich auf keinen Fall aufhalten. Es ist zwar ärgerlich, dass mein Schattenschirm immer noch von Aussetzern geplagt wird, aber ...«
»Und warum bist du dann noch hier?«, fiel Cameron ihr ins Wort. Er hörte sie nicht gerne reden. Nein, mehr noch: Er hasste es, ihr zuzuhören, und das umso mehr, weil sie ihn dazu zwang.
Sie gönnte ihm immer nur wenige Minuten Privatsphäre hinter undurchsichtigen Energiefeldern, damit er wenigstens nicht vor ihr auf die Toilette gehen musste – das war alles. Und während er sich erleichterte, das wusste er genau, wachten ein paar kleine, schwebende Roboter über ihn. Alles andere als entspannend. Aber das war eines der geringsten Probleme auf einer ziemlich langen Liste.
Meistens zwang sie ihn, in ihrer Gegenwart zu bleiben; auch sie selbst nutzte nur zu seltenen Gelegenheiten vergleichbare undurchsichtige Felder, die sie auch akustisch isolierte. Ständig umgaben Cameron energetische Kraftfelder, die er nicht überwinden, austricksen oder desaktivieren konnte. Er hatte es versucht, mehr als einmal. Ihm blieb ein gewisser Bewegungsspielraum, aber er konnte sich nie mehr als ein paar Schritte von Shrell entfernen. Als zusätzliche Absicherung gab es die Roboter. Wahrscheinlich würden sie ihn sofort narkotisieren – oder Schlimmeres –, falls er die Energiefelder eben doch überwand.
»Sag es mir, Shrell«, setzte er neu an, als sie nicht reagierte. »Warum haust du nicht einfach ab?«
Sie verzog den Mund. Das sollte wohl ein Lächeln sein. »Es ist unklug zu gehen, wenn man noch etwas zu erledigen hat.«
»Und zwar? Komm schon, rede mit mir! Ich bin seit zwei Tagen unablässig bei dir und ...«
»Und deswegen sind wir noch lange keine Freunde, Cameron Rioz.«
Nun war er es, der lächelte, und ein wenig fühlte er sich, als würde er in diesem Augenblick zu seinem alten Leben zurückfinden, zur alten Coolness als Cam-Cam, der Trividder, auf dessen neuesten Auftritt die Fans warteten.
»Freunde?« Die Vorstellung bedrückte ihn. »Darauf lege ich keinerlei Wert. Im Gegenteil. Ich bin nicht freiwillig hier. Wenn du meine Gegenwart leid bist, kann ich jederzeit dir und der ELDA-RON den Rücken kehren.«
»Du bist ein eigenartiges Wesen«, sagte sie.
»Ach? Dieses Kompliment gebe ich gerne zurück. Sind alle Leun so wie du?«
»Wie ich? Sicher nicht.«
»Warst du die ganze Zeit über in der ELDA-RON? Wie lange stand das Schiff bereits auf dem Raumhafen, ehe du aktiv geworden bist? Jahrzehnte? Warum hast du so lange gewartet?«
Natürlich wusste er genau, wie lange das Geisterschiff auf Terra geparkt hatte; er hatte eine Reportage darüber bringen und das eine oder andere Interview mit einigen Verwaltungsleuten führen wollen – was wurde wann und wie routinemäßig untersucht, wie wurden die Gebühren verbucht, wer hat wann das Schiff betreten, um Bürokratie zu erledigen ... solche Dinge. Cam wollte Shrell nun mit genau solchen Fragen überfluten, damit ihr unbeabsichtigt vielleicht die eine oder andere echte Information herausrutschte, die sie sonst nicht gegeben hätte.
»Wir sind nicht hier, um über mich zu reden«, sagte Shrell zu seiner Enttäuschung.
»Sondern?«
»Warte ab! Warum so ungeduldig?«
Weil er seit zwei Tagen in diesem Schiff festsaß und an Shrells Gegenwart gefesselt war wie eine lächerliche Marionette? Weil das Monster Shrell, das auf Terra so viele getötet hatte, unter anderem seine Freundin und seine Eltern, hier herumsaß und so tat, als wäre es irgendwie ... menschlich? Weil er keine Ahnung hatte, worauf all das hinauslaufen sollte?
»Vielleicht wäre es besser, du würdest mich einfach umbringen«, sagte er. »Hemmungen kennst du in dieser Hinsicht ja offenbar nicht.«
»Wenn ich dich hätte umbringen wollen, wärst du längst tot.« Sie stand auf; eine glatte, geschmeidige Bewegung. »Du bist viel zu wertvoll, Cameron Rioz.«
»Deswegen?«, fragte er und hielt seinen Armstumpf hoch.
Dort hatte er das Brennende Nichts berührt und seine Hand verloren. Es war eine schreckliche Amputation gewesen – wenn der Schmerz auch nur für wenige Sekunden angedauert hatte, ohne Blut und Wunde. Seitdem quälten ihn aber immer wieder Phantomschmerzen.
Eigentlich hätte Cam in gleichen Augenblick verpuffen müssen, in dem er das Brennende Nichts berührte: sich restlos auflösen, wie alle anderen, die dieser entsetzlichen Anomalie nahe gekommen waren. Einfach weg, von einem Moment auf den nächsten. Stattdessen war der Stumpf zurückgeblieben, und das hatte ihn zu einem sogenannten Conduiten werden lassen. Warum er nur die Hand verloren und überlebt hatte, wusste er nicht.
Jedenfalls hörte er seitdem unablässig ... etwas aus dem Brennenden Nichts. Stimmen. Sirenengesang. Es zerrte an seinen Nerven und trug nicht gerade dazu bei, dass er souveräner agieren konnte. Seit sie sich weiter von Terra und Luna entfernt hatten, war dieser unablässige Chor leiser geworden, aber verstummt war er nie. Ebenso wenig wie der Misston, den er seit der Begegnung mit dem zweiten Conduiten – Bonnifer – hörte und den dieser erzeugte. Wie immer das konkret vor sich ging und welche verdammten Überraschungen auf ihn warten mochten.
Was immer mit ihm geschehen war und weshalb die Anomalie ihn nicht getötet hatte – es machte ihn für Shrell wertvoll. Unwiderstehlich. Nur dass er nicht wusste, wieso. Weil er nahezu nichts wusste.
Und genau darin lag das Problem.
Darin, und in der Tatsache, dass er von einer skrupellosen Massenmörderin auf ihr Schiff entführt worden war und diese ihn zum Nichtstun in ihrer Gegenwart zwang.
Shrell stieß einen leisen Ton aus. Offenbar passte ihr etwas ganz und gar nicht.
Gut so!
»Was ist?«, fragte er in scheinheilig besorgtem Tonfall.
Sie zeigte sich ungewöhnlich offen: »Ein neuer Ausfall des Schattenschirms. Kein echtes Problem.«
Shrell wandte sich den Kontrollen zu und übernahm die Steuerung, setzte das Schiff in Bewegung. Die ELDA-RON beschleunigte und jagte zwischen von drei Seiten nahezu gleichzeitig heranrasenden terranischen Kugelraumern hindurch, die das Feuer eröffneten. Ohne in echte Gefahr gekommen zu sein, ging die ELDA-RON in eine nur eine einzige Sekunde andauernde Überlichtetappe. Sie standen nun in Höhe der Uranusbahn, gar nicht weit entfernt von dem gewaltigen Gasriesen, der sich ihnen scheinbar gemächlich näherte.
Illustration: Swen Papenbrock
»Der Schirm ist wieder aktiv«, sagte Shrell zufrieden. »Kein Problem.«
»Schade«, ätzte Cam. Er hielt seine Wut nur mit Mühe im Zaum. Und plötzlich wurde ihm etwas klar. Es war still – wunderbar still. Der Sirenengesang des Brennenden Nichts war so weit weg, dass er ihn kaum noch hörte. Fast konnte er ihn komplett ausblenden, wie ein fernes Hintergrundrauschen am Meer.
Es erleichterte ihn, und er kam sich vor, als könnte er klarer denken als seit jenem Zeitpunkt, in dem sich sein ganzes Leben in diesen entsetzlichen Albtraum verwandelt hatte. Eine gefühlte Ewigkeit nur, das war ihm klar; tatsächlich hatte er noch vor weniger als einer Woche ein normales Leben geführt. Was man eben so normal nannte. Mit einem Hobby, das er liebte. Mit Eltern. Und einer Freundin.
Bei dem Gedanken daran fühlte er Übelkeit in sich aufsteigen. »Ich mache dir einen Vorschlag«, sagte er.
Shrell zeigte keine Reaktion. Weder antwortete sie, noch sah sie ihn auch nur an.
»Ich habe es satt, tatenlos hinter diesen Energiefeldern festzuhängen. Du sagst mir, was du im Solsystem noch zu erledigen hast, und ich helfe dir dabei.«
»Auch wenn ich deine Hilfe weder brauche, noch du irgendetwas dazu beitragen kannst – du sollst es hören.«
Cameron versuchte, seine Überraschung über ihre Offenheit zu verbergen. Nur keine Reaktion zeigen, die sie aus ihrer plötzlichen Redefreundlichkeit reißen...
| Erscheint lt. Verlag | 5.12.2024 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Perry Rhodan-Erstauflage |
| Verlagsort | Rastatt |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction |
| Schlagworte | Neo • Perry Rhodan • Perryversum • Science Fiction |
| ISBN-10 | 3-8453-6303-7 / 3845363037 |
| ISBN-13 | 978-3-8453-6303-5 / 9783845363035 |
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