Mrs Winterbottom nimmt sich eine Auszeit (eBook)
357 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-78145-5 (ISBN)
Eine herrlich witzige Lektüre über zweite Chancen, Liebe und Freundschaft - voller Wärme und Lebensweisheit
Endlich frei! Endlich reisen! Nun könnte dieser Traum wahr werden. Nach vierzig Jahren hängen Heather und ihr Mann Alan das Stethoskop an den Nagel und übergeben ihre Arztpraxis an einen Nachfolger. Schon lange hat Heather davon geträumt, die griechischen Inseln zu erkunden und aufregende Abenteuer zu erleben. Doch Reisen steht nicht auf Alans To-do-Liste. Er will sein eigenes Gemüse anbauen und den Haushalt neu organisieren - Pech nur, dass er von beidem so gar keine Ahnung hat ... Irgendwann reicht es Heather. Sie begibt sich allein auf ihre ganz eigene Odyssee durch Griechenland, mit vielen zauberhaften Erlebnissen und amourösen Versuchungen - bis Alan auftaucht, und beide erkennen, dass es für einen Neuanfang nie zu spät ist.
Joanna Nell ist Ärztin und eine international erfolgreiche Autorin. Sie hat bislang fünf Romane veröffentlicht; ihre Kurzgeschichten wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und in Magazinen, Zeitschriften und Anthologien veröffentlicht. Die gebürtige Britin lebt seit 2003 mit ihrem Mann und ihrem Labrador an den Nordstränden von Sydney, Australien.
Kapitel1
Mit einem lachenden und einem weinenden Auge
Dr. Heather Winterbottom sagte oft im Scherz, sie sei an ihrem ersten Arbeitstag eine halbe Stunde in Rückstand geraten und habe es in den folgenden vierzig Jahren nicht geschafft, diese wieder aufzuholen. Ständig entschuldigte sie sich dafür, dass sie ihre Patienten warten ließ, selbst bei den wenigen Malen, an denen sie den Termin tatsächlich einhielt. Ihr Gesicht hatte einen Ausdruck dauerhafter Zerknirschung angenommen. Doch das würde sich jetzt ändern. Heute war ihr letzter Tag als Ärztin! Endlich konnte sie die kostbaren dreißig Minuten zurückbekommen und ihrem restlichen Leben zuschlagen. Eine neue Welt tat sich auf jenseits des Netherwood-Medical-Center, so viele Dinge, die sie tun und sehen wollte. Dieser Tag markierte den Beginn eines völlig neuen Kapitels, wenn nicht sogar eines gänzlich neuen Lebens. Zuvor jedoch musste sie einen Wattepfropf aus Mr Cliftons linkem Ohr entfernen.
Mrs Clifton hatte ihrem Mann noch nie zugetraut, ein effizienter Hüter seines eigenen Körpers zu sein, und begleitete ihn daher immer zu seinen Arztterminen. Gemeinsam brachten sie es auf genügend Stunden in Heathers Wartezimmer, um es als zweiten Wohnsitz beanspruchen zu können, und Mrs Clifton hatte in ihrer praktischen Art stets belegte Brote und eine Thermoskanne Tee dabei.
Die Cliftons gehörten zu jenen Paaren, die sich gegenseitig den Dreck von den Stiefeln kratzen, bevor sie ins Auto steigen. Sie trugen die gleichen Fleecejacken und beendeten ihre Sätze füreinander. Die Cliftons sah man so gut wie niemals getrennt – ganz anders als Heather und ihren Ehemann Alan, obwohl sie zusammenlebten und in derselben Praxis arbeiteten.
Heather rief Mr Cliftons Akte auf dem Bildschirm auf, während das Paar darüber diskutierte, wer auf welchem Stuhl sitzen sollte.
»Du bist der Patient, Bob«, beharrte Cynthia Clifton, wobei ihr Ton nicht zu ihrem lächelnden Gesicht passte.
»Aber du bist diejenige, die redet.« Bobs gezwungenes Lächeln spiegelte das seiner Frau.
»Wie lang sind Sie beide eigentlich verheiratet?«, fragte Heather, während sie mit gezückter Pinzette in den Ohrenspiegel spähte.
»Fünfzig Jahre«, antworteten sie unisono.
»Und nie ein böses Wort«, sagte Cynthia.
»Nur deshalb, weil wir kaum miteinander reden.« Bob lachte, und seine Frau gab ihm einen scherzhaften Klaps auf den Arm.
Heather inspizierte den Wattepfropfen am Ende der Pinzette. »Denken Sie dran, Bob, mit nichts Kleinerem im Ohr bohren als mit dem eigenen Ellbogen.«
»Ich habe es ihm schon wer weiß wie oft gesagt, Frau Doktor, aber er hört ja nicht auf mich.«
Bob schob das Kinn vor und rieb sein Ohr. »Weshalb, glaubst du, stopfe ich mir Watte in die Ohren?«
Heather lächelte. Die Muskeln um Augen und Mund fühlten sich angespannt und fremd an. Neben allgemeiner Fitness war einer ihrer Vorsätze für den Ruhestand, sich endlich die ewige Entschuldigung aus ihrem Gesichtsausdruck abzutrainieren.
»Das ist für Sie, Dr. Winterbottom«, sagte Cynthia und hielt ihr eine bunt gestreifte Geschenktüte hin.
»Wir werden Sie vermissen«, fügte Bob hinzu. »Sie sind die beste Ärztin, die wir je hatten.«
Die einzige Ärztin, die ihr je hattet, hätte Heather beinahe ergänzt, denn die Cliftons weigerten sich, zu anderen Kolleginnen oder Kollegen in der Gemeinschaftspraxis zu gehen. Bei den seltenen Urlauben, die ihr und Alan vergönnt gewesen waren, hatten Bob und Cynthia ihre kollektiven Gebrechen bis zu ihrer Rückkehr aufgespart. Trotzdem war es schön, zur Abwechslung statt einer Beschwerde auch mal ein Lob zu bekommen.
Heather öffnete die Tüte. Zunächst war sie sich nicht sicher, was sie von dem großen, gepolsterten Rechteck mit dem farbenfrohen Morris-Muster halten sollte.
»Es ist ein Kniekissen«, assistierte Cynthia, »zum Jäten der Rabatten.«
»Danke, das ist ganz reizend von Ihnen.« Heather versuchte sich zu erinnern, ob sie überhaupt Rabatten im Garten hatte.
»Wir könnten uns ein Leben ohne unseren Garten nicht vorstellen, nicht wahr, Bob?«
»Zumindest gibt er uns einen Grund, jeden Morgen aufzustehen.«
Heather hoffte, dass ihr und Alan künftig nicht das gleiche Leben aus Pflanzerde und Treppenlift beschieden sein würde.
Nach einer tränenreichen Abschiedsumarmung von Cynthia und einem stoischen Handschlag von Bob legte Heather das Kniekissen auf den wachsenden Stapel von Grußkarten und Gartenutensilien unter ihrem Schreibtisch. Eine ihrer Patientinnen hatte ihr einen Becher mit dem Cartoon eines Ehepaars neben einem blauen Wohnmobil und der Unterschrift »Lebe deinen Traum« geschenkt, einer ihrer einsichtigeren Stammkunden hatte sich für eine Flasche Sherry entschieden.
Es blieb gerade Zeit genug, um einen Schluck kalten Kaffee zu nehmen und ihn wieder auszuspucken, bevor sie den nächsten Patienten hereinrief. Noch nicht mal neun, und sie war bereits eine Dreiviertelstunde im Rückstand – eine persönliche Bestleistung. Morgen jedoch würde sie ihren Kaffee trinken, solange er noch heiß war. Bei einem gemütlichen Frühstück im Freien würden Alan und sie den Rest ihres Lebens planen. Sie freute sich darauf, endlich ein normales Gespräch mit ihrem Mann zu führen, anstatt sich über Patienten auszutauschen oder Begriffe wie »Rahmenplan« oder »Anteilseigner« im Mund zu führen, die eher in eine Vorstandsetage gehörten als in eine Arztpraxis. Eine andere Welt war zum Greifen nah. Sie musste nur noch die heutigen Termine abarbeiten und dreiundsiebzig Leute zurückrufen.
Um sich Mut zu machen, gestattete sie sich einen Blick auf den Reiseprospekt, den sie unter ungelesenen Nummern des British Medical Journal verborgen hielt. Schon seit Jahren fand sie keine Zeit mehr, das BMJ zu lesen, und sie würde mit Sicherheit keine Sekunde ihres Ruhestandes damit verschwenden, das nachzuholen. Nein, Wunderbare griechische Inselwelt hatte sie sich vor ein paar Wochen in dem Reisebüro gegenüber ihrem Friseur besorgt, das war der Lesestoff, der sie jetzt interessierte. Sie blätterte den Prospekt durch und warf einen sehnsüchtigen Blick auf einsame Strände, Olivenhaine und weiß gekalkte Häuser, bevor sie ihn wieder unter den Stapel schob.
Als sie den nächsten Namen auf der Liste sah, erwog sie kurz, den Sherry zu öffnen. Im Wartezimmer rannte Jaxon Smith zwischen den besetzten Stuhlreihen hin und her und drosch mit seiner Plastik-AK-47 aus auf die Knie der anderen Wartenden ein. Aus jedem Nasenloch rann eine Schneckenspur aus silbrigem Rotz, der auf seiner Oberlippe zu einer grünlichen Kruste getrocknet war. Als Heather ihn aufrief, zerrte ihn Mrs Smith, in Leggings wie in eine Wursthaut gepresst, am Pferdeschwanz des ansonsten kahlgeschorenen Hinterkopfes ins Sprechzimmer.
Sieben Minuten später gingen sie wieder, und Mrs Smith rief über die Schulter zurück: »Vergessen Sie nicht, dass Sie Ihr Geld mit mir verdienen!«
Heather verkniff es sich, darauf hinzuweisen, dass die einzigen Steuern, die die Smiths jemals gezahlt hatten, die unvermeidlichen Abgaben auf Alkohol und Kippen waren. Sie war vorrangig damit beschäftigt, ihr verwüstetes Sprechzimmer wieder in Ordnung zu bringen. Jeder Schrank war durchwühlt, eine ganze Rolle Papier für die Behandlungsliege kringelte sich in Schleifen auf dem Boden, und die Vorhangschiene um die Liege, die dem Gewicht eines kräftigen Vierjährigen nicht hatte standhalten können, lag dort wie ein kollabiertes Zelt am Ende des Glastonbury-Festivals. Dennoch war Heather dem jungen Berserker und seiner abscheulichen Mutter beinahe dankbar. Falls sie künftig ein schlechtes Gewissen bekäme, weil sie die Cliftons und Hunderte anderer Patienten, die sie mittlerweile als ihre Familie betrachtete, im Stich gelassen hatte, würde sie an Jaxon Smith denken.
Um die Mitte des Vormittags zwickte Heathers Plastikhaarklammer in ihre Kopfhaut, und sie fragte sich, wie es sein konnte, dass sie dehydriert war und trotzdem so dringend aufs Klo musste. Medizinstudenten gegenüber witzelte sie oft, dass man als erfolgreiche Allgemeinmedizinerin ein weiches Herz, ein dickes Fell und eine Vierzig-Liter-Blase ...
| Erscheint lt. Verlag | 20.11.2024 |
|---|---|
| Übersetzer | Susanne Hornfeck, Sonja Hauser |
| Sprache | deutsch |
| Original-Titel | Mrs. Winterbottom Takes a Gap Year |
| Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
| Schlagworte | 50plus • Abenteuer • aktuelles Buch • Alter • Amelie Fried • Ärztin • Arztpraxis • Best Ager • Beste Freundin • Booktok • Britischer Humor • Bücher Humor • Bücher Neuerscheinung • Buch für den Strand • Buch für den Urlaub • buch-geschenk • Elke Heidenreich • Endlife-Crisis • feel-good-romance • Ferienbuch • Ferien-Lektüre • Frauenroman • Freiheit • Freundschaft • Geburtstagsgeschenk • Generation Gold • Geschenk für beste Freundin • Geschenk für Freundin • Geschenk-Ideen • Golden Ager • Griechenland • Griechische Inseln • Happy End • heitere bücher • humorvolle Bücher • Ildikó von Kürthy • Ionische Inseln • Kefalonia • Kefalonia / Kefalonia • Liebe • lustig • Lustige Bücher • Mrs. Winterbottom Takes a Gap Year deutsch • neuerscheinung 2024 • neues Buch • Neustart • Odyssee • Pappa ante portas • Pensionierung • Reise-Lust • Rente • Rentner • Rentnerdasein • Ruhestand • Second Chance • Senioren • Sommer-Lektüre • Strand-Buch • Südosteuropa • Unabhängigkeit • unternehmungslustige Protagonistin • Urlaubslektüre • Vereinigtes Königreich Großbritannien • Westeuropa • witzig • witzige Bücher • wohlfühlen • Wohlfühl-Roman |
| ISBN-10 | 3-458-78145-5 / 3458781455 |
| ISBN-13 | 978-3-458-78145-5 / 9783458781455 |
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